04.08.2023

PRO ASYL kri­ti­siert die Plä­ne des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um für schär­fe­re Regeln bei Abschie­bun­gen scharf und for­dert Innen­mi­nis­te­rin Nan­cy Fae­ser dazu auf, sich in der Migra­ti­ons­po­li­tik von popu­lis­ti­schen For­de­run­gen fern zu hal­ten und den Rechts­staat zu stärken.

„Abschie­bun­gen wer­den immer als ein wich­ti­ger Teil eines funk­tio­nie­ren­den Rechts­staats dar­ge­stellt. Dabei pas­sie­ren bei Abschie­bun­gen über­durch­schnitt­lich vie­le Rechts­ver­let­zun­gen. Dar­über soll­ten wir spre­chen. Nicht dar­über, wie man die Rechts­ver­let­zun­gen aus­wei­ten kann“, sagt Tareq Alaows, flücht­lings­po­li­ti­scher Spre­cher von PRO ASYL.

Das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um hat einen Dis­kus­si­ons­ent­wurf zu Regel­ver­schär­fun­gen beim The­ma Abschie­bun­gen vor­ge­legt. Es reagiert damit auf die ver­gan­ge­nen Flücht­lings­gip­fel und die For­de­run­gen der Länder.

Unhalt­bar: Ver­län­ge­rung des Ausreisegewahrsams

In dem Dis­kus­si­ons­ent­wurf fin­den sich mas­si­ve Ver­schär­fun­gen zur Abschie­bungs­haft und zum Aus­rei­se­ge­wahr­sam. Doch schon jetzt sind 50 Pro­zent der Abschie­bungs­haft-Fäl­le nach­weis­lich und gericht­lich fest­ge­stellt rechts­wid­rig.  Auch gegen den Aus­rei­se­ge­wahr­sam an sich bestehen schon seit ihrer Ein­füh­rung im Jah­re 2015 ver­fas­sungs- und euro­pa­recht­li­che Beden­ken (sie­he auch das EuGH-Urteil vom 30. Juni 2022, Rechts­sa­che C‑72/22 PPU, Ver­fah­ren M. A.). „Denn hier wer­den Men­schen ein­ge­sperrt, die kei­ne Straf­tat began­gen haben. Und die­ser Zustand soll nun noch von zehn auf 28 Tage ver­län­gert wer­den. Das ist unhalt­bar“, sagt Tareq Alaows.

Auch Fae­sers Ver­stoß, dass Ein­rei­se- und Auf­ent­halts­ver­bo­te als eigen­stän­di­ger Haft­grund defi­niert wer­den sol­len und zudem eine Haft­stra­fe mög­lich sein soll, wenn Schutz­su­chen­de im Asyl­ver­fah­ren kei­ne, fal­sche oder unvoll­stän­di­ge Anga­ben zu ihrer Iden­ti­tät machen, ist sehr pro­ble­ma­tisch. Er wider­spricht völ­lig dem Grund­satz der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit für die Abschie­be­haft (Arti­kel 15 Absatz 1 Satz 2 der Rück­füh­rungs­richt­li­nie) und stellt einen mas­si­ven Grund­rech­te­ein­griff für die Betrof­fe­nen dar.

Gegen erwei­ter­te Durch­su­chun­gen bei Abschiebungen 

Recht­lich bedenk­lich ist auch das Vor­ha­ben, wonach die mit der Abschie­bung beauf­trag­ten Beam­ten bei Abschie­bun­gen in Wohn­hei­men auch Räu­me von Men­schen betre­ten dür­fen, die nicht abscho­ben wer­den sol­len. So soll das ohne­hin grund­recht­lich äußerst frag­wür­di­ge Kon­strukt einer Durch­su­chung ohne Durch­su­chungs­be­schluss zum Zwe­cke der Abschie­bung, ein­ge­führt im Jahr 2019, sogar noch auf Neben­räu­me aus­ge­dehnt wer­den. „Das ist ein kla­rer Ver­stoß gegen Arti­kel 13 des Grund­ge­set­zes. Und es ist unzu­mut­bar für die Men­schen in den Wohn­hei­men“, so Alaows.

Denn es bedeu­tet: Wenn eine Abschie­bung aus der Gemein­schafts­un­ter­kunft nachts um 3 Uhr über­ra­schend voll­zo­gen wird, sol­len alle Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner damit rech­nen müs­sen, aus dem Schlaf geris­sen zu wer­den. Und das immer wieder.

Begrün­det wer­den die geplan­ten Ver­schär­fun­gen mit einem ver­meint­li­chen Abschie­be­de­fi­zit aus­rei­se­pflich­ti­ger Ausländer*innen, das wie­der­um zur Belas­tung von Kom­mu­nen bei der Unter­brin­gung füh­ren soll. „Die Rede von einem ver­meint­li­chen Abschie­be­de­fi­zit igno­riert nicht nur die Fak­ten, son­dern bedient sich auch im Wor­ding  ganz rechts außen“; sagt Tareq Alaows, flücht­lings­po­li­ti­scher Spre­cher von PRO ASYL.

Fak­ten anstel­le von Stimmungen 

Zwar stan­den Ende 2022 mehr als 300.000 Aus­rei­se­pflich­ti­ge im Aus­län­der­zen­tral­re­gis­ter, doch es ist davon aus­zu­ge­hen, dass rund 55.000 von ihnen gar nicht mehr in Deutsch­land sind, da Aus­rei­sen nicht erfasst wer­den.  Somit blei­ben rund 250.00 Aus­rei­se­pflich­ti­ge (Ende 2022), von denen ein Groß­teil aus huma­ni­tä­ren, gesund­heit­li­chen oder fami­liä­ren Grün­den gedul­det ist, die Abschie­bung ist also aus­ge­setzt, zum Bei­spiel vie­le Men­schen aus Afgha­ni­stan. (Zah­len sie­he unten)

Zudem leben 136.000 Gedul­de­te – also mehr als die Hälf­te – bereits län­ger als fünf Jah­re in Deutsch­land: Sie kom­men also für das Chan­cen­auf­ent­halts­recht in Fra­ge. „Das heißt: Eine groß­zü­gi­ge Anwen­dung des Chan­cen-Auf­ent­halts­rechts ver­rin­gert die Zahl der Aus­rei­se­pflich­ti­gen“, so Tareq Alaows. Nach jüngs­ten Pres­se­mel­dun­gen ist die Zahl der Aus­rei­se­pflich­ti­gen gesun­ken – auch das könn­te eine Ergeb­nis des Chan­cen-Auf­ent­halts­rechts sein.

PRO ASYL for­dert die Bun­des­in­nen­mi­nis­te­rin sowie die gesam­te Ampel-Koali­ti­on auf, ihre gan­ze Ener­gie dar­auf zu ver­wen­den, die Vor­ha­ben des Koali­ti­ons­ver­trags zu Blei­be­recht, Fami­li­en­nach­zug und Iden­ti­täts­klä­rung umzu­set­zen, statt sich an der flücht­lings­feind­li­chen Stim­mung von rechts außen zu ori­en­tie­ren und die­se auch noch in ver­fas­sungs- und euro­pa­recht­lich höchst bedenk­li­che Geset­ze gie­ßen zu wollen.

Zum Hin­ter­grund:
Fahr­läs­sig ist auch, dass mit sol­chen Vor­schlä­gen immer wie­der der Ein­druck erweckt wird, dass Hun­der­tau­sen­de von Schutz­su­chen­den abge­scho­ben wer­den müss­ten und dass Ihnen in ihren Her­kunfts­län­dern  kei­ne Gefahr dro­he. Doch Ende 2022 befan­den sich unter den rund 250.000 Gedul­de­ten, die rein recht­lich Deutsch­land ver­las­sen müss­ten,  32.000 Men­schen aus dem Irak, 21.000 aus Afgha­ni­stan, 16.000 aus Nige­ria, 14.000 aus der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on und 11.000 aus dem Iran. Allein der Blick auf die Top 5 der Her­kunfts­län­der der Gedul­de­ten und auf die Grö­ßen­ord­nung der Zah­len belegt also die Unred­lich­keit der Debat­ten um Aus­rei­se­pflich­ti­ge und zu weni­ge Abschie­bun­gen. Eben­so die Tat­sa­che, dass 136.000 Gedul­de­te – also mehr als die Hälf­te – bereits län­ger als fünf Jah­re in Deutsch­land leben.

 

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