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Restriktive Asylpraxis gegenüber Homosexuellen vor dem EuGH

Wie jetzt bekannt wurde hat das Oberverwaltungsgericht NRW in einem Vorabentscheidungsverfahren dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg Fragen zur Auslegung des Flüchtlingsbegriffs nach der Qualifikationsrichtlinie (RL 2004/83/EG) am 23.11.2010 vorgelegt. Damit wird die restriktive Asylpraxis gegenüber Asylsuchenden, denen wegen ihrer Homosexualität Verfolgung droht, auf den Prüfstand gestellt. Im Kern geht es um die Frage, ob der
Wie jetzt bekannt wurde hat das Oberverwaltungsgericht NRW in einem Vorabentscheidungsverfahren dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg Fragen zur Auslegung des Flüchtlingsbegriffs nach der Qualifikationsrichtlinie (RL 2004/83/EG) am 23.11.2010 vorgelegt. Damit wird die restriktive Asylpraxis gegenüber Asylsuchenden, denen wegen ihrer Homosexualität Verfolgung droht, auf den Prüfstand gestellt. Im Kern geht es um die Frage, ob der Flüchtlingsschutz demjenigen verweigert werden darf, der in seinem Herkunftsland den staatlichen oder sonstigen Übergriffen entgehen kann, indem er seine sexuelle Neigung nur im Verborgenen auslebt. Da das europäische Recht für die Flüchtlingsanerkennung verbindliche Vorgaben macht, die seit dem 10.10.2006 beachtet werden müssen, wird nun der EuGH diese Frage zu entscheiden haben. Dass die Klarstellung durch den EuGH notwendig ist, sieht PRO ASYL als Armutszeugnis für die deutsche Asylpraxis an. Asylsuchenden den Verzicht auf ihre sexuelle Identität zuzumuten, stellt eine eklatante Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung dar und ist offensichtlich mit dem europäischen Asylrecht nicht vereinbar.
Der EuGH-Vorlage liegt folgender Fall zugrunde: Ein im Jahr 2000 aus dem Iran geflohener Asylsuchender macht geltend, aufgrund seiner Homosexualität im Iran verfolgt zu sein. Nachdem er in einem Asylerstverfahren gescheitert war, stellte er nach In-Kraft-Treten der Qualifikationsrichtlinie einen Asylfolgeantrag im Jahr 2007. Die Verfolgungsgefahr begründete er mit der Tatsache, dass im Iran der homosexuelle Geschlechtsverkehr nach dem iranischen StGB mit der Todesstrafe und beischlafähnliche Handlungen mit Peitschenhieben bestraft werden.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag ab, da es dem Antragsteller zuzumuten sei, bei einer Rückkehr in den Iran seine homosexuelle Neigung in privater Weise zu leben. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf bestätigte den Bundesamtsbescheid und urteilte am 11. März 2009, das Praktizieren der homosexuellen Veranlagung sei im Verborgenen im Iran möglich, ohne dass eine Verfolgungsgefahr bestehe. Dem Kläger sei es auch unter Berücksichtigung der EU-Richtlinie 2004/83/EG nicht unzumutbar, sein Sexualleben im Iran lediglich nichtöffentlich auszuleben. Diese Sichtweise entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach es dem Asylbewerber zuzumuten sei, seine homosexuelle Veranlagung und Betätigung nicht nach außen hin bekannt werden zu lassen, sondern auf den Bereich seines engsten persönlichen Umfeldes zu beschränken (BVerwG, Urteil v. 15. März 1988, 9 C 278.86, BVerwGE 79, 143, 149).
Der Kläger legte Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil ein. Das angerufene Oberverwaltungsgericht NRW setzte das Verfahren mit Beschluss vom 23.11.2010 (13A1013/09.A) aus und legte dem EuGH Fragen zur Auslegung der EU-Qualifikationsrichtlinie (RL 2004/83/EG) zur Vorabscheidung vor. Die Definition des Flüchtlingsbegriffs und damit die Voraussetzungen des Flüchtlingsschutzes sind mit dieser Richtlinie auf EU-Ebene umfassend harmonisiert. Der EuGH ist allein für die verbindliche Auslegung des Unionsrechts zuständig. Vor diesem Hintergrund wird nun in Luxemburg zu klären sein, ob die deutsche Entscheidungspraxis hinsichtlich der Asylanträge von Homosexuellen mit dem Unionsrecht vereinbar ist.
Das Oberverwaltungsgericht hat dem EuGH folgende Fragen vorgelegt:
„Es wird gemäß Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemein-schaften zu folgenden Fragen eingeholt:
1. Ist Homosexualität als sexuelle Ausrichtung im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. d) Satz 2 der Richtlinie 2004/83/EG anzusehen und kann sie hinreichender Verfolgungsgrund sein?
2. Für den Fall, dass Frage zu 1. zu bejahen ist:
a) In welchem Umfang ist die homosexuelle Betätigung geschützt?
b) Kann der homosexuelle Mensch darauf verwiesen werden, seine sexuelle Ausrichtung im Heimatland im Verborgenen auszuleben und nach außen hin nicht bekannt werden zu lassen?
c) Sind spezielle Verbote zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Moral bei Auslegung und Anwendung des Art. 10 Abs. 1 Buchst. d) der Richtlinie 2004/83/EG beachtlich oder ist die homosexuelle Betätigung wie bei einem heterosexuellen Menschen geschützt?“
Link zum Vorlagebeschluss des OVG NRW »