28.03.2025

Der Obers­te Gerichts­hof Grie­chen­lands hat in einem weg­wei­sen­den Urteil ver­kün­det: Die Tür­kei ist kein “siche­rer Dritt­staat” für Flücht­lin­ge. Das hat Signal­wir­kung für ganz Euro­pa, bedeu­tet ver­mut­lich gar das Ende des EU-Tür­kei-Deals. Auch bei den deut­schen Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen soll­te das Urteil beach­tet werden. 

Grie­chen­lands obers­tes Ver­wal­tungs­ge­richt hat am 21. März 2025 die Ein­stu­fung der Tür­kei als “siche­ren Dritt­staat” gekippt. Das Gericht stell­te klar: Grie­chen­land darf Schutz­su­chen­de aus Syri­en, Afgha­ni­stan, Paki­stan, Soma­lia und Ban­gla­desch nicht wie bis­lang üblich ohne Prü­fung ihrer indi­vi­du­el­len Asyl­grün­de im Asyl­ver­fah­ren ableh­nen, weil die Tür­kei für sie angeb­lich sicher sei. 

„Das ist ein ful­mi­nan­ten Erfolg für die Men­schen­rech­te und wird sich posi­tiv auf die Zukunft vie­ler schutz­su­chen­der Men­schen aus­wir­ken, die nicht län­ger im Unge­wis­sen aus­har­ren müs­sen. Das Urteil  ist ein kla­res Signal an die Poli­tik, dass sie nicht nach Belie­ben Dritt­staa­ten als ‚sicher‘ dekla­rie­ren darf“, erklärt Wieb­ke Judith, rechts­po­li­ti­sche Spre­che­rin von PRO ASYL.

Geklagt gegen den grie­chi­schen Minis­te­ri­al­erlass, über den das Gericht nun ent­schied, haben Refu­gee Sup­port Aege­an (RSA), die Schwes­ter­or­ga­ni­sa­ti­on von PRO ASYL, und der grie­chi­sche Flücht­lings­rat. Für sie bedeu­tet das Urteil einen Erfolg auf gan­zer Linie.

Ein Urteil mit Signal­wir­kung für ganz Europa

„Die ent­schei­den­de Bot­schaft lau­tet: Gerech­tig­keit hat das letz­te Wort. Auch die Poli­tik und Politiker*innen müs­sen das gel­ten­de Recht respek­tie­ren und kön­nen nicht ein­fach Geset­ze außer­halb des recht­li­chen Rah­mens ver­ab­schie­den und umset­zen. Das gilt für Grie­chen­land eben­so wie für die gesam­te EU“, sagt Ele­ni Spatha­na, Anwäl­tin von RSA. 

Mit dem Urteil dürf­te eine Neu­auf­la­ge des EU-Tür­kei-Deals, wie sie jüngst wie­der im Gespräch war, in wei­te Fer­ne rücken. Das Urteil zeigt ein­mal mehr: Deals mit Dritt­staa­ten, um Flücht­lin­ge los­zu­wer­den, funk­tio­nie­ren nicht. Trotz­dem hat eine sol­che Poli­tik gra­vie­ren­de Kon­se­quen­zen: In Grie­chen­land wur­de über Zehn­tau­send geflüch­te­ten Men­schen rechts­wid­rig Schutz ver­wei­gert. Vie­le sind nach Aus­kunft von RSA auf der Stra­ße oder in Abschie­bungs­haft gelan­det, sie har­ren in einem Zustand qual­vol­ler Per­spek­tiv­lo­sig­keit unter unmensch­lichs­ten Bedin­gun­gen auf grie­chi­schen Inseln oder auf dem Fest­land aus. Damit muss jetzt Schluss sein. 

Das Urteil aus Athen muss auch bei den Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen gehört wer­den. „Das Urteil macht deut­lich: Ver­ant­wor­tung für Geflüch­te­te lässt sich nicht abschie­ben“, erklärt Wieb­ke Judith, rechts­po­li­ti­sche Spre­che­rin von PRO ASYL. „Wir erwar­ten, dass das bei den Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen berück­sich­tigt wird. Die Aus­la­ge­rung von Asyl­ver­fah­ren, die die Uni­on in den Koali­ti­ons­ver­trag schrei­ben will, muss mit dem Urteil aus Grie­chen­land ein für alle Mal vom Tisch sein.“

Hin­ter­grund

Die Umset­zung des EU-Tür­kei-Deals star­te­te im März 2016 auf den grie­chi­schen Inseln. Kern­ele­ment des Deals war: In Grie­chen­land wer­den syri­sche Flücht­lin­ge im Asyl­ver­fah­ren abge­lehnt, weil die Tür­kei für sie “sicher” sei und sie sol­len in die Tür­kei abge­scho­ben wer­den. Die Abschie­bun­gen wur­den nie effek­tiv umge­setzt, denn seit März 2020 wei­gert die Tür­kei sich grund­sätz­lich, Flücht­lin­ge aus Grie­chen­land zurück­zu­neh­men. Trotz­dem wei­te­te Grie­chen­land die Pra­xis des EU-Tür­kei-Deals mit einem neu­en Minis­te­ri­al­erlass in 2021 auf Asyl­su­chen­de aus Afgha­ni­stan, Paki­stan, Soma­lia und Ban­gla­desch aus. Darf in der Euro­päi­schen Uni­on ein Nicht-EU-Land als „siche­rer Dritt­staat“ bezeich­net wer­den, auch wenn die­ses die Rück­nah­me von Asyl­su­chen­den sys­te­ma­tisch ver­wei­gert? Die­se Fra­ge hat­te der obers­te grie­chi­sche Gerichts­hof dem Euro­päi­schen Gerichts­hof (EuGH) in einem Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­ren vor­ge­legt. Der EuGH ent­schied dies am 4. Okto­ber 2024.

PRO ASYL berich­te­te regel­mä­ßig über den Vor­gang und die prak­ti­schen Fol­gen des EU-Tür­kei-Deals und dem ent­spre­chen­den grie­chi­schen Minis­te­ri­al­erlas­ses für Geflüch­te­te, etwa in einem Inter­view mit der Anwäl­tin Yio­ta Massou­ri­dou. PRO ASYL und RSA haben zudem ein Gut­ach­ten (in eng­li­scher Spra­che) zum Kon­zept der „siche­ren Dritt­staa­ten“ und sei­ner Anwen­dung im grie­chi­schen Rechts­sys­tem vorgelegt. 

Hier fin­den Sie ein Inter­view mit Ele­ni Spatha­na von RSA zum aktu­el­len Fall. 

 

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