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Protest erlaubt? BGH entscheidet zu Demos vor Abschiebungshaft

Darf vor der Abschiebungshaft am Berliner Flughafen protestiert werden? Darüber entscheidet am 26.06.2015 der Bundesgerichtshof. Das Verfahren hat eine grundsätzliche Bedeutung. Die Frage: Was ist ein öffentlicher Raum und gehören Betriebsgelände dazu? PRO ASYL hofft auf einen positiven Ausgang für die Versammlungsfreiheit.
Die „Ordensleute gegen Ausgrenzung“ demonstrieren schon seit über 20 Jahren in Berlin gegen dortige Abschiebungsgefängnisse. Als im August 2012 am Flughafen Berlin-Schönefeld eine Abschiebungshaft eröffnet wurde, wollten die Ordensleute ihren Protest an den Ort des Geschehens tragen. Hierzu meldeten sie eine Kundgebung auf dem Gelände der Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg GmbH an.
Die Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg GmbH verweigerte die Versammlung. Es handele sich bei dem Betriebsgelände nicht um einen öffentlichen Raum der Kommunikation. Dabei ist das Gelände über zwei Außentore für jedermann frei zugänglich, zudem befinden sich dort privatwirtschaftliche Unternehmen, Konferenzzentren, Betriebssportanlagen u.ä. Nachdem die Ordensleute erfolglos vor unterinstanzlichen Gerichten gegen das Verbot geklagt haben, wird nun am 26.06.2015 der Bundesgerichtshof in Karlsruhe eine Entscheidung treffen.
Fraport-Urteil: Der Flughafen ist kein demokratiefreier Ort
Das Verfahren der Ordensleute ist von grundsätzlicher Bedeutung und schließt an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im sogenannten Fraport-Urteil an. Im Februar 2011 hat das Bundesverfassungsgericht der Beschwerde der Abschiebegegnerin und PRO-ASYL Menschenrechtspreisträgerin Julia Kümmel stattgegeben, die im Innenbereich des Frankfurter Flughafens gegen Abschiebungen demonstrieren wollte.
Das Gericht hob das Hausverbot der Fraport-AG auf und hielt fest, dass die Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 Grundgesetz auch gemischtwirtschaftliche Unternehmen an denen der Staat und private Akteure gemeinsam Anteile halten zu einer Bindung an die Grundrechte verpflichten: Die Versammlungsfreiheit erstrecke sich auch auf Räume, die für den öffentlichen Verkehr und Kommunikation eröffnet sind. Seither dürfen Flüchtlingsinitiativen und Gegner von Startbahnerweiterungen im Innenbereich von Flughäfen demonstrieren. Ob sich dies auch auf das Betriebsgelände erstreckt wird nun vom BGH geklärt.
Darf auch auf dem Flughafen-Betriebsgelände protestiert werden?
An der Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg GmbH hält der Staat alle Anteile. Nach dem Fraport-Urteil des BVerfG ist die öffentliche Hand auch dann an die Grundrechte gebunden, wenn sie sich an Unternehmen in Privatrechtsform beteiligt, Jedoch wendet die GmbH als Betreiberin ein, dass es sich bei dem Gelände des Flughafens Berlin-Schönefeld, auf dem sich das Abschiebegefängnis befindet, um keinen Ort der öffentlichen Kommunikation handelt. Damit verkürzt sie die verfassungsrechtlichen Vorgaben des BVerfG in unzulässiger Weise.
Denn die Versammlungsfreiheit ermöglicht es den Teilnehmern, selbst zu bestimmen, wo und unter welchen Bedingungen ihre Versammlung stattfinden kann. Damit gewährleistet Art. 8 Abs. 1 Grundgesetz eine räumliche Nähe von Protesten zu ihrem Anlass. Wenn die Ordensleute gegen die Abschiebungspraxis demonstrieren und auf die Inhaftierungen von Flüchtlingen hinweisen wollen, dann muss ihnen dies im Angesicht des Abschiebungsgefängnisses möglich sein – gerade auch um die Betreiber, das Wachpersonal und die inhaftierten Flüchtlinge in Seh- und Hörweite zu erreichen. Die konkrete Versammlung umfasst hierbei sowohl die Kritik am Staat als auch die Solidarität mit den Flüchtlingen.
Auch eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit steht der Versammlung nicht entgegen, so der Anwalt. Hatte das Bundesverfassungsgericht im Fraport-Urteil zumindest die Möglichkeit erörtert, dass die besondere Gefährdungslage eines Flughafens in die verfassungsrechtliche Beurteilung der Versammlungsfreiheit einzubeziehen ist, liegt das im aktuellen BGH-Verfahren fragliche Gelände gerade außerhalb der sicherheitsrelevanten Zonen.
Die Versammlungsfreiheit gehört zu dem konstitutiven Recht der Demokratie. Der Staat hat Kritik zu dulden, gerade dort wo er hoheitlich handelt.
Der Fortgang des Verfahrens kann hier nachverfolgt werden: Die Kläger haben eine Website mit einer Chronologie des Verfahrensgangs sowie der Klageschriften erstellt.
Update, 26.06.2015: Am 26.6 hat der Bundesgerichtshof dem Kläger Recht gegeben und die Versammlungsfreiheit wesentlich gestärkt (Az.: V ZR 227/14). Auch bei Gewerbegebieten auf denen der Staat hoheitlich tätig ist und wo nur im Einzelfall Einlasskontrollen stattfinden, steht das Hausrecht damit nicht über dem Versammlungsrecht. Der Bundesgerichtshof hat den staatlichen Flughafenbetreiber zusätzlich verpflichtet eine beabsichtigte Demonstration am 3. Oktober zu erlauben. Das Verfahren ist ein großer Erfolg für die Versammlungsfreiheit, aber zugleich ist es bitter, dass solche Verfahren über mehrere Jahre durchgefochten werden müssen. Staatliche Behörden verweigern immer wieder die Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Statt langwieriger Verfahren zu durchlaufen, sollten Grundrechte effektiv gewährleistet werden.
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