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Zivilgesellschaft in Mali: »Die Rechte von Flüchtlingen zu schützen, steht für uns im Zentrum«
In Mali wehrt sich die Zivilgesellschaft gegen eine Migrationspartnerschaft mit der EU. Der Jurist Mamadou Konaté von der malischen Hilfsorganisation Association Malienne des Expulsés (AME) in Bamako berichtet im Interview mit PRO ASYL, welche Auswirkungen die EU-Abschottungspolitik hat und wie es abgeschobenen Flüchtlingen in Mali ergeht.
Mamadou, vor einigen Jahren wurde viel über den gewaltsamen Konflikt im Norden Malis berichtet. Inzwischen ist Mali aus den deutschen Medien weitgehend verschwunden. Daher vorweg die Frage: Wie ist die Situation heute?
Kidal, eine der drei Regionen im Norden, die von Djihadisten besetzt waren, ist noch immer nicht unter Kontrolle der Regierung. Auch in Zentralmali, in der Region Mopti und in Teilen von Ségou, ist die Situation schlecht: Es gibt viele Attentate, Entführungen und Angriffe auf die Bevölkerung. Auch im Westen und Süden ist die Sicherheitslage angespannt.
Dennoch werden zurzeit viele Malier*innen abgeschoben. Sie werden in Libyen verhaftet und zurückgebracht oder aus europäischen Staaten, vor allem Frankreich, oder anderen afrikanischen Ländern wie Algerien, Angola oder Äquatorial-Guinea abgeschoben. Diese Menschen kommen ohne irgendeine Hilfe oder Begleitung in Mali an.
Was könnt ihr tun und worin genau besteht die Arbeit von AME?
Wir setzen uns für die Rechte von Abgeschobenen ein und leisten konkrete Hilfe. Wir holen die Menschen am Flughafen ab und sorgen für eine erste Orientierung. Sie bekommen bei uns eine Unterkunft für die ersten Tage und bei Bedarf medizinische Versorgung. Oft sind die Menschen verstört nach dem, was sie erlebt haben.
Ihr bietet auch über eine erste Notversorgung hinaus Unterstützung an. Was ist die größte Herausforderung dabei?
Angesichts der ohnehin erdrückenden Arbeitslosigkeit vor allem junger Menschen in Mali ist die Integration in den Arbeitsmarkt sehr schwer. Dabei ist es egal, ob die Menschen freiwillig zurückgekommen sind oder abgeschoben wurden.
Bei Abgeschobenen wird oft vermutet, sie hätten sich etwas zu Schulden kommen lassen oder seien kriminell geworden. Schließlich müsse es ja einen Grund für ihre Abschiebung geben. Dieses Denken erschwert die Reintegration in den lokalen Arbeitsmarkt zusätzlich. Manchmal haben sogar die eigenen Verwandten eine solche Haltung. Wir versuchen dann, zu vermitteln und den Kontakt zur Familie herzustellen.
Setzt ihr da auch mit eurer Öffentlichkeitsarbeit an?
Ja, wir versuchen in Mali, aber auch auf internationaler Ebene, auf die Situation der Rückkehrer*innen aufmerksam zu machen. Wir informieren über die Migrationspolitik in Mali und in Europa und darüber, welche Konsequenzen diese Politik für Migrant*innen und Flüchtlinge hat.
AME bietet Abgeschobenen auch Unterstützung bei juristischen Problemen. Kannst du uns Beispiele nennen?
Selbst illegalisierte Migrant*innen haben oft jahrelang im Ausland gelebt, haben Sozialabgaben gezahlt, ein Konto eröffnet. Wer über Nacht abgeschoben wird, hat keine Zeit, sein Geld abzuheben. Wir versuchen, das zu regeln. Zudem vertreten wir Menschen, die bei der Abschiebung oder im Gefängnis physische Gewalt erlitten haben.
Wir prüfen auch, ob Abschiebungen generell rechtmäßig waren. Manchmal wird nur ein Teil der Familie abgeschoben, dann versuchen wir, sie wieder zusammenzubringen. Dabei arbeiten wir vor allem mit französischen Menschenrechtsorganisationen zusammen, denn die Klagen müssen im Aufnahmeland eingereicht werden. Aber es passiert nur selten, dass Abgeschobene zurückkehren können. Ich habe das zweimal erlebt: einmal ging es um einen Familiennachzug, einmal bestand ein gültiger Arbeitsvertrag und der Arbeitgeber hat sich sehr für die Rückkehr engagiert.
Das Ergebnis ist meist, dass es mehr Abschiebungen von Europa in die afrikanischen Staaten oder zwischen afrikanischen Staaten gibt. Flüchtlinge und Migrant*innen sind die Leidtragenden dieser Politik.
Ihr dokumentiert seit Langem die Geschehnisse rund um Flucht und Migration in der Region. Was sind aktuell die drängendsten Themen?
Die Rechte der Flüchtlinge und Migrant*innen zu schützen, steht für uns im Zentrum. Dazu gehört die Freizügigkeit – sei es in Afrika oder in Europa. Für uns ist das ein Recht, das jedem Menschen zusteht.
Leider gibt es politische Prozesse, die von der EU allein oder gemeinsam mit der Afrikanischen Union in Gang gebracht wurden, die sich stark auf die Situation von Flüchtlingen und Migrant*innen in Afrika auswirken: sei es der Khartoum-Prozess, der Rabat-Prozess oder der Gipfel von Valletta 2015.
Das Ergebnis ist meist, dass es mehr Abschiebungen von Europa in die afrikanischen Staaten oder zwischen afrikanischen Staaten gibt. Flüchtlinge und Migrant*innen sind die Leidtragenden dieser Politik. Umgekehrt hat leider bisher kein EU-Mitgliedstaat die UN-Konvention für die Rechte der Wanderarbeiter*innen unterzeichnet.
Die EU möchte die Kooperation mit Transit- und Herkunftsländern in der Sahel-Region ausbauen. Die Polizei- und Militärtruppe »G5 Sahel Joint Force« wird aufgerüstet, auch um Fluchtbewegungen Richtung Libyen zu verhindern. Wie beurteilst du das?
Uns beunruhigen vor allem die zunehmenden Grenzkontrollen. Jahrelang hat man in unserem Teil Afrikas daran gearbeitet, Grenzen abzubauen, um der Bevölkerung Freizügigkeit im Gebiet der ECOWAS zu ermöglichen, der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft. Nun liegt der Fokus wieder auf strengeren Grenzkontrollen. Es gibt reale Sicherheitsprobleme, aber es gibt auch ein etabliertes Recht auf Freizügigkeit in diesem Gebiet!
Aufgrund der Migrationspolitik wird es immer schwieriger, sich frei zu bewegen. Transitländer wie Mali oder Niger stehen unter hohem politischen Druck der EU. Wir finden das inakzeptabel, zumal beide Länder nicht nur Transitstaaten, sondern auch Herkunftsländer vieler Flüchtlinge und Migrant*innen sind.
Insbesondere mit Niger hat die EU seit 2016 die Zusammenarbeit über den Migrationspartnerschaftsrahmen ausgebaut. Wie wirkt sich das aus? Und wie verläuft die Debatte in Mali?
In Niger gibt es in bestimmten Regionen verstärkt Patrouillen. Die IOM hat ein Orientierungszentrum in Agadez aufgebaut und vermeldet, die Zahl der Transitflüchtlinge in Niger sei gesunken. Vermutlich sind viele Menschen aber nur auf eine andere Route ausgewichen.
Die Frage der Kooperation mit der EU ist eine sensible Angelegenheit. In Mali wurde die Debatte um eine mögliche Unterzeichnung eines Rückübernahmeabkommens Anfang 2017 sehr kontrovers geführt. Die Bevölkerung war sehr aufgebracht und am Ende wurde der Vertrag nicht unterzeichnet.
Über den EU-Treuhandfonds für Afrika sollen auch Projekte zur »Bekämpfung von Fluchtursachen« finanziert werden. Was hältst du davon?
Fluchtursachen zu bekämpfen ist gut, wenn dadurch Unterentwicklung reduziert und die Lebensbedingungen der Menschen verbessert werden. Wir finden diesen Fonds allerdings verwirrend. Die Verteilung der Gelder ist alles andere als transparent. Es wird gesagt, der Fonds diene der Bekämpfung von Fluchtursachen, gleichzeitig aber finanzieren die Staaten darüber Maßnahmen, die auf den Ausbau der Ordnungskräfte und verstärkte Migrations- und Grenzkontrollen abzielen. Alles wird einfach in einen großen Topf geworfen.
Problematisch ist auch, dass diese Gelder für Akteure der Zivilgesellschaft in Mali faktisch unzugänglich sind. Nur die großen Organisationen und Kooperationsagenturen haben Zugang zu diesem Fonds.
AME ist regional gut vernetzt. Gibt es länderübergreifende Initiativen als Reaktion auf den europäischen Vorstoß?
In Westafrika bildet sich gerade ein neues Netzwerk lokaler Initiativen. Ziel ist eine enge Kooperation und der Austausch über alle migrationsrelevanten Fragen vom Grenzschutz, über Ausweisungen bis hin zur Diskussion über den Aufbau möglicher Asylzentren in Niger. Wir wollen und müssen dazu gemeinsame Positionen entwickeln.
Das Gespräch führte Judith Kopp, PRO ASYL.
(Dieses Interview erschien erstmals im Heft zum Tag des Flüchtlings 2018.)