Die Europäische Union und ihre Mitglieder haben einen fatalen Weg eingeschlagen. Um sich der menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Pflicht zu entziehen, Flüchtlingen Schutz und Zugang zu einem fairen Asylverfahren zu gewähren, werden an etlichen Orten zweifelhafte und illegale Mittel eingesetzt.
Wir von PRO ASYL sind deshalb in vielen Ländern an der EU-Außengrenze mit Partnerorganisationen vor Ort. Wir recherchieren, wir dokumentieren und wir helfen.
Schlaglichter: Menschenrechtsverletzungen an den Außengrenzen
So unterschiedlich die verschiedenen Staaten an Europas Grenzen sind, eines ähnelt sich fast überall: Geflüchtete werden abgewehrt, oft mit brutaler Gewalt. Unsere Schlaglichter zeigen, wie groß Europas Menschenrechtsproblem tatsächlich ist.
Mittelmeer / Italien / Malta: Mit Warlords gegen Flüchtlinge
Auf der tödlichsten Fluchtroute der Welt nehmen die Verwicklungen der EU, Italiens und Maltas in illegale Machenschaften kein Ende. Italien setzte auf der Basis des Berlusconi-Gaddafi-Vertrags 2008 zunächst auf eigene Aktionen und transportierte Bootsflüchtlinge mit Schiffen zurück nach Libyen. Dieses Vorgehen erklärte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2012 für illegal.
Seit 2016 organisieren Italien und die EU zusammen mit der von Warlords kontrollierten libyschen Küstenwache nun so genannte Pullbacks: Behörden aus der EU melden gesichtete Flüchtlingsboote an die libysche Küstenwache, diese bringt die Boote auf und schafft die Flüchtlinge zurück. In Libyen verschwinden viele von ihnen in berüchtigten Foltergefängnissen.
Aber auch das Sterben im Mittelmeer geht weiter: Obwohl Behörden wie die Europäische Grenzschutzagentur Frontex oder die beteiligten Küstenwachen oft genau wissen, wo sich Flüchtlingsschiffe befinden, bleibt eine Rettung häufig aus. Und zwar dann, wenn die Geflüchteten schon in den Such- und Rettungszonen der EU-Staaten sind. Dann sind Pullbacks nach Libyen nicht mehr so einfach möglich. So ging zum Beispiel kurz vor der Küste von Crotone im Februar 2023 ein Schiff unter, mittlerweile sind fast 100 Todesopfer bestätigt. Viele von ihnen hatten Angehörige in Deutschland, so wie Alauddin aus Gelsenkirchen, der uns ein Interview gegeben hat.
GRIECHENLAND: Grenzenlose UNmenschlichkeit
»Hassan Abdulkadir berichtet: »Wir sind von griechischen Sicherheitskräften verhaftet worden, waren einen Tag lang in ihrer Gewalt. Von Anfang an habe ich die Beamten angefleht, meinen kranken Bruder Akram ins Krankenhaus zu bringen – aber sie haben nichts unternommen. Im Gegenteil: Sie warfen uns in eine Zelle, ein Wärter hat meinem todkranken Bruder zwei Mal einen Stock in den Bauch gerammt. Er hat danach Blut gespuckt und das Bewusstsein verloren. Akram starb schließlich in meinen Armen in einem Transporter, in dem wir mit anderen zur Grenze transportiert wurden. Wir sollten illegal in die Türkei abgeschoben werden.« PRO ASYL und Refugee Support Aegean unterstützen Hassan nun bei der juristischen Aufklärung der Vorfälle.
Fälle wie von Hassan und seinem Bruder sind trauriger Alltag in Griechenland – ob an der Landgrenze oder auf den griechischen Inseln in der Ägäis: Flüchtlingen wird mit roher Gewalt gegenübergetreten und die Grenzschützer brechen sämtliche Konventionen, um die Menschen illegal abzuschieben. Kürzlich dokumentierte die New York Times einen Pushback, bei dem sogar ein Baby, das bereits auf Lesbos an Land war, mit seiner Familie wieder auf dem offenen Meer ausgesetzt wurde. Die Menschenleben von Schutzsuchenden zählen dort nichts. Und nicht nur, dass ein demokratischer Staat in Europa zu solchen Mitteln greift: Auch die Europäische Union als Ganzes tut nichts gegen die Verstöße gegen ihre eigenen Prinzipien.
SPANIEN: Organisierte Straflosigkeit
Im Juni 2022 starben mindestens 23 Menschen an der Grenze zur spanischen Exklave Melilla in Marokko. Sie starben nicht im Meer oder aus Entkräftung, sie wurden dort beim Versuch die Grenze zu überwinden ermordet. Reporter*innen u.a. von Lighthouse Reports haben das #MelillaMassacre rekonstruiert und aufgearbeitet. Auch der SPIEGEL berichtete und zitiert einen Geflüchteten aus dem Sudan: »Anwar wurde direkt vor meinen Augen getötet. Es gab starken Tränengas-Beschuss. Dann schlug ihm ein marokkanischer Soldat auf den Hinterkopf. Und obwohl er nicht mehr atmen konnte, sprang ihm ein weiterer Soldat mit seinen Stiefeln auf die Brust. Als sie merkten, dass er tot war, sammelten sie den ganzen Müll ein und deckten ihn damit zu.«
Die Gewalt und die sogenannten »heißen Abschiebungen« sind in den Exklaven Ceuta und Melilla nichts Neues. Schon seit Anfang der 2000er-Jahre beschäftigt sich PRO ASYL mit der Situation dort. Einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wurde 2017 stattgegeben, 2020 wurde das Urteil dann wieder kassiert.
UNGARN: Angriff auf den Rechtsstaat
Anders als manch anderer EU-Staat gibt sich Ungarn keinerlei Mühe, verbrecherische Pushbacks zu verbergen. Stolz werden die illegalen Zurückweisungen in offiziellen Statistiken aufgeführt. 2021 waren es über 46.000, 2022 über 150.000. Obwohl der EGMR 2021 urteilte, dass Ungarn gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt, wird bis heute weiterhin jeder Mensch, ob Frau, Mann oder Kind, nach Serbien zurückgezwungen.
KROATIEN: Mit Gewalt in den Schengen-Raum
Seit Jahren gibt es Berichte über gewaltsame und systematische Pushbacks unter der Regie des kroatischen Innenministeriums unter dem Namen »Operation Korridor«. Trotz Zeugenaussagen ehemaliger Mitarbeiter und eindeutiger Indizien bestreitet das Ministerium jede Beteiligung. Angesichts der Verletzungen von Pushback-Opfern behaupten die kroatischen Behörden, »dass die Flüchtlinge sich mit Kirschsirup einschmierten, um blutende Wunden vorzutäuschen«. Dennoch wurde Kroatien von den EU-Innenminister*innen Anfang 2023 als neues Mitglied in den Schengen-Raum aufgenommen. Fazit: Wer Schutzsuchende misshandelt, wird von der Europäischen Union am Ende auch noch belohnt.
Da wundert es auch nicht, dass deutsche Behördenden kroatischen Grenzschutz massiv unterstützen. Personell und finanziell: Allein rund 2,8 Mio € flossen zu diesem Zweck in den vergangenen fünf Jahren, wie das Border Violence Monitoring Network dokumentierte.
Wir von PRO ASYL unterstützen unsererseits Schutzsuchende und Opfer der brutalen Grenzgewalt wie beispielsweise Farouk* aus Afghanistan, der seit 2019 querschnittsgelähmt im Rollstuhl sitzt. Die kroatische Polizei feuerte damals mehrere Schüsse auf ihn ab und befahl daraufhin dem Rest der Flüchtlingsgruppe, den Schwerverletzten auf eine Straße zu tragen und ihn dort liegen zu lassen. Erst dreißig Minuten später wurde Farouk zu einer Polizeistation gefahren und einem Krankenwagen übergeben. Schilderungen die kaum zu ertragen sind – aber die sich eben an diversen Grenzen genau so abspielen.
Polen: AUsnahmezustand mit Todesfolge
Abgesehen von der Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge seit Kriegsbeginn im Februar 2022 verweigert das EU- Mitglied Polen jegliche Solidarität im Flüchtlingsschutz. Als ab Mai 2021 nicht-europäische Schutzsuchende über die belarussische Grenze ins Land kamen, waren die Reaktionen entsprechend. Gedeckt durch die Regierung begann das Zurückprügeln Schutzsuchender über die Grenze nach Belarus. Mindestens 48 Menschen kamen seitdem ums Leben, Hunderte werden vermisst. Einer, der die Torturen überlebt hat, ist Rohim. Er hat uns seine Erlebnisse geschildert:
Im September 2021 rief Polen dann den Ausnahmezustand aus. Die völkerrechtswidrigen Zurückweisungen wurden durch ein Ausweisungsgesetz »legalisiert« – so wie es die Europäische Union nun »im Krisenfall« allen Mitgliedsstaaten ermöglichen will. Zu der über 400 Kilometer langen Sperrzone an der Grenze zu Belarus hatten ab diesem Zeitpunkt weder die Presse noch Menschenrechts- oder Hilfsorganisationen Zugang. Schwersten Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Einsatzkräfte wurde damit der Weg geebnet. Im August 2022 wurde der von Stacheldraht gesäumte, vier Meter hohe und über 186 Kilometer lange Grenzzaun zu Belarus fertiggestellt.
Bulgarien: Illegale Gewalt, ignorante Behörden
Der 19-jährige Abdullah hätte seinen Versuch, im EU-Land Bulgarien Schutz zu finden, beinahe mit dem Leben bezahlt. Er wurde an der Grenze angeschossen: »Ich hätte nie gedacht, dass auf mich geschossen wird. In einem Land, das sich europäisch nennt«. Trotz zahlreicher Hinweise auf den Waffengebrauch und sogar Videoaufnahmen, behauptet das bulgarische Innenministerium das Gegenteil. Wie so oft gibt es keinerlei Konsequenzen seitens der Europäischen Union.
Innenministerin Nancy Faeser befürwortete im Gegenteil sogar die Aufnahme Bulgariens in den Schengen-Raum, was jedoch am Einspruch Österreichs scheiterte. Nicht etwa wegen menschenrechtlicher Verfehlungen – Österreich monierte im Gegenteil »zu viele illegale Grenzübertritte«. Deutlicher kann man die Prioritäten nicht offenlegen.
Rumänien: Kein Zugang zu Asyl
Allein im Zeitraum von Juli 2020 bis November 2021 hat die serbische NGO klikAktiv über 3.700 Pushbacks an der serbisch-rumänischen Grenze mit Erfahrungsberichten dokumentiert. Dabei kommen offenbar auch von der rumänischen Polizei angeheuerte anonyme Schlägertrupps zum Einsatz.
»Die Polizei nahm all unser Geld, wir hatten rund 130 EUR, zwei Handys und eine Powerbank. Sie haben uns für etwa 20 Minuten warten lassen, bevor diese Männer die Szenerie betraten. Sie haben uns so heftig getreten. Ich verstehe nicht, wie jemand einer Person so schlimme Schmerzen zufügen kann. Wie kannst du jemanden schlagen und treten, der dir nichts getan hat?« heißt es in einem der Berichte.
Zurück in Serbien droht den Betroffenen die nächste Abschiebung. Schutzsuchende, die während eines Pushbacks an die serbische Polizei übergeben werden oder von ihr aufgegriffen werden, wird ein Dokument ausgehändigt, in dem festgestellt wird, dass die Person Serbien ohne rechtliche Grundlage betreten hat und innerhalb von 30 Tagen ausreisen muss. Sie haben keine Möglichkeit mehr, Asyl in Serbien zu beantragen. Viele harren ohne jede Unterstützung im Grenzgebiet aus.
Wenn Menschenrechte verschwinden: Was tun?
Die repressive Flüchtlingspolitik, die Unterminierung der Gültigkeit der Menschenrechte und der massive Zerfall der Rechtsstaatlichkeit in einigen EU-Ländern zeigen deutlich, dass sich die Europäische Union in einer zutiefst krisenhaften Situation befindet.
PRO ASYL arbeitet in Projektkooperationen zusammen mit Partnerorganisationen europaweit gegen diese Entwicklung. Dazu benötigen wir die Unterstützung der Zivilgesellschaft – europaweit. Wir freuen uns über jede Unterstützung mit einer Spende oder Fördermitgliedschaft.