Verbände und Organisationen in Sorge: Zugang zu fairem Asylverfahren in Europa in Gefahr
Unmittelbar vor Beginn der Koalitionsverhandlungen, dem bevorstehenden Treffen der EU-Innen- und Justizminister sowie anstehenden Verhandlungen im Europäischen Parlament über das geplante Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) fordern Menschenrechtsorganisationen, Wohlfahrtsverbände und Juristen- und Flüchtlingsorganisationen den Erhalt des Zugangs zum individuellen Asylrecht in Europa.
Zu den UnterzeichnerInnen gehören: PRO ASYL, Amnesty International, Caritas, Der Paritätische Gesamtverband, Arbeiterwohlfahrt, Diakonie Deutschland, Neue Richtervereinigung, Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein, Rechtsberaterkonferenz, Jesuiten-Flüchtlingsdienst, Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychologischen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer und der Bundesfachverband für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.
Nach den aktuellen Vorschlägen des EU-Rats und der Kommission soll der Flüchtlingsschutz verstärkt auf Drittstaaten außerhalb der Europäischen Union verlagert werden. Hierfür soll das Konzept der sogenannten sicheren Drittstaaten ausgeweitet werden. Das hat zur Folge, dass die Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen die betroffenen Asylsuchenden ohne inhaltliche Prüfung der Asylgründe in Drittstaaten zurückweisen sollen. Dies wäre ein schwerer Eingriff in die Grund- und Menschenrechte der Asylsuchenden.
PRO ASYL weist darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Grundsatzurteil vom 14. Mai 1996 (2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93, Rn. 164) präzise Kriterien, wann ein Drittstaat als sicher gilt, formuliert hat. Eine Drittstaatenregelung, die nicht zwingend die vorbehaltlose Ratifikation der Genfer Flüchtlingskonvention voraussetzt, ist mit deutschem Verfassungsrecht nicht vereinbar.
Bei den Verhandlungen über die Veränderung der Asylverfahrensverordnung hat die deutsche Bundesregierung die Pflicht, sich für eine verfassungskonforme Regelung einzusetzen. Die unterzeichnenden Organisationen und Verbände fordern: Die geltenden völkerrechtlichen, menschenrechtlichen und europarechtlichen Standards müssen erhalten bleiben.
Zu den Forderungen im Einzelnen:
Keine Senkung der Standards für den Flüchtlingsschutz
Die Ratifizierung und vor allem die praktische Umsetzung der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ohne geographische Beschränkung als das erforderliche Schutzniveau für die Benennung eines »sicheren« Drittlandes müssen gelten.
- Die bloße Durchreise darf nicht als ausreichende Verbindung (»meaningful link«) mit dem betreffenden sicheren Drittland normiert werden. Vorschläge aus den Mitgliedsstaaten, auf jegliche Verbindungsanforderung (»Australische Lösung«) zu verzichten, müssen unmissverständlich abgelehnt werden. Ebenso ist die Anwendung des Konzepts des »sicheren Drittlandes« auf lediglich bestimmte Zonen/Teile eines Drittstaates eine klare Absage zu erteilen.
- In jedem Fall muss dem Asylsuchenden effektiver Rechtsschutz gegen eine Abweisung in einen Drittstaat gewährleistet werden, damit es möglich ist, die vermutete Sicherheit für den Asylsuchenden in dem Drittstaat zu widerlegen. Rechtsmittel müssen eine aufschiebende Wirkung haben.
- Die Einführung einer verpflichtenden Anwendung der Drittstaatenregelung ist abzulehnen.
Keine Verschärfung des Dublin-Systems
Durch das Bemühen um einen neuen Solidaritätsmechanismus dürfen die Grundrechte der Asylsuchenden sowie rechtsstaatliche Verfahren nicht eingeschränkt werden. Der zügige Zugang zum Asylverfahren mit einer inhaltlichen Prüfung des Asylgesuchs muss weiter garantiert sein.
- Die Fristenregelungen, die nach Fristablauf einen Zugang zum Asylverfahren im Aufenthaltsstaat garantieren, müssen erhalten bleiben. Rechtsschutz und Selbsteintrittsrecht müssen uneingeschränkt erhalten bleiben. Eine Überstellung von unbegleiteten Minderjährigen darf nur dann erfolgen, wenn hierdurch das Kindeswohl geschützt wird, also insbesondere wenn eine Zusammenführung mit Verwandten erfolgen soll.
- Das Recht auf Familienzusammenführung im Rahmen des Dublin-Verfahrens muss innerhalb der EU vollumfänglich umgesetzt werden.
- Der Schutz von Minderjährigen muss oberste Priorität haben. Die Anwendung von Abschiebungshaft und Schnellverfahren sind mit dem Kindeswohl nicht zu vereinbaren.
- EU-weite verpflichtende Widerrufsverfahren lehnen wir ab.
- Die Schaffung eines europäischen Resettlement-Rahmens ist zu begrüßen, er muss jedoch den Kriterien von UNHCR entsprechen. Flüchtlingsaufnahme durch die EU darf nicht die Gegenleistung für Migrationskontrolle der Erstaufnahmestaaten sein.