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Trotz Corona: Sammelabschiebung in die Krisenregion Pakistan
Anfang der Woche startete der erste Sammelcharter nach Pakistan seit Beginn der COVID-19-Pandemie. Abschiebungen fanden zuletzt aufgrund von internationalen Reisebeschränkungen nur vereinzelt statt. Nun ist zu befürchten, dass Chartermaßnahmen wieder verstärkt aufgenommen und Personen selbst in Corona-Krisenregionen geschickt werden.
Nachdem erste Sammelabschiebungen bereits durchgeführt wurden, darunter Ende Mai die einer achtköpfigen Roma-Familie mit einem behinderten Kind nach Serbien, fand nun in Zusammenarbeit mit Frontex die erste Langstreckenabschiebung nach Islamabad statt. Betroffen waren insgesamt 19 Pakistaner, von denen neun aus Deutschland und zehn aus Griechenland abgeschoben wurden.
Noch am Montag wurde Pakistan in Zusammenhang mit steigenden Corona-Infektionen vom Chef des Robert-Koch-Instituts im Beisein des Gesundheitsministers explizit genannt – nur einen Tag später startet der erste Sammelcharter über eine Langstrecke ausgerechnet in dieses Land. Dabei hat die pakistanische Bevölkerung derzeit mit vielfältigen direkten und indirekten Folgen von COVID-19 zu kämpfen.
Pakistan belegt Platz 11 aller von COVID-19 betroffenen Länder weltweit
Am 17. Juli beliefen sich die offiziellen Zahlen im gesamten Land laut WHO auf fast 260.000, wodurch Pakistan weltweit die Nummer 11 ist. Auch das Infektionsgeschehen in den Nachbarländern Afghanistan, Iran und Indien zeugt von einer schwergetroffenen Region. Die WHO bestätigt außerdem, dass Pakistan eines der Länder mit den höchsten Zuwächsen an Infektionen ist. Bisher sind fast 5500 Menschen bekanntermaßen an dem Virus verstorben.
Noch am Montag wurde Pakistan in Zusammenhang mit steigenden Corona-Infektionen vom Chef des Robert-Koch-Instituts explizit genannt – nur einen Tag später startet ausgerechnet dorthin eine Sammelabschiebung.
Die WHO wandte sich bereits mit einem Schreiben an die pakistanische Regierung, in welchem sie die schwache Strategie zur Bekämpfung des Coronavirus kritisierte. Das Identifizieren, Testen, Isolieren sowie die Behandlung und Nachverfolgung der Kontakte sei unzureichend. Derzeit werde nur halb so viel getestet, wie empfohlen, was für eine hohe Dunkelziffer an Infizierten spreche. Die überdurchschnittlich hohe Positivrate von 24 Prozent aller Getesteten verhärte diesen Verdacht. Kritiker*innen schätzen deswegen, dass die Zahl der tatsächlich Erkrankten in Millionenhöhe liegen könnte.
Schlechte Regierungsführung geht auf Kosten der Bevölkerung
Nach dem ersten registrierten COVID-19 Fall am 26. Februar 2020 verhängte die Regierung von Premierminister Imran Khan zwischen dem 1. April und dem 9. Mai einen partiellen Lockdown über das gesamte Land. Unter anderem auf Druck religiöser Gruppen und Gewerkschaften hob die pakistanische Regierung jedoch die Beschränkungen Ende Mai zu den Feierlichkeiten von Eid al-Fitr, dem Fastenbrechen, sowie mit dem Ziel die stark angeschlagene Wirtschaft anzukurbeln wieder fast vollständig auf. Aufgrund der rasant steigenden Neuinfektionen Anfang Juni kam es kurzfristig jedoch erneut zu Schließungen und der Abriegelung ganzer Stadtteile in Metropolen.
Kritiker*innen werfen dem Premierminister vor, keinen konkreten Plan im Umgang mit dem Coronavirus zu verfolgen und Entscheidungen anhand von wirtschaftlichen Interessen und nicht in Abstimmung mit Gesundheitsexpert*innen zu treffen.
Nur ein Beispiel dafür ist, dass die Verteidigungsausgaben im Haushaltsjahr 2020/2021 um 12 Prozent im Vergleich zum Vorjahr erhöht wurden, während die Ausgaben für Gesundheit nur einen Bruchteil davon ausmachen. Problematisch ist außerdem, dass die Regierung ein Flugzeug voller medizinischer Schutzausrüstung an das US-amerikanische Militär verschenkte, obwohl im eigenen Land nicht genügend zur Verfügung steht. Viele Pakistaner*innen fürchten, dass das Land aufgrund der schlechten Regierungsführung in eine unhaltbare Gesundheitskrise geraten wird.
Überlastetes Gesundheitssystem fordert Menschenleben
Das Gesundheitssystem ist bereits jetzt durch den hohen Anstieg der Infektionszahlen überlastet. Auch Krankenhäuser haben sich durch hohe Belegungsraten zu Hotspot-Übertragungsorten entwickelt, unter anderem da es an entsprechender Schutzausrüstung fehlt. Es gibt Berichte, dass manche Krankenhäuser aufgrund der Überlastung ihre Tore verschlossen haben und Ärzt*innen sich in hohen Zahlen selbst infizieren.
Außerdem kam es zu einigen Übertragungen in überfüllten Gefängnissen, ohne dass Insassen einen adäquaten Zugang zu medizinischer Infrastruktur hätten. Aber auch der ärmste Teil der Bevölkerung ist einer besonderen Gefahr ausgesetzt, da er in überfüllten Siedlungen lebt, in denen Abstand halten nicht möglich ist.
Das Gesundheitssystem ist bereits jetzt überlastet. Auch Krankenhäuser haben sich zu Hotspots entwickelt.
Da sich die Anstrengungen der Regierung hauptsächlich auf das neuartige Virus konzentrieren, wird die Bekämpfung anderer Krankheiten vernachlässigt. So wurden Impfkampagnen gegen Masern eingestellt – mit der Folge, dass erste isolierte Ausbrüche der potenziell tödlichen Krankheit in Pakistan stattgefunden haben. Es besteht die Gefahr, dass Krankheiten zurückkehren, die man vor COVID-19 bereits im Griff hatte.
Schwerwiegende Wirtschafts- und Ernährungskrise steht vor der Tür
Weitreichende Folgen der aktuellen Entwicklungen wird es auch im Wirtschaftssektor geben. Als direkte Reaktion auf die weltweiten Konsumeinbrüche verzeichnen Textilfabriken in Südasien schon jetzt Auftragsrückgänge in Milliardenhöhe. Allein in der Provinz Sindh, in der auch die Millionenmetropole Karachi liegt, trifft das unzählige Familien. Durch zahlreiche Entlassungen, die in Millionenhöhe liegen können, sind sie einer existentiellen Bedrohung ausgesetzt.
Der Bericht der Landwirtschaftsexpert*innen der Vereinten Nationen warnt vor einer Hungersnot. Besonders betroffen sind wieder die Ärmsten des Landes.
Doch nicht nur die wirtschaftlichen Einbrüche werden das Land schwer treffen, sondern auch eine zunehmende Verschlechterung der Ernährungssicherheit. In dem kürzlich veröffentlichten Welternährungsbericht 2020 wird die akute Ernährungsunsicherheit Pakistans an vielen Stellen deutlich. So ist es eines der Länder, in welchem sich die Ernährungssicherheit aufgrund von extremen Wetterereignissen und wirtschaftlichen Schocks in den letzten Jahren stark verschlechtert hat. Außerdem weist das Land eine zu hohe Zahl akut unterernährter Kinder auf.
Als wäre all das nicht schon genug wird Pakistan derzeit von der schlimmsten Heuschreckenplage seit Jahrzehnten heimgesucht. Die Regierung hat im Februar dieses Jahres deswegen den nationalen Notstand ausgerufen. Ganze Ernten können ausfallen und Nahrungsmittel knapp werden.
Der Bericht der Landwirtschaftsexpert*innen der Vereinten Nationen warnt vor einer Hungersnot. Besonders betroffen sind wieder die Ärmsten des Landes, auch da viele Arbeitsgelegenheiten in der Landwirtschaft – insbesondere für Tagelöhner*innen – wegfallen. Nach wie vor ist die pakistanische Wirtschaft stark von der Landwirtschaft abhängig.
Abschiebungen nach Pakistan sind verantwortungslos!
Die Verschränkung all dieser politischen, gesundheitlichen, wirtschaftlichen und ernährungstechnischen Aspekten macht deutlich, dass Abschiebungen nach Pakistan aktuell nicht vertretbar sind! Die Corona-Pandemie ist noch längst nicht vorbei, die Regierung schützt die eigene Bevölkerung und vor allem die Ärmsten nicht ausreichend und die Prognose bezüglich der Wirtschafts- und Ernährungssituation ist verheerend.
Gemeinsam mit anderen Organisationen hatte PRO ASYL angesichts der Pandemie zur Innenministerkonferenz am 18. Juni die Forderung nach einem Abschiebungsmoratorium erneuert.
(tl)