15.11.2017
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Die Kinder leiden unter der Trennung von Mutter oder Vater. Foto: Privat

In Berlin sondieren CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen noch auf den letzten Metern über den Familiennachzug. Auf dem Spiel stehen Schicksale von getrennten Flüchtlingsfamilien. Bei einer Pressekonferenz fordert PRO ASYL von den Sondierenden: Die Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Geschützten muss beendet werden!

Die jet­zi­ge und die künf­ti­ge Regie­rung ste­hen in der Pflicht, ver­brief­te Grund- und Men­schen­rech­te ein­zu­hal­ten. Folgt man den Pro­gram­men aller son­die­ren­den Par­tei­en, müss­te die gesetz­li­che Fami­li­en­tren­nung been­det sein.

Beim Pres­se­ge­spräch am 15. Novem­ber 2017 in Ber­lin for­dert PRO ASYL des­halb von den Son­die­ren­den, die fami­li­en­feind­li­che Ver­wei­ge­rung des Fami­li­en­nach­zugs für sub­si­di­är Geschütz­te unver­züg­lich zu been­den. CDU/CSU, FDP und Bünd­nis 90/Die Grü­nen dür­fen kei­ne fau­len Kom­pro­mis­se schlie­ßen – auch nicht in den eige­nen Rei­hen. Das Recht, als Fami­lie zusam­men­le­ben zu kön­nen, ist grund- und men­schen­recht­lich ver­brieft. Es darf nicht zur Ver­hand­lungs­mas­se wer­den. Die Akti­on von PRO ASYL »Fami­li­en gehö­ren zusam­men!«, an der sich bereits rund 25.000 Men­schen betei­ligt haben, geht des­halb weiter.

»CDU/CSU, FDP und Bünd­nis 90/Die Grü­nen dür­fen kei­ne fau­len Kom­pro­mis­se schlie­ßen – auch nicht in den eige­nen Reihen. «

Gün­ter Burk­hardt, Geschäfts­füh­rer PRO ASYL

Asylpaket II fatal für Flüchtlingsfamilien

Allein um die Flücht­lings­zah­len zu begren­zen, hat die Bun­des­re­gie­rung mit dem soge­nann­ten Asyl­pa­ket II im März 2016 die Chan­cen von Flücht­lin­gen, ihre engs­ten Ange­hö­ri­gen nach­zu­ho­len, ein­ge­schränkt. Haupt­be­trof­fe­ne der Aus­set­zung sind Syrer*innen. Zwi­schen Janu­ar und Okto­ber 2017 bekam mit rund 62% die Mehr­heit nur den sub­si­diä­ren Schutz erteilt (51.607 von ins­ge­samt 83.555 inhalt­li­chen Ent­schei­dun­gen). Mit rund 121.000 Ent­schei­dun­gen mach­ten Syrer*innen auch 2016 die größ­te Betrof­fe­nen­grup­pe aus.

Syrer*innen weiterhin bedroht

Ein Groß­teil der syri­schen Flücht­lin­ge wird lan­ge auf Schutz und Ver­bleib in Deutsch­land ange­wie­sen sein. Für sub­si­di­är Geschütz­te gibt es im Hin­blick auf Rück­kehr­mög­lich­kei­ten nach Syri­en kei­ner­lei Unter­schied zu den GFK-Geschütz­ten. Selbst nach einem Sieg des Assad-Regimes wären dau­er­haf­ter Frie­de in Syri­en und eine siche­re Rück­kehr weder für GFK-Flücht­lin­ge noch für sub­si­di­är Geschütz­te noch lan­ge nicht in Sicht. Die am 11. Sep­tem­ber 2017 aus­ge­spro­che­ne Dro­hung des Top-Gene­rals des Assad-Regimes Issad Zahred­di­ne (»Kehrt nicht zurück! Wir wer­den euch nie­mals ver­zei­hen!«) rich­te­te sich gegen alle syri­schen Geflüch­te­ten und ist ernst zu nehmen.

57.000

Syre­rIn­nen kla­gen zu Recht auf den GFK-Schutz (Stand Mai 2017)

Gerichte würden entlastet

Ein sinn­vol­ler Neben­ef­fekt wäre, dass ein beacht­li­cher Teil der bei Ver­wal­tungs­ge­rich­ten der­zeit rund 322.000 anhän­gi­gen Kla­gen (BT-Druck­sa­che 18/13703, S. 8) obso­let wür­de. Vie­le Syre­rIn­nen kla­gen zu Recht auf den GFK-Schutz. Bis Mai 2017 gab es bei Gerich­ten rund 57.000 anhän­gi­ge Asyl­ver­fah­ren von Syre­rIn­nen (BT-Druck­sa­che 18/13551, S. 26) gegen die Ertei­lung des sub­si­diä­ren Schutzes.

Familien müssen lebensgefährliche Wege auf sich nehmen

Für die hier leben­den Betrof­fe­nen bedeu­tet die Aus­set­zung des Fami­li­en­nach­zugs uner­träg­li­che Unge­wiss­heit, in der sie von ihren Ehe­gat­ten, Eltern oder Kin­dern getrennt leben müs­sen. Für die zurück­ge­las­se­nen Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen bedeu­tet dies eine Tren­nung auf Jah­re und das Aus­har­ren im Kriegs- und Kri­sen­ge­biet, Schutz­lo­sig­keit und Ver­elen­dung. Wenn Fami­li­en das ihnen zuste­hen­de Recht auf Zusam­men­füh­rung genom­men und Ehe­gat­ten, Eltern und Kin­dern die Mög­lich­keit ver­sperrt wird, legal und sicher zu flie­hen, wer­den sie auf die­se Wei­se in die Hän­de von Schlep­pern getrie­ben und müs­sen gefähr­li­che Rou­ten auf sich nehmen.

Familientrennungen verhindern Integration

Die Aus­set­zung des Fami­li­en­nach­zugs ver­hin­dert zudem, dass sich Flücht­lin­ge gut inte­grie­ren kön­nen. Wäh­rend die in Deutsch­land Ange­kom­me­nen lan­ge auf eine Ent­schei­dung in ihrem Asyl­ver­fah­ren war­ten, har­ren ihre Fami­li­en oft unter schwie­rigs­ten Umstän­den aus. Wer um das Leben sei­ner engs­ten Ange­hö­ri­gen ban­gen muss, kann sich auf die Her­aus­for­de­run­gen, die ein Neu­an­fang in frem­der Umge­bung bedeu­tet, nur schwer einlassen.

Familiennachzug ermöglichen! Familien gehören zusammen! 

Die fami­li­en­feind­li­che Ver­wei­ge­rung des Fami­li­en­nach­zugs für sub­si­di­är Geschütz­te muss unver­züg­lich been­det wer­den. Eine Ver­län­ge­rung oder wei­te­re Aus­set­zung hat zu unterbleiben.

Eine zügi­ge Visa­er­tei­lung für Nach­zugs­be­rech­tig­te muss sicher­ge­stellt wer­den. Dazu gehö­ren eine aus­rei­chen­de per­so­nel­le Aus­stat­tung der Deut­schen Bot­schaf­ten, ihre effek­ti­ve Erreich­bar­keit und der Ver­zicht auf büro­kra­ti­sche Nachweiserfordernisse.

Um diese Menschen geht es

PRO ASYL lie­gen vie­le Fäl­le von Flücht­lin­gen vor, die teils über Jah­re von ihren engs­ten Ange­hö­ri­gen getrennt leben müs­sen. Für die von der Aus­set­zung betrof­fe­nen Fami­li­en wird die Tren­nung immer unerträglicher.

Mah­moud ist ein staa­ten­lo­ser Paläs­ti­nen­ser aus Syri­en und lebt seit Okto­ber 2015 in Deutsch­land. Er hoff­te, in Deutsch­land als Flücht­ling aner­kannt zu wer­den und sich ein neu­es Leben auf­zu­bau­en. Sobald wie mög­lich woll­te Mah­moud auch sei­ne Ehe­frau Rana* zu sich holen. Doch Rana ist noch immer in Syrien.

Im Mai 2017 bekam Mah­moud sub­si­diä­ren Schutz zuge­spro­chen. Somit ist Mah­moud zur­zeit vom Recht auf Fami­li­en­nach­zug aus­ge­schlos­sen. In Syri­en hat­te Mah­moud im Gefäng­nis geses­sen, weil er sich dem Mili­tär­dienst ent­zie­hen wollte.

In Deutsch­land bemüh­te Mah­moud sich, so schnell wie mög­lich Fuß zu fas­sen. Seit Dezem­ber 2016 arbei­tet er in Voll­zeit bei einem IT-Unter­neh­men. Doch es fällt ihm immer schwe­rer, sich auf sei­ne Arbeit zu kon­zen­trie­ren. Er hat gegen den BAMF-Bescheid vor dem Ver­wal­tungs­ge­richt geklagt. Doch die Zeit drängt, denn mitt­ler­wei­le hat sich die Situa­ti­on auch für sei­ne Frau Rana zugespitzt.

*Name geän­dert

Zusam­men mit sei­ner voll­jäh­ri­gen Toch­ter Sara lebt Samer seit Sep­tem­ber 2014 in Deutsch­land. Sei­ne Ehe­frau Maha ist mit den vier Söh­nen in Jor­da­ni­en. Samer bekam im Janu­ar 2017 sub­si­diä­ren Schutz zuge­spro­chen. Samer hat gegen den Bescheid geklagt, das Ver­fah­ren läuft. Doch er fürch­tet, dass ihm nicht mehr aus­rei­chend Zeit bleibt: Im Juli 2017 wur­de bei ihm Schild­drü­sen­krebs dia­gnos­ti­ziert. Sara hat als voll­jäh­ri­ge Toch­ter grund­sätz­lich kei­nen Anspruch dar­auf, ihre Mut­ter und ihre min­der­jäh­ri­gen Geschwis­ter zu sich nach Deutsch­land holen zu dürfen.

Im August 2013 war die aus Damas­kus stam­men­de Fami­lie zunächst gemein­sam nach Jor­da­ni­en geflo­hen. Auf­grund der schwie­ri­gen Lebens­be­din­gun­gen dort sahen Samer und Maha jedoch bald nur einen Aus­weg: Samer und sei­ne damals bereits voll­jäh­ri­ge Toch­ter soll­ten ver­su­chen, es bis nach Euro­pa zu schaf­fen und dann die übri­gen Fami­li­en­mit­glie­der nach­ho­len. Dafür opfer­te die Fami­lie ihre letz­ten Ersparnisse.

In Deutsch­land haben Samer und Sara einen Inte­gra­ti­ons­kurs besucht, Sara möch­te gern ihr in Syri­en begon­ne­nes Stu­di­um in Deutsch­land fort­set­zen. Doch Samers Gesund­heits­zu­stand, die inzwi­schen jah­re­lan­ge Tren­nung der Fami­lie und die schwin­den­de Hoff­nung auf ein Wie­der­se­hen zeh­ren an beiden.

Hus­sein, syri­scher Kur­de, lebt seit Sep­tem­ber 2015 in Deutsch­land. Im März 2017 bekam er sub­si­diä­ren Schutz zuge­spro­chen. Sei­ne Ehe­frau ist mit den zwei Söh­nen nach wie vor in Syri­en. Die Kin­der gehen dort nicht regel­mä­ßig zur Schu­le, die Trink­was­ser­ver­sor­gung ist schlecht und häu­fig fällt der Strom aus.

Aus Angst vor dem Regime und auf­grund der Kriegs­hand­lun­gen in ihrer Hei­mat­stadt Alep­po war die Fami­lie 2012 zunächst zu den Eltern der Ehe­frau nahe der tür­ki­schen Gren­ze geflo­hen. Auf­grund der schwie­ri­gen Lage der Fami­lie beschloss Hus­sein, sich auf den gefähr­li­chen Weg nach Euro­pa auf den Weg zu machen. Sei­ne Frau und Kin­der woll­te er nachholen.

Hus­sein hat gegen den BAMF-Bescheid vor dem Ver­wal­tungs­ge­richt geklagt. Doch er macht sich gro­ße Sor­gen: Bei sei­ner Frau wur­de Schild­drü­sen­krebs dia­gnos­ti­ziert. Zwar wur­de sie bereits zwei­mal ope­riert, doch im kur­di­schen Teil Syri­ens kann sie nur ein­ge­schränkt medi­zi­nisch ver­sorgt wer­den, eine medi­ka­men­tö­se Nach­be­hand­lung ist gar nicht mög­lich. Nur in Deutsch­land hät­te sie Überlebenschancen.

Anas (35) ist Kur­de und stammt aus dem Nord­os­ten Syri­ens. Seit Juli 2015 lebt er in Deutsch­land. Auf­grund sei­ner poli­ti­schen Akti­vi­tä­ten wur­de der Leh­rer in Syri­en drang­sa­liert und offi­zi­ell vom Dienst sus­pen­diert. Aus Angst vor wei­te­ren Repres­sa­li­en floh er und hoff­te, Frau und Kin­der nach­ho­len zu kön­nen. Doch in Deutsch­land bekam er im Febru­ar 2017 nur sub­si­diä­ren Schutz zugesprochen.

Wegen der Kriegs­hand­lun­gen und mas­si­ver Bom­bar­die­run­gen konn­te auch sei­ne Frau Aycha mit den Kin­dern nicht län­ger in Syri­en aus­har­ren: Seit Okto­ber 2016 sind Mut­ter und Kin­der in der Tür­kei. Sie leben in einem win­zi­gen Zim­mer, ohne Hei­zung und sani­tä­ren Anla­gen, im Win­ter ist es eis­kalt. Ohne die Unter­stüt­zung von Ver­wand­ten könn­ten sie und die Kin­der in der Tür­kei nicht überleben.

Anas will bald sei­ne B2-Sprach­prü­fung machen und hat ein Prak­ti­kum in einem Alten­heim absol­viert. Doch aus Sor­ge um sei­ne Fami­lie und auf­grund der Unge­wiss­heit, ob er sie über­haupt irgend­wann zu sich holen kann, fällt es ihm immer schwe­rer, die nöti­ge Kraft auf­zu­brin­gen, um sich ein neu­es Leben in Deutsch­land auf­zu­bau­en. Auch sei­ner Frau geht es in der Tür­kei psy­chisch und phy­sisch immer schlechter.

Der syri­sche Fami­li­en­va­ter ist sub­si­di­är geschützt und lebt mit sei­nen drei Söh­nen seit Ende 2015 in Deutsch­land. Sei­ne Ehe­frau She­rin lebt mit drei wei­te­ren Kin­dern unter äußerst pre­kä­ren Bedin­gun­gen in der Tür­kei, die jüngs­te Toch­ter wur­de dort gebo­ren. Der Vater hat sie noch nie gese­hen. Mahers Kla­ge vor dem Ver­wal­tungs­ge­richt auf Zuer­ken­nung des GFK-Sta­tus war erfolg­reich, doch das BAMF leg­te Revi­si­on gegen die Ent­schei­dung ein. Die recht­li­che Hän­ge­par­tie dau­ert an.

Zunächst war die damals acht­köp­fi­ge Fami­lie im Som­mer 2014 gemein­sam in den kur­di­schen Teil des Iraks geflo­hen. Dort war ihre Situa­ti­on so aus­weg­los, dass Maher und She­rin beschlos­sen, die Fami­lie zu tren­nen. Maher soll­te sich mit drei Kin­dern zu sei­ner Mut­ter nach Deutsch­land durch­schla­gen und sei­ne Frau und die wei­te­ren Kin­der nachholen.

Maher ist mitt­ler­wei­le wegen Depres­sio­nen in Behand­lung, auch die drei Söh­ne haben wegen der lang­an­dau­ern­den Tren­nung der Fami­lie inzwi­schen gro­ße gesund­heit­li­che Probleme.

Im Novem­ber 2015 reist Bagaht (42), ein staa­ten­lo­ser Kur­de aus Syri­en, nach Deutsch­land ein. Sei­ne Ehe­frau und die drei Kin­der blei­ben in einem Flücht­lings­la­ger im Nord­irak. Im Novem­ber 2016 wird ihm sub­si­diä­rer Schutz zugesprochen.

Trotz sei­ner schwie­ri­gen Situa­ti­on und vie­len Hin­der­nis­sen gelingt es Bagaht außer­ge­wöhn­lich schnell, in Deutsch­land Fuß zu fas­sen: Schon wäh­rend des Asyl­ver­fah­rens fin­det er einen Arbeits­platz bei einem Bau­un­ter­neh­mer. Seit Sep­tem­ber 2016 bezieht Bagaht kei­ner­lei Sozi­al­leis­tun­gen mehr und wäre finan­zi­ell in der Lage, sei­ne Fami­lie in Deutsch­land zu ver­sor­gen. Sein Arbeit­ge­ber setzt sich für die Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung ein.

Ent­ge­gen allen Erwar­tun­gen erhält sei­ne Fami­lie im Juli 2017 einen Ter­min, um im Irak ihren Visums­an­trag zu stel­len und ihre Unter­la­gen prü­fen zu las­sen. Wei­te­re drei Mal wird die Fami­lie ins Kon­su­lat bestellt, es wer­den Fin­ger­ab­drü­cke genom­men und bereits Rei­se­aus­wei­se für die Kin­der aus­ge­stellt. Erst im Okto­ber 2017 fällt im Kon­su­lat auf, dass Bagaht nur sub­si­diä­ren Schutz hat und damit sei­ne Fami­lie vor­erst kein Recht auf Ein­rei­se hat.

akr