13.06.2024

Eine Grup­pe Über­le­ben­der des Schiffs­un­ter­gangs vor Pylos ist in Ber­lin zusam­men­ge­kom­men, um zum Jah­res­tag am 14. Juni der über 600 Ertrun­ke­nen zu geden­ken. Ges­tern Abend for­der­ten sie bei einem Emp­fang im Bun­des­tag die Ver­ur­tei­lung der Ver­ant­wort­li­chen, die Ber­gung und Iden­ti­fi­zie­rung der Lei­chen und Her­aus­ga­be an die Ange­hö­ri­gen sowie eine men­schen­wür­di­ge Auf­nah­me der Überlebenden.

„Pylos war kein Unglück, das war eine orches­trier­te Ster­be­be­glei­tung. Der Unter­gang der Adria­na ist kein Ein­zel­fall, son­dern die Spit­ze des Eis­bergs einer euro­päi­schen Poli­tik des Ster­ben­las­sens. Die Bewei­se sind erdrü­ckend, dass Grie­chen­land über 15 Stun­den Lebens­ret­tungs­maß­nah­men ver­wei­gert hat. Gerech­tig­keit heißt, die grie­chi­schen  Ver­ant­wort­li­chen für den hun­dert­fa­chen Tod  zur Rechen­schaft zu zie­hen”, sagt Karl Kopp, Geschäfts­füh­rer von PRO ASYL.

Über­le­ben­de for­dern Gerechtigkeit 

Über­le­ben­de, die mitt­ler­wei­le in Deutsch­land leben, haben ges­tern bei einer Pres­se­kon­fe­renz sowie bei einem Tref­fen mit Abge­ord­ne­ten im Bun­des­tag ihre For­de­run­gen deut­lich formuliert:

“Wir wur­den Zeu­gen der fürch­ter­li­chen Ver­let­zun­gen der Men­schen­rech­te an Euro­pas Gren­zen. Wir for­dern im Namen aller Über­le­ben­der und Toten die Ein­hal­tung der inter­na­tio­na­len Geset­ze für die Auf­nah­me von Geflüch­te­ten und deren Ret­tung auf dem Meer oder an den euro­päi­schen Lan­des­gren­zen”, sag­te Nae­ef Al Sai­as­na, syri­scher Mili­tär­dienst­ver­wei­ge­rer und Über­le­ben­der der Katastrophe.

Hasan Al Jalam, eben­falls syri­scher Mili­tär­dienst­ver­wei­ge­rer und Über­le­ben­der der Kata­stro­phe sagt: “Es ist beschä­mend, über euro­päi­sche Sit­ten zu reden, wäh­rend Geflüch­te­te nicht mit einem Mini­mum an Mensch­lich­keit behan­delt wer­den. Flucht ist ein Grund­recht! Unse­re Tra­gö­die darf sich nicht wie­der­ho­len! Wir for­dern, dass die Men­schen, die dafür ver­ant­wort­lich sind, dass das Schiff sank, zur Rechen­schaft gezo­gen wer­den. Wir for­dern das Ber­gen der Schiffs­rui­ne aus dem Meer. Wir for­dern, dass die grie­chi­sche Regie­rung die Lei­chen, über die sie ver­fügt, ohne büro­kra­ti­sche Ver­kom­pli­zie­rung an die Ange­hö­ri­gen herausgibt.”

Acht gebor­ge­ne Tote wur­den bis heu­te nicht iden­ti­fi­ziert, ins­ge­samt 18 Tote wur­den nicht beer­digt, weil den grie­chi­schen Behör­den die Finanz­mit­tel dafür fehl­ten. Refu­gee Sup­port Aege­an (RSA), die Part­ner­or­ga­ni­sa­ti­on von PRO ASYL, ver­sucht in Ver­hand­lun­gen, die­sen unwür­di­gen Umgang mit den Toten zu beenden.

Kei­ne men­schen­wür­di­ge Auf­nah­me in Deutschland

“Die Über­le­ben­den sind Opfer staat­li­chen Han­delns. Es ist ein Skan­dal, dass sie weder in Grie­chen­land noch in Deutsch­land eine adäqua­te medi­zi­ni­sche und the­ra­peu­ti­sche Ver­sor­gung erhal­ten”, kri­ti­siert Karl Kopp. 

Die Asyl­ver­fah­ren lau­fen schlep­pend, die Mehr­heit der Über­le­ben­den in Deutsch­land haben bis­her kei­nen Auf­ent­halts­sta­tus. Die in Asyl­ver­fah­ren vor­ge­schrie­be­ne Iden­ti­fi­zie­rung beson­de­rer Schutz­be­dürf­tig­keit hat nicht statt­ge­fun­den, ihnen wur­den kei­ne adäqua­ten medi­zi­ni­schen und psy­cho­the­ra­peu­ti­schen Behand­lun­gen ermög­licht, obwohl deut­sche Behör­den wis­sen, dass sie Über­le­ben­de eines schwer trau­ma­ti­schen Ereig­nis­ses sind. Vie­le haben Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge in Deutsch­land, die sie unter­stüt­zen könn­ten. Trotz­dem wur­den sie ent­fernt von ihnen in gro­ßen und abge­le­ge­nen Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen untergebracht.

Feh­len­de juris­ti­sche Aufarbeitung

Die zustän­di­ge Staats­an­walt­schaft am Mari­n­ege­richt von Pirä­us hat zwar die Vor­er­mitt­lun­gen einer Ankla­ge gegen Küs­ten­wa­che-Bediens­te­te auf­ge­nom­men, aber bis dato sind die­se nicht abgeschlossen. 

40 Über­le­ben­de reich­ten am 13. Sep­tem­ber 2023 Straf­an­zei­ge gegen die grie­chi­sche Küs­ten­wa­che ein, 13 wei­te­re schlos­sen sich an. Es ist ein jah­re­lan­ges Ver­fah­ren bis hin zu höchs­ten Gerich­ten zu befürch­ten, wie das über acht Jah­re andau­ern­de Ver­fah­ren beim ähn­lich gela­ger­ten Schiffs­un­ter­gang vor Farm­a­ko­ni­si 2014 zeigt. 

Auch die Ver­ant­wor­tung von Fron­tex wur­de bis­her nicht auf­ge­ar­bei­tet. Fron­tex war eben­so wie die grie­chi­sche Küs­ten­wa­che bereits 15 Stun­den vor dem Unter­gang von der ita­lie­ni­schen Ret­tungs­leit­stel­le über die in See­not gera­te­ne „Adria­na“ mit rund 750 Men­schen an Bord infor­miert wor­den (sie­he aus­führ­li­che Zeit­leis­te des Gesche­hens). Fron­tex lös­te jedoch nicht den May­day-See­not­ret­tungs­ruf aus und die Küs­ten­wa­che ergriff kei­ner­lei Ret­tungs­maß­nah­men. Über­ein­stim­men­den Berich­ten von Über­le­ben­den zufol­ge war ein Manö­ver der Küs­ten­wa­che ursäch­lich für den Unter­gang der Adria­na (sie­he Recher­chen von Light­house Reports und Foren­sis u.a.).

Vor den Augen der grie­chi­schen Küs­ten­wa­che und unter Beob­ach­tung der Luft­über­wa­chung von Fron­tex ertran­ken schließ­lich über 600 schutz­su­chen­de Frau­en, Kin­der und Män­ner. Nur 104 Men­schen über­leb­ten das Infer­no. Das Ereig­nis reiht sich ein in immer wie­der statt­fin­den­de Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen Grie­chen­lands gegen Geflüchtete. 

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