Geflüch­te­te Frau­en erlei­den häu­fig Gewalt, die sich spe­zi­ell gegen sie als Frau­en rich­tet. Zum heu­ti­gen Inter­na­tio­na­len Tag zur Besei­ti­gung von Gewalt gegen Frau­en for­dern PRO ASYL und Flücht­lings­rä­te aus ganz Deutsch­land die künf­ti­ge Bun­des­re­gie­rung auf, geflüch­te­te Frau­en und Mäd­chen bes­ser vor geschlechts­spe­zi­fi­scher Gewalt zu schüt­zen. Der Koali­ti­ons­ver­trag ver­spricht Bes­se­rung, lässt aber auch zen­tra­le Lücken.

„Es ist gut, dass die künf­ti­ge Bun­des­re­gie­rung beim Gewalt­schutz aus­drück­lich auch die Bedar­fe geflüch­te­ter Frau­en sicher­stel­len will. Bezüg­lich der Umset­zung bleibt der ges­tern ver­öf­fent­lich­te Koali­ti­ons­ver­trag aber lei­der viel­fach vage“, sagt Andrea Kothen von PRO ASYL. „Beson­ders schmerz­haft ist, dass kei­ne Ver­ein­ba­rung zur Abkehr von Mas­sen­un­ter­künf­ten getrof­fen wurde.“

Anläss­lich des Inter­na­tio­na­len Tags zur Besei­ti­gung von Gewalt gegen Frau­en am heu­ti­gen 25. Novem­ber wei­sen PRO ASYL und die Flücht­lings­rä­te aus Baden-Würt­tem­berg, Bay­ern, Bran­den­burg, Nie­der­sach­sen, Sach­sen-Anhalt und Sach­sen auf den drin­gen­den Hand­lungs­be­darf hin.

Flucht vor Zwangs­hei­rat und Genitalbeschneidung

Mäd­chen und Frau­en, die in Deutsch­land Schutz suchen, kom­men auch aus Regio­nen, in denen Geni­tal­be­schnei­dung, Zwangs­hei­rat, Zwangs­pro­sti­tu­ti­on und Ver­skla­vung gedul­det wer­den, Ver­ge­wal­ti­gun­gen fak­tisch straf­frei blei­ben und auch als Kriegs­waf­fe ein­ge­setzt wer­den. In Deutsch­land haben Frau­en und Mäd­chen mit Gewalt­er­fah­run­gen einen Anspruch dar­auf, dass sie auf­ge­nom­men, gesund­heit­lich ver­sorgt und vor wei­te­rer Gewalt geschützt wer­den. Denn die Bun­des­re­pu­blik hat 2018 die Istan­bul-Kon­ven­ti­on rati­fi­ziert und sich so völ­ker­recht­lich ver­bind­lich dazu ver­pflich­tet, Frau­en unab­hän­gig von ihrem auf­ent­halts­recht­li­chen Sta­tus vor allen For­men von Gewalt zu schüt­zen, einen Bei­trag zur Besei­ti­gung ihrer Dis­kri­mi­nie­rung zu leis­ten und ihre Gleich­stel­lung und ihre Rech­te zu fördern.

Im deut­schen Auf­nah­me­sys­tem exis­tie­ren jedoch viel­fach Bedin­gun­gen, unter denen der Schutz von geflüch­te­ten Frau­en und Mäd­chen vor Gewalt und die Ent­wick­lung ihrer Rech­te von vorn­her­ein beschränkt sind – und die sogar selbst gewalt­voll sind oder Gewalt beför­dern. Das ist das Ergeb­nis des im Juli 2021 ver­öf­fent­lich­ten Schat­ten­be­richts von PRO ASYL und Flücht­lings­rä­ten zur Umset­zung der Istan­bul Kon­ven­ti­on, der eine Rei­he von detail­lier­ten Emp­feh­lun­gen enthält.

Sam­mel­un­ter­künf­te begüns­ti­gen Gewalt 

Die Abkehr von Mas­sen­un­ter­künf­ten ist eine davon: Denn dort müs­sen Frau­en und Mäd­chen immer wie­der Gewalt fürch­ten, von männ­li­chen Bewoh­nern, (Security-)Personal und Män­nern von außen. „For­de­run­gen nach ver­bind­li­chen, ein­heit­li­chen Gewalt­schutz­kon­zep­ten in den Unter­künf­ten sind rich­tig und wich­tig – aller­dings sind Sam­mel­un­ter­künf­te struk­tu­rell gewalt­be­güns­ti­gend und als Wohn­form für Frau­en alles in allem unge­eig­net“, so Lena Schmid vom Flücht­lings­rat Baden-Würt­tem­berg. Des­halb muss die Zeit in der Erst­auf­nah­me auf maxi­mal vier Wochen begrenzt wer­den. Grund­sätz­lich muss die Woh­nungs­un­ter­brin­gung von Geflüch­te­ten Vor­rang haben vor der Unter­brin­gung in Sam­mel­un­ter­künf­ten, for­dern PRO ASYL und die Flücht­lings­rä­te. Im rot-grün-gel­ben Koali­ti­ons­ver­trag fin­det sich dazu aller­dings nichts.

Zu den wei­te­ren Emp­feh­lun­gen von PRO ASYL und Flücht­lings­rä­ten gehört die Abschaf­fung des Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­set­zes. Es ver­hin­dert, dass Asyl­su­chen­de nor­ma­le Mit­glie­der der gesetz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­run­gen wer­den, und schränkt die Gesund­heits­ver­sor­gung von gewalt­be­trof­fe­nen Frau­en vor allem in der Erst­auf­nah­me ein. Zwar wol­len die Koali­tio­nä­re „das Asyl­be­wer­ber­leis­tungs­ge­setz im Lich­te der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts wei­ter­ent­wi­ckeln“ und „den Zugang … zur Gesund­heits­ver­sor­gung unbü­ro­kra­ti­scher gestal­ten“. Eine Ankün­di­gung, Geflüch­te­te künf­tig nach den in Deutsch­land übli­chen Stan­dards zu behan­deln, ist das aber nicht. „Wir befürch­ten eine Fort­dau­er der dis­kri­mi­nie­ren­den Pra­xis vor allem in der Gesund­heits­ver­sor­gung“, so Andrea Kothen.

Posi­tiv im Koali­ti­ons­ver­trag: Flä­chen­de­cken­de Asylverfahrensberatung

Als sehr erfreu­lich bezeich­nen die Orga­ni­sa­tio­nen dage­gen die im Koali­ti­ons­pa­pier ange­streb­te Ein­füh­rung einer flä­chen­de­cken­den behör­den­un­ab­hän­gi­gen Asyl­ver­fah­rens­be­ra­tung und die Ankün­di­gung, vul­nerable Grup­pen von Anfang an zu iden­ti­fi­zie­ren und beson­ders zu unter­stüt­zen. „Wir brau­chen ein­heit­li­che, qua­li­fi­zier­te Iden­ti­fi­zie­rungs­ver­fah­ren in ganz Deutsch­land und eine ent­spre­chen­de Ver­sor­gungs- und Unter­stüt­zungs­struk­tur“, sagt Lau­ra Mül­ler vom Flücht­lings­rat Niedersachsen.

Auch die Ankün­di­gung von pass­ge­nau­en und erreich­ba­ren Inte­gra­ti­ons­kur­sen für „alle ankom­men­den Men­schen“, „von Anfang an“, sehen die Orga­ni­sa­tio­nen posi­tiv: Ange­bo­te für Deutsch­kur­se müs­sen aus­ge­baut und mit Kin­der­be­treu­ung ver­bun­den wer­den. Es ist ein Fort­schritt, wenn die Inte­gra­ti­ons­kur­se zukünf­tig ohne dis­kri­mi­nie­ren­de Unter­schei­dung nach Her­kunfts­staat oder Auf­ent­halts­sta­tus zugäng­lich sind, damit geflüch­te­te Frau­en glei­che Chan­cen auf sozia­le Kom­mu­ni­ka­ti­on, Arbeits- und Aus­bil­dungs­mög­lich­kei­ten haben.

Frau­en, die vor häus­li­cher Gewalt flüch­ten, dür­fen ihr Auf­ent­halts­recht nicht verlieren

Unklar bleibt die Ankün­di­gung bezüg­lich Per­so­nen mit abge­lei­te­tem Auf­ent­halts­recht, wo im Koali­ti­ons­ver­trag vage von einer „prä­zi­se­ren Rege­lung“ die Rede ist. Für die Orga­ni­sa­tio­nen ist klar: Gesetz­lich muss sicher­ge­stellt wer­den, dass eine Frau, die vor häus­li­cher Gewalt flüch­tet, nicht des­halb ihr Auf­ent­halts­recht verliert.

Schließ­lich muss sich die Bun­des­re­gie­rung für den unge­hin­der­ten Zugang zu einem fai­ren, regu­lä­ren Asyl­ver­fah­ren in der EU ein­set­zen. Ver­folg­te Frau­en und Mäd­chen und ande­re vul­nerable Per­so­nen müs­sen beson­de­re Unter­stüt­zung und Schutz erhal­ten. Ob die neue Bun­des­re­gie­rung dem Ziel der Istan­bul-Kon­ven­ti­on, Frau­en und Mäd­chen umfas­send vor Gewalt zu schüt­zen, gerecht wird, ent­schei­det sich nicht zuletzt dar­an, ob es gelingt, dem Asyl­recht an Euro­pas Gren­zen vol­le Gel­tung zu verschaffen.

Einen aus­führ­li­che­ren Über­blick über die For­de­run­gen von PRO ASYL und Flücht­lings­rä­ten zum Schutz von Frau­en und Mäd­chen vor Gewalt fin­den Sie hier.

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