08.05.2024
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Bei ihrem Bundesparteitag hat die CDU ein neues Grundsatzprogramm beschlossen. Hierzu gehört eine Passage, die einen Rückzug Europas aus dem weltweiten Flüchtlingsschutz vorsieht. Das würde nicht nur fliehende Menschen noch mehr gefährden, es ist auch eine Kehrtwende, die Menschenrechte und den Rechtsstaat massiv in Frage stellt.

Das neue Grund­satz­pro­gramm der CDU ist im Bereich des Flücht­lings­schut­zes nicht nur ein­fach eine »Kurs­kor­rek­tur«, son­dern könn­te zur Abriss­bir­ne für den Flücht­lings­schutz in Euro­pa mit dra­ma­ti­schen Aus­wir­kun­gen für das euro­päi­sche Men­schen­rechts­sys­tem ins­ge­samt wer­den. Die gefähr­li­chen Vor­schlä­ge fin­den sich auch bereits im Euro­pa­wahl­pro­gramm der CDU.

Das am 7. Mai 2024 ver­ab­schie­de­te Grund­satz­pro­gramm sieht vor, dass schutz­su­chen­de Men­schen in Euro­pa nicht län­ger Schutz nach der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on und dem euro­päi­schen Recht bekom­men sol­len. Statt­des­sen soll »[j]eder, der in Euro­pa Asyl bean­tragt, […] in einen siche­ren Dritt­staat über­führt wer­den und dort ein Ver­fah­ren durch­lau­fen. Im Fal­le eines posi­ti­ven Aus­gangs wird der siche­re Dritt­staat dem Antrag­stel­ler vor Ort Schutz gewäh­ren« (Wort­laut im bis­her vor­lie­gen­den Pro­gramm­ent­wurf).

Zwar bekennt sich die Par­tei in dem Pro­gramm zur Ach­tung der Wür­de des ein­zel­nen Men­schen, zu den Grund- und Men­schen­rech­ten sowie zum Rechts­staat. Auch die beson­de­re his­to­ri­sche Ver­ant­wor­tung Deutsch­lands im Kampf gegen Anti­se­mi­tis­mus, Ras­sis­mus und Men­schen­ver­ach­tung wird ange­spro­chen. Dies passt jedoch nicht zu dem »grund­le­gen­den Wan­del des euro­päi­schen Asyl­recht«, mit dem das Asyl­recht in Euro­pa fak­tisch abge­schafft wer­den soll – obwohl auch dies eine Leh­re aus den Ver­bre­chen des zwei­ten Welt­kriegs war.

Großbritannien als fragwürdiges Vorbild

Als kon­kre­tes Vor­bild haben sich eini­ge CDU-Politiker*innen – vor­ne weg der stell­ver­tre­ten­de Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de Jens Spahn und der innen­po­li­ti­sche Spre­cher Alex­an­der Throm – das bri­ti­sche Ruan­da-Modell genom­men. Dabei zeigt gera­de die­ses Bei­spiel, wel­cher Irr­weg eine sol­che Aus­la­ge­rungs­po­li­tik ist. Seit 2020 ver­sucht die bri­ti­sche Regie­rung unter wech­seln­den Ministerpräsident*innen schutz­su­chen­de Men­schen in das ost­afri­ka­ni­sche Land Ruan­da abzu­schie­ben – bis­lang ohne Erfolg. Seit Beginn die­ser Poli­tik, mit der die Kanal­über­fahr­ten erklär­ter­ma­ßen gestoppt wer­den soll­te, sind die­se gestie­gen und sind Men­schen wei­ter­hin bei dem Ver­such der Über­fahrt gestor­ben, die Anzahl der nicht-ent­schie­de­nen Asyl­ver­fah­ren ist in die Höhe geschnellt,  die Kos­ten des bri­ti­schen Asyl­sys­tems haben sich ver­viel­facht und Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen stel­len fest, dass poten­ti­ell von Abschie­bun­gen nach Ruan­da betrof­fe­ne Men­schen den Kon­takt zu Behör­den mei­den und eine erhöh­te Gefahr der Sui­zi­da­li­tät haben. Eigent­lich hat­te der  Obers­te Gerichts­hof Groß­bri­tan­ni­ens die Abschie­bungs­plä­ne im Novem­ber 2023 gestoppt, da Ruan­da eben kein »siche­res Land« sei.

Doch wenn Politiker*innen, wie der bri­ti­sche Regie­rungs­chef Sunak, sich selbst in eine Sack­gas­se gesteu­ert und ihre poli­ti­sche Kar­rie­re mit einem rechts­wid­ri­gen Deal ver­knüpft haben, dann soll selbst das Wort des höchs­ten bri­ti­schen Gerichts und des Euro­päi­schen Men­schen­rechts­ge­richts­hofs (EGMR) nicht zäh­len. Mit dem kürz­lich ver­ab­schie­de­ten Gesetz über die Sicher­heit Ruan­das  ver­ab­schie­det sich die bri­ti­sche Regie­rung von Men­schen­rech­ten und Rechts­staat­lich­keit. Denn kon­kret soll die Euro­päi­sche Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on für Asyl­su­chen­de, die vom Ruan­da-Deal betrof­fen sind, nicht mehr gel­ten. Einst­wei­li­ge Anord­nun­gen, mit denen der EGMR im Som­mer 2022 eine Abschie­bung nach Ruan­da stopp­te, sol­len für die bri­ti­sche Regie­rung nicht mehr bin­dend sein. Damit wird jedoch das euro­päi­sche Men­schen­rechts­sys­tem des Euro­pa­rats – auch eine Reak­ti­on auf die Men­schen­rechts­ver­bre­chen wäh­rend des zwei­ten Welt­kriegs – in Fra­ge gestellt. Es könn­te der Ein­stieg in den Aus­stieg Groß­bri­tan­ni­ens aus der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on sein.

Die­se Dimen­si­on macht es so beängs­ti­gend, wenn Politiker*innen der Par­tei mit den aktu­ell höchs­ten Umfra­ge­wer­ten offen mit einem ähn­li­chen Plan lieb­äu­gelt. Wie wer­den sie han­deln, wenn sie in eine ähn­li­che Situa­ti­on kom­men wie der bri­ti­sche Pre­mier­mi­nis­ter Sunak?

Kritik der Kirchen: Die Auslagerungspläne sind unchristlich!

Von den Kir­chen in Deutsch­land kam im Vor­feld mas­si­ve Kri­tik an dem Pro­gramm­ent­wurf. In einem gemein­sa­men Gast­bei­trag pran­gen Erz­bi­schof Ste­fan Heße (Son­der­be­auf­trag­ter der Deut­schen Bischofs­kon­fe­renz für Flücht­lings­fra­gen) und Bischof Chris­ti­an Stäb­lein (EKD-Beauf­trag­ter für Flücht­lings­fra­gen), die Plä­ne der CDU als »radi­ka­len Bruch mit ihrem huma­ni­tä­ren Erbe« an, das nicht zum christ­li­chen Men­schen­bild pas­sen wür­de, und kri­ti­sier­ten das Ruan­da-Modell als ethi­schen und recht­li­chen Holz­weg. Schon im Dezem­ber letz­ten Jah­res hat­ten die bei­den Beauf­trag­ten erklärt: »Der Platz von Chris­tin­nen und Chris­ten ist an der Sei­te der Schutz­su­chen­den. Sich der Ver­ant­wor­tung zu ent­le­di­gen, ist für uns kei­ne Option«.

Vor­schlä­ge wie von der CDU, alle in Euro­pa schutz­su­chen­den Men­schen in Län­der außer­halb der EU zu brin­gen, wider­spre­chen der Ver­pflich­tung zur inter­na­tio­na­len Verantwortungsteilung.

Vorschlag verstößt gegen die Genfer Flüchtlingskonvention

In der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on (GFK) ist nicht vor­ge­se­hen, dass ein Staat sei­ne Ver­ant­wor­tung für den Flücht­lings­schutz auf einen ande­ren Staat über­trägt. Statt­des­sen wird bereits in der Prä­am­bel der GFK die inter­na­tio­na­le Ver­ant­wor­tungs­tei­lung für den Flücht­lings­schutz betont, damit ein­zel­ne Staa­ten nicht über­las­tet wer­den. Die Zah­len des UN-Flücht­lings­werks ver­deut­li­chen die Not­wen­dig­keit die­ser Unter­stüt­zung: Drei Vier­tel der welt­wei­ten Flücht­lin­ge wer­den von armen oder ein­kom­mens­schwa­chen Län­dern auf­ge­nom­men. Die meis­ten Flücht­lin­ge blei­ben in den Nach­bar­län­dern ihres Her­kunfts­lan­des. So wur­den 90 Pro­zent der afgha­ni­schen Flücht­lin­ge von Paki­stan und dem Iran auf­ge­nom­men und 73 Pro­zent der syri­schen Flücht­lin­ge leben in den Nach­bar­län­dern Tür­kei, Liba­non und Jordanien.

Vor­schlä­ge wie von der CDU, alle in Euro­pa schutz­su­chen­den Men­schen in Län­der außer­halb der EU zu brin­gen, wider­spre­chen also der Ver­pflich­tung zur inter­na­tio­na­len Ver­ant­wor­tungs­tei­lung und sind damit nicht mit der GFK ver­ein­bar. Dies hat das UN-Flücht­lings­hilfs­werk auch bezüg­lich der Zusam­men­ar­beit des Ver­ei­nig­ten König­reichs mit Ruan­da festgestellt.

Pragmatische und menschenrechtsbasierte Politik statt Auslagerungsphantasien

Wäh­rend die CDU ihr Grund­satz­pro­gramm ver­ab­schie­det hat, prüft die Bun­des­re­gie­rung wei­ter, ob eine Prü­fung des Schutz­sta­tus in Dritt- und Tran­sit­staa­ten men­schen­rechts­kon­form mög­lich ist. Für PRO ASYL ist nach den Erfah­run­gen der letz­ten Jah­re und der recht­li­chen Ana­ly­se ein­deu­tig klar: Nein, das ist nicht mög­lich. Ent­spre­chend wäre es wich­tig, dass die aktu­el­le wie auch künf­ti­ge Bun­des­re­gie­rung die Her­aus­for­de­run­gen bei der Auf­nah­me von schutz­be­dürf­ti­gen Men­schen mit prag­ma­ti­scher und men­schen­rechts­ba­sier­ter Poli­tik anpackt, anstatt Aus­la­ge­rungs­phan­ta­sien hinterherzulaufen.

Im Inter­view mit der taz gibt CDU-Poli­ti­ke­rin Prien selbst zu, dass sie »[…] im Moment auch nicht [sieht], dass wir die­sen Weg, der da beschrie­ben wird, umset­zen kön­nen«. Da fragt man sich, war­um sol­che gefähr­li­chen Vor­schlä­ge über­haupt in ein Grund­satz­pro­gramm und Wahl­pro­gramm zur Euro­pa­wahl auf­ge­nom­men werden.

 (wj)