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Zur Qualitätsdebatte: Das zynische Spiel mit Zahlen
Der Druck der Bundesregierung, gerade vor dem Bundestagswahljahr 2017 massenweise Asylanträge abzuarbeiten, führte zu einer enormen, fehlerträchtigen Entscheidungshektik beim BAMF. Zusätzlich mussten die ohnehin überlasteten Behörden eine Gesetzesänderung nach der nächsten umsetzen. PRO ASYL warnte bereits früh vor den Folgen.
Bereits im November 2016 hatte ein Zusammenschluss von zwölf Wohlfahrtsverbänden, Anwalts- und Richtervereinigungen sowie Menschenrechtsorganisationen im November 2016 die Studie »Memorandum für faire und sorgfältige Asylverfahren in Deutschland« veröffentlicht. Das Ergebnis der Studie zeigt die Konsequenzen der Vorgaben aus dem Bundesinnenministerium und Kanzleramt auf: Zeit für eine sorgfältige Anhörung mit ausreichender Sachverhaltsaufklärung? Mangelware.
Ende 2015 hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 364.664 Verfahren auf dem Tisch, im darauffolgenden Jahr 433.719. Die hastige Abarbeitung ging zu Lasten der Qualität: Neue Mitarbeiter*innen wurden unzureichend geschult, Dolmetscher*innen waren nicht ausreichend qualifiziert. Die Trennung der anhörenden und der letztlich entscheidenden Person sowie die fehlende Qualitätskontrolle innerhalb der Behörde führten zu erheblichen qualitativen Mängeln. Die Gerichtsstatistiken bestätigen die Erkenntnisse dieser Studie.
Viele Klagen sind erfolgreich
372.443 Asylverfahren sind vor den Verwaltungsgerichten anhängig (Ende 2017, Bundestag-Drucksache 19/1371, S. 51) – das ist fast das Dreifache im Vergleich zu 2016 und rund das Sechsfache zu 2015. Die Richter*innen klagen zu Recht über die fehlende Sachverhaltsaufklärung beim BAMF. Gegen ablehnende Entscheidungen klagt fast jede*r Betroffene (91,3 % zum Stand 15.02.2018, S. 50).
Öffentlich wird suggeriert, die Klagen würden grundlos erhoben. Dabei steigt die Erfolgsquote vor Gericht vor allem seit 2015 – also seit dem Jahr, in dem das Bundesamt rapide massenweise Anträge zu entscheiden hatte – stetig an. Während 2015 die Erfolgsquote noch bei 4,3 % lag, lag sie im Jahr 2017 schon bei über 22 % (S. 38 ff.). 32.522 Menschen also haben 2017 überhaupt erst vor Gericht Schutz oder einen besseren Schutzstatus erhalten.
Was sind die »sonstigen Erledigungen«?
Bei der Interpretation dieser Zahlen muss man beachten: Die Statistiken enthalten in der Regel die »unbereinigte Quote«. Das bedeutet, als Ablehnung zählen auch solche Fälle, in denen Verfahren als »sonstig erledigt« gelten. Das macht fast die Hälfte der abgeschlossenen Verfahren aus (45,5 %, S. 38).
Das heißt, fast jeder zweite gewinnt vor Gericht.
Tatsächlich kann eine Verfahrenserledigung beispielsweise durch eine Rücknahme seitens der Antragsteller erfolgen oder indem sie das Verfahren nicht weiter betreiben. Genauso gut kann aber ein Verfahren aber auch dann für erledigt erklärt werden, wenn das Bundesamt außergerichtlich einen Schutz zuspricht und damit das Klageverfahren obsolet wird oder wenn Anträge von mehreren Familienmitgliedern in einem Verfahren zusammengelegt werden.
Letztlich lässt sich aus dieser Zahl der Erledigungen nichts über die Schutzbedürftigkeit der Betroffenen ableiten, weshalb bei der Berechnung von Erfolgsquoten diese Verfahrenserledigungen herausgerechnet werden sollten (sog. »bereinigte Quote«). Damit ergibt sich sogar ein noch eindeutigerer Trend der Gerichtsquoten: 2015 hatten knapp 30 % Erfolg vor Gericht, im Jahr 2017 schon über 40 % (S. 38 ff.). Das heißt, fast jeder zweite gewinnt vor Gericht.
Quoten klein reden verkennt die Realität
Auch die Behauptung, die hohe Erfolgsquote läge nur an den Verwaltungsgerichten, die Syrer*innen statt des subsidiären Schutzes die volle Flüchtlingsanerkennung zusprechen (sog. Aufstockungsklagen), verkennt die steigende Tendenz. Denn selbst ohne diese Aufstockungsklagen der subsidiär Schutzberechtigten ging die Erfolgsquote der übrigen Klagen von rund 12 % im Jahr 2016 auf fast 27 % im Jahr 2017 (S. 38, 43 ff.) hoch (bereinigte Quoten).
Statt diese Quoten klein zu reden, ist die Entwicklung der Zahlen eindeutig. Von einer behaupteten missbräuchlichen Inanspruchnahme von Rechtsmitteln kann nicht die Rede sein (dazu Bundesrechtsanwaltskammer sowie Deutscher Anwaltsverein). Erst Recht wird vor diesem Hintergrund unverständlich, die schon jetzt im Asylbereich bestehenden eingeschränkten Verfahrensrechte vor Gericht nicht dem allgemeinen Verwaltungsprozessrecht anzugleichen – so wie es von den Bundesländern Hamburg, Berlin, Brandenburg und Bremen zumindest teilweise gefordert wird.
(beb)