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In der Warteschlange: Hunderttausende Asylanträge sind noch in der Schwebe. Sie müssen rasch bearbeitet werden - darunter darf aber die Qualität des Verfahrens nicht leiden. Foto: Initiative »Nachts vor dem LaGeSo«

Das Bundesamt will 2016 noch 500 000 Asylanträge bearbeiten – aber das ist keine gute Nachricht für Betroffene. Eine schnellere Bearbeitung ist zwar grundsätzlich positiv, gelingt dem BAMF aktuell aber nur durch einen Verzicht auf jedwede Qualität und deren Prüfung.

Fast alle aus­ste­hen­den Asyl­an­trä­ge des Jah­res 2015 wür­den beim Bun­des­amt für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) noch bis Ende die­ses Jah­res bear­bei­tet wer­den. Das sag­te die Lei­te­rin des ope­ra­ti­ven Bereichs im BAMF, Kat­ja Wil­ken-Klein, dem ZDF Mor­gen­ma­ga­zin – neue Titel, neue Ein­grup­pie­rung, neu­es Glück. Ambi­ti­ös, die­ses amt­li­che »Wir schaf­fen das!«.

Tat­säch­lich besteht eine gewis­se Chan­ce, dass das Bun­des­amt die selbst gesetz­te Mar­ge schafft, wenn es wei­ter­macht wie in den letz­ten Mona­ten. Da hat man ohne gro­ßes Feder­le­sen Tem­po gebolzt, um eine Viel­zahl von Ent­schei­dun­gen, wel­cher Qua­li­tät auch immer, ver­schi­cken zu kön­nen. Nach dür­ren text­bau­stein­ba­sier­ten Ableh­nun­gen prak­tisch aller Asyl­an­trag­stel­ler aus den West­bal­kan­staa­ten als „offen­sicht­lich unbe­grün­det“ ist man – man­gels noch ver­füg­ba­rer Asyl­an­trag­stel­ler vom Bal­kan – zur Ladung der nächs­ten Per­so­nen­grup­pen geschritten.

Fehlentscheidungen werden offenbar einkalkuliert

Für ein­fach gela­gert und damit geeig­net für die vom Bun­des­amts­prä­si­den­ten immer wie­der in den Raum gestell­ten schnel­len Ver­fah­ren, die irgend­wann nur noch 48 Stun­den dau­ern sol­len, hält man offen­sicht­lich jetzt Ver­fah­ren von Antrag­stel­lern aus Afgha­ni­stan. In die­sen Fäl­len wer­den die Asy­l­ent­schei­dun­gen seit Mona­ten in ihren Begrün­dun­gen immer dün­ner. Gene­riert wer­den aller­dings nach dem Wil­len des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­ums angeb­lich siche­re Gebie­te in Afgha­ni­stan, die per Text­bau­stein ver­tei­digt wer­den, damit man dort­hin künf­tig abschie­ben kann.

Fehl­ent­schei­dun­gen gibt es über­all, in jeder Behör­de. Doch im Bun­des­amt nicht mehr nach dem Maß der all­ge­mei­nen mensch­li­chen Fehl­bar­keit, son­dern nach der ver­lang­ten Ent­schei­dungs­hek­tik: »Wo geho­belt wird…«

Repa­riert wird durch die Qua­li­täts­si­che­rung, ein Refe­rat, das nur noch als Rest­grö­ße im BAMF exis­tiert, prak­tisch nichts. Ledig­lich ein Pro­zent aller Ent­schei­dun­gen wird vor Ver­sand kon­trol­liert. Da wun­dert es nicht, dass sei­tens der hoch­spe­zia­li­sier­ten »Ent­schei­dungs­zen­tren«, wohin die Pro­to­kol­le der Anhö­run­gen mit Votum zur Exe­ku­ti­on ver­schickt wer­den, auch mal Dop­pel­be­schei­de an ein und den­sel­ben Asyl­su­chen­den her­aus­ge­hen – der eine so, der ande­re so, mal ein Schutz­sta­tus, mal eine Ablehnung.

Die Ent­schei­dungs­va­ri­an­te »offen­sicht­lich unbe­grün­det« nimmt zu. Sie ist nach dem Gesetz der Regel­fall in Fäl­len von Antrag­stel­lern aus siche­ren Her­kunfts­staa­ten, dar­über hin­aus soll­te sie jedoch nicht infla­tio­när ver­wen­det wer­den. Das aber greift um sich.

Vie­le Flücht­lin­ge wer­den erst mit Ver­spä­tung und mit Kla­gen beim Ver­wal­tungs­ge­richt zu ihrem Recht kommen.

Organisierte Missachtung des Justizwesens

Devi­se beim Bun­des­amt ist die Abar­bei­tung bestehen­der Rück­stän­de um fast jeden Preis. Mögen doch die deut­schen Ver­wal­tungs­ge­rich­te, so offen­bar die Hal­tung beim Bun­des­amt, die Kor­rek­tur­instanz für mög­li­che Fehl­ent­schei­dun­gen sein. Eine sol­che Hal­tung ist eine orga­ni­sier­te Miss­ach­tung des deut­schen Jus­tiz­we­sens, ein Con­tempt of Court. Denn die Auf­ga­be der Gerich­te ist nicht die nor­ma­le Feh­ler­kor­rek­tur der Behör­den­ar­beit, son­dern die Klä­rung von Rechts­fra­gen. Mit die­ser Metho­de hat es der jet­zi­ge Bun­des­amts­prä­si­dent Wei­se aller­ding schon bei der Bun­des­agen­tur für Arbeit weit gebracht. Feh­ler­haf­te Asyl­be­schei­de dürf­ten jedoch einen gro­ßen Teil der deut­schen Bevöl­ke­rung weit weni­ger inter­es­sie­ren als etwa fal­sche Arbeitslosengeld-II-Bescheide.

An voll­mun­di­gen Ankün­di­gun­gen besteht kein Man­gel. Auf kri­ti­sche Pres­se­be­rich­te zur Qua­li­täts­si­che­rung im Asyl­ver­fah­ren hat das Bun­des­amt mit krea­ti­ven Sprech­bla­sen geant­wor­tet, wie es die Unter­neh­mens­be­ra­ter­en­tou­ra­ge zuneh­mend aus­wirft: »Idea­ler­wei­se geht es bei der Qua­li­täts­si­che­rung zukünf­tig nicht mehr allein um eine nach­ge­hen­de, stich­pro­ben­ar­ti­ge Qua­li­täts­kon­trol­le von bereits getrof­fe­nen Ent­schei­dun­gen. Ein inte­grier­tes Qua­li­täts­ma­nage­ment­sys­tem ist mit den Berei­chen Per­so­nal­re­kru­tie­rung und Schu­lung sowie den Ver­fah­rens­ab­läu­fen in den Außen­stel­len/An­kunfts- und Ent­schei­dungs­zen­tren eng verzahnt.«

Keine Personen mit Asylrechts-Erfahrung

Man wäre schon froh, wenn es beim Bun­des­amt wie­der eine grö­ße­re Zahl von Anhö­run­gen und Ent­schei­dun­gen gäbe, die fach­lich halb­wegs auf Ball­hö­he sind und eini­ger­ma­ßen regel­mä­ßig über­prüft wür­den. Dass dies geschieht, ist zu bezwei­feln. Das BAMF hat in gro­ßem Stil Asy­l­ent­schei­der mit unter­schied­lichs­ten, oft frag­wür­di­gen Qua­li­fi­ka­tio­nen ange­wor­ben und has­tig an die Ent­schei­dungs­front geschickt.

Auch ganz oben hakt es: In den Spit­zen­po­si­tio­nen der BAMF-Hier­ar­chie fin­den sich kei­ne Per­so­nen mehr, die län­ge­re prak­ti­sche und fach­li­che Erfah­run­gen mit dem Asyl­recht haben. Wenn es mit der Pro­blem­lö­sung nicht klappt, dann muss die Kom­mu­ni­ka­ti­on ver­bes­sert wer­den. Also wur­de eine zusätz­li­che Vize­prä­si­den­ten­stel­le geschaf­fen und mit der bis­he­ri­gen Refe­rats­lei­te­rin aus dem Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um besetzt, zu deren Auf­ga­ben es gehört, im Umgang mit dem Per­so­nal­rat das Por­zel­lan zu kit­ten, das der Prä­si­dent mit dem has­ti­gen Anheu­ern und Feu­ern von Per­so­nal zer­schla­gen hatte.

Aktionismus zu Lasten der Flüchtlinge

Wer jetzt beim Bun­des­amt an Bord ist oder per Aus­schrei­bung noch ange­heu­ert wird, hat den Auf­trag, den Rück­stand der Asyl­ver­fah­ren nach der Metho­de des Pro­krus­tes­bet­tes – was über­hängt, wird pas­send gemacht – so zu bear­bei­ten, dass die Poli­tik im Wahl­jahr die Behaup­tung auf­stel­len kann: »Wir haben das geschafft!«. So hat es der Bun­des­amts­prä­si­dent, der sei­nen Abschied zu zele­brie­ren begon­nen hat, kürz­lich selbst gesagt.

Was beim Bun­des­amt nun für den Rest des Jah­res Pro­gramm ist, lässt für die Per­spek­ti­ven vie­ler Flücht­lin­ge nichts Gutes erah­nen. Vie­le wer­den erst mit Ver­spä­tung und mit Kla­gen beim Ver­wal­tungs­ge­richt zu ihrem Recht kommen.