News
»Wäre ich abgeschoben worden, hätte ich mich gefühlt, als wäre mein Leben zu Ende«
Der Bundesrat hat das Gesetz zur Einstufung der Maghreb-Staaten als »sichere Herkunftsstaaten« abgelehnt – und das aus gutem Grund. Dass die Maghreb-Länder mitnichten sicher sind, zeigt der Fall des 29-jährigen Zouhair aus Marokko, der aufgrund seiner Homosexualität in Marokko Schikanen ausgesetzt war und sogar verhaftet wurde.
Zouhair hat einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Nach einem jahrelangen und zermürbenden Asylverfahren bekam er endlich den Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention zugesprochen. Im Gespräch mit PRO ASYL erzählt Zouhair, warum Marokko gerade für Menschen wie ihn nicht sicher ist.
PRO ASYL: Du hast sicher in den Nachrichten von der Debatte gehört, dass die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden sollen. Was hältst du davon?
Zouhair: Diese Länder als sicher einzustufen würde bedeuten, dass Betroffene aus diesen Ländern nicht länger die Chance haben, ein gutes Asylverfahren zu bekommen. Die Situation in Nordafrika ist gerade für LGBT-Menschen ziemlich schrecklich. Marokko ist definitiv nicht sicher. Ständig hört man in den Nachrichten, dass Schwule und Lesben schlecht behandelt oder von der Polizei verhaftet und ins Gefängnis gesteckt werden. Das marokkanische Gesetz sagt, dass, wenn man schwul oder lesbisch ist, oder »unnatürlichen Sex« hat, wie sie es nennen, ist man kriminell.
»In Marokko lebt man in Angst, man arbeitet in Angst. Das Leben ist vorbei, wenn die Leute herausfinden, dass man gay ist.«
Man kann zwischen sechs Monaten und drei Jahren ins Gefängnis kommen, nur weil man so ist, wie man ist. Touristen aus Deutschland und Europa kommen nach Marokko und denken, sie sehen ein offenes Land, in dem man gut Urlaub machen kann. Aber für Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transgender-People ist es ein Horrorleben: Wir haben keine Freiheit, werden nicht respektiert, wir werden schikaniert und öffentlich gedemütigt. In Marokko gelten Homosexuelle nicht als Menschen.
PRO ASYL: Und die Polizei? Ist sie nicht dazu da um Betroffene zu schützen?
Zouhair: Nein, die Polizei schützt uns nicht. Sie verhaften LGBT-Menschen und stecken sie ins Gefängnis, weil es dieses homophobe Gesetz in Marokko gibt. Ansonsten gibt es keinerlei Schutz. Erst wenn ein Homosexueller getötet wurde, stellen sie eine Untersuchung an. Ansonsten gibt es kein Mitleid mit uns, weil man glaubt, dass, wenn uns etwas passiert, uns »das Recht geschieht«. Mehr noch, die Polizei checkt unsere Handys, wenn wir ihnen auf der Straße suspekt vorkommen.
Es kommt auch vor, dass sie in unsere Häuser und Wohnungen einbrechen und uns verhaften. Sie wissen, niemand wird dagegen protestieren, weil wir homosexuell sind. Einmal wurde ich verhaftet und nachdem ich die Freilassungspapiere unterzeichnet hatte, wollte der Polizist den Stift nicht mehr von mir nehmen. Er sagte, ich solle ihn in den Müll werfen, weil ich Leute mit AIDS anstecke. Er hat geglaubt, Homosexuelle seien krank und ansteckend.
»Dann kam der Ablehnungsbescheid, in dem stand, dass sie mir nicht glaubten, dass ich schwul bin.«
PRO ASYL: Wann und wie hast du dich entscheiden: Ok, ich halte das nicht länger aus?
Zouhair: Ich war schon vorher im Ausland gewesen, weil ich in der Hotelbranche gearbeitet hatte. Es war schon immer unglaublich schwer für mich, zurück in ein Land zu gehen, wo ich nicht ich selbst sein konnte. Im November 2013 reiste ich nach Europa, um dort Urlaub zu machen. Mir wurde klar, dass ich unmöglich in das Land zurückkonnte, in dem ich ständig um mein Leben fürchten muss. Also habe ich in Deutschland Asyl beantragt.
PRO ASYL: Was passierte dann? Wie verlief das Asylverfahren und die Anhörung?
Zouhair: Ich habe zuerst 52 Tage in einer Erstaufnahme in Niedersachsen gelebt. Das war schlimm. Drei Monate nachdem ich meinen Asylantrag gestellt hatte, war die Anhörung. Das Erste, was die Anhörerin sagte, war, ich würde nicht schwul aussehen. Das hat mich total umgehauen. Hätte ich Schminke tragen müssen? Oder meine Fingernägel lackieren müssen? Seit meiner Kindheit wusste ich, dass ich anders aussehe und von anderen anders angesehen werde.
Ich war nie ein Macho oder war aggressiv oder dominant, so wie es von Männern in Marokko erwartet wird. Wenn man dieser Erwartung nicht entspricht, gilt man als feminin oder schwach. Wenn man auch noch schwul ist, benehmen sich alle, als hätten sie das Recht, einen schlecht zu behandeln – die eigene Familie mit eingeschlossen. Manche Familien würden eher akzeptieren, dass die eigene Tochter eine Prostituierte ist, als lesbisch. Daran erkennt man, wie irritiert ich von dieser Frage gewesen war.
Die Anhörung dauerte länger als eine Stunde. Zum Schluss fragte mich die Anhörerin, ob das alles gewesen war. Ich hatte ihr gerade meine ganze Geschichte erzählt und hatte das Gefühl, dass ihr das nicht genug war. Dann kam der Ablehnungsbescheid, in dem stand, dass sie mir nicht glaubten, dass ich schwul bin.
»Als ich nach Deutschland kam, fühlte ich, dass ich endlich frei und sicher sein konnte – und dann wurde mein Antrag abgelehnt. Dieses Gefühl, von niemandem gewollt oder angenommen zu werden, macht einen verrückt.«
PRO ASYL: Wie hat sich das angefühlt? Abgelehnt zu werden?
Zouhair: Es war… Ich finde einfach keine Worte dafür. Es war so surreal. Ich konnte, ich konnte einfach nicht zurück nach Marokko. Ich hatte endlich einen Ort gefunden, an dem ich frei atmen konnte und dann wurde ich abgelehnt. Wäre ich abgeschoben worden, hätte ich mich gefühlt, als wäre mein Leben zu Ende gewesen.
PRO ASYL: Hattest du jemand, der dich unterstützt?
Zouhair: Ich bekam Kontakt zu einer lokalen Unterstützergruppe, die sich um LGBT-Flüchtlinge kümmerte. Über sie bekam ich den Kontakt zu meiner Anwältin. Sie war gut, aber sie hat mir gleich zu Beginn gesagt, dass es wenig Hoffnung gab, die Entscheidung des BAMF erfolgreich anzufechten, gerade weil ich aus Marokko komme. Bei Asylsuchenden aus Marokko gibt es immer die Gefahr, dass sie schnell abgelehnt werden.
Zu der Zeit wurde ich sehr depressiv. Ich war sogar mehrmals in der psychiatrischen Behandlung, einmal 40 Tage am Stück. In Marokko war ich von einer Gesellschaft umgeben, die mich und alle anderen LGBT-Menschen ablehnte. Als ich nach Deutschland kam, fühlte ich, dass ich endlich frei und sicher sein konnte und dann wurde mein Antrag abgelehnt. Dieses Gefühl, von niemandem gewollt oder angenommen zu werden, macht einen verrückt. Ich war verzweifelt.
PRO ASYL: Was passierte als nächstes?
Zouhair: Ich war mental in einem ziemlich schlechten Zustand. Mein Arzt bestätigte gegenüber dem BAMF, dass der Hauptgrund, warum ich depressiv war, dass ich schwul bin und als schwuler Mann befürchten muss, nach Marokko abgeschoben zu werden. Da hatte mir das BAMF endlich geglaubt. Im Dezember 2016 bekam ich endlich meine Anerkennung als Flüchtling nach der Genfer Konvention.
»Man kann niemanden dazu zwingen, einen zu mögen oder zu akzeptieren. Aber das deutsche Gesetz verbietet es einem, LGBT-Menschen zu diskriminieren. Und das ist ein Menschenrecht, das man sich nur wünschen kann.«
PRO ASYL: Warte mal. Du hast also drei Jahre darauf warten müssen, anerkannt zu werden?
Zouhair: Ja, es war ein langer Kampf und drei Jahre lang Unsicherheit. Für Asylsuchende aus Marokko ist es besonders hart. Ich hatte keinen Anspruch auf einen Sprachkurs. Ich wünschte, ich hätte in der Zeit die Möglichkeit gehabt, noch besser Deutsch zu lernen.
PRO ASYL: Wie fühlt sich das Leben in Deutschland für dich an, jetzt nachdem du anerkannt worden bist?
Zouhair: Ich fühle mich endlich sicher. Es ist ein Segen. Mehr kann man sich gar nicht wünschen. Einen Monat nach meiner Anerkennung hatte ich ein Gespräch an einer Hochschule für einen Studienplatz in Computerwissenschaften. Ich bekam einen Platz in einem Deutschkurs. In Marokko lebt man in Angst, man arbeitet in Angst. Das Leben ist vorbei, wenn die Leute herausfinden, dass man gay ist.
Schwule und Lesben haben in Marokko keine Rechte. In Deutschland wurde ich nie diskriminiert. Ich meine, man kann niemanden dazu zwingen, einen zu mögen oder zu akzeptieren. Aber das deutsche Gesetz verbietet es einem, LGBT-Menschen zu diskriminieren. Und das ist ein Menschenrecht, das man sich nur wünschen kann.