09.09.2021

Heu­te vor zwei Wochen ist die deut­sche Eva­ku­ie­rungs­ak­ti­on  aus Afgha­ni­stan been­det wor­den – und Tau­sen­de Men­schen har­ren nun in Ver­ste­cken aus, fürch­ten um ihr Leben und das ihrer Kin­der. Ande­re sind bereits auf der Flucht. Des­halb for­dern PRO ASYL und 55 wei­te­re Orga­ni­sa­tio­nen die sofor­ti­ge Fort­set­zung der Auf­nah­me und darauf auf­bau­en­de  Lan­des- und Bun­des­auf­nah­me­pro­gram­me. Unab­hän­gig davon muss der Fami­li­en­nach­zug schnell und unbü­ro­kra­tisch ermög­licht wer­den. Aus Tau­sen­den ver­zwei­fel­ten Hil­fe­ru­fen prä­sen­tiert PRO ASYL eini­ge bei­spiel­haf­te Schick­sa­le.

Auf har­te Kri­tik stößt bei PRO ASYL und den unter­zeich­nen­den Orga­ni­sa­tio­nen die will­kür­li­che Been­di­gung der Regis­trie­rung auf­zu­neh­men­der Men­schen am 26. August durch die Bun­des­re­gie­rung. „Auf kei­nen Fall dür­fen, wie offi­zi­ell gesche­hen, die Lis­ten des Aus­wär­ti­gen Amtes mit beson­ders gefähr­de­ten Per­so­nen geschlos­sen wer­den: Die Lis­ten müs­sen wei­ter­ge­führt wer­den, die Betrof­fe­nen brau­chen eine digi­ta­le Bestä­ti­gung. Die­se muss die Aus­rei­se aus Afgha­ni­stan und die Ein­rei­se in einen Dritt­staat ermög­li­chen und zur Ein­rei­se nach Deutsch­land berech­ti­gen“, for­dert Gün­ter Burk­hardt, Geschäfts­füh­rer von PRO ASYL.

Regie­rung muss auf Ängs­te hier leben­der Afgha­nin­nen und Afgha­nen reagieren

Die Unter­zeich­nen­den, rund 25 Bun­des- und 30 Lan­des­or­ga­ni­sa­tio­nen, for­dern zudem Char­ter­flü­ge aus Nach­bar­staa­ten Afgha­ni­stans sowie die Ertei­lung von Visa-on-Arri­val. Das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um ist hier­für feder­füh­rend und muss vier Wochen nach dem Fall von Kabul und zwei Wochen nach Ende der Eva­ku­ie­rung grü­nes Licht für die Ein­rei­se nach Deutsch­land geben.

„Deutsch­land hat eine Ver­ant­wor­tung für alle von deut­schen Orga­ni­sa­tio­nen Beschäf­tig­ten und für alle, die Bezü­ge zu Deutsch­land haben, ins­be­son­de­re, wenn  Ange­hö­ri­ge hier leben. Dies igno­rie­ren Bund und Län­der bis­her“, sagt Burk­hardt wei­ter. Die Bun­des­re­gie­rung hat den Kreis für die Men­schen aus Afgha­ni­stan, die sie ins Land las­sen will, viel zu eng gefasst. Die Not und die Angst der hier leben­den Men­schen um ihre Ange­hö­ri­gen füh­ren bis­her nicht zu ange­mes­se­nem poli­ti­schem Handeln.

Vie­le sind bereit, Ankom­men­de zu unterstützen

Vie­le Men­schen, die in Todes­angst in ihrer Hei­mat aus­har­ren,  haben bereits Anknüp­fungs­punk­te und Kon­tak­te nach Deutsch­land: Eltern, Kin­der oder ande­re Ver­wand­te leben hier – und hof­fen, ban­gen und war­ten ver­zwei­felt. Eine  star­ke afgha­ni­sche Gemein­schaft und eine akti­ve Zivil­ge­sell­schaft in Deutsch­land sind bereit, neu Ankom­men­de zu unter­stüt­zen, ihnen zu hel­fen und mit Rat und Tat zur Sei­te zu stehen.

Des­halb braucht Deutsch­land Lan­des­auf­nah­me­pro­gram­me ins­be­son­de­re für Ange­hö­ri­ge, heißt es in dem State­ment „Gefähr­de­te Afgha­nin­nen und Afgha­nen wei­ter auf­neh­men – Bun­des- und Lan­des­auf­nah­me­pro­gram­me sind nötig!“ Wich­tig ist: Vor allem auch  erwach­se­ne Kin­der und ande­re gefähr­de­te Ver­wand­te, die nach den der­zei­ti­gen Rege­lun­gen kei­ne Chan­ce auf Fami­li­en­nach­zug haben, müs­sen über sol­che Pro­gram­me nach Deutsch­land ein­rei­sen dürfen.

Men­schen, die in Gefahr sind, aufnehmen

Der­zeit hat zum Bei­spiel der afgha­ni­sche Staats­an­walt, der um sein Leben und das sei­ner Kin­der fürch­tet, kei­ne Chan­ce, in Deutsch­land auf­ge­nom­men zu wer­den, obwohl sein Bru­der hier lebt. Denn die bis­he­ri­gen Auf­nah­me­zu­sa­gen der Bun­des­re­gie­rung sind zu eng gefasst.

Auch gefähr­de­te Per­so­nen, die nicht die aktu­el­len engen Kri­te­ri­en der Bun­des­re­gie­rung erfül­len, aber in Afgha­ni­stan in Gefahr sind und kei­ne Ver­wand­ten in Deutsch­land haben, müs­sen von Deutsch­land auf­ge­nom­men wer­den. PRO ASYL und die ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen for­dern des­halb ein Bundesaufnahmeprogramm.

Erschre­cken­de Hil­fe­ru­fe aus Afghanistan

Aus den Tau­sen­den von Mails, die PRO ASYL erreicht haben, haben wir eini­ge weni­ge aus­ge­wählt, um exem­pla­risch die Not der Men­schen in Afgha­ni­stan und die Ängs­te ihrer Ver­wand­ten in Deutsch­land darzustellen.

Mit einem Lan­des­auf­nah­me­pro­gramm könn­ten geret­tet werden:

Der in Deutsch­land leben­de Bru­der ist ver­zwei­felt, fühlt sich hilf­los und kann sei­nen All­tag pri­vat und beruf­lich kaum bewäl­ti­gen: Sei­ne gan­ze Fami­lie in Afgha­ni­stan ist in Todes­angst. Sei­ne Schwes­ter wur­de als akti­ve Frau­en­recht­le­rin und Ärz­tin schon von Extre­mis­ten ange­grif­fen, als die west­li­chen Trup­pen noch im Land waren. Nun sind sie und wei­te­re Fami­li­en­mit­glie­der unter­ge­taucht. Alle waren bis zum Vor­marsch der Tali­ban in der Zivil­ge­sell­schaft und auf wich­ti­gen Pos­ten enga­giert: in Schu­len, Kom­mu­nal­par­la­men­ten, Jugend- und Frie­dens­be­we­gun­gen – und auch schon frü­her im  Wider­stand gegen die Tali­ban.  Ein Enga­ge­ment, das die Fami­lie nun ihr Leben kos­ten kann.

In Ber­lin war­tet eine Toch­ter auf ihre Mut­ter und ande­re Fami­li­en­mit­glie­der. Sie wer­den beschul­digt, Ungläu­bi­ge und Lan­des­ver­rä­ter zu sein. Denn die Toch­ter arbei­te­te einst für die afgha­ni­sche Regie­rung. Nun wird ihre Fami­lie mas­siv bedroht: Nach Anru­fen mit Todes­dro­hun­gen ver­steck­ten sie sich an einem ande­ren Ort – und hör­ten dann, dass Tali­ban-Kämp­fer im August ihre Woh­nung völ­lig ver­wüs­tet und nach ihnen gesucht hät­ten. Aus Angst vor Ent­de­ckung sind sie erneut geflo­hen und har­ren nun in einem Ver­steck aus: „Wir wer­den ermor­det, wenn sie uns finden.“

Ein afgha­ni­scher Rent­ner kennt Deutsch­land schon, denn sei­ne drei erwach­se­nen Kin­der leben und arbei­ten seit Jahr­zehn­ten in Hes­sen. Er hat sei­ne Kin­der und Enkel­kin­der in Deutsch­land  besucht  – und ist doch in sei­ne Hei­mat Afgha­ni­stan zurück­ge­kehrt, weil er dort leben, für sein Land arbei­ten woll­te. Doch nun sind der alte Mann und sei­ne Frau in gro­ßer Gefahr, denn er hat lan­ge für die Armee der alten afgha­ni­schen Regie­rung  gearbeitet.

Enge Ver­wand­te in Deutsch­land hat auch eine Juris­tin, die mit dafür sorg­te, dass Tali­ban zu Haft­stra­fen ver­ur­teilt wur­den. Schon damals bedroh­ten Tali­ban die Frau, ein enger Ange­hö­ri­ger wur­de bereits von den Tali­ban ermor­det. Die gan­ze Fami­lie ist seit Jah­ren ideo­lo­gisch gegen die Tali­ban ein­ge­stellt. Nun leben sie in einem Ver­steck, doch die Kämp­fer wis­sen, wo sie mit ihren Kin­dern wohn­te, und haben schon Nach­barn aus­ge­fragt. Die Frau setzt gro­ße Hoff­nun­gen auf Deutsch­land, das einst Trup­pen und Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen in ihre Hei­mat schickte.

Mit einem Bun­des­auf­nah­me­pro­gramm könn­ten geret­tet werden

Eine gan­ze Fami­lie, beson­ders die Frau­en,  sind in gro­ßer Lebens­ge­fahr: Die eine Schwes­ter, eine Regio­nal­po­li­ti­ke­rin, hat­te vie­le Auf­ga­ben, die sie in der Öffent­lich­keit sicht­bar mach­ten, und hat zudem in eini­gen Pro­jek­ten eng mit der Bun­des­wehr zusam­men­ge­ar­bei­tet. Nun wer­den sie und ande­re Fami­li­en­mit­glie­der, die eben­falls öffent­lich­keits­wirk­sam in der Gesell­schaft aktiv waren, ver­folgt und ste­hen auf einer Lis­te der Tali­ban. Eine Schwes­ter wur­de bereits von den Tali­ban ent­führt, bru­ta­le  Fotos ver­set­zen die Fami­lie in Angst und Schre­cken. Und jeden Tag kom­men bewaff­ne­te Tali­ban und suchen im Eltern­haus nach einer wei­te­ren Schwes­ter. In gro­ßer Angst lebt  auch ein wei­te­rer Ver­wand­ter, des­sen Eltern und Geschwis­ter bereits vor dem Abzug der west­li­chen Trup­pen von den  Tali­ban ermor­det wor­den sind.

Auf der Todes­lis­te der Tali­ban steht auch ein Jurist, der Ver­bre­chen gegen die inne­re und äuße­re Sicher­heit unter­such­te und ver­folg­te ­ – und so zu Ver­ur­tei­lun­gen von Tali­ban bei­trug. Wie vie­le, die an eine neue Gesell­schafts­struk­tur glaub­ten und für sie kämpf­ten, stand er schon immer im Visier der Tali­ban – und ist ihnen mit dem Zusam­men­bruch des Sys­tems schutz­los aus­ge­lie­fert. Als er aus Sicher­heits­krei­sen erfuhr, dass die Tali­ban ihn ver­fol­gen, floh er in ein Nach­bar­land, das ihn aber nach Afgha­ni­stan abschob. Nun lebt er ver­steckt und hofft auf Hil­fe aus Deutschland.

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