29.10.2015

Bun­des­in­nen­mi­nis­ter de Mai­ziè­re beharrt auf sei­nem Kurs, mehr afgha­ni­sche Flücht­lin­ge nach Afgha­ni­stan abschie­ben zu wol­len – mit immer unzu­läng­li­che­ren Argu­men­ten, die er außer­halb sei­nes Kom­pe­tenz­be­rei­ches zusam­men­klaubt. Medi­en­be­rich­ten zufol­ge ver­weist er dar­auf, dass viel Ent­wick­lungs­hil­fe nach Afgha­ni­stan geflos­sen sei: „Dann kann man erwar­ten, dass die Afgha­nen in ihrem Land bleiben.“

PRO ASYL kri­ti­siert die wahn­wit­zi­ge Idee, dass irgend­wel­che Mit­tel­flüs­se in teil­wei­se hoch kor­rup­te Struk­tu­ren Flucht­ur­sa­chen ver­hin­dern. Mehr als 13 Jah­re nach dem Ein­satz der Nato ver­sinkt Afgha­ni­stan in einem Cha­os aus Kor­rup­ti­on und Gewalt. Der Kon­flikt zwi­schen Regie­rungs­trup­pen und Tali­ban hat in die­sem Jahr mehr zivi­le Opfer gefor­dert als in den Vor­jah­ren: Nach den Anga­ben der UN-Afgha­ni­stan-Mis­si­on UNAMA wur­den im ers­ten Halb­jahr 1592 Zivi­lis­ten getö­tet und 3329 wei­te­re verletzt.

Weni­ge Wochen nach der mehr­tä­gi­gen Beset­zung der Stadt Kun­dus und wei­te­rer Regio­nen durch die Tali­ban auf siche­re Lan­des­tei­le zu ver­wei­sen, wie de Mai­ziè­re dies getan hat, ist völ­lig inak­zep­ta­bel und stellt eine Ver­höh­nung der vie­len afgha­ni­schen Bin­nen­flücht­lin­ge dar, die in jüngs­ter Zeit in gro­ßer Zahl gera­de aus den bis­he­ri­gen deut­schen Ein­satz­ge­bie­ten in Afgha­ni­stan fliehen.

Wenn Minis­ter de Mai­ziè­re dies für eine erfolg­rei­che Frie­dens- und Ent­wick­lungs­stra­te­gie hält und bekannt­gibt, er sei sich mit der afgha­ni­schen Regie­rung einig, dass die Jugend und die Mit­tel­schicht blei­ben soll­ten, um das Land auf­zu­bau­en, dann blen­det er hier­bei die Rea­li­tät des täg­li­chen Über­le­bens­kamp­fes eines Groß­teils der Afgha­nen eben­so aus wie die Tat­sa­che, dass sich hin­ter der afgha­ni­schen Regie­rung ein Teil der nie­mals ent­waff­ne­ten War­lords und Kriegs­ge­winn­ler verbirgt.

Immer­hin hat sich der afgha­ni­sche Minis­ter für Flücht­lings­an­ge­le­gen­hei­ten getraut, auf die immer unsi­che­rer wer­den­de Lage in Afgha­ni­stan hin­zu­wei­sen und Deutsch­land gebe­ten, mehr Flücht­lin­ge auf­zu­neh­men. PRO ASYL jedoch befürch­tet, dass es dem Innen­mi­nis­ter um den Tabu­bruch in Sachen Abschie­bung nach Afgha­ni­stan um jeden Preis geht.

Hin­ter­grund: Kor­rup­ti­on, Kapi­tal­flucht und Krieg in Afghanistan

Der Afgha­ni­stan­krieg zei­ge bei­spiel­haft, wie zuneh­men­de Mili­ta­ri­sie­rung und Pri­va­ti­sie­rung ent­wick­lungs­po­li­ti­sche Prin­zi­pi­en sys­te­ma­tisch außer Kraft setz­ten, schreibt Afgha­ni­stan-Exper­te Tho­mas Rut­tig in sei­ner Bilanz nach 13 Jah­ren Nato-Ein­satz, „Mili­ta­ri­sier­te Ent­wick­lungs­hil­fe“ . Dort ein­mal die ent­wick­lungs­po­li­ti­schen Fak­ten nach­zu­le­sen, lohnt sich: „Neben Kor­rup­ti­on, unkon­trol­lier­ter Kapi­tal­flucht und Krieg ist das Miss­ver­hält­nis zwi­schen den Aus­ga­ben für den mili­tä­ri­schen und denen für die zivi­len Sek­to­ren eine wesent­li­che Ursa­che für einen schlep­pen­den Wie­der­auf­bau. Bei den USA, mit etwa 7 Mil­li­ar­den Gesamt­aus­ga­ben zwi­schen 2002 und 2014 größ­ter Geber, betrug das Ver­hält­nis zwi­schen zivi­len und mili­tä­ri­schen Aus­ga­ben 1:16, in der Bun­des­re­pu­blik offi­zi­ell 1:2,5. Die direk­ten Gesamt­auf­wen­dun­gen für Afgha­ni­stan in den ver­gan­ge­nen 13 Jah­ren wer­den inzwi­schen auf eine Bil­li­on (tau­send Mil­li­ar­den) US-Dol­lar geschätzt, 90 Pro­zent davon gin­gen in den Sicher­heits­sek­tor. […] Sar­kas­tisch gesagt, ist das eher Hil­fe zur Selbst­hil­fe für die Geber­län­der“, so Ruttig.

Selbst die Welt­bank kri­ti­sie­re, dass selbst die in den zivi­len Sek­tor flie­ßen­den Mit­tel nur einen sehr nied­ri­gen ein­hei­mi­schen Wirt­schafts­an­teil haben. Lege man die Gesamt­kos­ten des Krie­ges zugrun­de, wei­te sich die Kluft zwi­schen mili­tä­ri­schem und zivi­lem Sek­tor noch mehr. Für Deutsch­land lag dem Deut­schen Insti­tut für Wirt­schafts­for­schung (DIW) zufol­ge 2010 das Ver­hält­nis von Aus­ga­ben des Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­ri­ums zu denen ande­rer Res­sorts bei 9:1, wäh­rend offi­zi­ell 2,5:1 ange­ge­ben wur­den. Ent­wick­lungs­zie­le wie die Über­win­dung der Armut oder die Ver­tei­di­gung der Men­schen­rech­te wür­den dem Anti-Ter­ror-Kampf unter­ge­ord­net, so Rut­tig. Nato- und vor allem US-Mili­tärs sei­en bei der Erkun­dung von Roh­stoff­vor­kom­men oder der Kor­rup­ti­ons­be­kämp­fung feder­füh­rend gewe­sen, wäh­rend sie ihre Bemü­hun­gen zugleich durch die Finan­zie­rung der War­lords ad absur­dum führten.

Pro­jekt­kos­ten stei­gen wei­ter­hin auf­grund über­pro­por­tio­na­ler Sicher­heits­auf­wen­dun­gen, Schu­len und wer­den häu­fig zer­stört. Die trau­ri­ge Bilanz: Nach mehr als 13 Jah­ren der Inter­ven­ti­on sind in einem der wei­ter­hin ärms­ten Län­der der Welt 60 Pro­zent der Kin­der man­gel­er­nährt und 7,4 Mil­lio­nen lei­den unter aku­ter Nahrungsmittelknappheit.

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