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Das sogenannte Transitzentrum in Manching bei Ingolstadt - das Lager steht Modell für Seehofers Pläne. Foto: Moritz Dittmeyer / Bayerischer Flüchtlingsrat

Bundesinnenminister Seehofer will seine AnkERzentren-Pläne offenbar zunächst in fünf Modellzentren umsetzen, später soll es bis zu 40 solcher Einrichtungen bundesweit geben. Von einer unabhängigen Verfahrensberatung ist nicht mehr die Rede, dafür von 48-Stunden-Schnellverfahren.

Horst See­ho­fer will ein Netz von Lagern zur Iso­lie­rung von Asyl­su­chen­den in ganz Deutsch­land eta­blie­ren. Kon­kre­te­re Plä­ne dazu sol­len Ende Mai vor­ge­stellt wer­den, ers­te Infor­ma­tio­nen sickern aber jetzt schon durch. Zunächst sol­len fünf Pilot­pro­jek­te imple­men­tiert werden.

Im Gespräch sind Stand­or­te in Bay­ern (Bam­berg), NRW (Müns­ter), Hes­sen (Gie­ßen) und Nie­der­sach­sen (Fal­ling­bos­tel und Bram­sche), auch Sach­sen und Sach­sen-Anhalt haben sich um Auf­nah­me in die Lis­te der fünf Modell­pro­jek­te bewor­ben. Mit­tel­fris­ti­ges Ziel des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­ums (BMI) ist es, 40 AnkER-Zen­tren bun­des­weit zu errichten.

Bayerisches Modell wird staatliche Norm

Damit wird das baye­ri­sche Modell einer lan­des­wei­ten Iso­la­ti­on von Geflüch­te­ten zur staat­li­chen Norm erho­ben. Dem Kon­zept zufol­ge sol­len die Zen­tren jeweils 1000 – 1500 Per­so­nen auf­neh­men kön­nen. Vor­aus­set­zung sei ein »inte­grier­tes Rück­füh­rungs­ma­nage­ment« vor Ort. Durch Chip­kar­ten, über die jedes Ver­las­sen des Lagers regis­triert wer­de, soll eine Kon­trol­le der Geflüch­te­ten erfol­gen. In Schnell­ver­fah­ren soll mit Asyl­an­trä­gen im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes »kur­zer Pro­zess« gemacht wer­den. Ange­strebt ist offen­bar, die Ver­fah­ren inner­halb von 48 Stun­den durchzuführen.

Schnellverfahren statt unabhängige Beratung?

Eine ver­nünf­ti­ge Vor­be­rei­tung und Bera­tung von Asyl­su­chen­den ist in einer sol­chen kur­zen Frist nicht mach­bar. Um Asyl­su­chen­de auf das Asyl­ver­fah­ren und vor allem die Anhö­rung vor­zu­be­rei­ten, braucht es zunächst Zeit! Eine qua­li­fi­zier­te Bera­tung ver­län­gert die Ver­fah­ren zwar um weni­ge Tage, trägt aber zu einer erheb­li­chen Stei­ge­rung der Effi­zi­enz und Qua­li­tät der Anhö­run­gen bei. Die­se Zeit will das BMI den Betrof­fe­nen aber nicht ein­räu­men. Eine vom BMI vor­ge­se­he­ne Infor­ma­ti­on durch Mitarbeiter*innen des Bun­des­am­tes für Migra­ti­on & Flücht­lin­ge (BAMF) gewähr­leis­tet kein fai­res Asyl­ver­fah­ren und ist nur ein Feigenblatt.

Wer es ernst meint mit der Inte­gra­ti­on von Geflüch­te­ten, darf die Men­schen nicht 18 Mona­te lang in Lagern iso­lie­ren und so von Inte­gra­ti­ons­an­ge­bo­ten fernhalten!

Pas­send dazu ist in den aktu­el­len Plä­nen der Bun­des­re­gie­rung auch nicht ein­mal die, in der Koali­ti­ons­ver­ein­ba­rung von CDU, CSU und SPD ver­ab­re­de­te, unab­hän­gi­ge Ver­fah­rens­be­ra­tung an die­sen Stand­or­ten vor­ge­se­hen. Dabei hat­te das BAMF noch im Sep­tem­ber 2017 in sei­nem Eva­lua­ti­ons­be­richt (PDF), der offen­bar vom BMI bewusst noch nicht ver­öf­fent­licht wur­de, eine posi­ti­ve Bilanz gezo­gen. Alles spricht für eine flä­chen­de­cken­de Ein­füh­rung der unab­hän­gi­gen Asylverfahrensberatung.

Bundesländer müssen Lagern eine Absage erteilen!

Eini­ge Bun­des­län­der, wie bei­spiels­wei­se Schles­wig-Hol­stein, haben schon deut­lich gemacht, dass sie sich nicht an den AnkER­zen­tren betei­li­gen wol­len. Aus guten Grün­den: Deutsch­land ent­wi­ckelt sich damit vom Inte­gra­ti­ons- zum Aus­gren­zungs­land. Die dau­er­haf­te Unter­brin­gung in sol­chen, mit Sta­chel­draht gesi­cher­ten, Mas­sen­un­ter­künf­ten führt zu einer Stig­ma­ti­sie­rung der Men­schen, die in ihnen leben. Sie wer­den vom Kon­takt zur hier leben­den Bevöl­ke­rung qua­si ausgeschlossen.

Wer es ernst meint mit der Inte­gra­ti­on von Geflüch­te­ten, darf die Men­schen nicht 18 Mona­te lang in Lager iso­lie­ren und so von Inte­gra­ti­ons­an­ge­bo­ten – Sprach­kur­sen, Aner­ken­nung von Zeug­nis­sen, Qua­li­fi­ka­ti­on und Arbeits­markt­in­te­gra­ti­on, etc. – fernhalten.

Fehler der Vergangenheit drohen sich zu wiederholen

Es droht, dass in Deutsch­land die Feh­ler der 80er und 90er Jah­re wie­der­holt wer­den, als man schon ein­mal dar­auf gesetzt hat, bestimm­te Grup­pen, wie etwa die Bür­ger­kriegs­flücht­lin­ge aus dem Liba­non, durch eine mög­lichst schä­bi­ge Behand­lung und Aus­gren­zung in Lagern zu zer­mür­ben und zur »frei­wil­li­gen Aus­rei­se« zu drän­gen. Die­ses Kon­zept ist geschei­tert, aber es hat vie­len Flücht­lin­gen psy­chi­sche Schä­den zuge­fügt und die Kos­ten einer nach­träg­li­chen Inte­gra­ti­on in die Höhe getrieben.

Besonders Minderjährige sind Leidtragende!

Leid­tra­gen­de des Lager­kon­zepts des Bun­des­in­nen­mi­nis­ters sind ins­be­son­de­re geflüch­te­te Kin­der und Jugend­li­che. 45 Pro­zent der Geflüch­te­ten in Deutsch­land sind min­der­jäh­rig. Zugang zu ele­men­ta­ren Kin­der­rech­ten wie Bil­dung, Teil­ha­be und Schutz blie­ben ihnen in den AnkER-Ein­rich­tun­gen verwehrt.

Schon jetzt wer­den Flücht­lings­kin­der aus so genann­ten »siche­ren Her­kunfts­län­dern« oft­mals nicht mehr auf die Kom­mu­nen ver­teilt und blei­ben in Ein­zel­fäl­len ein Jahr und län­ger ohne Schul­un­ter­richt in Deutsch­land. Auch die Erst­un­ter­brin­gung und Alters­ein­schät­zung von unbe­glei­te­ten min­der­jäh­ri­gen Geflüch­te­ten soll zukünf­tig in die­sen Lagern für Erwach­se­ne, statt wie bis­her im Rah­men und in den Stan­dards der Kin­der- und Jugend­hil­fe statt­fin­den. Dies stellt eine staat­lich ver­ant­wor­te­te Gefähr­dung des Kin­des­wohls dar. Der Vor­rang der Kin­der- und Jugend­hil­fe für jun­ge Flücht­lin­ge wür­de damit fak­tisch abgeschafft.