31.08.2020

Anläss­lich des Jah­res­ta­ges des Sat­zes „Wir schaf­fen das“ zieht PRO ASYL Bilanz: Die Auf­nah­me und Inte­gra­ti­on ist ins­ge­samt viel bes­ser gelun­gen, als Pessimist*innen und ras­sis­tisch Ein­ge­stell­te erwar­tet hät­ten, obwohl die Bun­des­re­gie­rung seit Herbst 2015 auf eine inte­gra­ti­ons­er­schwe­ren­de Abwehr­po­li­tik umschwenk­te. „Die seit Jah­ren lau­fen­de Debat­te um ver­mehr­te Abschie­bun­gen trotz dra­ma­ti­scher Situa­ti­on in den Haupt­her­kunfts­län­dern ist aller­dings ein inte­gra­ti­ons­po­li­ti­scher Brems­klotz“, bilan­zier­te Gün­ter Burk­hardt, Geschäfts­füh­rer von Pro Asyl. „Angst nimmt die Ener­gie für Arbeit­su­che, sozia­le Kon­tak­te, Spra­che lernen.“

Dabei ist weder nach Syri­en noch nach Afgha­ni­stan eine Rück­kehr in abseh­ba­rer Zeit in Sicht. Syri­en liegt in Schutt und Asche. In Afgha­ni­stan droht die Rück­kehr der Tali­ban an die Macht. Dies waren die bei­den Haupt­her­kunfts­län­der 2015. In der Zwi­schen­zeit ent­wi­ckelt sich das Durch­gangs­land Tür­kei unter Erdo­gan immer mehr zu einem flucht­aus­lö­sen­den Fak­tor. Nach dem Ein­marsch der tür­ki­schen Armee sind in Nord­sy­ri­en Hun­der­tau­sen­de auf der Flucht. Gleich­zei­tig suchen von Erdo­gan Ver­folg­te zuneh­mend in Deutsch­land Schutz. Der EU-Tür­kei-Deal hat zu Slum­la­gern an der EU-Außen­gren­ze geführt und ver­sperrt den Zugang zu dem Recht auf Asyl.

Trotz die­ser Abwehr­po­li­tik, für die die Bun­des­re­gie­rung mit­ver­ant­wort­lich ist, ist die Auf­nah­me von 890.000 Geflüch­te­ten im Jahr 2015 eine Erfolgs­ge­schich­te, die zeigt: #offen­geht! Die Unter­gangs- und Schre­ckens­sze­na­ri­en, die die Auf­nah­me von Flücht­lin­gen regel­mä­ßig beglei­te­ten, wur­den regel­mä­ßig wider­legt – dank der Men­schen, die zu uns kamen und dank der Men­schen, die sich für sie ein­ge­setzt haben.

Deutsch­land muss und kann auch gegen­wär­tig eine erheb­li­che Zahl von Schutz­su­chen­den auf­neh­men. Vie­le Flücht­lings­un­ter­künf­te in den Kom­mu­nen ste­hen leer oder kön­nen kurz­fris­tig reak­ti­viert wer­den, die Bereit­schaft zu Unter­stüt­zung und Enga­ge­ment ist bei Haupt- und Ehren­amt­li­chen unge­bro­chen. Gleich­zei­tig ver­zwei­feln Flücht­lin­ge in Elend­sla­gern auf den grie­chi­schen Inseln, auf der Bal­kan­rou­te und vor den Toren Euro­pas, u.a. in der Tür­kei, im Liba­non und in dem Fol­ter­staat Libyen.

Ange­sichts ihrer Schick­sa­le ist die aktu­el­le Poli­tik der Bun­des­re­gie­rung von Kalt­her­zig­keit und Klein­mut geprägt.

Zusam­men­fas­sen­der Über­blick über die Geset­zes­ver­schär­fun­gen seit 2015 

»Asyl­pa­ket I«, Ende Sep­tem­ber 2015: U.a. das mit dem Asyl­pa­ket beschlos­se­ne »Asyl­ver­fah­rens­be­schleu­ni­gungs­ge­setz« hat zur Fol­ge: Geflüch­te­te wer­den auf­grund ihrer Her­kunft für die Teil­nah­me an Inte­gra­ti­ons­kur­sen pau­schal in Men­schen mit »guter« oder »schlech­ter« Blei­be­per­spek­ti­ve ein­ge­teilt, mit der Fol­ge, dass der Zugang zu Inte­gra­ti­ons­kur­sen und Arbeits­markt erschwert wird. Der Auf­ent­halt in Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen wird von drei auf sechs Mona­te erhöht, für Per­so­nen aus »siche­ren Her­kunfts­staa­ten« wird eine Befris­tung gänz­lich aufgehoben.

»Asyl­pa­ket II« Anfang 2016: Das mit dem zwei­ten Asyl­pa­ket beschlos­se­ne »Gesetz zur Ein­füh­rung beschleu­nig­ter Asyl­ver­fah­re hat zur Fol­ge: Für sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­te  – also für einen gro­ßen Teil der Geflüch­te­ten – wird bis zum 16.03.2018 der Fami­li­en­nach­zug aus­ge­setzt, es wer­den Schnell­ver­fah­ren in »Beson­de­ren Auf­nah­me­ein­rich­tun­gen« ver­ab­schie­det und es wird die Abschie­bung von kran­ken Men­schen erleich­tert. Der dama­li­ge Men­schen­rechts­be­auf­trag­te der Bun­des­re­gie­rung Chris­toph Sträs­ser tritt aus Pro­test zurück. Par­al­lel sin­ken die Zah­len der Flücht­lings­an­er­ken­nung von Asyl­su­chen­den aus Syri­en ste­tig, so dass immer mehr nur noch den sub­si­diä­ren Schutz­sta­tus erhal­ten, also von der Aus­set­zung des Fami­li­en­nach­zugs betrof­fen sind (2015 lag die Flücht­lings­an­er­ken­nung von Syrer*innen noch bei 99,7 %, 2016 schon nur noch bei 58%, 2017 nur noch bei 38 %, sie­he berei­nig­te Schutz­quo­te errech­net aus den BAMF-Zah­len aus den jähr­li­chen Antrags‑, Ent­schei­dungs- und Bestands­sta­tis­ti­ken)

»Ers­tes Hau-Ab-Gesetz«, Mit­te 2017: Seit dem »Gesetz zur bes­se­ren Durch­set­zung der Aus­rei­se­pflicht« kön­nen die Bun­des­län­der Geflüch­te­te bis zum Ende ihres Asyl­ver­fah­rens (maxi­mal zwei Jah­re) in Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen unter­brin­gen anstatt sie auf die Kom­mu­nen zu ver­tei­len. Aus­rei­se­ge­wahr­sam ist nun län­ger mög­lich. Die Regeln zur Abschie­bungs­haft wer­den wei­ter ver­schärft, um die­se auszuweiten.

Fami­li­en­nach­zugs­re­ge­lung, Som­mer 2018: Ent­ge­gen der Hoff­nun­gen vie­ler sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­ten, dass die 2‑jährige Aus­set­zung des Fami­li­en­nach­zugs am 16.03.2018 aus­läuft und das Recht auf Fami­li­en­ein­heit grund­sätz­lich wie­der her­ge­stellt wird, wird mit dem »Gesetz zur Neu­re­ge­lung des Fami­li­en­nach­zugs zu sub­si­di­är Schutz­be­rech­tig­ten« vom 12.07.2018 beschlos­sen, dass zum 01.08.2018 monat­lich ledig­lich bis zu 1.000 Ange­hö­ri­ge zu ihren Ver­wand­ten nach Deutsch­land ein­rei­sen dürfen.

»Des­in­te­gra­ti­ons­ge­setz«, August 2018: Seit dem soge­nann­ten »Inte­gra­ti­ons­ge­setz“ kön­nen bei Asylbewerber*innen, die angeb­lich ihre Mit­wir­kungs­pflicht ver­let­zen, Sozi­al­leis­tun­gen noch wei­ter gekürzt wer­den. Das Auf­ent­halts­recht wird wei­ter ver­schärft, es wird eine Wohn­sitz­auf­la­ge für die Zeit nach einer Aner­ken­nung ein­ge­führt (ein Instru­ment, das vie­len Geflüch­te­ten den Wech­sel des Wohn­or­tes und die Arbeits­su­che erschwert).

»Zwei­tes Hau-Ab-Gesetz«, August 2019: Das »Zwei­te Gesetz zur bes­se­ren Durch­set­zung der Aus­rei­se­pflicht« vom Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um euphe­mis­tisch »Geord­ne­te-Rück­kehr-Gesetz« genannt, hat beson­ders vie­le Ver­schär­fun­gen: Trotz Krank­heit soll ver­stärkt abge­scho­ben wer­den. Die neu ein­ge­führ­te »Dul­dung light« führt zum Arbeits­ver­bot, der Weg in ein Blei­be­recht wird ver­sperrt. Alle Asylbewerber*innen (bis auf Fami­li­en mit Kin­dern) kön­nen nun bis zu 18 Mona­te in Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen fest­ge­hal­ten wer­den, man­che Grup­pen noch län­ger. Zum Bei­spiel all die­je­ni­gen, die in ein ande­res EU-Land abge­scho­ben wer­den sol­len. Eine Bilanz nach einem Jahr „Zwei­tes Hau-Ab-Gesetz“ von PRO ASYL fin­den Sie hier.

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