29.12.2014
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Auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel sind tausende Schutzsuchende durch die Hölle der Folterlager gegangen - viele starben unter den unfassbar brutalen Torturen. Foto: Mark A. Wilson

Auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel werden Flüchtlinge von kriminellen Banden entführt und gefoltert, um Lösegeld von ihren Verwandten zu erpressen. Im September 2013 bat uns unsere ägyptische Partnerorganisation Amera um Hilfe. Sie kümmerte sich um zwei eritreischen Mädchen, Elisabeth und Mariam*, die monatelange Folter überlebten und freigekauft werden konnten und sich in Kairo befanden.

Da Eli­sa­beth und Mari­am auch in Kai­ro nicht sicher vor ihren Pei­ni­gern waren, bat Ame­ra uns, eine Auf­nah­me in Deutsch­land zu erwir­ken. Gemein­sam mit den Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen, die in Deutsch­land leben, setz­te sich PRO ASYL für die Ertei­lung eines huma­ni­tä­ren Visums ein. Nach einem Jahr zähen Rin­gen kamen die bei­den nun end­lich bei Ihren Ver­wand­ten an.

Flucht vor der Militärdiktatur

Eli­sa­beth und Mari­am waren gute Schü­le­rin­nen in Eri­trea und auf dem Weg zum Abitur. Eri­trea ist  eine Mili­tär­dik­ta­tur – das soge­nann­te „Nord­ko­rea Afri­kas“ – jun­ge Men­schen wer­den dort zwangs­wei­se zum Mili­tär­dienst ein­ge­zo­gen. Die bei­den Mäd­chen haben am Schick­sal ihrer Schwes­tern erle­ben müs­sen, wie die­se von der Armee ein­ge­zo­gen und in Mili­tär­camps gede­mü­tigt wur­den. Die­sem Schick­sal woll­ten die bei­den Mäd­chen ent­ge­hen. Sie woll­ten nicht für das dik­ta­to­ri­sche Regime kämp­fen müssen.

Eli­sa­beth und Mari­am ent­schlos­sen sich, aus ihrer Hei­mat zu flie­hen, obwohl ihnen bewusst war, dass sie einen gefähr­li­chen Weg vor sich hat­ten. Wer aus Eri­trea flieht, wird vom Regime als Deser­teur betrach­tet. Deser­teu­re wer­den erschos­sen. Die Gefahr, an der Gren­ze gestellt zu wer­den, war den Mäd­chen bewusst, doch sie konn­ten sich nicht vor­stel­len, was ihnen tat­säch­lich bevor­stand. Es war schlim­mer als alles, was sie sich je in Gedan­ken aus­ge­malt hat­ten: „Schnell ster­ben ist ein Segen gegen­über dem, was man mit uns auf der Sinai-Halb­in­sel gemacht hat“, sagen sie auch heu­te noch immer wie­der. Was sie auf ihrer Flucht erlei­den muss­ten haben Sie im Fol­gen­den zu Pro­to­koll gegeben.

Tag und Nacht  misshandelt

„Als wir dach­ten, dass wir end­lich die suda­ne­si­sche Gren­ze erreicht hät­ten, wur­den wir von gekid­nappt und an Men­schen­händ­lern ver­kauft, die uns dann in den Sinai ver­schlep­pen.  Damit begann der schlimms­te Hor­ror für uns. Wir wur­den Tag und Nacht  miss­han­delt.  Sechs  Män­ner schlu­gen uns abwech­selnd, um die Tele­fon­num­mern unse­rer  Fami­li­en von uns zu erfah­ren. Irgend­wann gaben wir nach und sag­ten sie den Menschenhändlern.

Wir wur­den ange­ket­tet  und wäh­rend des­sen mit Stö­cken geschla­gen.  Sie lie­ßen hei­ßes Öl auf uns trop­fen. Dann ver­brann­ten sie  Plas­tik­tü­ten über uns, das ver­brann­te Plas­tik fiel auf unse­re Kör­per,  beson­ders die Kopf­haut haben sie uns damit ver­brannt. Wir wur­den mit dem Kopf nach unten auf­ge­hängt, bis wir  ohn­mäch­tig  wur­den. Wir wur­den  mit schwe­ren Gegen­stän­den, mit Schläu­chen und mit Elek­tro­schocks miss­han­delt.  Wäh­rend der Fol­te­run­gen  haben sie unse­re Eltern ange­ru­fen, sie  muss­ten unse­re Schreie am Tele­fon mit anhö­ren“, berich­ten Eli­sa­beth und Mari­am. Ihre Fami­li­en soll­ten Löse­geld für sie bezah­len,  40.000 US-Dol­lar pro Per­son.  Eine sol­che Sum­me konn­ten sie unmög­lich so schnell aufbringen.“

Wir haben jeden Tag  gebe­tet,  die  nächs­ten Toten  zu sein

Alle Gefan­ge­nen soll­te und muss­te mit anse­hen, wie unbarm­her­zig und bar­ba­risch die Kid­nap­per mit den Flücht­lin­gen umgin­gen. Nur in weni­gen Fäl­len konn­ten die Fami­li­en der Gekid­napp­ten das Geld schnell bezah­len und die Ange­hö­ri­gen kamen dann frei. Für man­che ande­re wur­de zwar das Geld  bezahlt,  aber die Gefan­ge­nen  haben die Miss­hand­lun­gen nicht über­lebt, erzäh­len die Mäd­chen. Die gefan­ge­nen Frau­en, alle zwi­schen 16 und 25, wur­den auf schreck­li­che Art und Wei­se missbraucht. 

„Unse­re Schreie wur­den  uns aber auch oft zum Ver­häng­nis, da man uns des­we­gen mit Dro­gen stumm gemacht  hat. Von unse­rer Grup­pe, die aus 26 Per­so­nen bestand,  haben nur fünf Per­so­nen über­lebt.  Wir haben jeden Tag  gebe­tet,  die  nächs­ten Toten  zu sein. Aber irgend­wie haben unse­re Kör­per all die unsäg­li­chen Grau­sam­kei­ten durchgehalten.

Knapp 9 Mona­ten dau­er­te unse­re Gefan­gen­schaft in den Hän­den der Men­schen­händ­ler. Unse­re Kopf­haut war teil­wei­se mit Plas­tik und hei­ßem Öl ver­brannt und dem­entspre­chend schmerz­haft und glatt. Wir konn­ten weder eine Müt­ze auf­set­zen noch ein Tuch drauf­le­gen. Weil wir über all die Mona­te in Ket­ten gele­gen hat­ten, waren  die Füße  bis auf die  Kno­chen ent­zün­det. Die Haut und das Fleisch waren ver­fault, man hat die Kno­chen gesehen.“

Ret­tung auf ver­schlun­ge­nen Wegen und dank vie­ler hel­fen­der Hände

„Unse­re Frei­heit erlang­ten wir, nach­dem die Fol­te­rer Geld bekom­men hat­ten, wir wur­den frei­ge­kauft. Auf ver­schlun­ge­nen Wegen und Dank der Hil­fe – nicht nur finan­zi­el­ler Art – von vie­len Men­schen kamen wir in Frei­heit und wur­den  nach Kairo/Ägypten gebracht. Dort erfuh­ren wir die ers­te mensch­li­che Hil­fe. Wie wur­den in ein Kran­ken­haus zur Not­ver­sor­gung unse­rer Fol­ter­ver­let­zun­gen, und zur Kräf­ti­gung unse­rer geschun­de­nen Kör­per gebracht und beka­men die ers­ten Infusionen.

Kur­ze Zeit spä­ter beka­men wir dort auch die Mög­lich­keit, mit unse­ren Ver­wand­ten in Deutsch­land, Kana­da und Aus­tra­li­en direk­ten tele­fo­ni­schen Kon­takt aufzunehmen.

Wir hör­ten dort auch den Namen Pro Asyl zum ers­ten Mal. Wir erfuh­ren, dass Pro Asyl sich dar­um bemüh­te, uns nach Deutsch­land zu holen.  Wir beka­men neue Hoff­nung zum Leben! Wir tele­fo­nier­ten so oft es ging mit unse­ren Ver­wand­ten und deren Bekann­ten in Deutsch­land. Aber wir muss­ten war­ten, es dau­er­te und dau­er­te. Als wir fast die Hoff­nung auf­ge­ge­ben hat­ten, hieß es schließ­lich doch noch, dass wir nach Deutsch­land ein­rei­sen dürfen.

Nach einem  Jahr War­ten  wur­de  uns die Ein­rei­se­er­laub­nis nach Deutsch­land erteilt. Wir sind nun in Deutsch­land und ver­su­chen, wie­der zu leben. Wir dan­ken allen, die uns die­sen neu­en Weg in ein neu­es Leben ermög­licht haben, ins­be­son­de­re der Orga­ni­sa­ti­on Pro Asyl und deren Unterstützern.“

*Namen geän­dert

Infor­ma­tio­nen zum Kid­nap­ping von Flücht­lin­gen auf dem Sinai: 

Fol­ter­kam­mer Sinai (15.03.2013)

Flücht­lin­ge im Sinai: Opfer von Skla­ve­rei, Löse­geld­erpres­sung und Organ­ent­nah­me (28.01.2013)

 Pakt mit Des­po­ten: Flucht­ver­hin­de­rung um jeden Preis? (24.07.15)