News
Solidarisch gegen die Bezahlkarte

Die Einführung der Bezahlkarte stockt, die praktische Solidarität für die Betroffenen dagegen boomt. Am 21. März 2025 findet ein Aktionstag der Umtauschinitiativen statt, ein Netzwerk wurde gegründet. Politiker*innen fällt auf das uneigennützige Engagement bislang nur eine Antwort ein: autoritäre Drohungen.
Seit Ende 2024 erhalten bedürftige Geflüchtete in immer mehr Bundesländern eine diskriminierende Bezahlkarte anstelle von Bargeld oder Kontoüberweisungen. Das System rollt aber nur sehr langsam an – im Unterschied zur zivilgesellschaftlichen Solidarität: In zahlreichen deutschen Städten und Gemeinden haben sich Umtauschinitiativen gegründet, um die Betroffenen zu unterstützen. In Wechselstuben oder Cafés können die Betroffenen Einkaufsgutscheine aus dem Supermarkt, Discounter oder lokalen Einzelhandel im Wert von 1:1 gegen Bargeld tauschen. Tausende Bürger*innen wiederum nehmen den Initiativen die Gutscheine zum Geldwert ab.
Hintergrund der Aktionen: Die Bezahlkarte ist in ihren Zahlungsfunktionen und der Bargeldverfügung stark eingeschränkt und bereitet den schutzsuchenden Menschen deshalb vielfältige Probleme im Alltag: Es fehlt an Bargeld, um günstig auf dem Flohmarkt einzukaufen, das Geld für die Klassenkasse aufzubringen, den Rechtsanwalt zu bezahlen oder den Kindern ein Taschengeld zu geben. Überweisungen oder Lastschriften sind oft (noch) nicht möglich. Am Ende können die Betroffenen das, was sie benötigen, nicht bezahlen – auch wenn das Geld dafür auf der Bezahlkarte eigentlich vorgesehen ist.
Bundesweit entstehen neue Initiativen gegen die Bezahlkarte
Bereits 2024 haben Hamburg, Bayern und einige Kommunen etwa in Sachsen oder Thüringen eigene Bezahlkartensysteme eingeführt. Nahezu umgehend gründeten sich Initiativen wie »Nein zur Bezahlkarte Hamburg«, »Offen! München« oder »Konten statt Karten Leipzig«. Inzwischen sind etliche weitere Initiativen entstanden. Nicht überall wird schon getauscht, denn die Karten werden oft zunächst in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder verwendet und sind in vielen Kommunen noch gar nicht angekommen. In Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz, wo Kommunen nicht verpflichtet sind, sich am Bezahlkartensystem zu beteiligen, gibt es bislang kaum Tauschinitiativen – auch weil unklar ist, ob die Karte vor Ort überhaupt eingeführt wird.
Entstehende Initiativen gegen die Bezahlkarte:
Augsburg – Aschaffenburg – Bamberg – Bayreuth – Berlin – Brandenburg – Braunschweig – Bremen – Darmstadt – Dresden – Eichstätt – Erfurt – Erlangen – Esslingen – Frankfurt/M. – Freiburg – Gießen – Göttingen – Greiz – Halle – Hamburg – Hannover – Heidelberg – Hildesheim – Idstein – Ingolstadt – Jena – Kassel – Landshut – Leer – Lingen – Leipzig – Lüneburg – Main‑Taunus – München – Nordhausen – Nürnberg – Oldenburg – Osnabrück – Passau – Pirna – Potsdam – Regensburg – Reutlingen – Rosenheim – Rostock – Saale‑Orla‑Kreis – Saarland – Seelow – Strausberg – Stuttgart – Weimar – Wiesbaden – Wuppertal – Würzburg
(Stand 20.3.2025. Zur aktuellen Übersicht)
Mitte Februar 2025 trafen sich in Hannover Initiativen aus zwölf Bundesländern zum Erfahrungsaustausch. Das Angebot, Gutscheine in Bargeld umzutauschen, stößt bei den Betroffenen auf ein sehr großes Echo, berichteten die Teilnehmenden. Dass der Bedarf an einer größeren Barverfügung immens ist, zeigen die Erfahrungen aus Bayern: Karteninhaber*innen nehmen zum Teil sehr weite Wege aus dem ländlichen Raum und lange Wartezeiten in Kauf, um zu den Umtauschstellen zu gelangen. Mit dem Bekanntheitsgrad des Angebots steigt auch die Notwendigkeit, viele solidarische Menschen zu finden, die die Einkaufsgutscheine übernehmen – Probleme gibt es aber bislang nicht, denn auch deren Zahl steigt.
Das Netzwerk »Soziale Rechte für Alle«
Die Initiativen lehnen die Ausgabe der Bezahlkarte als Diskriminierungsinstrument grundsätzlich ab und sehen sie im Kontext eines weitergehenden Abbaus sozialer Rechte und des fortschreitenden Umbaus hin zu einem autoritären Sozialstaat. Beim bundesweiten Austauschtreffen wurde deshalb das neue Netzwerk »Gleiche soziale Rechte für Alle« gegründet. Im gemeinsamen Aufruf »Nein zur Bezahlkarte« vom Februar 2025 werden die diskriminierenden Auswirkungen des Asylbewerberleistungsgesetzes benannt: »Es geht um Leistungen unterhalb des Existenzminimums, Wohnen unter unwürdigen Bedingungen, um eine eingeschränkte medizinische Versorgung, um Arbeit in Zwangsverhältnissen. Das Gesetz existiert seit mehr als 30 Jahren und bestimmt das soziale Leben von Geflüchteten. Es holt das Grenzregime in unsere Nachbarschaften und Communities und zieht eine rassistische Trennlinie zwischen Menschen.« Der Aufruf kann noch unterzeichnet werden. Für den 21. März 2025 hat das Netzwerk einen dezentralen Aktionstag gegen die Bezahlkarte ausgerufen.
ein Schub für das flüchtlingspolitische Engagement
Seit die Bundesländer die Ausgabe einer bundeseinheitlichen Karte in den Kommunen zu forcieren versuchen, erleben die Umtauschinitiativen einen regelrechten Mobilisierungsschub. Ein Teil der Aktiven erlebt dabei ein Déjà-vu: Ähnliches Engagement mit dem Umtausch von Sachleistungen und Papiergutscheinen hat es zu Zeiten der Abschreckungspolitik der 1990er und 2000er Jahre gegeben – bis Länder und Kommunen langsam zu einer pragmatischeren Politik zurückkehrten. Heute steigen viele junge Menschen über die Bezahlkarte neu ins Thema Flüchtlingspolitik ein.
Ähnliches Engagement mit dem Umtausch von Sachleistungen und Papiergutscheinen hat es zu Zeiten der Abschreckungspolitik der 1990er und 2000er Jahre gegeben – bis Länder und Kommunen langsam zu einer pragmatischeren Politik zurückkehrten.
Was das Engagement gegen die Bezahlkarte so attraktiv macht, ist die Möglichkeit einer alltäglichen, niedrigschwelligen Solidarität, die eine wirkungsvolle Alltagshilfe für die einzelnen Menschen darstellen kann. Erfreulicherweise finden sich an vielen Orten generationsübergreifend neue Gruppen zusammen. Sie eint das Gefühl, etwas tun zu können gegen eine unfaire Behandlung und die sinnlose Demütigung von Menschen. Nicht zufällig erhält der politische Protest gegen das Asylbewerberleistungsgesetz dadurch neuen Schwung und sogar ungeahnte politische Brisanz.
Bereits 2023/24 haben bundesweit 200 Organisationen dazu aufgerufen, das Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen und ihnen die gleiche Menschenwürde wie allen in Deutschland lebenden Menschen zuteil werden zu lassen. Zuletzt hatte sich im Januar 2025 ein Bündnis von großen Bundesorganisationen für soziale Sicherheit, gegen Hass und Hetze stark gemacht. Doch alle guten Argumente blieben ungehört, oder vielmehr, wurden von den verantwortlichen Politiker*innen sogar aktiv konterkariert. In der politischen Debatte von Bund und Ländern wurden Argumente gegen Leistungskürzungen wurden so gut wie gar nicht zur Kenntnis genommen, verfassungsrechtliche Bedenken von Expert*innen und Wissenschaft übergangen und am Ende das Asylbewerberleistungsgesetz 2024 mehrfach verschärft. Erst die mediale Präsenz der Umtauschinitiativen hat die politischen Verfechter*innen der unsozialen Abschreckungspolitik jetzt auf den Plan gerufen.
Kriminalisierungsversuche statt integere Politik
In Bayern wurde die Idee der Bezahlkarte als Abschreckungsidee ersonnen und, mit Unterstützung der Bildzeitung, bundesweit massiv beworben. Von dort kam dann auch postwendend der Versuch, die Unterstützung der Geflüchteten zu diskreditieren: Mit dem Vorwurf, der Umtausch sei »illegal«, wurden die Tauschaktionen in die Nähe der Kriminalität gerückt. Mit nahezu hörbarer Empörung ließ sich der Vorsitzende des Arbeitskreises Juristen in der CSU in der Abendzeitung München zitieren, man dürfe »nicht tatenlos zusehen«, wie das Bezahlkartensystem »systematisch unterlaufen« würde. Auch die staatliche Förderungswürdigkeit von Organisationen, die den Umtausch unterstützen, wurde in Frage gestellt, das illustriert zum Beispiel eine Anfrage der CSU im Münchener Stadtrat. Das Bayerische Justizministerium, die Staatsanwaltschaft München und auch die Staatsanwaltschaft Regensburg erklärten daraufhin öffentlich, dass es keine Handhabe des Innenministeriums gebe und der Kartentausch nicht strafbar sei.
Nachdem deutlich wurde, dass das existierende Recht offenkundig nicht gegen Tauschaktionen in Stellung gebracht werden kann, fordern die Hardliner*innen nun, es künftig unter Strafe zu stellen. Im Januar 2025 forderte Bayern im Bundesrat die Schaffung einer »fachgesetzlichen Rechtsgrundlage«, um »Umgehungsversuche der mit der Bezahlkarte eingeführten Beschränkungen« zu verhindern, zum Beispiel durch Einstufung »als Ordnungswidrigkeit«.
Die Umtauschinitiativen sind weit entfernt davon, das staatliche System in großem Stil umgehen zu können. Sie leisten eine kleine, aber wertvolle Unterstützung im staatlich stark reglementierten Alltag Geflüchteter. Das scheint gleichwohl für Politiker*innen, die rücksichtslos auf Entrechtung von Geflüchteten setzen, eine große Provokation darzustellen. Allem Anschein nach wollen diejenigen, die sich mit fragwürdigen Argumenten ein unsinniges Diskriminierungsprogramm geleistet haben, nun Durchsetzungsfähigkeit und Härte demonstrieren – zur Not auch gegen humanitär motivierte Unterstützer*innen.
Im Sondierungspapier heißt es: »Wir wollen, dass die Bezahlkarte deutschlandweit zum Einsatz kommt, und werden ihre Umgehung unterbinden.« Auf welche Weise das »Unterbinden« geschehen soll und ob es überhaupt rechtlich und praktisch möglich ist, ist freilich offen. Beunruhigend ist diese Verabredung dennoch.
Und so schaffte es die Forderung inzwischen auch ins Sondierungspapier der mutmaßlich künftigen Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD. Dort heißt es: »Wir wollen, dass die Bezahlkarte deutschlandweit zum Einsatz kommt, und werden ihre Umgehung unterbinden.« Auf welche Weise das »Unterbinden« geschehen soll und ob es überhaupt rechtlich und praktisch möglich ist, ist freilich offen. Beunruhigend ist diese Verabredung dennoch, erst Recht vor dem Hintergrund des unverhohlenen Angriffs auf die Zivilgesellschaft im März 2025 durch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion: Per Kleiner Anfrage stellte sie die vermeintlich fehlende parteipolitische Neutralität zahlreicher Organisationen und ihre (de facto gar nicht bei allen vorhandene) staatliche Förderung in Frage.
Die Idee des Entzugs von staatlichen Fördergeldern für soziale und demokratische Projekte muss auch von Unterstützerkreisen und Vereinen, die Geflüchtete unterstützen, als autoritäre Drohung verstanden werden. Ernst zu nehmen ist sie in diesen Zeiten auch aus Gründen der demokratischen Selbstbehauptung und zur Verteidigung demokratischer Meinungsvielfalt. Anstatt die Initiativen gegen die Bezahlkarte zu kriminalisieren, wäre längst angezeigt, dass sich die Verantwortlichen der inhaltlichen und rechtlichen Kritik an der Bezahlkarte ernsthaft stellen. Denn mit der Kritik sind die Initiativen bei Weitem nicht allein.
Viele Kommunen wollen die Karte nicht
Viele Kommunen zögern und suchen nach Wegen, die Bezahlkarte handhabbar auszugestalten oder gar nicht erst einzuführen. Die Gründe dafür sind zum Teil politischer, zum Teil praktischer Natur. Viele Verwaltungen etwa in Braunschweig, Trier oder der Stadtrat in Münster beklagen einen deutlich höheren Verwaltungsaufwand. Der Stadtrat in Lüneburg beispielsweise lehnt die Karte als diskriminierend ab. In Nordrhein-Westfalen haben schon rund 20 große Städte erklärt, die Bezahlkarte nicht einführen zu wollen, oder sind derzeit im Begriff, das zu entscheiden. In vielen Bundesländern ist der Einführungsprozess ins Stocken geraten, Schleswig-Holstein hat die Einführungsfrist für die Kommunen kürzlich auf das Jahresende 2025 verlängert.
Bund und Länder sollten die Argumente gegen die Bezahlkarte aus den Kommunen und der Zivilgesellschaft ernst nehmen und vorurteilsfrei prüfen. Die Umtauschinitiativen und Unterstützer*innen der Geflüchteten werden eine ehrliche, politische Auseinandersetzung sicher nicht scheuen. Sollten stattdessen weiter Drohkulissen errichtet werden, werden sie sich nicht so einfach einschüchtern lassen. Im Zentrum der Debatte steht also die Frage: Wozu das ganze Theater mit einer Bezahlkarte, die niemandem hilft? Das Geld, die Zeit und die Energie von vielen Menschen wären in konstruktive Strukturen und eine vorausschauende Integrationspolitik weit besser investiert. Wir alle haben Besseres zu tun.
(ak)