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Foto: Benjamin Kahlemeyer

Angeblich werden Asylverfahren mittlerweile schneller bearbeitet – das suggeriert das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Doch die Erfolgsmeldung basiert auf einem sehr zweifelhaften Vorgehen. Tatsächlich dauern viele Asylverfahren noch immer quälend lange.

Vor weni­gen Tagen mel­de­ten zahl­rei­che Medi­en, die Asyl­ver­fah­rens­dau­er habe sich ver­kürzt und betra­ge nun durch­schnitt­lich weni­ger als sechs Mona­te. Die Mel­dun­gen basier­ten auf einer Ant­wort des Bun­des­am­tes für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) auf eine Anfra­ge des CSU-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten Rein­hard Brandl. Dar­in mel­de­te das BAMF: Asyl­ver­fah­ren im Dezem­ber 2014 hät­ten in Durch­schnitt nur noch 5,7 Mona­te gedau­ert  –  gegen­über 7,7 Mona­ten im Juli 2014. Die Schluss­fol­ge­rung: Die Asyl­ver­fah­ren lie­fen nun erheb­lich schnel­ler – vor allem dank neu ein­ge­stell­ten Per­so­nals beim Bundesamt.

Beschleu­ni­gung im Dezem­ber ver­dankt sich der Pra­xis der Priorisierung

Es lohnt sich jedoch, die­se iso­lier­te Zahl in den Kon­text der ins­ge­samt ver­füg­ba­ren Sta­tis­ti­ken ein­zu­ord­nen. Dann zeigt sich unter ande­rem, dass die The­se, die angeb­li­che Ver­fah­rens­be­schleu­ni­gung lie­ge am Per­so­nal­zu­wachs, zwei­fel­haft ist.

Im Dezem­ber 2014 hat das BAMF 15.655 Fäl­le ent­schie­den.  Gegen­über Juli (10.199) ist das tat­säch­lich eine deut­li­che Stei­ge­rung von über 50 Pro­zent. Wenn man sich aber genau­er anschaut, über wel­che Fäl­le denn im Dezem­ber ent­schie­den wur­de, zeigt sich, dass die Beschleu­ni­gung vor allem dar­an lag, dass das Bun­des­amt Ent­schei­dun­gen zu Her­kunfts­län­dern vor­zog, für die das Bun­des­amt die Pro­ze­dur der „Prio­ri­sie­rung“ anwendet:

Das Bun­des­amt ent­schied über ca. 5.300 Fäl­le aus Syri­en, 3.150 aus Ser­bi­en, 1.250 aus Maze­do­ni­en, 870 aus dem Irak und ca. 860 aus Bos­ni­en. Zusam­men­ge­rech­net sind das etwa 11.400 Ent­schei­dun­gen zu Her­kunfts­län­dern, bei denen die Asyl­an­trag­stel­ler ent­we­der als aus „siche­ren Her­kunfts­län­dern“ kom­men­de Per­so­nen im Schnell­ver­fah­ren abge­lehnt wer­den – oder wegen ihrer Her­kunft aus einem beson­ders unsi­che­ren Her­kunfts­land eben­so schnell ohne münd­li­che Anhö­rung aner­kannt wer­den. (Asyl­ge­schäfts­sta­tis­tik des BAMF 12/2014)

Zudem wur­den gegen Ende des Jah­res offen­bar noch eini­ge der so genann­ten Dub­lin-Ver­fah­ren  vor­ge­zo­gen – Ver­fah­ren, die nicht zu einer inhalt­li­chen Ent­schei­dung füh­ren, son­dern bei denen allein fest­ge­stellt wird, dass die Zustän­dig­keit für den Asyl­an­trag auf der Grund­la­ge der Dub­lin-III-Ver­ord­nung bei einem ande­ren EU-Staat liegt. Dies ergibt sich aus der Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung auf eine klei­ne Anfra­ge der Frak­ti­on die Lin­ke (BT-Druck­sa­che 18/3713 vom 23.01.2015).

Die­ser Quel­le zufol­ge dau­er­ten Dub­lin-Ver­fah­ren im vier­ten Quar­tal näm­lich nicht mehr wie im Jah­res­schnitt 4,3 Mona­te, son­dern nur noch 3,1 Mona­te. Der medi­al erfolg­reich ver­kauf­te Beschleu­ni­gungs­ef­fekt ergibt sich offen­bar ins­ge­samt  aus einer Vor­auswahl von schnell zu erle­di­gen­den Verfahren.

Bun­des­re­gie­rung will Ver­fah­ren auf drei Mona­te verkürzen

Wem nüt­zen die sta­tis­ti­schen Tricks? Einer Bun­des­re­gie­rung, die bereits im Koali­ti­ons­ver­trag eine drei­mo­na­ti­ge Asyl­ver­fah­rens­dau­er als Ziel ange­ge­ben hat und nun gern behaup­ten möch­te, man sei auf dem bes­ten Weg. Wie weit es tat­säch­lich noch ist zu einer kür­ze­ren Asyl­ver­fah­rens­zeit, zeigt  ein Blick auf die Anhörungsstatistik:

50.346 Anhö­run­gen hat das Bun­des­amt 2014 durch­ge­führt, also knapp 4.200 pro Monat. Im Okto­ber und Novem­ber lag die Zahl knapp über die­sem Schnitt, im Dezem­ber dann mit 3.182 deut­lich dar­un­ter. Somit haben die Ent­schei­der im Dezem­ber offen­bar weni­ger ange­hört, aber mehr im Schnell­ver­fah­ren ent­schie­den – damit die Sta­tis­tik Erfolgs­mel­dun­gen hergibt.

Die Kos­ten tra­gen alle wei­te­ren Antragsstellenden

Die kurz­fris­ti­ge Ver­bes­se­rung der sta­tis­ti­schen Wer­te durch noch mehr Schnell­ver­fah­ren geht auf Kos­ten aller ande­ren ent­schie­de­nen Fäl­le. Im vier­ten Quar­tal 2014 dau­er­te ein Asyl­ver­fah­ren beim BAMF im Schnitt 14,9 Mona­te, wenn man die so genann­ten Dub­lin-Ver­fah­ren, die Fol­ge­ver­fah­ren sowie die im oben geschil­der­ten Schnell­ver­fah­ren bear­bei­te­ten Grup­pen her­aus­rech­net. Im Ver­gleich zum Gesamt­jahr 2014 (13,1 Mona­te) und 2013 (12,6 Mona­te) ergab sich dem­nach für alle übri­gen Asyl­su­chen­den eine Ver­fah­rens­ver­län­ge­rung. (BT-Druck­sa­che 18/3713 vom 23.01.2015)

Unbe­ar­bei­te­te Fäl­le tau­chen in der Sta­tis­tik gar nicht auf

Gar nicht in der Ver­fah­rens­dau­er­sta­tis­tik ent­hal­ten sind dabei alle 170.000 beim Bun­des­amt auf­ge­lau­fe­nen und unbe­ar­bei­te­ten Fäl­le – denn sie sind logi­scher­wei­se nicht ent­schie­den. Bei etwa 50.000 Anhö­run­gen pro Jahr – eine Zahl, die selbst mit neu­em Per­so­nal kurz­fris­tig nicht extrem zu stei­gern sein dürf­te – kann man sich aus­rech­nen, dass der Rück­stand an uner­le­dig­ten Ver­fah­ren kaum zeit­nah abzu­bau­en ist. Das gilt auch dann, wenn unter den Fäl­len im War­te­stand mehr als 20.000 Syrer_innen, über 15.000 Eritreer_innen und über 3.500 Iraker_innen sind, die wohl auch künf­tig nicht indi­vi­du­ell ange­hört wer­den müssen.

Und eine wei­te­re Grup­pe gibt es, die gar nicht in der sta­tis­ti­schen Erfas­sung auf­taucht: Es gibt geschätzt etwa 20.000–30.000 Men­schen, die sich als Asyl­su­chen­de bei deut­schen Behör­den gemel­det haben und dann mona­te­lang mit einer blo­ßen Beschei­ni­gung über die Mel­dung als Asyl­su­chen­de oder ande­ren pro­vi­so­ri­schen Papie­ren auf ihre offi­zi­el­le Regis­trie­rung als Asyl­su­chen­de und die damit ver­bun­de­ne Auf­ent­halts­ge­stat­tung war­ten. Da die­se Regis­trie­rungs­pro­ble­ma­tik im Vor­feld des eigent­li­chen Asyl­ver­fah­rens im Jahr 2014 gegen­über den Vor­jah­ren wesent­lich grö­ßer gewor­den ist, dürf­te die Gesamt­dau­er der Ver­fah­ren ab ers­tem Auf­tau­chen bei einer deut­schen Behör­de eher län­ger gewor­den sein. Das bil­det die Sta­tis­tik aber nicht ab.

Sta­tis­tik geht an der Rea­li­tät der Asyl­su­chen­den vorbei

Des­halb geben auch die sta­tis­ti­schen Durch­schnitts­zah­len für Asyl­an­trag­stel­ler aus nicht vor­ran­gig  behan­del­ten Her­kunfts­staa­ten die Rea­li­tät nicht voll wie­der. Nach offi­zi­el­ler Sta­tis­tik war­te­ten ira­ni­sche Asyl­an­trag­stel­ler im Durch­schnitt 14,5  Mona­te, afgha­ni­sche 13,9, ira­ki­sche 9,6, soma­li­sche 9,2, paki­sta­ni­sche 5,7. In vie­len Fäl­len ist dies län­ger als es die Ver­gleichs­zah­len für die­sel­ben Per­so­nen­grup­pen im Jahr 2013 aus­wei­sen. (BT-Druck­sa­che 18/3713 vom 23.01.2015)

Die Legen­de vom „schnel­len Dezem­ber“ soll­te wohl das berühm­te Licht am Ende des Tun­nels dar­stel­len, statt­des­sen hat das Bun­des­amt ein sta­tis­ti­sches Wun­der­kerz­lein ange­zün­det. Das Ein­zi­ge was hilft, ist eine wei­te­re Per­so­nal­auf­sto­ckung beim Bun­des­amt. Die aber dau­ert – inklu­si­ve Aus­bil­dung – ihre Zeit.

Gerecht geht anders!

Doch abseits solch spe­ku­la­ti­ver Zukunfts­er­war­tun­gen: Gerecht geht anders. Auf der einen Sei­te ste­hen Zehn­tau­sen­de nur pro­vi­so­risch regis­trier­te Asyl­su­chen­de, die auf den Beginn des Asyl­ver­fah­rens war­ten sowie die­je­ni­gen, die seit Jah­ren im Ver­fah­ren sind, aber noch nicht ein­mal eine Anhö­rung hat­ten  – und auf der ande­ren Sei­te ste­hen Asyl­su­chen­de aus „Schnell­ver­fah­rens­her­kunfts­län­dern“, die prio­ri­tär bear­bei­tet wer­den. Von zeit­na­hen und fai­ren Asyl­ver­fah­ren für alle Asyl­su­chen­den sind wir aktu­ell weit entfernt.