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Eine syrische Familie in einer Notunterkunft der Johanniter in Köln. Sie könnten von der geplanten Einzelfallprüfung betroffen sein. Foto: UNICEF / Etges

Einzelfallprüfungen und Dublin-Verfahren für Syrer, unerledigte Altfälle: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bürokratisiert die Asylpraxis zunehmend und schafft sich so seinen Rückstau selbst. Die Zahl nicht erledigter Fälle steigt an, die Warteschleife bis zum Asylentscheid wird länger. Die Leidtragenden der Bürokratie beim BAMF sind die Schutzsuchenden.

Wie­der Ein­zel­fall­prü­fung für SyrerInnen

Syri­sche Flücht­lin­ge müs­sen künf­tig wie­der Anhö­run­gen  in der Ein­zel­fall­prü­fung durch­lau­fen. Dabei hat­te sich das Schrift­ver­fah­ren, das im ver­gan­ge­nen Jahr eigens für sie ein­ge­führt wor­den war, in der Pra­xis bewährt: Mit Hil­fe eines schrift­li­chen Gesuchs und ohne Anhö­rung wur­den syri­sche Asyl­su­chen­de so im drit­ten Quar­tal 2015 zu fast 100 Pro­zent als Flücht­lin­ge aner­kannt. Mit die­ser Pra­xis wur­de auch die Dau­er ihrer Asyl­ver­fah­ren ver­kürzt: Muss­ten sie 2014 im Durch­schnitt 4,2 Mona­te auf ihren Ent­scheid war­ten, beka­men sie 2015 bereits nach durch­schnitt­lich 3,4 Mona­ten ihren Auf­ent­halts­sta­tus. Doch statt das Ver­fah­ren wei­ter zu beschleu­ni­gen, rückt man von die­ser Pra­xis wie­der ab. Das beschlos­sen die Innen­mi­nis­ter von Bund und Län­dern am ver­gan­ge­nen Frei­tag in Koblenz.

Flücht­lin­ge unter Generalverdacht

Die Rück­kehr zur Anhö­rung im Asyl­ver­fah­ren recht­fer­ti­gen die Innen­mi­nis­ter mit Sicher­heits­be­den­ken gegen Schutz­su­chen­de aus Syri­en. Noch vor Wochen behaup­te­te Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Tho­mas de Mai­ziè­re bei­spiels­wei­se, 30% aller Asyl­su­chen­den wür­den sich als „fal­sche Syrer“ aus­ge­ben um an einen Auf­ent­halts­sta­tus zu kom­men. Zah­len dazu nann­te der Minis­ter nicht. Sei­ne Behaup­tung hat sich inzwi­schen als fak­tisch schlicht­weg nicht belast­bar her­aus­ge­stellt: Der Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung auf eine Klei­ne Anfra­ge der Lin­ken (S. 81) zufol­ge bean­stan­de­ten deut­sche Sicher­heits­be­hör­den zwi­schen Janu­ar und August 2015 stich­pro­ben­ar­tig gera­de mal 116 syri­sche Päs­se – bei ins­ge­samt 55.587 Asyl­an­trä­gen im glei­chen Zeit­raum. Doch die The­se des Bun­des­in­nen­mi­nis­ters hat aus­ge­reicht, um Flücht­lin­ge unter Gene­ral­ver­dacht zu stellen.

Sicher­heits­be­den­ken nur Vorwand

Nach den Pari­ser Anschlä­gen vom 13. Novem­ber wur­den Beden­ken laut, unter syri­schen Flücht­lin­gen könn­ten Ter­ror­ver­däch­ti­ge sein. Vom Ver­fas­sungs­schutz wur­den sie als nicht belast­bar wider­legt; den Innen­mi­nis­tern dien­ten sie den­noch als Vor­wand für die Wie­der­ein­füh­rung der Einzelfallprüfung.

Wor­auf mit die­ser Pra­xis aber eigent­lich abge­zielt wird: Die Her­ab­stu­fung syri­scher Asyl­su­chen­der auf den sub­si­diä­ren Schutz­sta­tus, wonach sie künf­tig zwei Jah­re lang kein Anrecht auf eine Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung hät­ten – anders als als aner­kann­te Flüchtlinge.

BAMF droht Kollaps

Im BAMF stau­en sich die unbe­ar­bei­te­ten Asyl­an­trä­ge seit Mona­ten. Bis Novem­ber 2015 sol­len es laut einer Ant­wort des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­ums gegen­über der Pas­sau­er Neu­en Pres­se bereits rund 356.000 sein. Davon sind knapp 75.000 Alt­fäl­le, also Asyl­ge­su­che, die ein Jahr und län­ger unbe­ar­bei­tet geblie­ben sind. Zu die­ser Zahl kämen jetzt womög­lich bis zu 200.000 syri­sche Asyl­su­chen­de, die bis Okto­ber ein­ge­reist sind und von der wie­der ein­ge­führ­ten Ein­zel­fall­re­ge­lung betrof­fen sein könn­ten. Eine schier unvor­stell­ba­re Anzahl uner­le­dig­ter Ver­fah­ren wäre die Folge.

Das War­ten nimmt kein Ende

Für die Asyl­su­chen­den wür­de sich dadurch das ohne­hin ner­ven­zeh­ren­de War­ten auf den Asy­l­ent­scheid ver­län­gern. Dau­er­te das bis­he­ri­ge Schrift­ver­fah­ren für Syre­rIn­nen in die­sem Jahr im Durch­schnitt 3,4 Mona­te (Quel­le: BAMF), könn­te sich der Zeit­raum von der Antrag­stel­lung bis zur Aner­ken­nung wie­der deut­lich erhö­hen. In die­ser Zeit wären weder der Aus­zug aus den Erst­un­ter­künf­ten, noch der Fami­li­en­nach­zug für syri­sche Flücht­lin­ge möglich.

Dub­lin-Ver­fah­ren wie­der aufgenommen

Trotz der Arbeits­be­las­tung im BAMF nimmt die Büro­kra­ti­sie­rung der Asyl­ver­fah­ren wei­ter zu. Seit dem 21. Okto­ber wen­det Deutsch­land bei syri­schen Flücht­lin­gen zusätz­lich wie­der das Dub­lin-Ver­fah­ren an. Statt alle Kräf­te auf die Bear­bei­tung von Asyl­an­trä­gen zu kon­zen­trie­ren, wird im BAMF geprüft, wel­ches EU-Land für die Bear­bei­tung ihrer Asyl­an­trä­ge zustän­dig ist. Syri­schen Asyl­su­chen­den droht so wie­der eine Rück­über­stel­lung nach Ungarn oder Kroatien.

Beschleu­ni­gen und entbürokratisieren

PRO ASYL for­dert, die Schrift­ver­fah­ren für syri­sche Asyl­su­chen­de bei­zu­be­hal­ten. Sie haben bis­lang ent­schei­dend zur Ver­kür­zung der War­te­zei­ten und zu einer zügi­ge­ren Ent­schei­dungs­pra­xis bei­getra­gen. Eben­so hat die Aus­set­zung des Dub­lin-Ver­fah­rens für Syre­rIn­nen Kräf­te im BAMF frei­ge­setzt, die drin­gend für die Bear­bei­tung von Asyl­an­trä­gen not­wen­dig sind. Für die Alt­fäl­le for­dert PRO ASYL eine Rege­lung, die Men­schen, deren Fäl­le län­ger als ein Jahr unbe­ar­bei­tet wor­den sind, einen siche­ren Auf­ent­halts­sta­tus verschafft.

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