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Sieg vor dem Bundesverwaltungsgericht: Die Reueerklärung ist unzumutbar
Die deutschen Behörden haben von Geflüchteten aus Eritrea bisher verlangt, sich etwa zur Passbeschaffung an die eritreische Auslandsvertretung zu wenden - obwohl sie dort eine Erklärung abgeben mussten, dass sie ihre Flucht bereuen. Damit ist seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Oktober nun Schluss. Ein großer Erfolg!
In einem von PRO ASYL unterstützen Verfahren hat das Bundesverwaltungsgericht diese Woche entschieden, dass die Abgabe einer solchen Erklärung unzumutbar ist.
»Ich bereue, ein Vergehen begangen zu haben, indem ich meine nationalen Verpflichtungen nicht erfüllt habe (…). Ich bin bereit, die angemessenen Maßnahmen zu akzeptieren, über die noch entschieden wird«. Das ist der Wortlaut (Original siehe hier) der sogenannten Reueerklärung, die Geflüchtete aus Eritrea unterschreiben müssen, wenn sie sich etwa zur Passbeschaffung an eine eritreische Auslandsvertretung wenden. Für viele Menschen, die aus Eritrea geflohen sind, ist dieses Bekenntnis eine Lüge. Sie bereuen keineswegs, aus der Diktatur am Horn von Afrika geflohen zu sein, in der Willkür herrscht und die Menschenrechtslage katastrophal ist.
Die deutschen Behörden verlangten bisher trotzdem den Gang zur eritreischen Botschaft bzw. zum Konsulat, etwa von subsidiär Geschützten zur Passbeschaffung. Sogar von anerkannten Flüchtlingen wurde dies im Rahmen des Familiennachzugs verlangt (siehe dazu hier). Zu dieser Problematik befragt antwortete die damalige Bundesregierung 2019 nur lapidar: »Die Abgabe von Erklärungen vor Behörden des Herkunftsstaates im Rahmen der Passbeschaffung bedingt für sich genommen keine Unzumutbarkeit« (Drs. 19/2075, Antwort auf Frage 12).
Das Bundesverwaltungsgericht schiebt dieser Praxis nun endlich einen Riegel vor: Mit einer Grundsatzentscheidung vom 11.10.22 urteilte es, dass einem subsidiär Geschützten die in der Reueerklärung enthaltene Selbstbezichtigung einer Straftat nicht abverlangt werden kann, wenn er plausibel darlegt, dass er die Erklärung nicht abgeben will. Die deutschen Behörden dürfen dann die Passbeschaffung bei der eritreischen Auslandsvertretung nicht verlangen und müssen selbst einen Reiseausweis ausstellen. Für viele Eritreer*innen in Deutschland ist dieses Urteil ein Meilenstein. Endlich hat ein Gericht für Recht erkannt, was sie in so vielen Fällen erfolglos versucht haben, nämlich den Behörden klarzumachen: Die Reueerklärung ist unzumutbar. Das Bundesverwaltungsgericht erklärt in seiner Pressemitteilung:
»Der Kläger kann die Ausstellung eines Reiseausweises beanspruchen, weil er einen eritreischen Pass nicht zumutbar erlangen kann […] Denn jedenfalls ist dem Kläger nicht zuzumuten, die beschriebene Reueerklärung abzugeben. Die insoweit vorzunehmende Abwägung zwischen seinen Grundrechten und den staatlichen Interessen, die auf die Personalhoheit des Herkunftsstaates Rücksicht zu nehmen haben, geht hier zu seinen Gunsten aus. Die in der Reueerklärung enthaltene Selbstbezichtigung einer Straftat darf ihm gegen seinen plausibel bekundeten Willen auch dann nicht abverlangt werden, wenn sich – wie vom Berufungsgericht festgestellt – die Wahrscheinlichkeit einer Bestrafung dadurch nicht erhöht und das Strafmaß gegebenenfalls sogar verringert.«
Mit dem letzten Satz spielt das Bundesverwaltungsgericht auf den sogenannten Diasporastatus an. Diesen können Eritreer*innen erlangen und haben dadurch Vorteile bei einer besuchsweisen Reise nach Eritrea. Neben der Reueerklärung müssen sie dafür eine Steuer von zwei Prozent auf ihr Einkommen (seit Verlassen des Landes) an den eritreischen Staat zahlen (siehe dazu ausführlich DSP Groep 2017). Mit Urteil vom 20.10.21 kam das VG Karlsruhe allerdings bereits zu dem Schluss, dass auch diese Zahlung unzumutbar ist.
BAMF widerruft Flüchtlingsanerkennung von Eritreer*innen
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) schlug im vergangenen Jahr jedoch einen ganz anderen Weg ein, als die Gerichte mit ihren Urteilen nun vorgeben: Plötzlich erreichten das PRO-ASYL-Beratungsteam Anfragen von anerkannten eritreischen Flüchtlingen, denen der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung angekündigt wurde. Das deutsche Asylrecht sieht in der Regel eine Überprüfung der Flüchtlingsanerkennung binnen drei Jahren vor. Kommt das BAMF beispielsweise zur Einschätzung, dass sich wesentliche Umstände im Herkunftsland so nachhaltig verändert haben, dass eine Verfolgung nicht mehr zu erwarten ist, kann es die zuvor erteilte Flüchtlingsanerkennung aberkennen.
Die BAMF-Außenstelle Bamberg widerrief die Anerkennungen mit der Begründung, die Sachlage habe sich geändert: Die Personen könnten nun, nach dreijährigem Aufenthalt in Deutschland, den Diasporastatus erhalten und damit ungefährdet nach Eritrea zurückkehren. Es sei ihnen nunmehr möglich und zumutbar, bei der eritreischen Regierung den sogenannten Diasporastatus zu beantragen. Dies würde dazu führen, dass ihnen bei Einreise ins Herkunftsland keine Verfolgung mehr drohe und sie zudem vom Nationaldienst freigestellt seien. Die Grundlage für ihre Flüchtlingsanerkennung entfalle dadurch.
Viele Eritreer*innen, die in Deutschland gerade richtig angekommen waren, Ausbildungen begonnen hatten oder bereits arbeiteten, fielen aus allen Wolken. Nachdem sie erst wenige Jahre zuvor vom Bundesamt Schutz zugesprochen bekommen hatten, forderte dieselbe Behörde sie nun auf, sich wieder an den Verfolgerstaat zu wenden, die Flucht zu bereuen und in die Diktatur zurückzukehren. In einem BAMF-Widerrufsbescheid, der PRO ASYL vorliegt, heißt es sogar, der Flüchtling könne die von Deutschland in Aussicht gestellten Rückkehrhilfen dafür aufwenden. Im Klartext schlägt das BAMF also vor, deutsche Steuergelder dafür zu verwenden, das diktatorische eritreische Regime zu stabilisieren (Hirt: Forced Migration and Regime Stabilization, 2021, S. 7)
Dass der Verweis auf diese Möglichkeit unrechtmäßig ist, hat das Bundesverwaltungsgericht nun bestätigt. Wenn die Reueerklärung für subsidiär Geschützte unzumutbar ist, darf das Bundesamt nicht mehr auf den Diasporastatus verweisen, der nur nach Abgabe der Reueerklärung und Zahlung der 2%-Steuer zu erlangen ist.
Um für den Diasporastatus in Frage zu kommen, muss die Person eine gültige Aufenthaltserlaubnis oder bereits eine ausländische Staatsbürgerschaft besitzen.
Gutachten zeigt Voraussetzungen des Diasporastatus auf
Ein von PRO ASYL zusammen mit Connection e.V. beauftragtes Gutachten zeigt auf, welche Voraussetzungen und rechtlichen Folgen der Diasporastatus hat. Die Autoren, Daniel Mekonnen und Amanuel Yohannes, machen deutlich, dass der Diasporastatus die im Ausland lebenden Staatsbürger*innen gegenüber den Eritreer*innen im Inland, deren Rechte massiv eingeschränkt werden, tatsächlich privilegiert: Sie können ohne Ausreisevisum ausreisen und sind vom Nationaldienst befreit. Dies muss allerdings teuer erkauft werden. Der eritreische Staat knüpft mit Reueerklärung und 2%-Steuer hohe Voraussetzungen an diesen Status und versucht so, im Ausland lebende Eritreer*innen an sich zu binden und weiterhin zu kontrollieren.
Besonders interessant im Zusammenhang mit den Widerrufen und Komplettablehnungen eritreischer Asylsuchender war die Frage, ob eine Aufenthaltserlaubnis – zum Beispiel in Deutschland – Voraussetzung für den Diasporastatus ist. Dies bejahen die Autoren: »die Möglichkeit, ins Ausland zurückzukehren, ist eine Voraussetzung für den Diasporastatus« (Gutachten, Rn. 48 ). Um für den Diasporastatus in Frage zu kommen, muss die Person also eine gültige Aufenthaltserlaubnis oder bereits eine ausländische Staatsbürgerschaft besitzen. Auch Letztere gelten der Regierung weiterhin als Diaspora-Eritreer*innen.
Die Gutachter kommen zu dem Ergebnis, dass Personen, deren Asylverfahren negativ abgeschlossen wurden, bzw. deren Flüchtlingsanerkennung und die darauf basierende Aufenthaltserlaubnis widerrufen wurde, sodass sie vollziehbar ausreisepflichtig geworden sind, keinen Diasporastatus erhalten können – denn dann haben sie den Aufenthaltstitel im Ausland verloren. Das macht deutlich: Die Begründung des BAMF zum Widerruf der Flüchtlingsanerkennung mit Verweis auf eine durch den Diasporastatus angeblich sichere Lage trägt nicht.
Diasporastatus schützt nicht vor Verfolgung
Wie der Name schon sagt, ist der Diasporastatus für Personen gedacht, die in der Diaspora leben und Eritrea besuchen. Würden sie dauerhaft ins Herkunftsland zurückkehren, würde dieser Status wieder erlöschen. Schon 2019 hatte das European Asylum Support Office (EASO) festgestellt: »Personen, die sich länger als sechs bis zwölf Monate (je nach Quelle) in Eritrea aufhalten, gelten wieder als Einwohner und müssen ihren Nationaldienst ableisten« (EASO-Bericht 2019). Dies bestätigen auch die beiden Gutachter und ergänzen: »Eine Person, die dauerhaft nach Eritrea zurückkehrt, wird genauso behandelt wie alle anderen Eritreer*innen im Land, was auch bedeutet, dass sie je nach Alter für das unbefristete national-militärische Dienstprogramm verpflichtet ist« (Gutachten, Rn. 67).
»Sie werden unter Umständen für Desertion, Dienstverweigerung oder illegale Ausreise bestraft. Ob sie tatsächlich Aufgeboten (sic!) werden, hängt vom Ermessen der Behörden ab; von Aufgeboten wird aber berichtet. Eine Quelle berichtet, dass sie vor Ablauf des Diaspora-Status im Rahmen von Giffas (tigrinya für Razzien zur Rekrutierung, Anm. d. Verf.) aufgegriffen werden können. Eine andere Quelle hat anekdotische Kenntnis von Rückkehrern aus Libyen, Ägypten und anderen Ländern, die kurz nach ihrer Ankunft verhaftet wurden. Sie sollen im Gefängnis verhört und gefoltert worden sein, später habe man sie zu einer Militäreinheit geschickt; ein Teil habe das Land wieder verlassen. Die Quelle weist darauf hin, dass ein Teil dieser Fälle die 2%-Steuer bezahlt und das Formular 4/4.2 (das Reueformular, Anm. d. Verf.) unterzeichnet habe. Sie seien etwas besser behandelt worden, aber dennoch verhaftet und in den Nationaldienst eingezogen worden. Andere Quellen sind ebenfalls der Ansicht, dass solche Szenarien möglich sind« (EASO 2019).
Die Praxis der Widerrufsverfahren birgt für die Flüchtlinge die Gefahr, wieder genau derselben Verfolgung und den gleichen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt zu werden, aufgrund derer sie drei Jahre zuvor einen flüchtlingsrechtlichen Schutz erhalten hatten.
Dies hat inzwischen auch das Bundesamt eingesehen und zugesichert, derartige Widerrufsbescheide nicht mehr zu erlassen. PRO ASYL und Connection e.V. fordern in einer gemeinsamen Presseerklärung, dass alle noch nicht rechtskräftigen Bescheide aufgehoben werden. In einigen Fällen jedoch ist es zu spät und die negativen Bescheide sind inzwischen rechtskräftig. In diesen Fällen bleibt den Personen nur die Möglichkeit, einen Folgeantrag zu stellen. Betroffene sollten sich dazu beraten lassen.
BAMF darf nicht mehr auf Diasporastatus verweisen
Dass das Bundesverwaltungsgericht die Reueerklärung als unzumutbar einschätzt, hat für das Bundesamt aber noch weitere Folgen: Asylanträge dürfen nicht mehr unter Bezug auf den Diasporastatus abgelehnt werden, denn dieser ist für Personen, die das Land verlassen haben, ohne die Nationaldienstpflicht erfüllt zu haben, nur zu bekommen, wenn sie ihre Reue erklären.
Die zuvor hohe Anerkennungsquote bei der Gewährung eines Schutzstatus ist in den letzten Jahren stark gesunken. Immer weniger Eritreer*innen erhalten in Deutschland heute den vollen Flüchtlingsschutz. Während 2015 und 2016 weniger als ein Prozent im Asylverfahren inhaltlich abgelehnt wurden, lag diese Zahl 2021 bei 7,5 Prozent.
In den Ablehnungen wird auch auf die Möglichkeit der Rückkehr mit dem Diasporastatus verwiesen. Diese Argumentation darf nach dem jetzigen Urteil nicht mehr herangezogen werden. Das BAMF sollte zudem die laut UN-Sonderberichterstatter sich zusehends verschlechterte Menschenrechtslage anerkennen.
Im UN-Bericht von Mai 2022 weist der Sonderberichterstatter darauf hin, dass die von ihm
»gesammelten Informationen auf eine deutliche Verschlechterung der Situation hinweisen. Der Sonderberichterstatter erhielt weiterhin Berichte über schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem National-/Militärdienst, einschließlich missbräuchlicher Bedingungen, schwerer Strafen und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, sexueller Belästigung und Gewalt gegen weibliche Wehrpflichtige sowie des Einsatzes von Wehrpflichtigen zur Zwangsarbeit. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung wird in Eritrea nicht anerkannt, und Deserteure und Kriegsdienstverweigerer sind schwerer Bestrafung ausgesetzt, darunter willkürliche Inhaftierung, Folter und unmenschliche oder erniedrigende Behandlung sowie außergerichtliche Tötungen.« (deutsche Übersetzung von Connection e.V.)
Scheinbar hat der von Eritrea unterstützte Krieg in der äthiopischen Region Tigray zu einem verschärften Vorgehen bei den Rekrutierungen geführt. Hierzu führt der Sonderberichterstatter aus:
»Seit November 2020 werden Wehrpflichtige gezwungen, in einem grausamen Krieg in der äthiopischen Region Tigray an der Seite der Ethiopian National Defence Forces und verbündeter Milizen zu kämpfen. Die Familien (…) haben keine offiziellen Informationen über den Verbleib oder das Schicksal ihrer Angehörigen erhalten. Razzien zur Rekrutierung (‚giffa‘ in Tigrinya) haben dramatisch zugenommen.« (deutsche Übersetzung von Connection e.V.)
Das erstrittene Urteil ist ein Meilenstein und gebietet den Ausländerbehörden, die ungerührt nach eritreischen Pässen verlangten, endlich Einhalt. Es hat für das BAMF zur Konsequenz, dass auf den Diasporastatus in den Ablehnungen nicht mehr verwiesen werden darf. Es sollte die Bundesregierung aber auch grundsätzlich wachrütteln, ihr Verhältnis zu Eritrea zu hinterfragen. Das bedeutet den Menschen den Schutz zu geben, den sie angesichts der katastrophalen Menschenrechtslage brauchen und auch die Diasporasteuer, die diese Diktatur finanziert und stabilisiert, endlich zu verurteilen.
(jb)