PRO ASYL fordert Evakuierung der Flüchtlinge von den Inseln und ein europäisches Relocation-Programm für Griechenland
Dreieinhalb Jahre EU-Türkei-Deal haben auf den griechischen Inseln zu einem Ausnahmezustand geführt: Die Lage für Schutzsuchende hat sich in den vergangenen Tagen dramatisch zugespitzt. Angesichts der Reise des Bundesinnenministers Seehofer und seines französischen Kollegen Castaner in die Türkei und nach Griechenland appelliert ein breites Bündnis aus Kinder‑, Menschenrechts- und Wohlfahrtsorganisationen an die Bundesregierung, sofort zu handeln und unbegleitete Minderjährige aufzunehmen sowie Familienzusammenführungen im Rahmen der Dublin-Verordnung zu ermöglichen (zum vollständigen Appell geht es hier).
Derzeit leben in Griechenland mehr als 4.100 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge – es gibt allerdings nur ca. 1.000 kinder- und jugendgerechte Plätze. Auf den griechischen Inseln harren derzeit 30.000 Menschen aus, laut UNHCR sind 35 Prozent davon Kinder. 6 von 10 Kindern sind unter 12 Jahre alt; ein Fünftel sind unbegleitete Minderjährige. Eine nicht bekannte Anzahl hat Angehörige in Deutschland.
PRO ASYL und ihr Projektpartner in Griechenland Refugee Support Aegean (RSA) prangern an, dass Familienzusammenführungen von Asylsuchenden mit Angehörigen in Deutschland systematisch ausgehebelt werden. Eltern und Kinder haben in den Insellagern über Monate keinerlei Zugang zu rechtstaatlichen Strukturen um ihr Recht auf Familiennachzug überhaupt in Anspruch zu nehmen. Deutschland lehnt Übernahmeersuche von Familienangehörigen aus Griechenland mittlerweile systematisch ab mit der Begründung, Fristen seien abgelaufen.
2018 lehnte Deutschland 1.496 von 2.482 bearbeiteten Übernahmegesuchen aufgrund familiärer Bindungen von Griechenland ab – fast 60 Prozent aller Anträge. 2019 wurden von Januar bis Mai 2019 75 Prozent aller Anträge auf Familienzusammenführung zurückgewiesen. Gleichzeitig ist die Zahl der Anträge drastisch gesunken. Von nur noch 626 Übernahmeersuchen wurden 472 abgelehnt (BT-Drucksache 19/10535, Frage 13). Im Bericht »Refugee Families Torn Apart« von PRO ASYL und RSA wird die systematische Aushebelung des Familiennachzugs dokumentiert.
Karl Kopp, Leiter der Europa-Abteilung von PRO ASYL, fordert ein groß angelegtes Umverteilungsprogramm aus Griechenland: »Die Hotspots müssen geräumt werden. Die Schutzsuchenden müssen evakuiert, menschenwürdig vorübergehend untergebracht werden bis zum zügigen Transfer in andere EU-Staaten. Dort ist ein faires und sorgfältiges Asylverfahren zu gewährleisten. Im Morast von Moria gibt es keine Rechtsstaatlichkeit.«
Keine Abschiebungen in die Türkei
PRO ASYL warnt die griechische Regierung und die europäischen Staaten entschieden davor, Schutzsuchende in die Türkei abzuschieben. Karl Kopp: »Die Türkei ist nicht sicher. Abschiebungen dorthin verletzen internationales Recht.« Afghan*innen, Iraner*innen und andere Schutzsuchende haben dort keinerlei Zugang zu einem Schutzsystem. Dies wurde nun auch öffentlich vom türkischen Parlamentsabgeordneten Yeneroglu (AKP) in deutschen Medien bestätigt.
Für Flüchtlinge aus Syrien existiert der temporäre Schutz zunehmend nur noch auf dem Papier. Die Türkei nimmt seit Mitte des Jahres hundertfach Abschiebungen nach Syrien vor.
Informationen zur verschärften Lage für syrische Flüchtlinge in der Türkei