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Türsteher Kroatien: Brutale Menschenrechtsverletzungen im Namen Europas
Mit exzessiver Gewalt und völkerrechtswidrigen Zurückschiebungen (Pushbacks) setzt Kroatien die EU-Abschottungsagenda um – Schutzsuchenden wird der Zugang verwehrt. Statt Sanktionen gibt es dafür Anerkennung von der EU.
Zum ersten Mal seit dem Beitritt zur Europäischen Union im Jahr 2013 hat Kroatien die EU-Ratspräsidentschaft inne – bis zum 30. Juni, dann übernimmt Deutschland bis Jahresende.
»A strong Europe in a world of challenges« – unter diesem Motto präsentiert Kroatiens amtierender Ministerpräsident Andrej Plenković dem Europäischen Parlament am 14. Januar 2020 die Schwerpunkte der Ratspräsidentschaft. Das Programm verspricht die Stärkung von Grenzüberwachung und Rückführungen um effektiv gegen »illegale Migration« vorzugehen.
In Kroatiens Präsidentschaftsprogramm sucht man »Flüchtlinge« und »Asylsuchende« vergebens
In der Debatte wird Plenković von Abgeordneten mit den fortlaufenden und gut dokumentierten Menschenrechtsverletzungen konfrontiert – und leugnet schlicht und ergreifend alles: »Aussagen, Beschuldigungen in Berichten oder Gerüchte, die man hört, sind fast zu Fakten geworden und das sind sie nicht.«
»Of course, a little bit of force is needed when doing push-backs.«
Damit fällt Plenković hinter die Aussagen seiner eigenen Präsidentin zurück. Mit den Anschuldigungen konfrontiert, bestätigte die damalige kroatische Präsidentin Grabar-Kitarović im Juli 2019 die Praxis illegaler Pushbacks und Polizeigewalt – und offenbarte ihr ganz eigenes Rechtsverständnis, wenn sie Schutzsuchende pauschal als »Wirtschaftsmigranten« diffamiert.
Von schamlosen Lügen und dem beredten Schweigen der EU
Die neue EU-Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen, setzt die Linie ihres Amtsvorgängers Juncker fort und bekräftigt den Vorbildcharakter, den Kroatien – speziell Ministerpräsident Plenković – einnehme.
Ähnliches Lob hatten zu anderer Gelegenheit bereits Regierungsmitglieder aus EU-Mitgliedsstaaten übrig. Etwa lobte Horst Seehofer die umstrittene kroatische Polizei für ihre Arbeit. »Wir stehen Kroatien als Partner zur Seite. Die aktuellen Migrationsbewegungen stellen uns alle vor gewaltige Herausforderungen, die wir nur gemeinsam bewältigen können.«
Ansonsten herrscht beredtes Schweigen: Auf dem informellen Treffen der EU-Innenminister*innen zum Thema Migration am 24. Januar 2020 war die Menschenrechtssituation an der kroatischen Außengrenze kein Thema.
»Keine Spuren zu hinterlassen«
Das Schweigen ist so groß, wie das Fülle an Beweisen, die ihm dank Aktivist*innen, Menschenrechtsorganisationen, Journalist*innen und betroffenen Personen entgegensteht: Videoaufnahmen zeigen den Ablauf von Pushbacks. Fotos und Berichte belegen die Gewalt der kroatischen Polizei. Handyortungen lassen das Geschehene geographisch verorten.
Es besteht kein Zweifel, dass kroatische Grenzpolizist*innen Schutzsuchende systematisch an der Flucht in die EU hindern und sie gewaltvoll nach Bosnien und Herzegowina zurückbringen, ihnen somit das Recht auf Asyl verweigern. Regelmäßig kommt es dabei zu Misshandlungen. Auch vor dem Einsatz von Schusswaffen schrecken die Grenzpolizisten nicht zurück.
»Anweisungen des Polizeichefs, der Leitung und der Verwaltung sind, jeden ohne Papiere zurückzuführen, keine Spuren zu hinterlassen, ihr Geld zu nehmen, ihre Handys zu zerstören oder selbst einzustecken und die Flüchtlinge gewaltsam nach Bosnien zu bringen.«
Bei der Gewalt handelt es sich nicht um die Willkür einzelner Beamt*innen. In einem Schreiben vom März 2019 an die kroatische Ombudsfrau legten Polizist*innen anonym die Befehle ihrer Vorgesetzten offen. »Anweisungen des Polizeichefs, der Leitung und der Verwaltung sind, jeden ohne Papiere zurückzuführen, keine Spuren zu hinterlassen, ihr Geld zu nehmen, ihre Handys zu zerstören oder selbst einzustecken und die Flüchtlinge gewaltsam nach Bosnien zu bringen«.
EU-Parlament: Unmenschliche Behandlung und Hinweise auf Folter
Im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des europäischen Parlaments wurde der kroatische Innenminister Davor Božinović am 27. Januar 2020 mit den Zeugnissen misshandelter, ihrer Rechte beraubter Schutzsuchender konfrontiert, Auch hier das gleiche Muster: Wie Ministerpräsident Plenković weist auch Innenminister Božinović die Vorwürfe zurück.
Auch Božinović rechtfertigt Grenzkontrollen und verweigerte Einreisen damit, dass es sich bei den betroffenen Personen um Menschen handele, die aus wirtschaftlichen Gründen versuchen würden in die EU zu gelangen. Das individuelle Recht auf Asyl schreibt er damit grundlegend ab und legitimiert Polizeipraktiken, die jeder rechtstaatlichen Grundlage entbehren.
Außerdem sei Kroatien nicht das Zielland der Schutzsuchenden. »Wenn es wirklich eine Willkommenskultur in irgendeiner Form gäbe, würde es uns das Leben sehr viel einfacher machen«, unterstreicht Božinović. Die Leitlinie sei, die Funktionsfähigkeit des Schengen-Raums sicherzustellen. Es bleibt dabei kein Zweifel daran, was sich der Beitrittskandidat unter einem funktionierenden Schengen-Raum vorstellt.
Schengen – Award für Rechtsverletzungen ?
Die EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker belohnte das Vorgehen Kroatiens an der Grenze bereits im Oktober 2019. Sie gab »grünes Licht« für die Vollmitgliedschaft Kroatiens im Schengen-Raum. Die ungewöhnlich dichte und aussagekräftige Dokumentation von Rechtsverletzungen blieb ohne jede adäquate Reaktion – Vertragsverletzungsverfahren werden nicht eingeleitet.
Die Willkür der Staatsgewalt an der kroatischen Grenze ist Ausdruck einer Politik, Flucht und Migration um jeden Preis abzuwehren – im Namen Europas.
Die EU-Kommission macht an dieser Stelle ihren Job einfach nicht. Zur Erinnerung: Die EU-Kommission als Hüterin der Verträge muss darauf achten, dass die Mitgliedsstaaten die Verträge und Unionsrecht einhalten. Bei Verstößen muss sie ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten und ist auch befugt, Strafen zu verhängen.
Nun muss der EU-Rat über den Schengen-Beitritt Kroatiens entscheiden. Eine Abstimmung ist nicht unmittelbar zu erwarten. Dennoch eröffnen bereits jetzt Aussagen wie die von Horst Seehofer und die fehlende Kritik aus den Hauptstädten und Brüssel wenig Hoffnung, dass die Wahrung Menschenrechtsstandards im Schengen-Raum bei der Bewertung eine Rolle spielen wird.
Die Willkür der Staatsgewalt an der kroatischen Grenze ist Ausdruck einer Politik, Flucht und Migration um jeden Preis abzuwehren – im Namen Europas.
EGMR-Urteil mit Auswirkungen auf Kroatien?
Die am 13. Februar 2020 erfolgte Abweisung einer Klage gegen Push-Backs von Spanien nach Marokko durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist ein Rückschlag für den Schutz von Menschenrechten an Grenzen. Wie an der fraglichen spanischen Exklave haben Schutzsuchende auch an der Grenze Kroatiens keine tatsächliche Möglichkeit an einem regulären Grenzübergang Schutz zu suchen.
Das Argument des EGMR, die Schutzsuchende hätten legale Einreisemöglichkeiten gehabt und die Gefahren einer illegalen Einreise – und damit die direkte Abschiebung – quasi in Kauf genommen, verkennt die Umstände von Flucht und die Situation für Flüchtlinge an den Grenzen. In Kroatien kommt das Ausmaß an Brutalität und Gewalt an den Grenzen hinzu, was den unrechtmäßigen Charakter von Pushbacks unterstreicht und in der Region ein erschütterndes Ausmaß erreicht hat.
PRO ASYL fordert:
- Eine unabhängige Untersuchung der Vorwürfe der exzessiven Gewaltanwendung gegen Flüchtlinge und Migranten an der kroatisch-bosnischen Grenze. Die Täter in Uniform müssen zur Rechenschaft gezogen werden.
- Kroatien muss die Polizeigewalt an seinen Grenzen unverzüglich beenden und geeignete Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass das Völkerrecht uneingeschränkt eingehalten wird.
- Die EU-Kommission muss endlich Vertragsverletzungsverfahren gegen Kroatien einleiten.
- Wir fordern außerdem eine gründliche Untersuchung, inwiefern EU-Gelder in Kroatien dazu genutzt werden oder in Vergangenheit dazu genutzt wurden, Menschenrechtsverletzungen zu begehen.
(mz / dm / kk)