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Weit über 10.000 Menschen stecken in Idomeni, an der Grenze zu Mazedonien, fest. Die Hälfte davon sind Kinder, so Schätzungen. Foto: Björn Kietzmann

Die Balkanroute ist dicht, tausende Flüchtlinge sitzen seitdem im Grenzort Idomeni fest. Die Bedingungen dort sind erbärmlich: Durch tagelangen Regen sind die Menschen durchnässt, die provisorische Zeltstadt steht mitten im Schlamm. Mitarbeiterinnen des PRO ASYL – Projekts in Griechenland RSPA berichten aus Idomeni:

Nach Slo­we­ni­en, Kroa­ti­en und Ser­bi­en hat auch Maze­do­ni­en sei­ne Gren­ze für Flücht­lin­ge geschlos­sen. Nur noch Per­so­nen mit gül­ti­gen Rei­se­päs­sen und Visa kön­nen ein­rei­sen. Seit Anfang der Woche hat kein ein­zi­ger Flücht­ling die Gren­ze über­quert – die Men­schen ste­cken im Grenz­ort Ido­me­ni fest. Die letz­ten Tage haben ins­be­son­de­re Fami­li­en ange­fan­gen, den Ort zu ver­las­sen.  Am Don­ners­tag sol­len bereits 600 Men­schen ihre Sachen gepackt haben. Wo sie nun unter­kom­men sol­len, ist unklar.

Über 40.000 Men­schen sit­zen in Grie­chen­land fest

In Grie­chen­land sit­zen mitt­ler­wei­le schät­zungs­wei­se 42.000 Men­schen fest, mehr als 13.000 davon har­ren momen­tan direkt an der Gren­ze in Ido­me­ni aus – dar­un­ter Men­schen mit Behin­de­run­gen, Alte, Schwan­ge­re und sogar Neu­ge­bo­re­ne. Ins­ge­samt wird geschätzt, dass die Hälf­te der Flücht­lin­ge, die sich momen­tan in Ido­me­ni befin­den, Kin­der sind. Für sie ist es im nass­kal­ten Dreck des pro­vi­so­ri­schen Zelt­camps beson­ders schlimm: Eini­ge wur­den bereits mit Atem­pro­ble­men, schwe­ren Erkäl­tun­gen oder einem Magen-Darm-Virus ins Bezirks­kran­ken­haus gebracht.

„Wir erle­ben hier einen zwei­ten Krieg“

“Wir ster­ben hier lang­sam“, sagt Adam, ein jun­ger Mann aus Damas­kus. Seit mehr als zwei Wochen war­tet er in einem Zelt in Ido­me­ni, immer in der Hoff­nung, dass in Brüs­sel eine posi­ti­ve Ent­schei­dung über das Schick­sal der in Grie­chen­land fest­sit­zen­den Schutz­su­chen­den gefällt wird. Vor der kom­plet­ten Schlie­ßung wur­den durch die Behör­den bereits schritt­wei­se die Ein­rei­se­be­stim­mun­gen ver­schärft. Erst durf­ten nur Schutz­su­chen­de aus bestimm­ten Staa­ten pas­sie­ren, zuletzt wur­den auch Schutz­su­chen­de aus Gebie­ten, die als befrie­det gal­ten, nicht mehr durch­ge­las­sen – so zum Bei­spiel Men­schen, die aus Bag­dad oder Damas­kus stamm­ten. „Ich bin aus der Staats­ar­mee deser­tiert, weil ich an die­sen Bür­ger­krieg nicht teil­neh­men woll­te”, sagt Adam dazu. „Wenn ich nach Syri­en zurück­keh­re, bin ich gleich tot.“

Adam will es trotz­dem wei­ter ver­su­chen: “Für die­je­ni­gen, die Geld haben, gibt es auch ande­re Wege, mit Hil­fe von Schlep­pern”, ist er sich sicher. Ein ande­rer syri­scher Mann, der bereits sei­ne Frau und sei­ne Toch­ter im Krieg ver­lo­ren hat, fragt sich wütend, war­um nicht wenigs­tens ande­re Län­der den Flücht­lin­gen hel­fen, wenn Euro­pa sich wei­ge­re: “Wir erle­ben hier einen zwei­ten Krieg“, sagt er. „Euro­pa sagt, es ist voll mit Flücht­lin­gen. Aber was ist mit ande­ren Län­dern, mit den USA oder Australien?”

Aus­har­ren in der Hoff­nung auf Humanität

Mujeeb, ein 20-jäh­ri­ger Afgha­ne aus der Regi­on Par­wan, ist davon über­zeugt, dass die Gren­ze nicht wie­der geöff­net wird. Er will aber trotz­dem noch ein paar Tage blei­ben, um auf Num­mer sicher zu gehen. „Die Isla­mis­ten vom Daesh haben gedroht, mich zu töten, wenn ich wei­ter Eng­lisch stu­die­re”, sagt er.  Sei­nen grü­nen Stu­den­ten­aus­weis hat er noch in sei­ner Hosen­ta­sche. Da sei­ne Fami­lie kein Zelt hat, war­ten sie auf dem Bahn­steig, mit Ret­tungs­de­cken um ihre Kör­per geschlungen.

Auch Mar­wan ist schon fast zwei Wochen hier. Er sitzt erschöpft mit sei­ner Frau und den zwei Kin­dern in einem win­zi­gen Zelt, nur ein paar Meter vom Grenz­zaun ent­fernt. Die Zel­te sind alle dicht neben­ein­an­der auf­ge­stellt, Abwäs­ser von den che­mi­schen Toi­let­ten flie­ßen über den Boden und sogar in die Zel­te, genau dort­hin, wo die Kin­der spie­len und schlafen.

Mar­wan ist Jesi­de aus dem Irak. Drei sei­ner Kin­der hat­te er schon vor ein paar Mona­ten mit Hil­fe eines Schlep­pers nach Deutsch­land geschickt, sie sind in einer Unter­kunft in Han­no­ver. “Wir muss­ten weg. Unser Leben war akut in Gefahr“, seufzt Mar­wan und zeigt uns in sei­nem Han­dy Bil­der sei­ner Ver­wand­ten, die durch Daesh getö­tet wur­den. Noch war­tet er gedul­dig in Ido­me­ni wei­ter, in der stil­len Hoff­nung, dass die Gren­ze doch noch geöff­net wer­de. „Vie­le der Flücht­lin­ge sind gar nicht infor­miert, dass alle Gren­zen ent­lang der Bal­kan­rou­te geschlos­sen sind”, beob­ach­tet eine Aktivistin.

Die euro­päi­sche Relo­ca­ti­on-Lösung funk­tio­niert nicht

Als gro­ße Lösung für die Flücht­lin­ge hat­te die EU im ver­gan­ge­nen Sep­tem­ber das Relo­ca­ti­on-Pro­gramm prä­sen­tiert. Auch Mar­wan wur­de über die­se Mög­lich­keit infor­miert. Doch seit dem Beschluss vor 6 Mona­ten wur­den nur 536 der geplan­ten 66.400 Umsied­lun­gen aus Grie­chen­land in ande­re EU-Län­der tat­säch­lich durch­ge­führt. Vor den Con­tai­nern des UNHCR bil­den sich trotz­dem lan­ge Schlan­gen, vie­le Flücht­lin­ge wol­len sich über das Relo­ca­ti­on-Pro­gramm infor­mie­ren und hof­fen, auf die­se Wei­se in ein Land zu kom­men, in dem sie ver­nünf­tig unter­ge­bracht wer­den. Denn das Camp in Ido­me­ni, einst nur Tran­sit­sta­ti­on und für 2.000 Per­so­nen aus­ge­legt, hat sich zu einem rie­si­gen Schlamm­feld ver­wan­delt, auch Hel­fer und Ehren­amt­li­che sind mitt­ler­wei­le überfordert.

Flücht­lin­gen in Grie­chen­land droht das Leben auf der Straße 

In Grie­chen­land gibt es kein funk­tio­nie­ren­des Asyl­sys­tem für Zehn­tau­sen­de. Die Auf­nah­me­struk­tu­ren in Land rei­chen nicht aus. Ins­ge­samt beträgt die maxi­ma­le Kapa­zi­tät der, im gan­zen Land ver­teil­ten, Unter­künf­te aller­höchs­tens 30.000 Plät­ze, wie die grie­chi­sche Regie­rung mit­teilt. Dar­un­ter sind vie­le Sta­di­en, Mili­tär­ba­ra­cken oder leer­ste­hen­de Indus­trie­bau­ten, in denen Flücht­lin­ge unter­ge­bracht wer­den. Am Sonn­tag hat­te die grie­chi­sche Regie­rung zwar ange­kün­digt, bis Ende der Woche 15 wei­te­re „Hot Spots“ mit einer Kapa­zi­tät von ins­ge­samt 17.400 Plät­zen ein­zu­rich­ten, doch beim Bau die­ser Struk­tu­ren kön­nen kei­ne maß­geb­li­chen Fort­schrit­te beob­ach­tet werden.

Wenn das Camp in Ido­me­ni geräumt wird, ist zu befürch­ten, dass vie­le der Flücht­lin­ge letzt­lich auf der Stra­ße lan­den wer­den.  Von den­je­ni­gen, die den Grenz­ort bereits ver­las­sen haben, befin­den sich vie­le wie­der in Athen, wo die Auf­nah­me­struk­tu­ren bereits über­las­tet sind.

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