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Sondierungsgespräche: Flüchtlingsfeindliche Politik muss beendet werden!
In Berlin sondieren CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen noch auf den letzten Metern über den Familiennachzug. Auf dem Spiel stehen Schicksale von getrennten Flüchtlingsfamilien. Bei einer Pressekonferenz fordert PRO ASYL von den Sondierenden: Die Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Geschützten muss beendet werden!
Die jetzige und die künftige Regierung stehen in der Pflicht, verbriefte Grund- und Menschenrechte einzuhalten. Folgt man den Programmen aller sondierenden Parteien, müsste die gesetzliche Familientrennung beendet sein.
Beim Pressegespräch am 15. November 2017 in Berlin fordert PRO ASYL deshalb von den Sondierenden, die familienfeindliche Verweigerung des Familiennachzugs für subsidiär Geschützte unverzüglich zu beenden. CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen dürfen keine faulen Kompromisse schließen – auch nicht in den eigenen Reihen. Das Recht, als Familie zusammenleben zu können, ist grund- und menschenrechtlich verbrieft. Es darf nicht zur Verhandlungsmasse werden. Die Aktion von PRO ASYL »Familien gehören zusammen!«, an der sich bereits rund 25.000 Menschen beteiligt haben, geht deshalb weiter.
»CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen dürfen keine faulen Kompromisse schließen – auch nicht in den eigenen Reihen. «
Asylpaket II fatal für Flüchtlingsfamilien
Allein um die Flüchtlingszahlen zu begrenzen, hat die Bundesregierung mit dem sogenannten Asylpaket II im März 2016 die Chancen von Flüchtlingen, ihre engsten Angehörigen nachzuholen, eingeschränkt. Hauptbetroffene der Aussetzung sind Syrer*innen. Zwischen Januar und Oktober 2017 bekam mit rund 62% die Mehrheit nur den subsidiären Schutz erteilt (51.607 von insgesamt 83.555 inhaltlichen Entscheidungen). Mit rund 121.000 Entscheidungen machten Syrer*innen auch 2016 die größte Betroffenengruppe aus.
Syrer*innen weiterhin bedroht
Ein Großteil der syrischen Flüchtlinge wird lange auf Schutz und Verbleib in Deutschland angewiesen sein. Für subsidiär Geschützte gibt es im Hinblick auf Rückkehrmöglichkeiten nach Syrien keinerlei Unterschied zu den GFK-Geschützten. Selbst nach einem Sieg des Assad-Regimes wären dauerhafter Friede in Syrien und eine sichere Rückkehr weder für GFK-Flüchtlinge noch für subsidiär Geschützte noch lange nicht in Sicht. Die am 11. September 2017 ausgesprochene Drohung des Top-Generals des Assad-Regimes Issad Zahreddine (»Kehrt nicht zurück! Wir werden euch niemals verzeihen!«) richtete sich gegen alle syrischen Geflüchteten und ist ernst zu nehmen.
Gerichte würden entlastet
Ein sinnvoller Nebeneffekt wäre, dass ein beachtlicher Teil der bei Verwaltungsgerichten derzeit rund 322.000 anhängigen Klagen (BT-Drucksache 18/13703, S. 8) obsolet würde. Viele SyrerInnen klagen zu Recht auf den GFK-Schutz. Bis Mai 2017 gab es bei Gerichten rund 57.000 anhängige Asylverfahren von SyrerInnen (BT-Drucksache 18/13551, S. 26) gegen die Erteilung des subsidiären Schutzes.
Familien müssen lebensgefährliche Wege auf sich nehmen
Für die hier lebenden Betroffenen bedeutet die Aussetzung des Familiennachzugs unerträgliche Ungewissheit, in der sie von ihren Ehegatten, Eltern oder Kindern getrennt leben müssen. Für die zurückgelassenen Familienangehörigen bedeutet dies eine Trennung auf Jahre und das Ausharren im Kriegs- und Krisengebiet, Schutzlosigkeit und Verelendung. Wenn Familien das ihnen zustehende Recht auf Zusammenführung genommen und Ehegatten, Eltern und Kindern die Möglichkeit versperrt wird, legal und sicher zu fliehen, werden sie auf diese Weise in die Hände von Schleppern getrieben und müssen gefährliche Routen auf sich nehmen.
Familientrennungen verhindern Integration
Die Aussetzung des Familiennachzugs verhindert zudem, dass sich Flüchtlinge gut integrieren können. Während die in Deutschland Angekommenen lange auf eine Entscheidung in ihrem Asylverfahren warten, harren ihre Familien oft unter schwierigsten Umständen aus. Wer um das Leben seiner engsten Angehörigen bangen muss, kann sich auf die Herausforderungen, die ein Neuanfang in fremder Umgebung bedeutet, nur schwer einlassen.
Familiennachzug ermöglichen! Familien gehören zusammen!
Die familienfeindliche Verweigerung des Familiennachzugs für subsidiär Geschützte muss unverzüglich beendet werden. Eine Verlängerung oder weitere Aussetzung hat zu unterbleiben.
Eine zügige Visaerteilung für Nachzugsberechtigte muss sichergestellt werden. Dazu gehören eine ausreichende personelle Ausstattung der Deutschen Botschaften, ihre effektive Erreichbarkeit und der Verzicht auf bürokratische Nachweiserfordernisse.
Um diese Menschen geht es
PRO ASYL liegen viele Fälle von Flüchtlingen vor, die teils über Jahre von ihren engsten Angehörigen getrennt leben müssen. Für die von der Aussetzung betroffenen Familien wird die Trennung immer unerträglicher.
Mahmoud ist ein staatenloser Palästinenser aus Syrien und lebt seit Oktober 2015 in Deutschland. Er hoffte, in Deutschland als Flüchtling anerkannt zu werden und sich ein neues Leben aufzubauen. Sobald wie möglich wollte Mahmoud auch seine Ehefrau Rana* zu sich holen. Doch Rana ist noch immer in Syrien.
Im Mai 2017 bekam Mahmoud subsidiären Schutz zugesprochen. Somit ist Mahmoud zurzeit vom Recht auf Familiennachzug ausgeschlossen. In Syrien hatte Mahmoud im Gefängnis gesessen, weil er sich dem Militärdienst entziehen wollte.
In Deutschland bemühte Mahmoud sich, so schnell wie möglich Fuß zu fassen. Seit Dezember 2016 arbeitet er in Vollzeit bei einem IT-Unternehmen. Doch es fällt ihm immer schwerer, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Er hat gegen den BAMF-Bescheid vor dem Verwaltungsgericht geklagt. Doch die Zeit drängt, denn mittlerweile hat sich die Situation auch für seine Frau Rana zugespitzt.
*Name geändert
Zusammen mit seiner volljährigen Tochter Sara lebt Samer seit September 2014 in Deutschland. Seine Ehefrau Maha ist mit den vier Söhnen in Jordanien. Samer bekam im Januar 2017 subsidiären Schutz zugesprochen. Samer hat gegen den Bescheid geklagt, das Verfahren läuft. Doch er fürchtet, dass ihm nicht mehr ausreichend Zeit bleibt: Im Juli 2017 wurde bei ihm Schilddrüsenkrebs diagnostiziert. Sara hat als volljährige Tochter grundsätzlich keinen Anspruch darauf, ihre Mutter und ihre minderjährigen Geschwister zu sich nach Deutschland holen zu dürfen.
Im August 2013 war die aus Damaskus stammende Familie zunächst gemeinsam nach Jordanien geflohen. Aufgrund der schwierigen Lebensbedingungen dort sahen Samer und Maha jedoch bald nur einen Ausweg: Samer und seine damals bereits volljährige Tochter sollten versuchen, es bis nach Europa zu schaffen und dann die übrigen Familienmitglieder nachholen. Dafür opferte die Familie ihre letzten Ersparnisse.
In Deutschland haben Samer und Sara einen Integrationskurs besucht, Sara möchte gern ihr in Syrien begonnenes Studium in Deutschland fortsetzen. Doch Samers Gesundheitszustand, die inzwischen jahrelange Trennung der Familie und die schwindende Hoffnung auf ein Wiedersehen zehren an beiden.
Hussein, syrischer Kurde, lebt seit September 2015 in Deutschland. Im März 2017 bekam er subsidiären Schutz zugesprochen. Seine Ehefrau ist mit den zwei Söhnen nach wie vor in Syrien. Die Kinder gehen dort nicht regelmäßig zur Schule, die Trinkwasserversorgung ist schlecht und häufig fällt der Strom aus.
Aus Angst vor dem Regime und aufgrund der Kriegshandlungen in ihrer Heimatstadt Aleppo war die Familie 2012 zunächst zu den Eltern der Ehefrau nahe der türkischen Grenze geflohen. Aufgrund der schwierigen Lage der Familie beschloss Hussein, sich auf den gefährlichen Weg nach Europa auf den Weg zu machen. Seine Frau und Kinder wollte er nachholen.
Hussein hat gegen den BAMF-Bescheid vor dem Verwaltungsgericht geklagt. Doch er macht sich große Sorgen: Bei seiner Frau wurde Schilddrüsenkrebs diagnostiziert. Zwar wurde sie bereits zweimal operiert, doch im kurdischen Teil Syriens kann sie nur eingeschränkt medizinisch versorgt werden, eine medikamentöse Nachbehandlung ist gar nicht möglich. Nur in Deutschland hätte sie Überlebenschancen.
Anas (35) ist Kurde und stammt aus dem Nordosten Syriens. Seit Juli 2015 lebt er in Deutschland. Aufgrund seiner politischen Aktivitäten wurde der Lehrer in Syrien drangsaliert und offiziell vom Dienst suspendiert. Aus Angst vor weiteren Repressalien floh er und hoffte, Frau und Kinder nachholen zu können. Doch in Deutschland bekam er im Februar 2017 nur subsidiären Schutz zugesprochen.
Wegen der Kriegshandlungen und massiver Bombardierungen konnte auch seine Frau Aycha mit den Kindern nicht länger in Syrien ausharren: Seit Oktober 2016 sind Mutter und Kinder in der Türkei. Sie leben in einem winzigen Zimmer, ohne Heizung und sanitären Anlagen, im Winter ist es eiskalt. Ohne die Unterstützung von Verwandten könnten sie und die Kinder in der Türkei nicht überleben.
Anas will bald seine B2-Sprachprüfung machen und hat ein Praktikum in einem Altenheim absolviert. Doch aus Sorge um seine Familie und aufgrund der Ungewissheit, ob er sie überhaupt irgendwann zu sich holen kann, fällt es ihm immer schwerer, die nötige Kraft aufzubringen, um sich ein neues Leben in Deutschland aufzubauen. Auch seiner Frau geht es in der Türkei psychisch und physisch immer schlechter.
Der syrische Familienvater ist subsidiär geschützt und lebt mit seinen drei Söhnen seit Ende 2015 in Deutschland. Seine Ehefrau Sherin lebt mit drei weiteren Kindern unter äußerst prekären Bedingungen in der Türkei, die jüngste Tochter wurde dort geboren. Der Vater hat sie noch nie gesehen. Mahers Klage vor dem Verwaltungsgericht auf Zuerkennung des GFK-Status war erfolgreich, doch das BAMF legte Revision gegen die Entscheidung ein. Die rechtliche Hängepartie dauert an.
Zunächst war die damals achtköpfige Familie im Sommer 2014 gemeinsam in den kurdischen Teil des Iraks geflohen. Dort war ihre Situation so ausweglos, dass Maher und Sherin beschlossen, die Familie zu trennen. Maher sollte sich mit drei Kindern zu seiner Mutter nach Deutschland durchschlagen und seine Frau und die weiteren Kinder nachholen.
Maher ist mittlerweile wegen Depressionen in Behandlung, auch die drei Söhne haben wegen der langandauernden Trennung der Familie inzwischen große gesundheitliche Probleme.
Im November 2015 reist Bagaht (42), ein staatenloser Kurde aus Syrien, nach Deutschland ein. Seine Ehefrau und die drei Kinder bleiben in einem Flüchtlingslager im Nordirak. Im November 2016 wird ihm subsidiärer Schutz zugesprochen.
Trotz seiner schwierigen Situation und vielen Hindernissen gelingt es Bagaht außergewöhnlich schnell, in Deutschland Fuß zu fassen: Schon während des Asylverfahrens findet er einen Arbeitsplatz bei einem Bauunternehmer. Seit September 2016 bezieht Bagaht keinerlei Sozialleistungen mehr und wäre finanziell in der Lage, seine Familie in Deutschland zu versorgen. Sein Arbeitgeber setzt sich für die Familienzusammenführung ein.
Entgegen allen Erwartungen erhält seine Familie im Juli 2017 einen Termin, um im Irak ihren Visumsantrag zu stellen und ihre Unterlagen prüfen zu lassen. Weitere drei Mal wird die Familie ins Konsulat bestellt, es werden Fingerabdrücke genommen und bereits Reiseausweise für die Kinder ausgestellt. Erst im Oktober 2017 fällt im Konsulat auf, dass Bagaht nur subsidiären Schutz hat und damit seine Familie vorerst kein Recht auf Einreise hat.
akr