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Trotz massiver Bedenken: Abschiebungen nach Afghanistan gehen weiter
Nirgendwo in Afghanistan ist die Sicherheitslage gut – das sagt auch die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung. Innenminister de Maizière hält das nicht davon ab, weitere Abschiebungen zu forcieren und dabei mit unglaublichen Aussagen zu argumentieren.
Am heutigen Mittwoch (22.02.) findet offenbar die dritte Sammelabschiebung von afghanischen Flüchtlingen statt, diesmal vom Flughafen München aus. Flüchtlingsinitiativen haben bereits Proteste dagegen angekündigt.
Wer ist betroffen?
Zu vermuten ist, dass wie bei den ersten beiden Abschiebungen erneut eine breite und heterogene Gruppe betroffen ist. Im Fokus stehen dabei junge und (angeblich) alleinstehende Männer. Häufig ist auch die Rede davon, es handele sich bei den Abgeschobenen um Straftäter, auf die große Mehrheit der Menschen in den ersten beiden Sammelchartern traf dies aber nicht zu.
Beim zweiten Abschiebeflug am 23. Januar von Frankfurt aus waren vor allem Menschen aus Bayern (18) an Bord, der Rest wurde aus den Bundesländern Baden-Württemberg (4), Hamburg (3) und Rheinland-Pfalz (1) abgeschoben. Wie schon im ersten Flieger waren darunter etliche Flüchtlinge, die bereits seit Jahren in Deutschland lebten und hier integriert waren.
Wer nicht auf Freunde oder Verwandte zurückgreifen kann, bleibt auf sich alleine gestellt – in einem Land, in dem viele der Betroffenen seit etlichen Jahren nicht mehr waren, das überhaupt keine Strukturen für die hunderttausenden Menschen auf der Flucht hat und in dem jederzeit eine Bombe hochgehen kann.
Lediglich 7 der 26 Abgeschobenen sind strafrechtlich in Erscheinung getreten, genaue Hinweise zur Schwere der Delikte gibt es nicht, bei manchen Betroffenen liegen Informationen über Sozialstunden oder gerichtlich verordnete Konfliktberatungen vor – unklar ist, ob das bereits für eine Einstufung als »Straftäter« ausreichte. Eine Übersicht über Medienberichte zu den Abgeschobenen:
Nordbayern über Abgeschobene aus Bayern / SWP über die Abgeschobenen aus Ba-Wü / NDR über Abgeschobene aus Hamburg / Alone in Kabul: DW.com über »Farid« / Tagesschau trifft Matiullah & Atiqullah in Kabul / Der abgeschobene »Shams« meldet sich mit einem Video aus Kabul bei seinen Freunden in Deutschland / »Erst integrieren, dann abschieben«: Monitor über absurde Asylpolitik / »Ständige Angst« – Bericht in der Süddeutschen Zeitung
Wenig Unterstützung für Abgeschobene vor Ort
Übereinstimmend sind dort Aussagen zu finden, dass die Abgeschobenen nach der Ankunft in Kabul kaum Unterstützung bekommen. Manche von ihnen erhalten eine Unterkunft, die sie aber bereits nach wenigen Wochen verlassen müssen. Einigen Berichten zufolge beschränkt sich auch die finanzielle Hilfe vor Ort – wenn überhaupt – auf wenige Euro, obwohl auch abgeschobenen Afghanen eine wesentlich höhere »Reintegrationshilfe« zustehen würde, wie eine Anfrage im Bundestag bestätigt.
Wer nicht auf Freunde oder Verwandte zurückgreifen kann, bleibt also auf sich alleine gestellt – in einem Land, in dem viele der Betroffenen seit etlichen Jahren nicht mehr waren, das überhaupt keine Strukturen für die hunderttausenden Menschen auf der Flucht hat und in dem jederzeit eine Bombe hochgehen kann.
Diese Erfahrung musste auch ein aus Deutschland abgeschobener Flüchtling nur wenige Wochen nach seiner Rückkehr in Afghanistan machen: Das erste Mal, als er das Haus verließ, geriet er in einen Taliban-Anschlag und erlitt Gesichtsverletzungen.
Lageeinschätzung der Regierung ist absurd
Soviel also zu den »sicheren Gebieten«, zu denen die Bundesregierung ja offensichtlich auch Kabul zählt, auch wenn man sich da in der Öffentlichkeit nicht mehr so genau festlegen möchte und behauptet, im Einzelfall zu prüfen, ob eine Region für den jeweiligen Betroffenen sicher sei.
Auch der Bericht des Auswärtigen Amtes »über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan« ergibt keine weiteren Erkenntnisse, sondern bleibt eine Berichterstattung aus der Bunkerperspektive, bei der bloße Plausibilitätserwägungen und Informationen vom Hörensagen eine große Rolle spielen.
»Nicht die Lage in Afghanistan hat sich verändert, sondern die innenpolitische Diskussion«
Deutlicher als in seiner »abschiebungsrelevanten Lageeinschätzung« wird das Auswärtige Amt hingegen bei seiner Reisewarnung für Afghanistan, in der es heißt: »In ganz Afghanistan besteht ein hohes Risiko, Opfer einer Entführung oder eines Gewaltverbrechens zu werden. Landesweit kann es zu Attentaten, Überfällen, Entführungen und andere Gewaltverbrechen kommen«.
Unglaubliche Aussagen des Innenministers
Dem entgegenwirken können da allerdings die Aussagen von Innenminister Thomas de Maizière! Ihm zufolge ist die Gefährdungslage für Zivilisten in Afghanistan gar nicht so schlimm, da sie »zwar Opfer, aber nicht Ziel« der Taliban-Attacken seien.
Für de Maizière ein »großer Unterschied«, der die 11.418 Menschen, die den Vereinten Nationen zufolge allein im Jahr 2016 zu zivilen Opfern des Konflikts wurden, sicherlich beruhigt. Nebenbei offenbarte der Minister im Interview mit den tagesthemen, dass er scheinbar den – von ihm beauftragten – Bericht des UNHCR zur Lage in Afghanistan nur unzureichend gelesen hat, indem er steif und fest behauptete, dort würde gar nicht gesagt, dass eine Einteilung in »unsichere« und »sichere« Gebiete bei der aktuellen Sicherheitslage schlicht nicht möglich ist.
Dem Beispiel Schleswig-Holstein folgen: Abschiebestopp jetzt!
Anders sein Innenministerkollege Studt in Schleswig-Holstein: Dort hat das Kabinett auf Grundlage des UNHCR-Berichtes einen Abschiebestopp nach Afghanistan für vorerst drei Monate beschlossen. Auch andere Bundesländer, wie Bremen, Thüringen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz wollen zunächst auf Abschiebungen verzichten.
Nicht umsonst hat sogar die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler, unlängst festgestellt: »Nicht die Lage in Afghanistan hat sich verändert, sondern die innenpolitische Diskussion«. Gleichzeitig machte Kofler deutlich, dass die Sicherheitslage zwar unterschiedlich sein möge, nirgendwo in Afghanistan aber gut sei.
Ihrer Forderung nach einem sofortigen Abschiebestopp nach Afghanistan ist da nur beizupflichten! Die anderen Bundesländer sollten dem Beispiel Schleswig-Holsteins folgen – auch wenn Innenminister de Maizière darüber »verärgert« ist.