04.11.2014

Heu­te hat der Euro­päi­sche Men­schen­rechts­ge­richts­hof ent­schie­den, dass Flücht­lings­fa­mi­li­en in Ita­li­en eine unmensch­li­che und ernied­ri­gen­de Behand­lung (Art. 3 EMRK) dro­hen kann und dass des­we­gen kei­ne Abschie­bun­gen dort­hin erfol­gen dür­fen, wenn nicht zuvor eine indi­vi­du­el­le Zusi­che­rung Ita­li­ens über eine adäqua­te Unter­brin­gung ein­ge­holt wurde.

PRO ASYL begrüßt das Urteil, da es auf die äußerst pre­kä­re Situa­ti­on von Flücht­lings­fa­mi­li­en in Ita­li­en auf­merk­sam macht. „Das Urteil geht jedoch nicht weit genug“, sag­te Marei Pel­zer, rechts­po­li­ti­sche Refe­ren­tin von PRO ASYL. „Seit Jah­ren ist klar, dass Flücht­lin­ge in Ita­li­en oft obdach­los und ohne staat­li­che Hil­fe sich selbst über­las­sen wer­den. Wir for­dern einen gene­rel­len Abschie­be­stopp nach Italien!“.

Die Beschwer­de hat­te die acht­köp­fi­ge afgha­ni­sche Fami­lie Tarak­hel gegen die Schweiz ein­ge­legt, nach­dem die dor­ti­gen Behör­den ihre Abschie­bung nach Ita­li­en beschlos­sen hat­ten. Nun hat der Gerichts­hof klar­ge­stellt, dass zumin­dest bei Fami­li­en mit  Kin­dern eine sol­che Abschie­bung mit den Men­schen­rech­ten nicht ver­ein­bar ist, wenn deren Schick­sal nach der Abschie­bung nicht vor­ab geklärt wird.

PRO ASYL begrüßt das Urteil als wich­ti­ges Signal. Aller­dings müs­sen Abschie­bun­gen nach Ita­li­en gene­rell gestoppt wer­den. Ita­li­en hat kein funk­tio­nie­ren­des Auf­nah­me­sys­tem, die Unter­brin­gungs­ka­pa­zi­tä­ten rei­chen bei wei­tem nicht aus. Vie­le Flücht­lin­ge leben daher auf der Stra­ße, bekom­men kei­ne sozia­le Unter­stüt­zung oder medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung und Fami­li­en wer­den getrennt. 

Nach der Dub­lin-Zustän­dig­keits­ver­ord­nung wird Ita­li­en für zustän­dig erklärt, wenn dies das Land der Ein­rei­se in die EU ist. Aller­dings hat der EGMR bereits in sei­ner wich­ti­gen MSS-Ent­schei­dung zu Grie­chen­land im Janu­ar 2011 ent­schie­den, dass die EU-Staa­ten sich nicht blind für die rea­le Situa­ti­on der Flücht­lin­ge stel­le dür­fen. Im Fall von Grie­chen­land wur­de 2011 fest­ge­stellt, dass gene­rell eine Abschie­bung von Flücht­lin­gen dort­hin unzu­läs­sig ist.

PRO ASYL kri­ti­siert, dass zehn­tau­sen­de Flücht­lin­ge auf­grund des Dub­lin-Sys­tems wie Stück­gut zwi­schen den EU-Staa­ten hin- und her­ge­scho­ben wer­den und in Elend und Obdach­lo­sig­keit landen.

Hin­ter­grün­de zum Fall Tarakhel:

https://www.proasyl.de/de/news/detail/news/sind_abschiebungen_nach_italien_menschenrechtswidrig/

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