Heute, am 7. Dezember, treffen sich Vertreter*innen der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments und der Kommission zu einem sogenannten Jumbo-Trilog, um massivste Verschärfungen im europäischen Asylsystem zu verhandeln. Die spanische Ratspräsidentschaft will noch in diesem Jahr eine politische Einigung erzielen.
Die Mitgliedstaaten hatten im Juni und Oktober 2023 – auch mit Stimme der Bundesregierung – eine Verhandlungsposition beschlossen, die eine weitgehende Entkernung des Flüchtlingsschutzes in der EU vorsehen. Das Parlament stellte dem bisher eine Verhandlungsposition entgegen, in denen zentrale Grund- und Menschenrechten noch geachtet werden.
„Wir sind höchst alarmiert, dass die gefährliche europäische Asylrechtsreform unter Hochdruck noch dieses Jahr politisch beschlossen werden soll. Das Europaparlament darf nicht einknicken und muss die Menschenrechte in den Verhandlungen konsequent verteidigen“, fordert Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL. „Wenn sich die Mitgliedstaaten mit ihren Vorschlägen durchsetzen, bleibt vom Flüchtlingsschutz in Europa kaum noch was übrig – stattdessen werden Schutzsuchende in Grenzverfahren unter Haftbedingungen festgesetzt und in tatsächlich unsichere Drittstaaten abgeschoben“, befürchtet Judith.
Die aktuell diskutierten Vorschläge würden die schlimmsten Aspekte der europäischen Flüchtlingspolitik verstärken, anstatt mit einer tatsächlichen Reform die eigentlichen Probleme des europäischen Asylsystems zu lösen: mangelnde Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten und wachsende Missachtung der grundlegenden Menschenrechte.
Information zu den aktuell umstrittensten Punkten:
Instrumentalisierung als Teil der Krisenverordnung
Im Oktober einigten sich die Mitgliedstaaten als letzte Verhandlungsposition zum Gesamtpaket der europäischen Asylrechtsreform auf ihre Position zur sogenannten Krisenverordnung. Diese soll im Fall von Krisen, höherer Gewalt und Instrumentalisierung starke Abweichungen von den ansonsten geltenden Regeln ermöglichen. Unter anderem könnten die Grenzverfahren stark ausgeweitet werden. Insbesondere die Regelung im Fall von „Instrumentalisierung von Migrant*innen“ könnte in der Praxis zu mehr rechtswidrigen Push-Backs führen (auch durch eine Verbindung zu vorgeschlagenen Änderungen am Schengener Grenzkodex).
Das Konzept der Instrumentalisierung ist in der Verhandlungsposition des Europarlaments bisher gar nicht enthalten, da dies ursprünglich nicht Teil der Asylrechtsreform war, sondern in einer speziellen Verordnung nachträglich geregelt werden sollte. In einem Gutachten bezüglich der grundrechtlichen Auswirkungen, welches das Parlament in Auftrag gegeben hatte, wurde festgestellt, dass das Konzept in der Vergangenheit – zum Beispiel in Griechenland oder Polen – zu Menschenrechtsverletzungen geführt hat.
Verpflichtende Grenzverfahren unter Haftbedingungen
Während die Mitgliedstaaten verpflichtende Grenzverfahren ohne Außnahmen für Familien mit Kindern wollen, hat das Europaparlament eine Position verabschiedet, die die Durchführung von Grenzverfahren nur optional vorsieht und außerdem eine Ausnahme für Familien mit Kindern unter zwölf Jahre verlangt. Laut Medienberichten aber könnte das Parlament bezüglich der verpflichtenden Grenzverfahren bereits auf die Mitgliedstaaten zugegangen sein.
PRO ASYL hat in den vergangenen Jahren regelmäßig festgestellt, dass an den europäischen Außengrenzen aufgrund der dortigen Bedingungen keine fairen Asylverfahren möglich sind – falsche Entscheidungen mit potentiell fatalen Folgen sind vorprogrammiert. Es fehlt an rechtlicher Beratung und Anwält*innen. Gerade wenn Menschen unter Haftbedingungen festgehalten werden, belastet sie das oft so stark, dass ihre Chancen im Asylverfahren dadurch beeinträchtigt werden. Solche Haftbedingungen sind zu erwarten, da vorgesehen ist, dass die Menschen während des Grenzverfahrens als „nicht eingereist“ gelten und so ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden wird.
Abschiebungen in tatsächlich unsichere Drittstaaten
Damit Menschen auf der Flucht in der EU keinen Schutz erhalten, sollen sie aus der EU in sogenannte sichere Drittstaaten abgeschoben werden. Dafür würde ihr Asylantrag als unzulässig abgelehnt und ihre eigentlichen Fluchtgründe im Herkunftsland nicht geprüft werden. Laut der Verhandlungsposition der Mitgliedstaaten sollen die Kriterien für „sichere Drittstaaten“ so stark abgesenkt werden, dass dort von Sicherheit keine Rede mehr sein kann. Denn nicht einmal das ganze Land muss dann mehr sicher sein, und wenn es eine entsprechende Vereinbarung zwischen der EU und dem Drittstaat gibt, soll die Sicherheit schlicht angenommen werden können. Auch müsste es in dem Land für die abgeschobene Person keinen Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention geben.
Die Frage, inwieweit es bei einer Abschiebung in einen „sicheren Drittstaat“ wie bisher eine Verbindung zwischen der aus der EU abzuschiebenden Person und dem Drittstaat geben muss, war sehr umstritten zwischen den Mitgliedstaaten. In ihrer Verhandlungsposition wird das Verbindungskriterium zwar geschwächt, ist aber weiterhin enthalten. Das Europaparlament behält in seiner Position das stärkere Verbindungskriterium des aktuell gültigen Rechts bei und fordert auch höhere Standards an einen solchen „sicheren Drittstaat“. PRO ASYL hält das Konzept der „sicheren Drittstaaten“ für höchstgefährlich, bietet es doch EU-Mitgliedstaaten Möglichkeiten, sich maßgeblich aus dem Flüchtlingsschutz zurückzuziehen und eigentlich schutzberechtigten Flüchtlingen – etwa aus Syrien oder Afghanistan – den Schutz in Europa zu verweigern.