02.10.2024
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Das Abschiebegefängnis in Büren, NRW. Foto: picture alliance/dpa | Friso Gentsch

Die grünen Landesregierungen von Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg liefern sich einen Wettlauf um die schäbigsten Maßnahmen zur Verschärfung des Flüchtlings- und Migrationsrechts. Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen hat dies mit treffenden Worten verurteilt, was wir hier leicht überarbeitet im Wortlaut abdrucken.

Mit Befrem­den stel­len wir fest, dass in der asyl­po­li­ti­schen Debat­te von Schutz­be­dürf­ti­gen und Men­schen­rech­ten kaum mehr die Rede ist. Die schwarz-grü­nen Lan­des­re­gie­run­gen von Schles­wig-Hol­stein, Nord­rhein-West­fa­len und Baden-Würt­tem­berg sind jetzt mit einem gemein­sa­men Ent­schlie­ßungs­an­trag vom 25. Sep­tem­ber in den Wett­lauf um die schä­bigs­ten Maß­nah­men zur Ver­schär­fung des Flücht­lings- und Migra­ti­ons­rechts ein­ge­tre­ten, ohne sich auch nur noch einen Deut um Men­schen­rech­te zu sche­ren. Die rot-grü­ne Lan­des­re­gie­rung for­dern wir auf, die popu­lis­ti­schen For­de­run­gen die­ser drei Bun­des­län­der abzu­leh­nen und die Men­schen­rech­te zu verteidigen.

Mehr Druck und längere Fristen bei Dublin-Überstellungen

Die drei Bun­des­län­der for­dern eine »Ver­bes­se­rung der Rah­men­be­din­gun­gen für Dub­lin-Über­stel­lun­gen« durch mehr Druck und län­ge­re Fris­ten. Als hät­te es die ver­nich­ten­de Kri­tik der Fach­leu­te zum »Sicher­heits­pa­ket« der Bun­des­re­gie­rung nicht gege­ben, for­dert das Papier Strei­chun­gen oder Kür­zun­gen von Leis­tun­gen für Per­so­nen, die nach der Dub­lin-III-Ver­ord­nung über­stellt wer­den sol­len, auch wenn sie gar nicht frei­wil­lig aus­rei­sen kön­nen. Für schwarz-grün scheint das The­ma Dub­lin-Über­stel­lun­gen ein rein tech­ni­sches zu sein. Kein Wort fällt zu den ver­hee­ren­den Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen in Dub­lin-Ver­trags­staa­ten wie zum Bei­spiel Bul­ga­ri­en, kein Wort zur psy­chi­schen Belas­tung für Men­schen, die nach lan­gem Auf­ent­halt in Deutsch­land ver­pflich­tet wer­den, Inte­gra­ti­ons­kur­se und Schul­be­such in Deutsch­land abzu­bre­chen, um in einem ande­ren EU-Land wie­der ganz neu anzu­fan­gen. Dub­lin ist kein tech­ni­sches Pro­blem, son­dern ein Pro­blem feh­len­der Stan­dards, man­geln­der Soli­da­ri­tä­ten und ver­letz­ter Menschenrechte.

Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien?

Es ent­setzt uns, dass schwarz-grün regier­te Bun­des­län­der dies for­dern, ohne auch nur im Ansatz zu reflek­tie­ren, dass es sich bei den Tali­ban sowie bei dem Regime von Assad um Macht­ha­ber han­delt, für die ein Men­schen­le­ben nichts zählt. Wol­len die schwarz-grü­nen Län­der die­se Paria­staa­ten, die Men­schen­rech­te sys­te­ma­tisch ver­let­zen, als Part­ner­län­der hof­fä­hig machen? Zu Unrecht bezieht sich der Ent­schlie­ßungs­an­trag auf ein Urteil des OVG NRW vom 16.07.2024, das die Schutz­be­dürf­tig­keit eines Syrers gar nicht in Fra­ge gestellt hat (Es ging in dem Ver­fah­ren ledig­lich um die Fra­ge, ob »nur« Abschie­bungs­schutz oder auch die Flücht­lings­an­er­ken­nung bzw. sub­si­diä­rer Schutz zuzu­spre­chen ist.) Klar ist: Bei dro­hen­der Todes­stra­fe, Fol­ter oder sons­ti­ger men­schen­rechts­wid­ri­ger Behand­lung hat eine Abschie­bung gemäß der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on zu unterbleiben.

Eine Illusion: »Humanitäre« Asylverfahren an den europäischen Außengrenzen 

Die schwarz-grü­nen Bun­des­län­der for­dern »huma­ni­tä­re« Asyl­ver­fah­ren an den euro­päi­schen Außen­gren­zen. Damit for­dern schwarz-grü­ne Län­der die Umset­zung der GEAS-Ver­ein­ba­rung, die zumin­dest von den Grü­nen wegen ihrer unge­nü­gen­den Beach­tung men­schen­recht­li­cher Stan­dards auf ihrem Par­tei­tag noch scharf kri­ti­siert und von den Grü­nen im EU-Par­la­ment sogar abge­lehnt wurde.

Problematische Ausweitung der Liste »sicherer Herkunftsstaaten«

Schwarz-Grün for­dert die ufer­lo­se Aus­wei­tung der Lis­te »siche­rer Her­kunfts­staa­ten« auf alle Her­kunfts­län­der mit einer Schutz­quo­te von unter fünf Pro­zent. Noch vor einem Jahr haben SPD und Grü­ne dies in der Bun­des­re­gie­rung vehe­ment abge­lehnt. Das Kon­zept der »siche­ren Her­kunfts­staa­ten« zielt dar­auf, Schutz­su­chen­de aus die­sen Län­dern abzu­schre­cken und sie schnell abschie­ben zu kön­nen. Es folgt nicht men­schen­recht­li­chen Tat­sa­chen, son­dern poli­ti­scher Will­kür. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat dazu ein­deu­ti­ge inhalt­li­che Vor­ga­ben for­mu­liert: In den betref­fen­den Staa­ten muss »Sicher­heit vor poli­ti­scher Ver­fol­gung lan­des­weit und für alle Per­so­nen- und Bevöl­ke­rungs­grup­pen bestehen«. Die Schutz­quo­te ist für eine sol­che Fest­stel­lung kein geeig­ne­tes Kriterium.

Verlängerung der Abschiebehaft trotz verfassungsrechtlicher Bedenken

Gera­de erst hat die Bun­des­re­gie­rung den soge­nann­ten Aus­rei­se­ge­wahr­sam von zehn auf 28 Tage ver­län­gert – ein Schritt, gegen den selbst Bun­des­jus­tiz­mi­nis­ter Busch­mann »ver­fas­sungs­recht­li­che Beden­ken« erhob: Die Zeit des Aus­rei­se­ge­wahr­sams wür­de damit nahe­zu ver­drei­facht, so Busch­mann damals, er sei aber »in zeit­li­cher Hin­sicht auf das unmit­tel­ba­re Vor­feld der Abschie­bung« zu begren­zen, daher bestän­de »ein ver­fas­sungs­recht­li­ches Risi­ko«. Die schwarz-grü­nen Bun­des­län­der sche­ren sol­che ver­fas­sungs­recht­li­chen Beden­ken nicht – sie for­dern eine »Auf­he­bung der zeit­li­chen Begren­zung des Ausreisegewahrsams«.

Wir brauchen eine menschenrechtsbasierte Politik

Es ist erschüt­ternd zu sehen, wie schnell CDU und Grü­ne einen rei­nen law-and-order-Dis­kurs in der asyl­po­li­ti­schen Debat­te fah­ren und dabei jeg­li­che men­schen­recht­li­che Boden­haf­tung ver­lie­ren. »Huma­ni­tät« erscheint nur noch als Appen­dix in der Über­schrift, im Text ist davon nichts mehr zu lesen. Von dem statt­ge­fun­de­nen und wei­ter statt­fin­den­den Roll­back in der Poli­tik gegen­über Geflüch­te­ten pro­fi­tiert vor allem die AfD, die sich zu Recht dar­über freu­en kann, dass ihre For­de­run­gen suk­zes­si­ve von den demo­kra­ti­schen Par­tei­en über­nom­men und umge­setzt werden.

Doch es gibt mitt­ler­wei­le auch Gegen­stim­men in allen demo­kra­ti­schen Par­tei­en, die die­sen Wett­lauf der Schä­big­kei­ten nicht mit­ma­chen wol­len und einen grund­sätz­lich ande­ren Kurs for­dern. Es ist höchs­te Zeit, den Schal­ter umzu­le­gen und wie­der zu einer men­schen­rechts­ba­sier­ten Poli­tik zurückzukehren.

Zum Autor: Kai Weber ist Geschäfts­füh­rer vom Flücht­lings­rat Nie­der­sa­chen e.V. und dort unter ande­rem zustän­dig für Pres­se- und Öffent­lich­keits­ar­beit sowie Lob­by- und Netzwerkarbeit.