23.04.2024

Heu­te in den frü­hen Mor­gen­stun­den wur­de im bri­ti­schen Par­la­ment ein umstrit­te­nes Gesetz ver­ab­schie­det, dass die 2023 vom höchs­ten bri­ti­schen Gericht als men­schen­rechts­wid­rig ver­ur­teil­ten Abschie­bun­gen von Flücht­lin­gen nach Ruan­da erzwin­gen soll. PRO ASYL kri­ti­siert den Ruan­da-Deal als men­schen­rechts­wid­rig und dysfunktional. 

„Die bri­ti­sche Regie­rung treibt den Deal mit Ruan­da auf Teu­fel komm raus vor­an, obwohl Abschie­bun­gen in das Land ein­deu­tig rechts­wid­rig sind, die Zusam­men­ar­beit extrem teu­er ist und der Deal in der Pra­xis abseh­bar nicht funk­tio­nie­ren wird. Das ist ein dunk­ler Tag für den Flücht­lings­schutz und für den bri­ti­schen Rechts­staat. Es ist erschre­ckend, dass auch deut­sche Poli­ti­ker und Poli­ti­ke­rin­nen die­sem zer­stö­re­ri­schen Plan nach­ei­fern und die Illu­si­on näh­ren, durch sol­che Model­le lie­ße sich Flucht ver­hin­dern. Vor­aus­schau­en­der wäre es, sich statt­des­sen für eine effek­ti­ve Unter­stüt­zung der Kom­mu­nen und für mehr siche­re Flucht­we­ge ein­zu­set­zen“, kom­men­tiert Wieb­ke Judith, rechts­po­li­ti­sche Spre­che­rin von PRO ASYL.

Bri­ti­sche Regie­rung unter­gräbt welt­wei­ten Flüchtlingsschutz

Mit dem Gesetz über die Sicher­heit von Ruan­da (Asyl und Ein­wan­de­rung) wird recht­lich fest­ge­schrie­ben, dass Ruan­da ein „siche­rer Dritt­staat“ für Flücht­lin­ge sei. Dabei hat der bri­ti­sche Supre­me Court erst im Novem­ber 2023 die kon­kre­te Gefahr fest­ge­stellt, dass Flücht­lin­ge von Ruan­da aus in ihre Hei­mat­län­der und damit in die Ver­fol­gung abge­scho­ben wer­den könn­ten. Geklagt hat­ten unter ande­rem Geflüch­te­te aus Syri­en und dem Iran. Genau sol­che Ket­ten­ab­schie­bun­gen in die Ver­fol­ger­staa­ten sind im Zuge einer frü­he­ren ähn­li­chen Zusam­men­ar­beit zwi­schen Isra­el und Ruan­da pas­siert, wie der Supre­me Court feststellte.

Dar­über hin­aus soll mit dem Gesetz die Wir­kung der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on für Ruan­da-Abschie­bungs­fäl­le außer Kraft gesetzt wer­den. Die Ein­hal­tung von einst­wei­li­gen Anord­nun­gen des Euro­päi­schen Gerichts­hofs für Men­schen­rech­te (EGMR), der im Juni 2022 einen ers­ten Abschie­bungs­ver­such nach Ruan­da in letz­ter Minu­te gestoppt hat­te, soll für die bri­ti­sche Regie­rung nur noch optio­nal sein.

Nach­dem der Gesetz­ent­wurf in den letz­ten Wochen zwi­schen Unter- und Ober­haus fest­steck­te, hat das Ober­haus nun nach­ge­ge­ben. Bis zuletzt hat­te es unter ande­rem Aus­nah­men für bri­ti­sche Orts­kräf­te, etwa aus Afgha­ni­stan, sowie einen unab­hän­gi­gen Expert*innenausschuss gefor­dert, der die Sicher­heit Ruan­das beur­tei­len soll­te. Die­se For­de­run­gen wur­den in der Nacht aufgegeben.

„Mit dem Gesetz unter­gräbt die bri­ti­sche Regie­rung nicht nur den welt­wei­ten Flücht­lings­schutz, indem sie ver­sucht, sich aus der eige­nen Ver­ant­wor­tung für Schutz­su­chen­de zu steh­len, son­dern auch den euro­päi­schen Men­schen­rechts­schutz. Men­schen­rech­te gel­ten nicht nur dann, wenn sie Regie­run­gen bequem sind. Es ist fatal, dass die bri­ti­sche Regie­rung ihre ver­fehl­te Poli­tik über das Recht stellt“, so Judith.

Deals wie mit Ruan­da haben gra­vie­ren­de Konsequenzen

PRO ASYL ver­ur­teilt Ver­su­che der Aus­la­ge­rung des Flücht­lings­schut­zes wie den der bri­ti­schen Regie­rung als Ver­stoß gegen die inter­na­tio­na­le Ver­ant­wor­tungs­tei­lung, der sich Staa­ten mit der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on ver­pflich­tet haben. In der Pra­xis füh­ren sol­che Deals regel­mä­ßig zu gra­vie­ren­den Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen, wie etwa Abschie­bun­gen trotz dro­hen­der Gefah­ren für Leib und Leben („refou­le­ment“ genannt) oder auch will­kür­li­che Inhaf­tie­run­gen. In Eng­land zeigt sich zudem, wel­che nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen sol­che Poli­tik­an­sät­ze bereits heu­te haben – selbst wenn noch kei­ne ein­zi­ge Per­son nach Ruan­da abge­scho­ben wurde:

  • Seit einer Geset­zes­än­de­rung 2023 ist das bri­ti­sche Innen­mi­nis­te­ri­um ver­pflich­tet, Asyl­an­trä­ge als unzu­läs­sig abzu­leh­nen, da ande­re Län­der für die in Eng­land ankom­men­den Schutz­su­chen­den sicher sei­en. Das führt dazu, dass Tau­sen­den Men­schen der Schutz ver­wei­gert wer­den wird, obwohl sie abseh­bar nie nach Ruan­da abge­scho­ben wer­den kön­nen. Die Zahl nicht bear­bei­te­ter Asyl­an­trä­ge ist seit 2020 – dem Start der Ruan­da-Poli­tik – stark gestie­gen. Amnes­ty Inter­na­tio­nal spricht des­we­gen auch davon, dass die bri­ti­sche Regie­rung mit ihrem Plan schon jetzt das eng­li­sche Asyl­sys­tem rui­niert habe.
  • Neben den men­schen­recht­li­chen Grün­den gegen die Abschie­bun­gen gibt es auch ganz prak­ti­sche Grün­de, war­um der Plan schei­tern wird: Laut Medi­en­be­rich­ten kann Ruan­da aktu­ell nur cir­ca 300 Per­so­nen pro Jahr auf­neh­men. Das sind weni­ger als 0,5 Pro­zent der Men­schen, die 2023 in Eng­land um Asyl nach­ge­sucht haben. Für die bri­ti­schen Auf­nah­me­struk­tu­ren wird der Deal also kei­nen spür­ba­ren Unter­schied machen.
  • Gleich­zei­tig sind die Kos­ten für die Zusam­men­ar­beit mit Ruan­da und die Abschie­bun­gen enorm: Laut des natio­na­len Rech­nungs­hofs wür­de Eng­land die Umset­zung des Deals über eine hal­be Mil­li­ar­de Euro kos­ten. Selbst wenn nie­mand abge­scho­ben wer­den soll­te, hat die bri­ti­sche Regie­rung Ruan­da die Zah­lung von über 430 Mil­lio­nen Euro versprochen.
  • Die Angst davor, nach Ruan­da abge­scho­ben zu wer­den, hat schon jetzt einen mas­si­ven Ein­fluss auf die psy­chi­sche Gesund­heit von schutz­su­chen­den Men­schen im Ver­ei­nig­ten König­reich. Seit 2020 gab es dop­pelt so vie­le Sui­zi­de von Asyl­su­chen­den in Flücht­lings­un­ter­künf­ten, als in den vier Jah­ren zuvor.
  • Laut dem bri­ti­schen Refu­gee Coun­cil führt die Angst vor Abschie­bun­gen nach Ruan­da dazu, dass Schutz­su­chen­de ver­su­chen auf noch gefähr­li­che­ren Wegen nach Eng­land zu kom­men, um nicht von den Behör­den ent­deckt zu wer­den. Statt Asyl zu bean­tra­gen, leben sie in der Ille­ga­li­tät, um nicht inhaf­tiert und abge­scho­ben zu wer­den. So mei­den Geflüch­te­te bereits jetzt den Kon­takt zu lebens­wich­ti­gen gesetz­li­chen Dienst­leis­tun­gen und selbst zu Wohl­tä­tig­keits­or­ga­ni­sa­tio­nen. Damit steigt die Gefahr von Miss­brauch und Aus­beu­tung.
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