20.12.2023

PRO ASYL ist ent­setzt über die poli­ti­sche Eini­gung zur Reform des Gemein­sa­men Euro­päi­schen Asyl­sys­tems (GEAS). Wie soeben ver­kün­det wur­de, sind die soge­nann­ten poli­ti­schen Tri­lo­ge zwi­schen Mit­glied­staa­ten und Euro­pa­par­la­ment abge­schlos­sen und die Reform steht kurz vor der Fina­li­sie­rung. Im Früh­jahr müs­sen die Ko-Gesetz­ge­ber – der Rat der EU und das Euro­pa­par­la­ment – die poli­ti­sche Eini­gung noch for­mal beschließen.

„Die­ser von den euro­päi­schen Gesetz­ge­bern beschlos­se­ne Abbau von Men­schen­rech­ten im Flücht­lings­schutz ver­sperrt für vie­le den Zugang zu Schutz und errich­tet ein Sys­tem der Haft­la­ger für Men­schen, die flie­hen und nichts ver­bro­chen haben – selbst für Kin­der und ihre Fami­li­en. Durch die Aus­wei­tung des Kon­zepts der ‚siche­ren Drittstaaten´befürchten wir neue men­schen­rechts­wid­ri­ge Deals mit auto­kra­ti­schen Regie­run­gen, durch die EU-Län­der sich vom Flücht­lings­schutz frei­kau­fen wol­len“, kri­ti­siert Wieb­ke Judith, rechts­po­li­ti­sche Spre­che­rin von PRO ASYL.

Aus den Feh­lern der Ver­gan­gen­heit sowie der Gegen­wart – wie dem Elend­sla­ger Moria, den ille­ga­len und bru­ta­len Push­backs und der feh­len­den Soli­da­ri­tät unter den Mit­glied­staa­ten – wur­de offen­sicht­lich nichts gelernt. Statt­des­sen wird die neue euro­päi­sche Asyl­ge­setz­ge­bung die­se Miss­stän­de wei­ter ver­schär­fen, so die Ana­ly­se von PRO ASYL.

„Die­se Eini­gung auf Kos­ten der Men­schen­rech­te von Geflüch­te­ten zeigt, wel­chen Rechts­ruck wir in Euro­pa aktu­ell erle­ben. Das schlim­me ist, dass sich die Rechtspopulist*innen selbst mit die­sen Ver­schär­fun­gen nicht zufrie­den geben wer­den. Denn ihr Ziel ist ganz klar die Abschaf­fung des Flücht­lings­schut­zes in Euro­pa. Dass die CDU mit ihren Vor­schlä­gen für eine Kom­plett­aus­la­ge­rung des Flücht­lings­schut­zes an Dritt­staa­ten rech­ten For­de­run­gen Rücken­wind gibt, zeigt wie tief die Par­tei gesun­ken ist. Die ers­ten, die nun unter die Räder des Rechts­rucks kom­men, sind flie­hen­de Men­schen. Doch die­se fata­le Eini­gung dürf­te nur ein ers­ter Schritt sein, der Men­schen­rech­te und Rechts­staat­lich­keit in der EU unter­gräbt“, befürch­tet Judith.

PRO ASYL Schnell­ana­ly­se zu den aktu­ell uns bekann­ten Ergeb­nis­sen des Trilogs

In den Ver­hand­lun­gen haben sich die Mit­glied­staa­ten mit ihren restrik­ti­ven Posi­tio­nen weit­ge­hend durch­ge­setzt. Hier­zu gehört, dass das Euro­pa­par­la­ment nun doch nach einem Scree­ning Asyl­grenz­ver­fah­ren unter Haft­be­din­gun­gen an den Außen­gren­zen akzep­tiert hat, die für bestimm­te Per­so­nen­grup­pen ver­pflich­tend sein wer­den und zwölf Wochen dau­ern kön­nen. Ins­ge­samt kön­nen geflüch­te­te Men­schen bis zu sechs Mona­te an den Außen­gren­zen fest­ge­hal­ten wer­den, da sich noch ein neu­es Abschie­bungs­grenz­ver­fah­ren anschließt. Im Fall eines der neu­en Aus­nah­me­zu­stän­de kann dies aus­ge­wei­tet wer­den. Die Mit­glied­staa­ten kön­nen die Grenz­ver­fah­ren zudem auch auf Men­schen anwen­den, die über angeb­lich siche­re Dritt­staa­ten geflo­hen sind. Fai­re Asyl­ver­fah­ren wird es an den Außen­gren­zen nicht geben, wie uns lang­jäh­ri­ge Pra­xis­er­fah­rung zeigt. Beson­ders dra­ma­tisch ist, dass es nicht ein­mal Aus­nah­men für Kin­der mit ihren Fami­li­en geben wird. Hier­für woll­te sich die Bun­des­re­gie­rung ein­set­zen. Das Par­la­ment hat­te zumin­dest eine Alters­gren­ze von zwölf Jah­ren ver­langt – aber dies dann in den Ver­hand­lun­gen aufgegeben.

Auch kön­nen mit der Eini­gung zukünf­tig deut­lich mehr außer­eu­ro­päi­sche Dritt­staa­ten als „sicher“ ein­ge­stuft wer­den, um Flücht­lin­ge in die­se Län­der abzu­schie­ben. Weder muss in dem Dritt­staat die Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on gel­ten, noch muss das gan­ze Land „sicher“ sein. Wenn es eine ent­spre­chen­de Ver­ein­ba­rung zwi­schen Dritt­staat und EU gibt, soll die „Sicher­heit“ schlicht ange­nom­men wer­den kön­nen. Dadurch wird die Mög­lich­keit eröff­net, dass Mit­glied­staa­ten sich weit­ge­hend aus dem Flücht­lings­schutz zurück­zie­hen, indem sie Nach­bar­län­der oder ande­re Staa­ten ent­lang der Flucht­rou­ten als „sicher“ ein­stu­fen. Die­se Vor­ge­hens­wei­se wird dazu füh­ren, dass Men­schen, die nach Euro­pa geflo­hen sind, ohne Prü­fung ihrer tat­säch­li­chen Flucht­grün­de in die­se Län­der abge­scho­ben wer­den. Mit der Reform kann die Blau­pau­se des EU-Tür­kei Deals ein­fa­cher auf wei­te­re Dritt­staa­ten über­tra­gen wer­den, obwohl gera­de die­ser Deal zu immensem Leid und Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen geführt hat. In Grie­chen­land gilt die Tür­kei auf­grund des Deals u.a. für syri­sche und afgha­ni­sche Flücht­lin­ge als „sicher“, ihre Asyl­ver­fah­ren wer­den des­we­gen als „unzu­läs­sig“ abge­lehnt – nach den Grün­den, war­um sie ihr Her­kunfts­land ver­las­sen haben, wer­den sie nicht mehr gefragt.

Auch auf die beson­ders toxi­sche Kri­sen­ver­ord­nung wur­de sich von den Gesetz­ge­bern geei­nigt (mehr Infor­ma­tio­nen hier). Hier lagen Mit­glied­staa­ten und Euro­pa­par­la­ment beson­ders weit aus­ein­an­der – doch erneut setz­ten sich pri­mär die Mit­glied­staa­ten durch. Damit kön­nen im Fall von Kri­sen und „Instru­men­ta­li­sie­rung von Migrant*innen“ die Grenz­ver­fah­ren mas­siv aus­ge­wei­tet wer­den – sowohl was die Dau­er der Ver­fah­ren angeht als auch wer alles in den Grenz­ver­fah­ren sein/ihr Asyl­ver­fah­ren durch­lau­fen muss. Bis­lang hat­te das Euro­pa­par­la­ment das Kon­zept der „Instru­men­ta­li­sie­rung“ noch nicht akzep­tiert, auch weil erheb­li­che Grund­rechts­be­den­ken damit ein­her­ge­hen. Doch auch dies fin­det sich nun in der Eini­gung wie­der und schafft damit die Basis für zukünf­ti­ge Aus­nah­me­zu­stän­de an den Außen­gren­zen, in denen es zu Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen wie bru­ta­len Push­backs kom­men wird.

Die bis­he­ri­ge Dub­lin-III-Ver­ord­nung, die fest­legt wel­cher Mit­glied­staat für die Durch­füh­rung von Asyl­ver­fah­ren zustän­dig ist, wird durch die Ver­ord­nung für ein Asyl- und Migra­ti­ons­ma­nage­ment ersetzt. Doch vie­les wird beim alten blei­ben, Grund­pro­ble­me des euro­päi­schen Asyl­sys­tems wer­den nicht gelöst. Denn wei­ter­hin sind es die Außen­grenz­staa­ten, die pri­mär für die Durch­füh­rung der Asyl(grenz)verfahren zustän­dig sind. Beim EU-Par­la­ment gab es zumin­dest den Ansatz, durch einen star­ken Soli­da­ri­täts­me­cha­nis­mus einen gewis­sen Neu­an­fang zu wagen. Doch die Mit­glied­staa­ten haben sich auch hier durch­ge­setzt. Ergeb­nis ist, dass die Auf­nah­me von Schutz­su­chen­de als Soli­da­ri­täts­maß­nah­me gleich­ge­stellt wird mit dem Bau von Grenz­zäu­nen an den EU-Außen­gren­zen oder Pro­jek­ten in Dritt­staa­ten, die der Flucht­ver­hin­de­rung die­nen. Es ist zu erwar­ten, dass das gan­ze Sys­tem sogar noch büro­kra­ti­scher wird als die aktu­el­len Dublin-Regeln.

Die Ver­ord­nun­gen tre­ten vor­aus­sicht­lich 24 Mona­te nach den for­ma­len Beschlüs­sen im Früh­jahr 2024 in Kraft (also ab 2026).

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