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Panikmache gilt nicht
Bislang wurden die gestiegenen Flüchtlingszahlen im Wahlkampf kaum instrumentalisiert. Doch mittlerweile nehmen undifferenzierte Aussagen zu, die geeignet sind, Ängste in der Bevölkerung zu schüren - unter anderem Aussagen von Wolfgang Bosbach. Eine Replik.
Der Wahlkampf läuft. Mittlerweile hat er auch das Thema Asyl erfasst. Nachdem Bundesinnenminister Friedrich die gestiegenen Asylantragszahlen als „alarmierend“ bezeichnet hatte, legt nun sein Fraktionskollege Wolfgang Bosbach in der Zeitung „Die Welt“ nach: In vielen Kommunen seien die „Grenzen der Belastbarkeit“ erreicht. Damit schließt Wolfgang Bosbach nahtlos an das Beispiel des ehemaligen CDU-Generalsekretärs Volker Rühe während der Auseinandersetzung um den Art.16 GG an. Reale – aber lösbare – Probleme werden dramatisiert, der Stammtisch wird als Kronzeuge angerufen.
Verschwiegen wird von Hans Peter Friedrich wie von Wolfgang Bosbach, dass nach wie vor ein Großteil der Asylsuchenden aus Staaten kommt, in denen massive Menschenrechtsverletzungen stattfinden, die oft auch deutsche TV-Bildschirme erreichen; dass eine sehr viel größere Zahl von Flüchtlingen aus vielen dieser Länder in prekärer Lage in Erstaufnahmestaaten sitzt und dass selbst die Anerkennungsquoten bei denjenigen, über deren Antrag hierzulande entschieden wird, relativ hoch sind. Die Schutzbedürftigkeit eines Großteils der Asylsuchenden wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) anerkannt. Das gilt auch für Flüchtlinge aus Tschetschenien und anderen russischen Teilrepubliken im Nordkaukasus, von denen etwa jeder Fünfte in der letzten Zeit bereits beim BAMF anerkannt wurde. Insgesamt lag die Quote der Asylsuchenden, denen im ersten Halbjahr 2013 im Rahmen von Fallentscheidungen ein Schutzstatus zugesprochen wurde, bei 44,2 Prozent.
Hausgemachter Notstand
Verschwiegen wird von Bosbach auch, dass ein Großteil der Belastung hausgemacht ist. Die Kommunen sind oft deshalb überfordert, weil das BAMF glaubte, Personalplanung auf der Basis der um das Jahr 2007 historisch niedrigen Asylantragszahlen machen zu müssen. Über einen Großteil der Anträge wird oft erst nach eineinhalb Jahren entschieden – gerade bei Herkunftsländern mit guten Chancen. Die Verweildauer in den Unterkünften ist entsprechend lang. Und auch die zur Unterbringung verpflichteten Kommunen bzw. die Länder als Kostenträger sind dem Irrglauben dauerhaft niedriger Antragszahlen gefolgt. Jetzt zeigen sich alle überrascht und „überfordert“. Über den Dillettantismus der Bahn wird am Beispiel des Mainzer Stellwerks breit diskutiert. Der unvergleichbar größere und folgenreichere Dilettantismus des Bundesamtes und des dafür zuständigen Ministers, für ein faires und effizientes Asylverfahren zu sorgen, ist mindestens ebenso kritikwürdig.
Helfen Arbeitsverbote wirklich gegen Schlepper?
Wolfgang Bosbachs Äußerungen zum Thema sind auch in anderer Hinsicht grob fahrlässig. Gegenüber der Welt sagte der CDU-Politiker, „würde man das Arbeitsverbot ganz aufheben, würde sich diese Nachricht in Windeseile verbreiten und die Menschen würden nach Deutschland strömen. Damit würden wir letztlich auch die Schlepper unterstützen“.
Tatsächlich dürfte für Flüchtlinge aus dem Nordkaukasus, aus Syrien, aus Afghanistan und vielen anderen Krisenregionen für ihre Entscheidung, nach Deutschland zu fliehen, mindestens drittrangig sein, wie lange hierzulande ein Arbeitsverbot gilt. Tatsächlich aber sorgt das Arbeitsverbot dafür, das hier angekommene Flüchtlinge sich nicht integrieren können und dadurch auch rassistische Vorurteile befördert werden: Wer Menschen das Arbeiten verbietet und sie zur Abhängigkeit von Sozialleistungen verdammt, reproduziert das Bild der „Ausländer“, die uns angeblich „auf der Tasche liegen“.
Ebenso kritikwürdig ist Bosbachs Argument, ein Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge würde „Schlepper“ unterstützen. Ob Arbeitserlaubnis hin oder her: Seit Nationalstaaten mit effektiver Grenzüberwachung existieren, ist es die absolute Ausnahme, dass Menschen ohne die Inanspruchnahme von Schleusern und gefälschter Dokumente fliehen können. Die Bundeshauptstadt ehrt mit der Varian-Fry-Straße einen der mutigsten und effizientesten Fluchthelfer. Auch er musste zur Rettung der Verfolgten des Nationalsozialismus gefälschte Dokumente bei der Unterwelt kaufen. Die Rettung von Menschen vor Verfolgung ist bedauerlicherweise häufig nicht gemeinnützig und rechtsstaatlich zu haben. Ginge es Bosbach ernsthaft um die Bekämpfung von Schleusern – nichts läge näher, als die Forderung zu erheben, dass Flüchtlingen, die aus Krisengebieten fliehen, legale Fluchtwege eröffnet werden müssen.
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