18.05.2017

PRO ASYL: Gesetz­ent­wurf setzt Maschi­ne­rie in Gang, in der Schutz­su­chen­de unter die Räder zu kom­men drohen

Am heu­ti­gen Don­ners­tag steht der Gesetz­ent­wurf eines »Geset­zes zur bes­se­ren Durch­set­zung der Aus­rei­se­pflicht« auf der Tages­ord­nung. Die­ses Gesetz baut Deutsch­land vom Auf­nah­me­land zum Abschie­be­land um und per­fek­tio­niert die Abschie­be­ma­schi­ne­rie, um die Betrof­fe­nen außer Lan­des zu schaf­fen. PRO ASYL appel­liert an den Deut­schen Bun­des­tag, das Gesetz nicht zu beschließen.

  • Der »Gesetz­ent­wurf zur bes­se­ren Durch­set­zung der Aus­rei­se­pflicht« sieht unter ande­rem vor, im Asyl­ver­fah­ren durch die Mas­sen­aus­le­sung von Han­dy­da­ten den »glä­ser­nen Flücht­ling« zu schaf­fen. Nach einem erneu­ten Ände­rungs­an­trag soll das Bun­des­kri­mi­nal­amt (BKA) nun auch Daten an Dritt­staa­ten über­mit­teln dürfen.
  • Schutz­su­chen­de sol­len außer­dem über die bis­he­ri­ge sechs­mo­na­ti­ge Frist hin­aus in Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen fest­ge­hal­ten wer­den kön­nen. Das kann zu einer Dau­er­iso­lie­rung von bis zu zwei Jah­ren füh­ren und erschwert für die Betrof­fe­nen den Kon­takt zu Ehren­amt­li­chen, Bera­tungs­stel­len und RechtsanwältInnen.
  • Zudem ermög­licht das Gesetz über­fall­ar­ti­ge Abschie­bun­gen ohne vor­he­ri­ge Ankün­di­gung selbst für Men­schen, die län­ger als ein Jahr gedul­det sind. Betrof­fe­ne wer­den in den Aus­rei­se­ge­wahr­sam oder in Abschie­be­haft genom­men. Hier ist der Zugang zu Rechts­mit­teln erschwert.
  • Ein neu­er Abschie­be­haft­grund soll ein­ge­führt wer­den, um Per­so­nen, von denen eine erheb­li­che Gefahr für Leib und Leben Drit­ter oder bedeu­ten­de Rechts­gü­ter der inne­ren Sicher­heit aus­geht, in Abschie­be­haft zu neh­men. Aus­län­der­recht und Straf­recht wird hier völ­lig vermischt.
  • Das bereits vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ver­wor­fe­ne Recht zur Vater­schafts­an­er­ken­nung wird nun im neu­en Gewand ein­ge­führt – auf Wunsch von CDU/CSU und SPD. Kin­der blei­ben so lan­ge ohne geklär­te Staatsangehörigkeit.

Die­ser Gesetz­ent­wurf setzt eine Maschi­ne­rie in Gang, in der Schutz­su­chen­de unter die Räder zu kom­men dro­hen. PRO ASYL appel­liert daher an den Deut­schen Bun­des­tag, das Gesetz nicht zu verabschieden.

Aus­führ­li­che Stel­lung­nah­me von PRO ASYL (PDF)

Zur Kri­tik des Gesetz­ent­wurfs im Einzelnen: 

Daten­aus­le­se der beson­de­ren Art: Schon bei Stel­lung des Asyl­an­tra­ges wer­den die Asyl­su­chen­den unter einen Gene­ral­ver­dacht gestellt, vor­sätz­lich getäuscht zu haben. Sys­te­ma­tisch sol­len bei rund der Hälf­te aller Asyl­su­chen­den die Han­dy­da­ten aus­ge­le­sen wer­den. So wird es schon in der Geset­zes­be­grün­dung ange­kün­digt. Damit ent­steht eine mas­sen­haf­te Aus­le­sung. Dies ist ein tief­grei­fen­der Ein­griff in die Pri­vat­sphä­re und aus Sicht von PRO ASYL und ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen ver­fas­sungs­wid­rig. Das Gesetz schafft die recht­li­che Grund­la­ge für den glä­ser­nen Flücht­ling. Es ist zu ver­mu­ten, dass neben per­sön­li­chen Infor­ma­tio­nen wie Bil­der und Nach­rich­ten auch pri­va­te Daten wie Kon­tak­te zu Anwäl­tIn­nen, Ärz­tIn­nen oder Unter­stüt­ze­rIn­nen abge­grif­fen wer­den. Wäh­rend das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt bei der Ent­schei­dung über den »Gro­ßen Lausch­an­griff« Ein­grif­fe in die Pri­vat­sphä­re ohne rich­ter­li­chen Beschluss ver­bo­ten hat, soll dies nun bei Asyl­su­chen­den umgan­gen wer­den. Wie soll ein Asyl­su­chen­der Ver­trau­en in das Bun­des­amt im Asyl­ver­fah­ren ent­wi­ckeln kön­nen, wenn die­sel­be Behör­de ihm zual­ler­erst das Han­dy samt aller pri­va­ter Daten abnimmt?

Zu befürch­ten ist, dass es dabei kei­nes­wegs bei Daten zur Fest­stel­lung von Staats­an­ge­hö­rig­keit und Iden­ti­tät blei­ben wird. Schon bei der Sach­ver­stän­di­gen­an­hö­rung vor dem Bun­des­tag sprach das Bun­des­amt von der Prü­fung mate­ri­el­ler Anga­ben des Antrag­stel­lers. Eine Aus­wei­tung auch auf Rei­se­da­ten kann nicht aus­ge­schlos­sen wer­den vor dem Hin­ter­grund der Ver­hand­lun­gen der neu­en Dub­lin-IV-Ver­ord­nung und den Bestre­bun­gen der Bun­des­re­gie­rung, Über­stel­lun­gen gemäß Dub­lin rigo­ros durchzusetzen.

BKA mit BAMF-Zustän­dig­kei­ten: Beson­ders miss­trau­isch muss der Asyl­be­wer­ber schließ­lich wer­den, wenn ein Ände­rungs­vor­schlag von CDU/CSU und SPD jetzt sogar das Bun­des­kri­mi­nal­amt dazu ermäch­tigt, bestimm­te erken­nungs­dienst­li­che Daten aus dem Asyl­ver­fah­ren ande­ren Dritt­staa­ten zu über­mit­teln. Aus­ge­nom­men wür­den Her­kunfts- und Ver­fol­ger­staat, wobei die Ver­ant­wor­tung für die­se Zuläs­sig­keits­prü­fung allein beim BKA liegt. Völ­lig außer Acht bleibt aber, dass die­se Behör­de kei­ner­lei Kom­pe­ten­zen für die Prü­fung etwa­iger Ver­fol­gun­gen hat.

Lager­pflicht für alle: Die Bun­des­län­der wer­den ermäch­tigt, grund­sätz­lich alle Asyl­su­chen­den bis zum Ende der Asyl­ver­fah­ren in Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen fest­zu­hal­ten. Dies ver­hin­dert Kon­tak­te zu Ehren­amt­li­chen und Unter­stüt­ze­rIn­nen. Damit ste­hen sie sowohl im Ver­fah­ren als auch bei dro­hen­der Abschie­bung ohne Hil­fe­stel­lung da. Wir müs­sen davon aus­ge­hen, dass so in hohem Maße Schutz­su­chen­de nicht das Recht auf Asyl bekom­men, das ihnen zusteht. Selbst Min­der­jäh­ri­ge wer­den von der Lager­pflicht nicht aus­ge­nom­men – das Kin­des­wohl bleibt auf der Stre­cke, damit wird schon gegen Völ­ker­recht und Euro­pa­recht ver­sto­ßen. Auch nach Begren­zung die­ser Inter­nie­rung auf zwei Jah­re (!) laut einem Ände­rungs­an­trag der Frak­tio­nen von CDU/CSU und SPD blie­be die­se Rege­lung rechtswidrig.

Beson­ders dras­tisch zeigt sich die­se Lager­pflicht im Zusam­men­hang mit den neu­en Dub­lin-IV-Rege­lun­gen: Bis­lang endet die Unter­brin­gung in einer Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung für Dub­lin-Fäl­le eben­falls spä­tes­tens nach 6 Mona­ten, weil bis dahin eine Über­stel­lung erfol­gen muss oder aber Deutsch­land zustän­dig wird. Die Dub­lin-IV-Ver­ord­nung kennt die­se Frist nicht mehr. Ohne jeg­li­che zeit­li­che Befris­tung soll der Erst­ein­rei­se­staat der EU zustän­dig blei­ben, es soll also auf unab­seh­ba­re Zeit zurück­ge­scho­ben wer­den kön­nen. Ein Aus­weg aus einer Situa­ti­on, in der kein Mit­glied­staat den Antrag prü­fen will, ist nicht zu sehen. Für die­se Men­schen ent­ste­hen Lager der Hoff­nungs­lo­sig­keit. Der­zeit wür­de das fast alle Dub­lin-Fäl­le betref­fen, da nur 10 Pro­zent der Über­stel­lun­gen tat­säch­lich voll­zo­gen werden.

Über­ra­schungs­in­haf­tie­run­gen und –abschie­bun­gen: Per­so­nen, die sich über einen län­ge­ren Zeit­raum gedul­det in Deutsch­land auf­hal­ten, sol­len über­ra­schend abge­scho­ben wer­den kön­nen – ohne vor­he­ri­ge Ankün­di­gung. Bis­lang muss­te bei Dul­dun­gen von län­ger als einem Jahr die Dul­dung zunächst wider­ru­fen und die Abschie­bung min­des­tens einen Monat vor­her ange­kün­digt wer­den (ein­mo­na­ti­ge Wider­rufs­frist bei Abschie­bun­gen nach § 60a Abs. 5 Auf­enthG). Die­se Rege­lung im Auf­ent­halts­ge­setz soll für bestimm­te Per­so­nen­grup­pen ersatz­los gestri­chen wer­den und für Per­so­nen gel­ten, die angeb­lich durch Iden­ti­täts­täu­schung oder durch Nicht­er­fül­lung zumut­ba­rer Anfor­de­run­gen an die Mit­wir­kung ihre Auf­ent­halts­be­en­di­gung ver­hin­dert oder – laut Geset­zes­be­grün­dung – »ver­zö­gert« haben. Es bleibt ins­be­son­de­re offen, ob es sich um eine aktu­el­le Täu­schungs­hand­lung han­deln muss oder nicht. Auch ein Ände­rungs­an­trag der Gro­ßen Koali­ti­on, der eine zeit­li­che Begren­zung ver­sucht, macht dies nicht kla­rer. Der Begriff der »zumut­ba­ren« Anfor­de­run­gen ist eben­falls nicht wei­ter kon­kre­ti­siert. In der Pra­xis wird Flücht­lin­gen immer wie­der ohne belast­ba­re Begrün­dung vor­ge­wor­fen, ihre Abschie­bung selbst­ver­schul­det ver­hin­dert zu haben. Die Rege­lung ist so unscharf for­mu­liert, dass sie ein Ein­falls­tor für Will­kür sein kann.

Rechts­staats­wid­ri­ger Frei­heits­ent­zug: Neben der Abschie­bungs­haft gibt es zusätz­lich die Mög­lich­keit des Aus­rei­se­ge­wahr­sams mit nied­ri­ge­ren Anfor­de­run­gen – der nun von vier auf zehn Tage ver­län­gert wird. Die Betrof­fe­nen haben dann aber nur ein­ge­schränkt Chan­cen, einen Rechts­an­walt zu beauf­tra­gen, um gegen die Abschie­bung vorzugehen.

Abschie­be­haft: Ein neu­er Abschie­be­haft­grund soll ein­ge­führt wer­den, um Per­so­nen, von denen eine erheb­li­che Gefahr für Leib und Leben Drit­ter oder bedeu­ten­de Rechts­gü­ter der inne­ren Sicher­heit aus­geht, in Abschie­be­haft zu neh­men. Doch was unter sog. Gefähr­dern zu ver­ste­hen ist, ist auch straf­recht­lich höchst umstrit­ten. Eine prä­ven­ti­ve Inhaf­tie­rung von Per­so­nen ohne hin­rei­chen­den Grund ist rechts­staat­lich unzu­läs­sig. Zudem wer­den Aus­län­der­recht und Straf­recht hier ver­mischt. Die Abschie­be­haft darf nur zur Sicher­stel­lung des Voll­zugs der Abschie­bung ange­ord­net wer­den. Die Abschie­be­haft ist kei­ne effek­ti­ve und recht­lich zuläs­si­ge Maß­nah­me zur Abwehr ter­ro­ris­ti­sche Gefah­ren. Die­sen muss mit Mit­teln des Gefah­ren­ab­wehr- und Straf­rechts begeg­net werden.

Beson­ders deut­lich wird die­se Ver­mi­schung bei den zusätz­li­chen Ände­rungs­an­trä­gen der Koali­ti­ons­frak­tio­nen: Danach könn­ten nun bestimm­te Per­so­nen ohne nach­ge­wie­se­ne Straf­tat bis zu 18 Mona­te in Haft genom­men wer­den – und zwar in »gewöhn­li­chen« Haft­an­stal­ten statt spe­zi­el­ler Abschiebehafteinrichtungen.

Väter unter Gene­ral­ver­dacht: Nach den Wün­schen von CDU/CSU und SPD soll zu den weit­rei­chen­den Ver­schär­fun­gen eine zusätz­li­che Hür­de für die Aner­ken­nung von Vater­schaf­ten ein­ge­führt wer­den. Väter sind nun regel­mä­ßig in der Pflicht, ihre Vater­schaft zu bewei­sen – oft­mals mit teu­ren Gen­tests. Dabei genügt bereits der Ver­dacht von »Miss­brauchs­in­di­zi­en«. Es kann schon aus­rei­chen, dass die Mut­ter oder das Kind ledig­lich über eine Dul­dung ver­fü­gen und damit der Vater in Beweis­nö­te kommt. Das Wohl des Kin­des bleibt auch hier unbe­rück­sich­tigt: Kin­der kön­nen auf unbe­stimm­te Zeit ohne fami­liä­re, sozia­le und staats­bür­ger­li­che Iden­ti­tät blei­ben. Dem in der Ver­fas­sung ver­an­ker­ten Fami­li­en­schutz wird so nicht aus­rei­chend Rech­nung getragen.

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