19.11.2022

Geflüch­te­te Kin­der war­ten jah­re­lang auf Väter und Müt­ter, Eltern auf ihre Mäd­chen und Jun­gen, Kin­der auf ihre Geschwis­ter: Zum Inter­na­tio­na­len Tag der Kin­der­rech­te (20. Novem­ber) for­dert PRO ASYL die  Bun­des­re­gie­rung dazu auf, end­lich die Ver­bes­se­run­gen beim Fami­li­en­nach­zug umzu­set­zen, die sie vor einem Jahr im Koali­ti­ons­ver­trag ange­kün­digt hat.

„Der Koali­ti­ons­ver­trag war für vie­le auf der Flucht getrenn­te Fami­li­en ein Hoff­nungs­schim­mer. Doch ein Jahr spä­ter hat sich für die meis­ten nichts geän­dert – die Ver­fah­ren zie­hen sich wei­ter­hin über Jah­re, Ter­mi­ne bei den Bot­schaf­ten sind schwer zu bekom­men. Selbst die ver­gleichs­wei­se ein­fa­chen Geset­zes­än­de­run­gen, die mehr Men­schen einen Anspruch auf Fami­li­en­nach­zug ver­lei­hen wür­den, wur­den noch immer nicht auf den Weg gebracht. Dazu gehö­ren die Gleich­stel­lung von sub­si­di­är Schutz­be­rech­ti­gen und die Ein­füh­rung eines Geschwis­ter­nach­zugs“, sagt Wieb­ke Judith, rechts­po­li­ti­sche Spre­che­rin von PRO ASYL.

„Seit Jah­ren ver­hin­dern das lang­sa­me Han­deln der Behör­den und der deut­sche Para­gra­fen­dschun­gel, dass Fami­li­en, die auf der Flucht getrennt wur­den, schnell wie­der zusam­men­fin­den. Weder die in der UN-Kin­der­rechts­kon­ven­ti­on ver­brief­ten Rech­te der Kin­der noch der beson­de­re grund­recht­li­che Schutz von Ehe und Fami­lie ste­hen in der deut­schen Pra­xis beim Fami­li­en­nach­zug im Mit­tel­punkt. Die Bun­des­re­gie­rung muss ihre Ver­spre­chen aus dem Koali­ti­ons­ver­trag umset­zen und Fami­li­en­nach­zug erleich­tern und beschleu­ni­gen“, kri­ti­siert Wieb­ke Judith weiter

Ver­bes­se­run­gen wer­den bis­lang nur durch Kla­gen erreicht 

Die ein­zi­ge Ver­bes­se­rung, die es bis­lang unter der Ampel-Regie­rung gab, wur­de nur durch Kla­gen erreicht, über die in letz­ter Instanz der Gerichts­hof der Euro­päi­schen Uni­on (EuGH) ent­schied. Die­ser ent­schied am 1. August 2022 in zwei weg­wei­sen­den Urtei­len, dass Eltern bezie­hungs­wei­se Kin­dern der Fami­li­en­nach­zug auch dann nicht ver­wehrt wer­den darf, wenn die Kin­der im Ver­lauf des Ver­fah­rens voll­jäh­rig gewor­den sind. Bis­lang war der Fami­li­en­nach­zug oft ein Wett­lauf gegen die Zeit: Wenn die Kin­der wäh­rend der lang­wie­ri­gen Asyl- und Nach­zugs­ver­fah­ren voll­jäh­rig wur­den, hiel­ten die deut­schen Behör­den das Recht auf Fami­lie qua­si für „abge­lau­fen“.

Damit ein Anspruch auf Fami­li­en­nach­zug nicht durch lang­sa­mes Behör­den­han­deln ver­lo­ren gehen kann,  ist laut EuGH ent­schei­dend, dass die Kin­der zu dem Zeit­punkt min­der­jäh­rig waren, als sie den Asyl­an­trag stell­ten. Damit ist deut­lich: Die Ertei­lungs­pra­xis der deut­schen Behör­den in den ver­gan­ge­nen Jah­re war rechts­wid­rig. Neu war die­se Rechts­auf­fas­sung nicht: Schon im April 2018 hat­te der EuGH in einem Fall aus den Nie­der­lan­den klar­ge­stellt, dass der Anspruch auf Fami­li­en­nach­zug nicht ver­fällt, wenn die Kin­der wäh­rend des Nach­zugs­ver­fah­rens voll­jäh­rig werden.

Nach Urteil: Regie­rung muss kulan­te Rege­lun­gen fin­den und Urteil kon­se­quent umsetzen

Wie die Bun­des­re­gie­rung im Okto­ber 2022 in einer Ant­wort auf eine Anfra­ge der Par­tei Die Lin­ke bekannt gab, wur­den die Aus­lands­ver­tre­tun­gen ange­wie­sen, die Urtei­le umzu­set­zen. „Eine schnel­le Umset­zung der EuGH-Urtei­le zum Fami­li­en­nach­zug ist not­wen­dig und euro­pa­recht­lich vor­ge­schrie­ben. Doch damit ist es nicht getan. Denn vie­le Fami­li­en, deren Zusam­men­füh­rung durch das Igno­rie­ren der frü­he­ren EuGH-Recht­spre­chung ver­hin­dert wur­de, wer­den wei­ter­hin von der Bun­des­re­gie­rung im Stich gelas­sen. Von der Ampel-Regie­rung, die sich eine huma­ni­tä­re und pro­gres­si­ve Flücht­lings­po­li­tik auf die Fah­nen geschrie­ben hat, erwar­ten wir, dass sie kulan­te Lösun­gen für sol­che Fäl­le fin­det“, for­dert Judith.

Die EuGH-Urtei­le bezie­hen sich aus euro­pa­recht­li­chen Grün­den nur auf die Flücht­lin­ge, die nach der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on aner­kannt wur­den. Wenn die Ampel-Regie­rung nun, wie im Koali­ti­ons­ver­trag vor­ge­se­hen, sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­te – zu denen vie­le Syrer*innen und Eritreer*innen gehö­ren – mit Flücht­lin­gen gleich­stellt, dann muss sie die bei­den Grup­pen auch in Bezug auf das EuGH-Urteil zur Fris­ten­re­ge­lung gleich­set­zen. Sonst wür­de für vie­le Fami­li­en der Wett­lauf gegen die Zeit weitergehen.

Auch Geschwis­ter müs­sen nach­zie­hen dürfen

Zusam­men mit terre des hom­mes Deutsch­land und vie­len wei­te­ren Wohl­fahrts- und Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen for­dert PRO ASYL zum Inter­na­tio­na­len Tag der Kin­der­rech­te auch, beson­ders den Nach­zug von Geschwis­tern unbü­ro­kra­tisch zu ermög­li­chen: #Geschwis­ter­Ge­hö­ren­Zu­sam­men.

Im Sep­tem­ber hat­ten mehr als 20 Orga­ni­sa­tio­nen zudem die Bun­des­re­gie­rung in einem Auf­ruf an ihren Koali­ti­ons­ver­trag erin­nert und For­de­run­gen zum Fami­li­en­nach­zug auf­ge­stellt. An die­sen seit Jah­ren immer wie­der wie­der­hol­ten For­de­run­gen hat sich nichts geändert:

  • Den Rechts­an­spruch auf Fami­li­en­nach­zug zu sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­ten wiederherstellen.
  • Den Rechts­an­spruch für Geschwis­ter beim Eltern­nach­zug zu unbe­glei­te­ten min­der­jäh­ri­gen Flücht­lin­gen und sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­ten verankern.
  • Die aktu­el­len EuGH-Urtei­le bezüg­lich des Zeit­punkts der Min­der­jäh­rig­keit für voll­jäh­rig wer­den­de und bereits im Ver­fah­ren voll­jäh­rig gewor­de­ne Min­der­jäh­ri­ge umsetzen.
  • Admi­nis­tra­ti­ve Hür­den im Visums­ver­fah­ren abbau­en durch digi­ta­le Antrag­stel­lung und aus­rei­chen­de Finanzierung.
  • Das Erfor­der­nis von Sprach­kennt­nis­sen vor der Ein­rei­se gene­rell abschaffen.

 

Alle Presse­mitteilungen