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Tricks für die Statistik: Wie sich die Bundesregierung die Asylverfahrensdauer schön rechnet
Angeblich werden Asylverfahren mittlerweile schneller bearbeitet – das suggeriert das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Doch die Erfolgsmeldung basiert auf einem sehr zweifelhaften Vorgehen. Tatsächlich dauern viele Asylverfahren noch immer quälend lange.
Vor wenigen Tagen meldeten zahlreiche Medien, die Asylverfahrensdauer habe sich verkürzt und betrage nun durchschnittlich weniger als sechs Monate. Die Meldungen basierten auf einer Antwort des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf eine Anfrage des CSU-Bundestagsabgeordneten Reinhard Brandl. Darin meldete das BAMF: Asylverfahren im Dezember 2014 hätten in Durchschnitt nur noch 5,7 Monate gedauert – gegenüber 7,7 Monaten im Juli 2014. Die Schlussfolgerung: Die Asylverfahren liefen nun erheblich schneller – vor allem dank neu eingestellten Personals beim Bundesamt.
Beschleunigung im Dezember verdankt sich der Praxis der Priorisierung
Es lohnt sich jedoch, diese isolierte Zahl in den Kontext der insgesamt verfügbaren Statistiken einzuordnen. Dann zeigt sich unter anderem, dass die These, die angebliche Verfahrensbeschleunigung liege am Personalzuwachs, zweifelhaft ist.
Im Dezember 2014 hat das BAMF 15.655 Fälle entschieden. Gegenüber Juli (10.199) ist das tatsächlich eine deutliche Steigerung von über 50 Prozent. Wenn man sich aber genauer anschaut, über welche Fälle denn im Dezember entschieden wurde, zeigt sich, dass die Beschleunigung vor allem daran lag, dass das Bundesamt Entscheidungen zu Herkunftsländern vorzog, für die das Bundesamt die Prozedur der „Priorisierung“ anwendet:
Das Bundesamt entschied über ca. 5.300 Fälle aus Syrien, 3.150 aus Serbien, 1.250 aus Mazedonien, 870 aus dem Irak und ca. 860 aus Bosnien. Zusammengerechnet sind das etwa 11.400 Entscheidungen zu Herkunftsländern, bei denen die Asylantragsteller entweder als aus „sicheren Herkunftsländern“ kommende Personen im Schnellverfahren abgelehnt werden – oder wegen ihrer Herkunft aus einem besonders unsicheren Herkunftsland ebenso schnell ohne mündliche Anhörung anerkannt werden. (Asylgeschäftsstatistik des BAMF 12/2014)
Zudem wurden gegen Ende des Jahres offenbar noch einige der so genannten Dublin-Verfahren vorgezogen – Verfahren, die nicht zu einer inhaltlichen Entscheidung führen, sondern bei denen allein festgestellt wird, dass die Zuständigkeit für den Asylantrag auf der Grundlage der Dublin-III-Verordnung bei einem anderen EU-Staat liegt. Dies ergibt sich aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Fraktion die Linke (BT-Drucksache 18/3713 vom 23.01.2015).
Dieser Quelle zufolge dauerten Dublin-Verfahren im vierten Quartal nämlich nicht mehr wie im Jahresschnitt 4,3 Monate, sondern nur noch 3,1 Monate. Der medial erfolgreich verkaufte Beschleunigungseffekt ergibt sich offenbar insgesamt aus einer Vorauswahl von schnell zu erledigenden Verfahren.
Bundesregierung will Verfahren auf drei Monate verkürzen
Wem nützen die statistischen Tricks? Einer Bundesregierung, die bereits im Koalitionsvertrag eine dreimonatige Asylverfahrensdauer als Ziel angegeben hat und nun gern behaupten möchte, man sei auf dem besten Weg. Wie weit es tatsächlich noch ist zu einer kürzeren Asylverfahrenszeit, zeigt ein Blick auf die Anhörungsstatistik:
50.346 Anhörungen hat das Bundesamt 2014 durchgeführt, also knapp 4.200 pro Monat. Im Oktober und November lag die Zahl knapp über diesem Schnitt, im Dezember dann mit 3.182 deutlich darunter. Somit haben die Entscheider im Dezember offenbar weniger angehört, aber mehr im Schnellverfahren entschieden – damit die Statistik Erfolgsmeldungen hergibt.
Die Kosten tragen alle weiteren Antragsstellenden
Die kurzfristige Verbesserung der statistischen Werte durch noch mehr Schnellverfahren geht auf Kosten aller anderen entschiedenen Fälle. Im vierten Quartal 2014 dauerte ein Asylverfahren beim BAMF im Schnitt 14,9 Monate, wenn man die so genannten Dublin-Verfahren, die Folgeverfahren sowie die im oben geschilderten Schnellverfahren bearbeiteten Gruppen herausrechnet. Im Vergleich zum Gesamtjahr 2014 (13,1 Monate) und 2013 (12,6 Monate) ergab sich demnach für alle übrigen Asylsuchenden eine Verfahrensverlängerung. (BT-Drucksache 18/3713 vom 23.01.2015)
Unbearbeitete Fälle tauchen in der Statistik gar nicht auf
Gar nicht in der Verfahrensdauerstatistik enthalten sind dabei alle 170.000 beim Bundesamt aufgelaufenen und unbearbeiteten Fälle – denn sie sind logischerweise nicht entschieden. Bei etwa 50.000 Anhörungen pro Jahr – eine Zahl, die selbst mit neuem Personal kurzfristig nicht extrem zu steigern sein dürfte – kann man sich ausrechnen, dass der Rückstand an unerledigten Verfahren kaum zeitnah abzubauen ist. Das gilt auch dann, wenn unter den Fällen im Wartestand mehr als 20.000 Syrer_innen, über 15.000 Eritreer_innen und über 3.500 Iraker_innen sind, die wohl auch künftig nicht individuell angehört werden müssen.
Und eine weitere Gruppe gibt es, die gar nicht in der statistischen Erfassung auftaucht: Es gibt geschätzt etwa 20.000–30.000 Menschen, die sich als Asylsuchende bei deutschen Behörden gemeldet haben und dann monatelang mit einer bloßen Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchende oder anderen provisorischen Papieren auf ihre offizielle Registrierung als Asylsuchende und die damit verbundene Aufenthaltsgestattung warten. Da diese Registrierungsproblematik im Vorfeld des eigentlichen Asylverfahrens im Jahr 2014 gegenüber den Vorjahren wesentlich größer geworden ist, dürfte die Gesamtdauer der Verfahren ab erstem Auftauchen bei einer deutschen Behörde eher länger geworden sein. Das bildet die Statistik aber nicht ab.
Statistik geht an der Realität der Asylsuchenden vorbei
Deshalb geben auch die statistischen Durchschnittszahlen für Asylantragsteller aus nicht vorrangig behandelten Herkunftsstaaten die Realität nicht voll wieder. Nach offizieller Statistik warteten iranische Asylantragsteller im Durchschnitt 14,5 Monate, afghanische 13,9, irakische 9,6, somalische 9,2, pakistanische 5,7. In vielen Fällen ist dies länger als es die Vergleichszahlen für dieselben Personengruppen im Jahr 2013 ausweisen. (BT-Drucksache 18/3713 vom 23.01.2015)
Die Legende vom „schnellen Dezember“ sollte wohl das berühmte Licht am Ende des Tunnels darstellen, stattdessen hat das Bundesamt ein statistisches Wunderkerzlein angezündet. Das Einzige was hilft, ist eine weitere Personalaufstockung beim Bundesamt. Die aber dauert – inklusive Ausbildung – ihre Zeit.
Gerecht geht anders!
Doch abseits solch spekulativer Zukunftserwartungen: Gerecht geht anders. Auf der einen Seite stehen Zehntausende nur provisorisch registrierte Asylsuchende, die auf den Beginn des Asylverfahrens warten sowie diejenigen, die seit Jahren im Verfahren sind, aber noch nicht einmal eine Anhörung hatten – und auf der anderen Seite stehen Asylsuchende aus „Schnellverfahrensherkunftsländern“, die prioritär bearbeitet werden. Von zeitnahen und fairen Asylverfahren für alle Asylsuchenden sind wir aktuell weit entfernt.