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Das Schiff wurde vor dem Untergang nicht nur von griechischen Behörden gesichtet und fotografiert, sondern auch begleitet. Foto: Hellenic Coast Guard via Reuters

Am 14. Juni sind vor der griechischen Küste über 500 Menschen ertrunken – vor den Augen der griechischen Küstenwache. Sie waren in einem überfüllten Boot auf dem Weg von Libyen nach Italien. PRO ASYL & RSA stehen den Überlebenden und Angehörigen bei und fordern Aufklärung.

Wochen nach der ver­mut­lich töd­lichs­ten Schiffs­ka­ta­stro­phe in Euro­pa in die­sem Jahr­tau­send ver­dich­ten sich die Hin­wei­se, dass die grie­chi­sche Küs­ten­wa­che die Men­schen nicht nur durch Nichts­tun hat Ster­ben­las­sen, son­dern mög­li­cher­wei­se auch durch ver­such­te Abschlepp­ak­tio­nen mit­ver­ant­wort­lich für das Ken­tern des über­füll­ten Boo­tes war. Der­lei Aktio­nen sind nicht neu, immer wie­der ver­su­chen Grenz­schutz­be­hör­den, Flücht­lings­boo­te aus ihren Gewäs­sern zu schlep­pen. Das ist zwar ille­gal, aber offen­bar der neue Stil Europas.

Wie geht es den Überlebenden?

Nur 104 Men­schen über­leb­ten das Unglück. Sie wur­den ab dem 16. Juni vom Hafen von Kala­ma­ta zum Auf­nah­me- und Iden­ti­fi­zie­rungs­zen­trum (RIC) in Mala­ka­sa, nörd­lich von Athen, trans­por­tiert. Nach den grie­chi­schen Vor­schrif­ten (die Gegen­stand eines Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­rens der EU-Kom­mis­si­on vom Janu­ar 2023 sind) wur­den sie de fac­to in Gewahr­sam genom­men und konn­ten das Lager bis zum Abschluss der Über­prü­fungs­ver­fah­ren nicht verlassen.

Die­se Woche wur­den sie in das noch bestehen­de alte Lager in Mala­ka­sa ver­legt. Dort sind die Lebens­be­din­gun­gen ähn­lich schlecht, das Lager ist aber offe­ner. Unse­re Anwält*innen von Refu­gee Sup­port Aege­an sind qua­si täg­lich vor Ort. Wir ver­tre­ten 17 der Über­le­ben­den im Asyl­ver­fah­ren, vie­le der Über­le­ben­den haben zudem Ange­hö­ri­ge in ande­ren euro­päi­schen Län­dern, wie Deutsch­land. Wir unter­stüt­zen sie mit unse­ren Teams in Deutsch­land und Grie­chen­land dabei, dass die Fami­li­en mög­lichst schnell zusam­men­ge­führt wer­den können.

Druck der Behörden, noch keine unabhängige Untersuchung

Die juris­ti­sche Unter­stüt­zung ist beson­ders wich­tig, denn: Die Betrof­fe­nen wer­den nach den trau­ma­ti­schen Erleb­nis­sen nicht etwa ver­nünf­tig betreut, es wird auch nichts dafür getan, dass sie schnell in siche­re Ver­hält­nis­se oder zu ihren Fami­li­en gelan­gen. Im Gegen­teil üben die grie­chi­schen Behör­den gro­ßen Druck aus. Die Ver­fah­ren wur­den extrem ver­kürzt, Asyl­an­hö­run­gen fan­den schon kurz nach dem Unglück statt, sie wur­den vor allem digi­tal durch­ge­führt und es gab auf­fal­lend häu­fig Fra­gen nach Ver­bin­dun­gen zu mög­li­chen Schlep­pern – und nicht nach Fluchtgründen.

»Wir arbei­ten als RSA-Team rund um die Uhr. Wir haben immer noch Schwie­rig­kei­ten, die Dimen­si­on der Kata­stro­phe zu begreifen.«

Natas­sa Strach­i­ni, Refu­gee Sup­port Aegean

Die Über­le­ben­den appel­lie­ren an die­ser Stel­le, sie nicht zu ver­ges­sen – öffent­li­che Auf­merk­sam­keit für ihr Schick­sal ist die ein­zi­ge Mög­lich­keit, ihnen einen mini­ma­len Schutz zu gewähren.

Wenig Hoffnung in die Ermittlungen

Und vie­le Über­le­ben­de haben daher gro­ße Angst vor den grie­chi­schen Behör­den. Etli­che sind über­zeugt davon, dass die grie­chi­sche Küs­ten­wa­che letzt­lich ursäch­lich für das Ken­tern ihres Schif­fes war. Gegen­über einem Recher­che­kol­lek­tiv, u.a. unter Betei­li­gung von SPIEGEL und Moni­tor, äußer­ten eini­ge Über­le­ben­de auch, dass ihre Aus­sa­gen nach dem Unglück feh­ler­haft pro­to­kol­liert wur­den. Mög­li­cher­wei­se um eine direk­te Betei­li­gung der grie­chi­schen Küs­ten­wa­che an der Kata­stro­phe zu ver­schlei­ern. Ers­te Ver­hö­re in den Ermitt­lun­gen der Staats­an­walt­schaft Kala­ma­ta wur­den offen­bar sogar von der grie­chi­schen Küs­ten­wa­che selbst durchgeführt.

Die­se Erzäh­lun­gen machen wenig Hoff­nung dar­auf, dass die Ermitt­lun­gen in Grie­chen­land zu einem raschen und wahr­heits­ge­mä­ßen Ergeb­nis füh­ren. Zu befürch­ten ist, dass ein ähn­lich lan­ger Weg bevor­steht, wie nach dem Unglück vor Farm­a­ko­ni­si 2014, als es acht lan­ge Jah­re gedau­ert hat, bis der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rech­te (EGMR) am 7. Juli 2022 die Schuld Grie­chen­lands fest­ge­stellt und die Behör­den wegen Ver­let­zung des Rechts auf Leben zu Ent­schä­di­gungs­zah­lun­gen ver­ur­teilt hat (Safi and others v Greece). Nur weni­ge Tage vor dem Schiffs­un­glück von Pylos erklär­te Grie­chen­land übri­gens dem Euro­pa­rat, dass dies ein Ein­zel­fall war und Grie­chen­land kei­ne all­ge­mei­nen Maß­nah­men ergrei­fen müs­se, um die Ein­hal­tung der Vor­schrif­ten zu gewähr­leis­ten. Aktu­ell sind aber mehr als 30 Fäl­le beim EGMR wegen Miss­hand­lun­gen von Geflüch­te­ten durch die grie­chi­sche Küs­ten­wa­che und die grie­chi­sche Poli­zei anhängig.

Auch die­ses Mal wer­den wir den Kla­ge­weg natür­lich beschrei­ten, um Gerech­tig­keit her­zu­stel­len. Wir berei­ten gemein­sam mit Über­le­ben­den und Ange­hö­ri­gen den Gang vor inter­na­tio­na­le Gerich­te vor.

Auch die­ses Mal wer­den wir den Kla­ge­weg natür­lich beschrei­ten, um Gerech­tig­keit her­zu­stel­len. Wir berei­ten gemein­sam mit Über­le­ben­den und Ange­hö­ri­gen sowie Expert*innen und Gutachter*innen den Gang vor inter­na­tio­na­le Gerich­te vor. Außer­dem ist so schnell wie mög­lich eine unab­hän­gi­ge Unter­su­chungs­kom­mis­si­on notwendig.

Hilfe für die Hinterbliebenen, die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen!

Unser Team in Grie­chen­land half in den letz­ten Wochen auch etli­chen ver­zwei­fel­ten Ange­hö­ri­gen bei der Suche nach ihren Fami­li­en­mit­glie­dern, die sie auf dem Schiff und unter den Todes­op­fern ver­mu­te­ten. Für sie ist ele­men­tar, dass nun auch das Wrack mit ver­mut­lich vie­len Lei­chen, gebor­gen wird.

Und auch wenn es einen lan­gen Atem braucht: Eben­so ele­men­tar ist, dass die Ver­ant­wort­li­chen für den Tod von Hun­der­ten Men­schen – ob durch blo­ßes Weg­se­hen und die Ver­wei­ge­rung von Hil­fe oder gar durch akti­ves Zutun – zur Rechen­schaft gezo­gen werden.

(kk / mk)