17.12.2012
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Obdachlose Flüchtlinge auf der griechischen Insel Lesbos im Winter 2012. Foto: <a href="http://lesvos.w2eu.net/">http://lesvos.w2eu.net/</a>

Innenminister Friedrich hat den Überstellungsstopp nach Griechenland um ein weiteres Jahr verlängert. Mit der Entscheidung teilte er gleichzeitig mit, das Dublin-System werde „als solches nicht in Frage gestellt.“ Dabei zeigt sich die Krise des Dublin-Systems nicht nur an Griechenland.

Zum zwei­ten Mal  hat das Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um den Abschie­be­stopp nach Grie­chen­land um ein Jahr ver­län­gern müs­sen. Die Bedin­gun­gen, die Flücht­lin­ge in Grie­chen­land auf der Stra­ße oder in Haft erlei­den, sind nach wie vor men­schen­rechts­wid­rig. Die Umset­zung des von der grie­chi­schen Regie­rung 2010 vor­ge­leg­ten Natio­na­len Akti­ons­plans zur Eta­blie­rung eines Asyl­sys­tems las­se zwar „Ver­bes­se­run­gen erken­nen“, so heißt es in der Pres­se­er­klä­rung des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­ums, doch wei­se das grie­chi­sche Asyl­sys­tem „noch schwer­wie­gen­de Män­gel auf“.

Schon seit Janu­ar 2011 fin­den aus Deutsch­land kei­ne Dub­lin-Über­stel­lun­gen mehr nach Grie­chen­land statt. Die Ent­schei­dung fiel nur weni­ge Tage,  bevor der Euro­päi­sche Men­schen­rechts­ge­richts­hof in einem rich­tungs­wei­sen­den Urteil klar­ge­stellt hat­te, das unter den Umstän­den, in denen Flücht­lin­ge in Grie­chen­land inhaf­tiert wer­den, Abschie­bun­gen dort­hin men­schen­rechts­wid­rig sind.

Noch immer wer­den Flücht­lin­ge in Grie­chen­land unter unmensch­li­chen Bedin­gun­gen oft über Mona­te hin­weg inhaf­tiert, von Poli­zis­ten ver­prü­gelt, auf die Stra­ße gesetzt und schutz­los Elend und Obdach­lo­sig­keit sowie zuneh­men­den Angrif­fen ras­sis­ti­scher Schlä­ger­trupps aus­ge­setzt. Am Leid der Asyl­su­chen­den in Grie­chen­land hat sich trotz aller „Akti­ons­plä­ne“ und „Maß­nah­men“ bis­her kaum etwas geän­dert. Ange­sichts der zuneh­mend deso­la­ten Lage des Lan­des ist dies lei­der nur wenig verwunderlich.

Dass die aber­ma­li­ge Ver­län­ge­rung des Über­stel­lungs­stopps zugleich als Hin­weis auf das Schei­tern des soge­nann­ten Dub­lin-Sys­tems zu deu­ten ist, ver­sucht Innen­mi­nis­ter Fried­rich von sich zu wei­sen: „Mit Ver­län­ge­rung der Ent­schei­dung zur Aus­set­zung wird das Dub­lin-Sys­tem als sol­ches nicht in Fra­ge gestellt“, so Fried­rich in sei­ner Pres­se­mit­tei­lung. „Die auf dem Ver­ant­wor­tungs­grund­satz basie­ren­den Zustän­dig­keits­re­ge­lun­gen“ habe sich „in den über zehn Jah­ren ihrer Anwen­dung bewährt“,  das Dub­lin-Sys­tem bie­te die Garan­tie dafür, „dass jeder auf dem Gebiet der teil­neh­men­den Staa­ten gestell­te Asyl­an­trag auch tat­säch­lich geprüft“ werde.

Tat­säch­lich wer­den in Grie­chen­land die wenigs­ten Asyl­ge­su­che geprüft – ein Groß­teil der Schutz­su­chen­den fin­det dort kei­nen Zugang zum Asyl­sys­tem. Und nicht nur in Grie­chen­land ist die Situa­ti­on von Asyl­su­chen­den kata­stro­phal. In Mal­ta und Ungarn wer­den Schutz­su­chen­de sys­te­ma­tisch unter men­schen­un­wür­di­gen Bedin­gun­gen inhaf­tiert, in Ita­li­en lan­den Flücht­lin­ge auf der Stra­ße. Das Dub­lin-Sys­tem, nach dem das Asyl­ge­such eines Flücht­lings in dem EU-Staat geprüft wer­den muss, dass ihn hat ein­rei­sen las­sen, schiebt die Ver­ant­wor­tung für Flücht­lin­ge auf die EU-Rand­staa­ten ab – die ihrer­seits ver­ant­wor­tungs­los han­deln und Flücht­lin­ge mit inhu­ma­nen Auf­nah­me­be­din­gun­gen abzu­schre­cken versuchen.

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