Anlässlich des am Freitag stattfindenden Kamingesprächs von Bundesinnenministerin Nancy Faeser mit ihren Kolleg*innen aus den Ländern appelliert PRO ASYL an Bund und Länder, das Thema Bleiberecht auf die Agenda zu setzen und dafür zu sorgen, dass die Bleiberechtsregeln aus dem Koalitionsvertrag zügig umgesetzt werden. Eine Vorgriffsregelung ist nötig, damit bis dahin nicht diejenigen abgeschoben werden, die künftig bleiben dürften.
Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, bestimmten Gruppen wie etwa gut integrierten Jugendlichen bessere Chancen auf ein dauerhaftes Bleiberecht einzuräumen. Zudem soll es für Menschen, die seit dem 1. Januar 2022 seit fünf Jahren in Deutschland leben, unter niedrigschwelligen Voraussetzungen ein Aufenthaltsrecht auf Probe geben. PRO ASYL begrüßt dies, fordert aber die zügige Umsetzung und eine sogenannte Vorgriffsregelung. „Es kann nicht angehen, dass Geflüchtete zum jetzigen Zeitpunkt noch abgeschoben werden oder ihnen die Abschiebung droht, obwohl sie nach dem Willen des Bundes vom neuen Chancen-Aufenthaltsrecht oder anderen Bleiberechtsregelungen profitieren würden“, sagt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL.
Ausländerbehörden sollten Ermessensduldungen erteilen
Denn eine vorzeitige Abschiebung nimmt Betroffenen die ihnen zugedachte Chance auf einen legalisierten Aufenthalt. Dies kann bis zur tatsächlichen Gesetzesänderung durch Vorgriffsregelungen verhindert werden. Nötig ist hierfür, dass die Innenministerien der Bundesländer die Ausländerbehörden anweisen, all jenen, die potentiell von den angekündigten Bleiberechtsregelungen profitieren, Ermessensduldungen nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG zu erteilen und sie so vor Abschiebung zu schützen. Neu ist das nicht: Hessen hat beispielsweise im Februar 2014 solche Vorgriffsregelungen eingeführt, in Schleswig-Holstein und Niedersachsen gab es 2019 eine entsprechende Regelung im Vorfeld der Einführung der Beschäftigungsduldung.
„Die von einer positiven Bleiberechtsregelung Betroffenen dürfen nicht die Leidtragenden sein, wenn der Bundestag die im Koalitionsvertrag vereinbarten Verbesserungen nicht schnell genug beschließt“, sagt Burkhardt.
In Bezug auf das angekündigte Aufenthaltsrecht auf Probe hat das Innenministerium Rheinland-Pfalz mit einem Schreiben vom 23.12.2022 reagiert und den Ausländerbehörden darin zumindest nahegelegt, Abschiebungen des begünstigten Personenkreises im Hinblick auf das anstehende Gesetzgebungsverfahren auszusetzen.
Pakistani abgeschoben, obwohl er die Voraussetzungen für Chancen-Aufenthaltsrecht erfüllte
Dass Vorgriffserlasse dringend notwendig sind, zeigt der Fall eines pakistanischen Staatsangehörigen, der im Januar 2022 von einer Ausländerbehörde in Niedersachsen abgeschoben wurde, obwohl er sich bereits seit 2015 – also länger als die erforderlichen fünf Jahre – in Deutschland aufhielt und auch die sonstigen Voraussetzungen für das zu erwartende Chancen-Aufenthaltsrecht erfüllte.
„Es muss verhindert werden, dass noch weitere Menschen, die offenkundig die Voraussetzungen für die kommenden Bleiberechtsregelungen erfüllen, abgeschoben werden“, erklärt Burkhardt. PRO ASYL fordert die Innenministerien der Bundesländer daher auf, eine Vorgriffsregelung zum Schutz dieses Personenkreises zu erlassen. „Das Treffen von Nancy Faeser mit den Innenministerien der Länder ist eine gute Gelegenheit dazu. Die Zukunft vieler Menschen, die hoffen, sich dauerhaft ein Leben in Deutschland aufbauen zu dürfen, hängt von solchen Regelungen ab“, sagt Burkhardt.
Insgesamt leben etwa 240.000 Menschen mit Duldung in Deutschland. Rund 4500 von ihnen haben eine Beschäftigungsduldung und knapp 9000 Geflüchtete eine Ausbildungsduldung.
Hintergrund zu den im Koalitionsvertrag beschlossenen Neuerungen zum Bleiberecht
Gut integrierte Jugendliche sollen nach § 25a AufenthG künftig bereits nach drei anstatt wie bislang erst nach vier Jahren geduldeten Aufenthalts in Deutschland ein Bleiberecht erhalten können und den diesbezüglichen Antrag bis zum Abschluss des 27. anstatt wie bisher nur bis zum Abschluss des 21. Lebensjahres stellen können.
Besondere Integrationsleistungen Geduldeter sollen im Rahmen des § 25b AufenthG dadurch gewürdigt werden, dass diesen in Zukunft bereits nach sechs anstatt wie aktuell noch nach acht Jahren ein Bleiberecht zu Teil werden soll. Personen mit minderjährigen ledigen Kindern sollen das Bleiberecht nach dieser Vorschrift künftig schon nach vier statt wie bisher erst nach sechs Jahren erwerben können.
Das neu zu schaffende Chancen-Aufenthaltsrecht auf Probe soll für die Dauer eines Jahres gelten und Menschen, die nicht straffällig geworden sind und sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen, die Möglichkeit verschaffen, während dieser Zeit die Voraussetzungen für eine der oben genannten Bleiberechtsregelungen zu erfüllen wie beispielsweise die Identitätsklärung oder Lebensunterhaltssicherung.