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Warum das neue CDU-Grundsatzprogramm so gefährlich ist
Bei ihrem Bundesparteitag hat die CDU ein neues Grundsatzprogramm beschlossen. Hierzu gehört eine Passage, die einen Rückzug Europas aus dem weltweiten Flüchtlingsschutz vorsieht. Das würde nicht nur fliehende Menschen noch mehr gefährden, es ist auch eine Kehrtwende, die Menschenrechte und den Rechtsstaat massiv in Frage stellt.
Das neue Grundsatzprogramm der CDU ist im Bereich des Flüchtlingsschutzes nicht nur einfach eine »Kurskorrektur«, sondern könnte zur Abrissbirne für den Flüchtlingsschutz in Europa mit dramatischen Auswirkungen für das europäische Menschenrechtssystem insgesamt werden. Die gefährlichen Vorschläge finden sich auch bereits im Europawahlprogramm der CDU.
Das am 7. Mai 2024 verabschiedete Grundsatzprogramm sieht vor, dass schutzsuchende Menschen in Europa nicht länger Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention und dem europäischen Recht bekommen sollen. Stattdessen soll »[j]eder, der in Europa Asyl beantragt, […] in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen. Im Falle eines positiven Ausgangs wird der sichere Drittstaat dem Antragsteller vor Ort Schutz gewähren« (Wortlaut im bisher vorliegenden Programmentwurf).
Zwar bekennt sich die Partei in dem Programm zur Achtung der Würde des einzelnen Menschen, zu den Grund- und Menschenrechten sowie zum Rechtsstaat. Auch die besondere historische Verantwortung Deutschlands im Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und Menschenverachtung wird angesprochen. Dies passt jedoch nicht zu dem »grundlegenden Wandel des europäischen Asylrecht«, mit dem das Asylrecht in Europa faktisch abgeschafft werden soll – obwohl auch dies eine Lehre aus den Verbrechen des zweiten Weltkriegs war.
Großbritannien als fragwürdiges Vorbild
Als konkretes Vorbild haben sich einige CDU-Politiker*innen – vorne weg der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Jens Spahn und der innenpolitische Sprecher Alexander Throm – das britische Ruanda-Modell genommen. Dabei zeigt gerade dieses Beispiel, welcher Irrweg eine solche Auslagerungspolitik ist. Seit 2020 versucht die britische Regierung unter wechselnden Ministerpräsident*innen schutzsuchende Menschen in das ostafrikanische Land Ruanda abzuschieben – bislang ohne Erfolg. Seit Beginn dieser Politik, mit der die Kanalüberfahrten erklärtermaßen gestoppt werden sollte, sind diese gestiegen und sind Menschen weiterhin bei dem Versuch der Überfahrt gestorben, die Anzahl der nicht-entschiedenen Asylverfahren ist in die Höhe geschnellt, die Kosten des britischen Asylsystems haben sich vervielfacht und Nichtregierungsorganisationen stellen fest, dass potentiell von Abschiebungen nach Ruanda betroffene Menschen den Kontakt zu Behörden meiden und eine erhöhte Gefahr der Suizidalität haben. Eigentlich hatte der Oberste Gerichtshof Großbritanniens die Abschiebungspläne im November 2023 gestoppt, da Ruanda eben kein »sicheres Land« sei.
Doch wenn Politiker*innen, wie der britische Regierungschef Sunak, sich selbst in eine Sackgasse gesteuert und ihre politische Karriere mit einem rechtswidrigen Deal verknüpft haben, dann soll selbst das Wort des höchsten britischen Gerichts und des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs (EGMR) nicht zählen. Mit dem kürzlich verabschiedeten Gesetz über die Sicherheit Ruandas verabschiedet sich die britische Regierung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. Denn konkret soll die Europäische Menschenrechtskonvention für Asylsuchende, die vom Ruanda-Deal betroffen sind, nicht mehr gelten. Einstweilige Anordnungen, mit denen der EGMR im Sommer 2022 eine Abschiebung nach Ruanda stoppte, sollen für die britische Regierung nicht mehr bindend sein. Damit wird jedoch das europäische Menschenrechtssystem des Europarats – auch eine Reaktion auf die Menschenrechtsverbrechen während des zweiten Weltkriegs – in Frage gestellt. Es könnte der Einstieg in den Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Menschenrechtskonvention sein.
Diese Dimension macht es so beängstigend, wenn Politiker*innen der Partei mit den aktuell höchsten Umfragewerten offen mit einem ähnlichen Plan liebäugelt. Wie werden sie handeln, wenn sie in eine ähnliche Situation kommen wie der britische Premierminister Sunak?
Kritik der Kirchen: Die Auslagerungspläne sind unchristlich!
Von den Kirchen in Deutschland kam im Vorfeld massive Kritik an dem Programmentwurf. In einem gemeinsamen Gastbeitrag prangen Erzbischof Stefan Heße (Sonderbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für Flüchtlingsfragen) und Bischof Christian Stäblein (EKD-Beauftragter für Flüchtlingsfragen), die Pläne der CDU als »radikalen Bruch mit ihrem humanitären Erbe« an, das nicht zum christlichen Menschenbild passen würde, und kritisierten das Ruanda-Modell als ethischen und rechtlichen Holzweg. Schon im Dezember letzten Jahres hatten die beiden Beauftragten erklärt: »Der Platz von Christinnen und Christen ist an der Seite der Schutzsuchenden. Sich der Verantwortung zu entledigen, ist für uns keine Option«.
Vorschläge wie von der CDU, alle in Europa schutzsuchenden Menschen in Länder außerhalb der EU zu bringen, widersprechen der Verpflichtung zur internationalen Verantwortungsteilung.
Vorschlag verstößt gegen die Genfer Flüchtlingskonvention
In der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist nicht vorgesehen, dass ein Staat seine Verantwortung für den Flüchtlingsschutz auf einen anderen Staat überträgt. Stattdessen wird bereits in der Präambel der GFK die internationale Verantwortungsteilung für den Flüchtlingsschutz betont, damit einzelne Staaten nicht überlastet werden. Die Zahlen des UN-Flüchtlingswerks verdeutlichen die Notwendigkeit dieser Unterstützung: Drei Viertel der weltweiten Flüchtlinge werden von armen oder einkommensschwachen Ländern aufgenommen. Die meisten Flüchtlinge bleiben in den Nachbarländern ihres Herkunftslandes. So wurden 90 Prozent der afghanischen Flüchtlinge von Pakistan und dem Iran aufgenommen und 73 Prozent der syrischen Flüchtlinge leben in den Nachbarländern Türkei, Libanon und Jordanien.
Vorschläge wie von der CDU, alle in Europa schutzsuchenden Menschen in Länder außerhalb der EU zu bringen, widersprechen also der Verpflichtung zur internationalen Verantwortungsteilung und sind damit nicht mit der GFK vereinbar. Dies hat das UN-Flüchtlingshilfswerk auch bezüglich der Zusammenarbeit des Vereinigten Königreichs mit Ruanda festgestellt.
Pragmatische und menschenrechtsbasierte Politik statt Auslagerungsphantasien
Während die CDU ihr Grundsatzprogramm verabschiedet hat, prüft die Bundesregierung weiter, ob eine Prüfung des Schutzstatus in Dritt- und Transitstaaten menschenrechtskonform möglich ist. Für PRO ASYL ist nach den Erfahrungen der letzten Jahre und der rechtlichen Analyse eindeutig klar: Nein, das ist nicht möglich. Entsprechend wäre es wichtig, dass die aktuelle wie auch künftige Bundesregierung die Herausforderungen bei der Aufnahme von schutzbedürftigen Menschen mit pragmatischer und menschenrechtsbasierter Politik anpackt, anstatt Auslagerungsphantasien hinterherzulaufen.
Im Interview mit der taz gibt CDU-Politikerin Prien selbst zu, dass sie »[…] im Moment auch nicht [sieht], dass wir diesen Weg, der da beschrieben wird, umsetzen können«. Da fragt man sich, warum solche gefährlichen Vorschläge überhaupt in ein Grundsatzprogramm und Wahlprogramm zur Europawahl aufgenommen werden.
(wj)