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Rückschrittskoalition zulasten von Menschenrechten und Humanität

PRO ASYL zeigt sich besorgt über die Ergebnisse der Koalitionsgespräche, die weitreichende Verschärfungen für Schutzsuchende vorsehen, anstatt sich an humanitäre Grundsätze und geltendem Recht zu orientieren. Hier eine erste Analyse.
Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD liegt nach knapp vier Wochen Verhandlungen vor – doch statt einem Bekenntnis zu Flüchtlingsschutz und humanitärer Verantwortung liefert er ein deutliches Signal in Richtung weiterer Abschottung und gezielter Abschreckung.
Im Umgang mit Schutzsuchenden zeichnen sich dramatische Verschärfungen ab. Die letzten legalen Fluchtwege – etwa humanitäre Aufnahmeprogramme und der Familiennachzug – sollen massiv eingeschränkt werden. Statt menschenrechtliche Verpflichtungen einzuhalten, setzt die neue Koalition auf Abschreckung: Zurückweisungen von Schutzsuchenden an den Grenzen, mehr Befugnisse für die Polizei und Abschiebepläne prägen das Bild – während ernsthafte Konzepte für gesellschaftlichen Zusammenhalt und gleichberechtigte Teilhabe weitgehend fehlen.
In der aktuellen gesellschaftlichen Stimmung, in der Rassismus, Hetze und rechte Gewalt zunehmen, leistet dieser Koalitionsvertrag im Fluchtbereich keinen Beitrag zum Zusammenhalt. Die Realität zeigt: Nicht die »irreguläre Migration« spaltet unsere Gesellschaft, sondern soziale Ungleichheit und ungelöste soziale Probleme, die bereits viel zu lange ignoriert werden. Die Vereinbarungen sind kein Zukunftsplan für eine demokratische Einwanderungsgesellschaft – sondern ein Rückschritt auf ganzer Linie, auf Kosten von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit.
Wie es anders und besser gehen kann, hat PRO ASYL in einem Sieben-Punkte-Plan zum Beginn der Koalitionsverhandlungen deutlich gemacht.
Hier eine erste Analyse der von CDU/CSU und SPD geplanten Maßnahmen (die Hauptüberschriften und die Reihenfolge der Punkte wurden vom Koalitionsvertrag übernommen):
»Legale Zugangswege«
Wir werden freiwillige Bundesaufnahmeprogramme, so weit wie möglich, beenden (z.B. Afghanistan) und keine neuen Programme auflegen. (S. 93)
Mit der geplanten Einschränkung von Aufnahmeprogrammen und Familiennachzug wird die letzte Schutzmöglichkeit für Verfolgte – etwa aus Afghanistan – gekappt. Wer legale Wege versperrt, zwingt Menschen auf lebensgefährliche Fluchtrouten. Besonders zynisch: Dies betrifft auch Frauen und Mädchen aus Afghanistan, die dort laut europäischer Rechtsprechung eindeutig aufgrund ihres Geschlechts akut und massiv gefährdet sind.
Wir setzen den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten befristet für zwei Jahre aus. Härtefälle bleiben hiervon unberührt. Danach prüfen wir, ob eine weitere Aussetzung der zuletzt gültigen Kontingentlösung im Rahmen der Migrationslage notwendig und möglich ist. (S.93)
SPD und Union wollen den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte für mindestens zwei Jahre aussetzen. Doch schon heute beträgt die Wartezeit von der Terminbuchung bis zur Antragstellung eines Visums zum Familiennachzug zu subsidiär Geschützten oft rund zwei Jahre. Eine zusätzliche Aussetzung per Gesetz bedeutet für viele: jahrelange Trennung von Ehepartner*in und Kindern, obwohl ein Zusammenleben im Herkunftsland unmöglich ist.
Das Recht, als Familie zusammenzuleben, ist im Grundgesetz (Art. 6 GG) und in der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 8 EMRK) garantiert. Da eine komplette Aussetzung daher rechtswidrig wäre, wird mit der bereits bestehenden Härtefallklausel eine Möglichkeit der Einzelfallprüfung zumindest theoretisch eröffnet. In der Praxis erleben wir aber eine sehr restriktive Auslegung der Härtefallregelung, die rechtlich als höchst problematisch einzustufen ist.
Wie anerkannten Flüchtlingen droht auch subsidiär Geschützten in ihrem Herkunftsland Gefahr für ihr Leben – und dies betrifft meist auch ihre Familien. Den Familiennachzug länger als unbedingt nötig zu verzögern ist inhuman und behindert Geflüchtete bei der Integration in Deutschland.
Der Koalitionsvertrag lässt die Familien im Ungewissen, was nach der zweijährigen Aussetzung passieren wird. Selbst wenn danach der Familiennachzug ohne Begrenzung möglich werden sollte, werden durch die angestauten Anträge und geringen Bearbeitungskapazitäten weitere Monate oder Jahre vergehen, in denen das Recht auf Familie eklatant verletzt wird.
Zudem werden wir verstärkt Migrationsabkommen abschließen, um legale Zuwanderung zu steuern und die Rücknahmebereitschaft sicherzustellen. Wir werden die Zahl der Migrations- bzw. Rückführungsabkommen mit den relevanten Herkunftsstaaten fortlaufend erweitern. (S. 93)
CDU und SPD planen, die Zahl der »Migrations- bzw. Rückführungsabkommen« mit Drittstaaten zu erhöhen. Der starke Fokus auf Abschiebungen ist kritisch zu bewerten: Statt Abschiebungen um jeden Preis zu erhöhen, müssen rechtsstaatliche Verfahren und menschenrechtliche Standards eingehalten werden – auch in der Zusammenarbeit mit Herkunftsstaaten. Eine Asyl- und Migrationspolitik, bei der Kooperationen bei Abschiebungen zur Voraussetzung für politische oder wirtschaftliche Zugeständnisse gemacht werden, ist höchst problematisch. Denn sie hat einen hohe politische Preis, etwa, wenn dadurch autoritäre oder diktatorische Regime legitimiert werden.
»Begrenzung der Migration«
Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen. Wir wollen alle rechtsstaatlichen Maßnahmen ergreifen, um die irreguläre Migration zu reduzieren. Die Grenzkontrollen zu allen deutschen Grenzen sind fortzusetzen bis zu einem funktionierenden Außengrenzschutz und der Erfüllung der bestehenden Dublin- und GEAS-Regelungen durch die Europäische Gemeinschaft. Deshalb werden wir die europäische Grenzschutzagentur Frontex bei Grenzschutz und bei Rückführungen stärken. (S. 93)
Geplant ist, Asylsuchende künftig an den deutschen Grenzen abzuweisen und Schutzsuchenden somit den Zugang zu einem Asylverfahren in Deutschland zu verwehren. Setzt die neue Bundesregierung dieses Vorhaben in die Tat um, bricht sie offen mit menschenrechtlichen Verpflichtungen und geltendem europäischen Recht.
Die geltende Dublin-Verordnung verbietet die unmittelbare Zurückweisung von Schutzsuchenden in den Nachbarstaat ohne individuelle Prüfung der Zuständigkeit und von Rückführungshindernissen. Der Schengener Grenzkodex steht der unbegrenzten Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen – die generell immer nur als letztes Mittel eingesetzt werden dürfen – entgegen. Auch für die Gerichte gibt es keinen Zweifel an der Rechtswidrigkeit des Vorhabens: Erst im Oktober 2024 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Deutschland wegen einer beschleunigten Zurückweisung nach Griechenland, ohne Registrierung und individuelle Prüfung des Asylgesuchs, verurteilt. Er stellte klar, dass der Zugang zum Asylverfahren auch an den deutschen Grenzen gewahrt werden muss. stellte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof zudem klar, dass die pauschale Verlängerung von Grenzkontrollen rechtswidrig.
Zwar betonen die Koalitionäre, dass das Vorhaben in Abstimmung mit »unseren europäischen Nachbarn« umgesetzt werden soll, an der Rechtswidrigkeit ändert das allerdings nichts. Zudem dürften Polen, Tschechien und andere Nachbarstaaten kaum Interesse daran haben, einen deutschen Alleingang zu akzeptieren.
Die wichtigsten Fragen rund um den Themenkomplex Zurückweisungen hat PRO ASYL hier beantwortet. In einem von PRO ASYL und Greenpeace veröffentlichten Gutachten hat sich die Kanzlei Günther bereits vorab auch mit der CDU-Forderung nach Zurückweisungen und Binnengrenzkontrollen auseinandergesetzt. Das Rechtsgutachten ist hier zu finden.
Wir werden die Liste der sicheren Herkunftsstaaten erweitern und dazu auch die Möglichkeiten der GEAS-Reform ausschöpfen. Wir beginnen mit der Einstufung von Algerien, Indien, Marokko und Tunesien. Eine entsprechende Einstufung weiterer sicherer Herkunftsstaaten prüfen wir fortlaufend. Insbesondere Staaten, deren Anerkennungsquote seit mindestens fünf Jahren unter fünf Prozent liegt, werden als sichere Herkunftsstaaten eingestuft. Dabei wollen wir insbesondere die Einstufung sicherer Herkunftsstaaten durch Rechtsverordnung der Bundesregierung ermöglichen. (S. 93)
Die geplante Ausweitung des höchst fragwürdigen Instruments der »sicheren Herkunftsstaaten« unterläuft das individuelle Recht auf Asyl. Denn wer aus solchen Ländern stammt und Asyl beantragt, hat es besonders schwer: Verfahren sind verkürzt, Klagemöglichkeiten eingeschränkt, Abschiebungen schneller möglich. Schutzsuchende verlieren so oft jede Chance auf eine faire Prüfung ihrer Fluchtgründe. Pauschale Einstufungen ersetzen faire Einzelfallprüfungen und führen zu pauschaler Ablehnung.
Georgien und Moldau stehen hier exemplarisch für die Schwächen dieses Ansatzes. Abtrünnige Regionen wie Abchasien, Südossetien oder Transnistrien sind weit entfernt von Rechtssicherheit. Roma in Moldau, LGBTIQ*-Personen in Georgien – sie leben oft in Angst, Diskriminierung ist Alltag, staatlicher Schutz fehlt. Gleichzeitig wird demokratischer Protest in Georgien unterdrückt, die Pressefreiheit massiv eingeschränkt. Das sind keine „sicheren“ Staaten.
Wenn schon Georgien und Moldau als sichere Herkunftsstaaten fraglich sind – wie lässt sich dann rechtfertigen, etwa die Maghreb-Staaten oder Indien als »sicher« einzustufen? In Tunesien, Marokko und Algerien sind politische Aktivist*innen, Journalist*innen und LGBTIQ*-Personen massiven Repressionen ausgesetzt.
In Indien verschärfen sich unter Premier Modi religiöse Spannungen – vor allem Muslim*innen sind Ziel von Gewalt, Überwachung und Ausgrenzung. Zudem schwelt der Kaschmir-Konflikt weiter – eine Region, in der willkürliche Verhaftungen, Einschränkungen der Pressefreiheit und massive Menschenrechtsverletzungen dokumentiert sind.
Wir werden GEAS noch in diesem Jahr ins nationale Recht umsetzen und es auf europäischer Ebene weiterentwickeln. S. 94)
Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) ist bis dato die schärfste europäische Asylrechtsverschärfung, die den Zugang zu Schutz für Asylsuchende stark erschweren wird. Deutschland ist verpflichtet, die Reform bis Juni 2026 umzusetzen. Hierzu gehören auch gesetzliche Änderungen.
Es gibt aber durchaus Spielraum, wie restriktiv die GEAS-Reform umgesetzt wird. PRO ASYL dazu hat gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren gemacht. Doch schon die Ampel-Regierung hat mit ihrem für eine Umsetzung der GEAS-Reform einen Vorschlag gemacht, der auf die restriktive Linie setzte und über das Notwendige hinausging. Da die Ampel-Regierung dann auseinanderbrach, gab es keine Mehrheit mehr für den Entwurf. CDU/CSU und SPD wollen nun weitermachen. Es steht zu befürchten, dass noch weitere Verschärfungen in einen Gesetzentwurf der neuen Regierung kommen. Besorgniserregend ist auch, dass im Koalitionsvertrag auf eine Weiterentwicklung des Europäischen Asylsystems gesetzt wird – denn dann könnte es angesichts der aktuellen Debatten auch wirklich darum gehen, ob das Recht auf Asyl weiter bestehen bleibt.
In diesem FAQ zur GEAS-Reform werden die bevorstehenden Verschärfungen ausführlich erklärt.
Auf europäischer Ebene ergreifen wir mit Blick auf Debatten um das Konzept der sicheren Drittstaaten eine Initiative zur Streichung des Verbindungselements, um Rückführungen und Verbringungen zu ermöglichen. (S. 94)
Die Überlegungen, Asylverfahren in angeblich sichere Drittstaaten auszulagern, ist rechtlich höchst fragwürdig, realistisch kaum umsetzbar und politisch unverantwortlich.
Auch wenn im Koalitionsvertrag die Auslagerung von Asylverfahren nicht explizit, als Ziel verankert ist, so ist doch die Streichung des Verbindungselements für »sichere Drittstaaten« genau ein Baustein für solche Pläne.
Hier geht es darum, Deals mit Ländern à la Modell Ruanda zu schließen. Damit soll dann ein Flüchtling in einen Drittstaat außerhalb der EU geschickt werden können, obwohl er dort nie zuvor war.
Solche Versuche führen zu viel Leid, sind extrem teuer und meistens zum Scheitern verurteilt. Das hat PRO ASYL bereits im vergangenen Jahr in einer Stellungnahme im Rahmen der Sachverständigenanhörungen des BMI dargelegt. Eine deutliche Mehrheit der geladenen Expert*innen zeigte sich damals kritisch und lehnte die diskutierten Modelle ab.
Bisherige Versuche der Auslagerung sind allesamt gescheitert: Der UK-Ruanda-Deal wurde im Juli 2024 von der neuen britischen Regierung unter Premierminister Keir Starmer endgültig gestoppt, nachdem er zuvor schon wegen rechtlicher Hürden nicht umgesetzt werden konnte. Damit gab es unter dem Deal keine einzige Abschiebung nach Ruanda.
Und auch der Plan der italienischen Regierung, extraterritoriale Asylverfahren im Nicht-EU-Staat Albanien durchzuführen, scheiterte bisher an italienischen Gerichten: Bei allen drei Versuchen mussten die nach Albanien gebrachten Asylsuchenden aus den Haftzentren entlassen und nach Italien gebracht werden.
Die »sicheren Drittstaaten« sind im EU-Recht geregelt, und in Kürze wird ein Vorschlag der Kommission für eine Evaluierung erwartet. Mit der Initiative zur Streichung des Verbindungselements schließt sich Deutschland den europäischen Hardlinern an und unterstützt den Versuch, kollektiv das internationale Flüchtlingsschutz zu schwächen.
»Ausweisung und Rückführung«
Wir haben in den letzten Jahren in Deutschland schwer erträgliche Taten und Äußerungen zur Kenntnis nehmen müssen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt erheblich belastet oder gar beschädigt haben und deshalb auch zu gesetzlichen Änderungen auch im Ausweisungsrecht geführt haben. Wer den Aufenthalt in Deutschland missbraucht, indem er hier nicht unerheblich straffällig wird oder gewalttätige Stellvertreterkonflikte auf deutschem Boden austrägt, dessen Aufenthalt muss beendet werden. Künftig muss daher gelten: Bei schweren Straftaten führt die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe zu einer Regelausweisung. Dies gilt insbesondere bei Straftaten gegen Leib und Leben, gegen die sexuelle Selbstbestimmung, bei Volksverhetzung, bei antisemitisch motivierten Straftaten, sowie bei Widerstand und einem tätlichen Angriff gegen Vollstreckungsbeamte. Wir prüfen Änderungsbedarf bei Ausweisung auch bei öffentlicher Aufforderung zur Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. (S. 94)
Das geltende Ausweisungsrecht lässt Ausweisungen bei Verurteilungen zu Freiheitsstrafen stets nur ab einem bestimmten Strafmaß – abhängig von der jeweils begangenen Straftat – zu. Bei den hier genannten Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung sowie wegen Widerstands oder tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte kann bei Freiheits- oder Jugendstrafe ab drei Monaten eine Ausweisung erfolgen (§ 54 Abs. 2 Nr. 2b AufenthG).
Künftig soll nach dem Willen von Union und SPD nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) aber kein Mindeststrafmaß für eine Abschiebung mehr gelten. § 38 des Strafgesetzbuchs (StGB) bestimmt aber, dass das Mindestmaß zeitiger Freiheitsstrafe (also eine Freiheitsstrafe mit festgelegter Dauer) einen Monat beträgt. Beispielsweise könnte so künftig eine Person, die wegen einfacher Körperverletzung verurteilt wurde, bereits ausgewiesen werden, wenn sie eine Freiheitsstrafe von nur einem Monat bekommen hat. Bisher mussten es mindestens drei Monate sein. Das soll laut Koalitionsvertrag nicht gelten für Jugendliche und Heranwachsende, da das Mindestmaß der Jugendstrafe nach § 18 JGG sechs Monate beträgt.
Volksverhetzung und antisemitisch motivierte Straftaten sind bislang nicht gesondert bei den Ausweisungstatbeständen genannt. Für diese Straftaten gilt aktuell noch die allgemeine Regel, dass eine Ausweisung erfolgen kann, wenn eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten oder eine Jugendfreiheitsstrafe von einem Jahr, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde, erfolgt ist (§ 54 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AufenthG). Künftig könnte laut Koalitionsvertrag bei Erwachsenen auch hier schon bei einer Freiheitsstrafe von nur einem Monat und bei Jugendfreiheitsstrafen von sechs Monaten eine Ausweisung erfolgen. Letzteres auch noch unabhängig davon, ob die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde oder nicht.
Eine derartige Herabsetzung des Maßstabs – insbesondere für das Jugendstrafrecht – ist gänzlich unverhältnismäßig. In Bezug auf das Jugendstrafrecht kommt hinzu: § 21 Jugendgerichtsgesetz (JGG) bestimmt, dass Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird, wenn »zu erwarten ist, dass der Jugendliche sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs unter der erzieherischen Einwirkung in der Bewährungszeit künftig einen rechtschaffenen Lebenswandel führen wird«. Da es für eine Ausweisung Jugendlicher künftig aber in diesem Bereich nicht mehr darauf ankommen soll, ob die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird, könnten Jugendliche, bei denen im Strafprozess eine günstige Prognose für einen künftig rechtschaffenen Lebenswandel nach § 21 JGG gestellt wurde, dennoch ausgewiesen werden. Das ist erkennbar sinnwidrig.
Bei Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist bereits jetzt eine Ausweisung – auch ohne Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe – möglich. Von einer solchen Gefährdung wird nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausgegangen, wenn »Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen«, dass der oder die Betroffene »einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet hat«. Das gilt nicht, wenn der oder die Betroffene »erkennbar und glaubhaft« von dem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt (Rückausnahme).
Die Koalition will nun prüfen, ob beim Umgang mit »öffentlicher Aufforderung zur Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung« Änderungen nötig sind. Das wird PRO ASYL im Blick behalten.
»Rückführungsoffensive starten und Herkunftsländer in die Pflicht nehmen«
Den verpflichtend beigestellten Rechtsbeistand vor der Durchsetzung der Abschiebung schaffen wir dabei ab. (S. 94)
Das Recht auf anwaltliche Unterstützung in Abschiebungshaft soll gestrichen werden – obwohl sich die Hälfte aller Haftbeschlüsse als rechtswidrig herausstellt. Wer rechtlichen Beistand streicht, riskiert systematische Freiheitsberaubung.
Die Bundespolizei soll die Kompetenz erhalten, für ausreisepflichtige Ausländer vorübergehende Haft oder Ausreisegewahrsam zu beantragen, um ihre Abschiebung sicherzustellen. (S. 94)
Die vorübergehende Beantragung von Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam erfolgt bislang ausschließlich durch die Ausländerbehörden der Bundesländer. Im Jahr 2019 wurde schon einmal diskutiert, diese Kompetenz auch der Bundespolizei zu geben. Zutreffend hat damals die Gewerkschaft der Polizei in einer Stellungnahme unter Verweis auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes (A.Z. Urteil vom 25. Februar 1999; Az.: III ZR 155/97) darauf hingewiesen, dass hier eine ausschließliche Kompetenz der Länder besteht.
Denn aus der Verwaltungskompetenz des Bundes für die Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs (Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 Grundgesetz (GG) kann keine umfassende Zuständigkeit des Bundesgrenzschutzes in Bezug auf Personen, denen rechtlich die Einreise noch nicht gestattet ist, die sich aber schon auf deutschem Boden befinden, gefolgert werden. Erst recht gilt dies, wenn mit der beabsichtigten Kompetenzübertragung auch Maßnahmen außerhalb des Grenzgebiets beispielsweise in Zügen und Bahnhöfen gemeint sein sollten. Denn eine Zuständigkeit der Grenzpolizei an jedem Ort des Inlands ist definitiv nicht mit Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG in Einklang zu bringen .
Darüber hinaus fehlt der Bundespolizei schlicht das Personal für die genannten Maßnahmen (für ausreisepflichtige Ausländer vorübergehende Haft oder Ausreisegewahrsam zu beantragen).
Wir wollen eine Möglichkeit für einen dauerhaften Ausreisearrest für ausreisepflichtige Gefährder und Täter schwerer Straftaten nach Haftverbüßung schaffen, bis die freiwillige Ausreise oder Abschiebung erfolgt. Wir werden zudem alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die Kapazitäten für die Abschiebehaft deutlich zu erhöhen und dafür sorgen, die Möglichkeiten für Haft und Gewahrsam praxisnäher auszugestalten. (S. 94)
Bei der höchst problematischen Forderung der Union nach der »Möglichkeit für einen dauerhaften Ausreisearrest für ausreisepflichtige Gefährder und Täter schwerer Straftaten nach Haftverbüßung« ist die SPD offenbar eingeknickt.
Diese Forderung ist nicht mit höherrangigem Recht der Europäischen Union in Einklang zu bringen. Ein zeitlich unbeschränkter »Ausreisearrest« findet keine Grundlage in den detaillierten unionsrechtlichen Regelungen zur Abschiebehaft, und es werden die darin vorgegebenen zeitlichen Beschränkungen umgangen.
Beim »Ausreisearrest« werden unterschiedliche Haftzwecke wie Strafe, Gefahrenabwehr und Sicherung des Vollzugs der Abschiebung wild miteinander vermengt. Die Rückführungs-Richtlinie 2008/115/EG der Europäischen Union erlaubt Haft hingegen nur zu dem klar definierten Zweck der Vorbereitung der Ausreise oder des Vollzugs der Abschiebung.
Weiter gibt die Rückführungs-Richtlinie vor, dass die Haftdauer so kurz wie möglich zu halten ist und sich »nur auf die Dauer der laufenden Abschiebungsvorkehrungen erstrecken« darf, »solange diese mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt werden«. Haft zum Zweck der Vorbereitung der Rückkehr oder Durchführung der Abschiebung ist nach den unionsrechtlichen Vorgaben regelmäßig für maximal sechs Monate zulässig. Lediglich in Fällen, in denen die Abschiebungsmaßnahme trotz angemessener Bemühungen des Mitgliedstaats aufgrund mangelnder Kooperationsbereitschaft der betroffenen Drittstaatsangehörigen oder infolge von Verzögerungen bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen durch Drittstaaten wahrscheinlich länger dauern wird, darf dieser Zeitraum einmalig um höchstens zwölf Monate verlängert werden. Damit liegt die maximale Haftdauer in diesen Ausnahmefällen bei 18 Monaten.
Ein zeitlich unbegrenzter »Ausreisegewahrsam« ist aber auch mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und dem Grundgesetz nicht vereinbar.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mehrfach betont, dass die Dauer von Abschiebehaft das für den Zweck angemessene Maß nicht übersteigen darf und Abschiebemaßnahmen zügig erfolgen müssen. Konkret hat er unter diesen Gesichtspunkten beispielsweise eine Haftdauer von zweieinhalb Jahren mit dem durch Art. 6 der EMRK geschützten Recht auf Freiheit nicht vereinbar erklärt.
Nach Afghanistan und Syrien werden wir abschieben – beginnend mit Straftätern und Gefährdern. (S. 95)
Die geplanten Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien würden eindeutig gegen die Menschenrechte verstoßen, denn in beiden Ländern können Menschen nicht sicher leben, teilweise drohen ihnen Verfolgung, oder sogar Folter und Tod. Das Verbot der Abschiebung bei solchen Gefahren gilt völkerrechtlich auch für Straftäter und Gefährder*innen. Zudem sind die Abschiebungen von straffälligen Personen immer wieder auch ein Anfang dafür, künftig auch Menschen abzuschieben, denen keine Straftat vorgeworfen wird. Dass dies auch die Ambition der Koalitionäre ist, zeigt sich deutlich im Text. Damit werden sich afghanische und syrische Geflüchtete zukünftig in Deutschland nicht mehr sicher fühlen. Die politische Botschaft ist klar: Abschiebungen um jeden Preis – selbst wenn dafür internationale Schutzstandards verletzt werden.
Regelmäßige Rückführungen nach Kabul wären de facto nur möglich durch Annäherung an das Taliban-Regime. Dabei regieren diese weiterhin mit willkürlicher Gewalt und Menschenrechte werden systematisch missachtet, besonders die von Frauen, die aus dem öffentlichen Leben nahezu verbannt sind. Die bereits schlechte humanitäre Lage in Afghanistan verschärft sich aufgrund fehlender Fördergelder gerade akut. Die Weltgesundheitsorganisation warnt, dass bis zu 80 Prozent der von ihr geförderten Gesundheitszentren bis Juni 2025 schließen müssen, wenn es keine neue Unterstützung gibt.
In Syrien hat gerade das schwerste Massaker seit Jahren an der Minderheit der Aleviten stattgefunden, was die neue Regierung, angeführt von der HTS – Miliz, nicht verhindern wollte oder konnte. Zudem ist völlig unklar, wie sich die Politik, die Sicherheitslage oder die Frauen- und Minderheitenrechte entwickeln werden. Es gibt etliche bewaffnete Gruppen und unterschiedliche geopolitische Interessen der Türkei, von Israel und anderen. Immer wieder fallen Bomben.
Wer in solche Länder abschiebt, setzt Menschenleben aufs Spiel und untergräbt den Menschenrechtsschutz systematisch.
Wir sorgen für eine konsequente Umsetzung der bestehenden Anspruchseinschränkungen im Leistungsrecht. (S.95)
Die neue Regierung will weiterführen, was die Ampel bereits begonnen hat: Die Strategie, hilfesuchenden Menschen das zum Leben Notwendigste zu entziehen, um sie aus Deutschland zu vertreiben. Erst seit Ende Oktober 2024 ist die völlige Streichung von Sozialleistungen für Menschen mit Schutzstatus im Ausland und solche im Dublin-Verfahren gesetzlich in Kraft. Dabei ist die Umsetzung bereits mehrfach vor den Sozialgerichten gescheitert – auf Ansage, denn viele Expert*innen hatten schon im Vorfeld die Europa- und Verfassungswidrigkeit der Streichung moniert. Und das Verfassungsgericht hat bereits im Jahr 2010 in einem Grundsatzurteil die Instrumentalisierung von Sozialleistungen für migrationspolitische Ziele verboten.
Die neue Bundesregierung will jedoch offenbar auch nicht rechtstreuer handeln als die alte, auch nicht angesichts der jüngsten Gerichtsurteile. Allein das ist ein Umstand, der Anlass zu Besorgnis geben muss.
Unabhängig davon können die Streichungen bereits jetzt viel Schaden anrichten, weil nicht alle Betroffenen sich trauen und in der Lage sind, vor Gericht zu ziehen, wenn sie auf die Straße gesetzt werden und keine Lebensmittel mehr bekommen.
Fraglich bleibt, ob Menschen, denen alle Leistungen gestrichen werden, tatsächlich Deutschland verlassen oder ob sie nicht vielmehr in die Illegalität und ein elendes Leben auf der Straße gedrängt werden. Damit scheint die Bundesregierung sehenden Auges Desintegration und die Entstehung einer Schattengesellschaft von Geflüchteten in Kauf zu nehmen. Das hätte negative Konsequenzen für die gesamte Gesellschaft. Es ist ein Szenario, das selbst Ordnungspolitiker*innen nicht gefallen kann.
»Integration«
Die Wohnsitzregelung entwickeln wir fort. Wir wollen zum einen geflüchtete Frauen besser vor Gewalt schützen. Für Opfer häuslicher Gewalt wollen wir Erleichterungen bei Residenzpflicht und Wohnsitzauflage schaffen. Zum anderen werden wir die übrigen Ausnahmetatbestände reduzieren, damit die Wohnsitzregelung wieder zur Regel wird und nicht die Ausnahme bleibt. Der Bund wird die Länder und darüber die Kommunen weiterhin bei der Unterbringung von Asylsuchenden finanziell unterstützen. (S. 95, 96)
Während des Asylverfahrens sind geflüchtete Menschen an einen bestimmten Wohnort gebunden und unterliegen meist einer Residenzpflicht, die ihren Aufenthalt auf einen bestimmten Landkreis beschränkt. Auch Geduldete unterliegen häufig strengen Auflagen.
Selbst für Schutzberechtigte nach der Anerkennung sowie für Menschen, die erstmalig eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis erhalten, gilt eine Wohnsitzregelung: eine dreijährige Bindung mindestens an das Bundesland oder sogar an die Kommune. Es ist offenbar diese Regelung nach § 12a Aufenthaltsgesetz (AufenthG), die die Koalition nun wieder verschärfen und die erst 2022 eingeführten Umzugsmöglichkeiten in eine andere Kommune streichen will.
Aus Sicht von PRO ASYL ist aber im Gegenteil die vollständige Abschaffung von Wohnsitzauflage und Residenzpflicht möglich und sinnvoll. Denn dabei handelt es sich um völlig überflüssige Behinderungen im Alltag geflüchteter Menschen, die aktive Integration und Selbsthilfe untergraben. Die negativen Folgen der dreijährigen Wohnsitzauflage für anerkannte Geflüchtete bestätigen Untersuchungen wie die des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (2022) und die offizielle Evaluation der Empirica AG im Auftrag des BAMF (2023).
Nur wenn es keine Wohnsitzauflage gibt, können Frauen aus einer als unsicher empfundenen Unterkunft wegziehen oder sich aus einer Beziehung vom Partner lösen, bevor es zu Gewalt kommt. Dass die Koalition – offenbar quasi im Gegenzug zu den Verschärfungen – »Erleichterungen« für Frauen im Gewaltfall vorsieht, ist nur ein geringer Trost. Zwar sind Änderungen für Gewaltbetroffene dringend notwendig und mit dem Gewalthilfegesetz wurden in der letzten Legislatur ein Ausbau und eine verbesserte Finanzierung von Schutzhäusern beschlossen. Damit geflüchtete Frauen auch Zugang zu diesen Strukturen haben, sehen die Koalitionäre für geflüchtete Frauen allerdings lediglich »Erleichterungen« bei Residenzpflicht und Wohnsitzauflage vor. In dieser Formulierung bleibt offen, wie Frauen wirklich unbürokratisch Hilfe und Schutz vor Gewalt finden sollen. Denn bereits jetzt gibt es eine Härtefallregelung für den Gewaltfall, die aber auf der Verwaltungsebene vielerorts eben nicht gut funktioniert.
Mehrfach hat PRO ASYL gemeinsam mit Frauenverbänden und Frauenhäusern die Hürden moniert, die von Gewalt betroffene geflüchtete Frauen durch Wohnsitzauflagen und Residenzpflichten beim Zugang zu Schutzräumen wie Frauenhäusern haben.
Für geduldete Ausländer, die gut integriert sind, die über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen und durch ein bestehendes, sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis seit zwölf Monaten ihren Lebensunterhalt überwiegend sichern, deren Identität geklärt ist, die nicht straffällig geworden sind (analog § 60d Absatz 1 Nr. 7 Aufenthaltsgesetz) und die sich zum 31.12.2024 seit mindestens vier Jahren ununterbrochen in Deutschland aufgehalten haben sowie die Voraussetzungen von §§ 25a, b Aufenthaltsgesetz noch nicht erfüllen, werden wir einen befristeten Aufenthaltstitel schaffen. Die weitere Ausgestaltung bleibt dem Gesetzgebungsverfahren vorbehalten. Die Regelung tritt zum 31.12.2027 außer Kraft. (S. 96)
Es soll eine neue Stichtagsregel für Menschen geben, die bis Ende des Jahres 2024 schon vier Jahre in Deutschland lebten, gut integriert sind und seit mindestens einem Jahr erwerbstätig beschäftigt sind. Sie sollen ein befristetes Aufenthaltsrecht bekommen. Diese Regelung soll vermutlich an das Chancen-Aufenthaltsrecht anknüpfen, stellt aber von vornherein höhere Anforderungen und ähnelt damit anderen bestehenden Bleiberechtsregelungen.
Die beabsichtigte Regelung hat gegenüber der Beschäftigungsduldung (§60d Aufenthaltsgesetz, AufenthG) und dem Bleiberecht für gut integrierte Jugendliche und junge Volljährige (§ 25a AufenthG) den Vorteil, dass keine Vorduldungszeit von zwölf Monaten verlangt wird, in denen eine Abschiebung droht. Im Unterschied zum Bleiberecht bei nachhaltiger Integration (§ 25b AufenthG) soll laut Koalitionsvertrag eine Voraufenthaltszeit von vier Jahren (statt wie beim § 25b AufenthG sechs Jahre bei Personen ohne Kinder) in allen Fällen ausreichend sein. Die Anforderungen an die Sprachkenntnisse sind demgegenüber allerdings höher (B1 statt A2), was nicht logisch erscheint.
Leider handelt es sich außerdem wieder nur um eine nur befristete Neuregelung. Insgesamt wäre es sinnvoller, die Voraufenthaltszeiten der bestehenden Bleiberechtsregelungen zu senken.
Hürden für Flüchtlinge bei der Beschäftigungsaufnahme werden wir abbauen und Arbeitsverbote auf maximal drei Monate reduzieren. Dies gilt nicht für Asylbewerber
aus sicheren Herkunftsstaaten, Dublin-Fälle oder Personen, die das Asylrecht offenkundig missbrauchen. Wir werden die schnelle und nachhaltige Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt mit einer Verbindung aus früherer Arbeitserfahrung, berufsbegleitendem Spracherwerb und berufsbegleitender Weiterbildung/Qualifizierung dauerhaft voranbringen. (S. 15)
Es ist sinnvoll, dass das Arbeitsverbot zumindest für einige Asylsuchende auf drei Monate reduziert wird. Konsequenter wäre eine vollständige Abschaffung.
»Beschleunigen, Digitalisieren, Entlasten«
Wir werden die Digitalisierung der Migrationsverwaltung gemeinsam mit den Ländern mit Nachdruck fortführen, das Ausländerzentralregister ausbauen und den Datenaustausch verbessern. Ein Gesetz zur Weiterentwicklung der Digitalisierung der Migrationsverwaltung wollen insbesondere das Aufenthaltsgesetz redaktionell überarbeiten und entbürokratisieren, um die Rechtsanwendung für alle zu vereinfachen. Wir setzen auf eine deutliche Beschleunigung der Asylverfahren – sowohl beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als auch bei verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Dabei werden wir auch die Rechtsmittelzüge in den Blick nehmen und ermöglichen die Einrichtung von besonderen Verwaltungsgerichten für Asylrechtssachen.
Das Ausländerzentralregister (AZR) ist bereits jetzt ein enormer Datenspeicher. Wenn dieser nun ausgebaut werden soll, müsste dies einhergehen mit der Sicherstellung des Datenschutzes für die betroffenen Personen. Um die Asylverfahren zu beschleunigen, ist vor allem gut geschultes Personal nötig. Dies sorgt auch für bessere Entscheidungen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und somit für weniger Klagen. Beschleunigung darf nicht zulasten der Qualität gehen. Eine Einschränkung der Klagemöglichkeiten würde Asylsuchende zusätzlich benachteiligen, zudem sie schon jetzt im Klageverfahren schlechter gestellt sind als andere im Verwaltungsverfahren.
Aus dem „Amtsermittlungsgrundsatz“ muss im Asylrecht der „Beibringungsgrundsatz“ werden. Nach einer Ausweisung oder einer Abschiebung soll grundsätzlich ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden. (S. 96)
Der Amtsermittlungsgrundsatz verpflichtet Behörden, im Asylverfahren selbst aktiv zu ermitteln, zum Beispiel Informationen über die Gefährdungslage in einem Herkunftsland einzuholen. Das schützt Fairness und Rechtsstaatlichkeit. Nun droht der Beibringungsgrundsatzes: Schutzsuchende müssten ihre Verfolgung vollständig selbst beweisen. Das ist eine gravierende Verschiebung der Beweislast und ein möglicher Bruch mit deutschem und europäischem Recht. Ausführlich hat PRO ASYL hier das Problem erklärt.
Zudem ist unklar, auf welche Instanz sich diese Neuerung bezieht, auf das BAMF oder auf die Verwaltungsgerichte.
Die behördenunabhängige Asylverfahrensberatung werden wir ergebnisoffen evaluieren. (S. 96)
Die behördenunabhängige Asylverfahrensberatung ist ein wichtiger Baustein für faire Asylverfahren in Deutschland. Es wäre zu begrüßen, sie nicht nur zu erhalten, sondern flächendeckend auszubauen. Insbesondere mit Blick auf drohende erschwerte Asylverfahren (siehe voriger Punkt) ist der Zugang zu unabhängiger Asylverfahrensberatung elementar. Schon 2017 hat eine Untersuchung vom BAMF und UNHCR die positive Rolle der Asylverfahrensberatung für gute Asylverfahren gezeigt. Die Studie wurde jedoch nie veröffentlicht, ist aber hier abrufbar.
»Staatsangehörigkeitsrecht«
Wir schaffen die „Turboeinbürgerung“ nach drei Jahren ab. Darüber hinaus halten wir an der Reform des Staatsbürgerschaftsrecht fest. (S. 96)
Es ist positiv, dass die Reform der Staatsbürgerschaft erhalten bleibt und sich die Hardliner hier offensichtlich nicht durchgesetzt haben. Die Wiederabschaffung der erst letztes Jahr eingeführten »Turboeinbürgerung« ist dabei allerdings ein unnötiger Rückschritt. Denn diese stand ohnehin nur Menschen offen, die außerordentliche Sprachkenntnisse, Vollbeschäftigung und ehrenamtliches Engagement vorweisen konnten.
»Rechtskreiswechsel«
Flüchtlinge mit Aufenthaltsrecht nach der Massenzustrom-Richtlinie, die nach dem 01.04.2025 eingereist sind, sollen wieder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, sofern sie bedürftig sind. Die Bedürftigkeit muss durch konsequente und bundesweit einheitliche Vermögensprüfungen nachgewiesen werden. Der Bund wird, die hierdurch bei den Ländern und Kommunen entstehenden Mehrkosten tragen. (S. 96, 97)
Besorgniserregend ist, dass sich der zunehmende Sozialpopulismus gegenüber geflüchteten Ukrainerinnen nun auch im Koalitionsvertrag niederschlägt. Künftig sollen neu ankommende Ukrainer*innen bei Bedürftigkeit wieder unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallen. Dies hätte nicht nur geringere finanzielle Leistungen und vielerorts die Bezahlkarte zur Folge, sondern auch eine eingeschränkte medizinische Versorgung.