06.10.2023
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Symbolbild: Asylverfahrensberatung für geflüchtete Menschen / Unsplash

Trotz dringender Notwendigkeiten erhalten viele asylsuchende Menschen in Deutschland keine unabhängige Asylverfahrensberatung. Zur aktuellen Situation haben wir mit Inga Matthes, Referentin für Flucht und Asyl bei Deutsches Rotes Kreuz e.V., gesprochen.

War­um ist die Asyl­ver­fah­rens­be­ra­tung für geflüch­te­te Men­schen so wichtig?

Wir arbei­ten schon lan­ge an dem The­ma und set­zen uns seit vie­len Jah­ren beson­ders dafür ein, dass es einen Rechts­an­spruch auf Asyl­ver­fah­rens­be­ra­tung (AVB) in Deutsch­land gibt. Nicht zuletzt, weil in der EU-Ver­fah­rens­richt­li­nie eine unent­gelt­li­che recht­li­che Bera­tung vor­ge­se­hen ist. Kaum ein ande­res Ver­wal­tungs­ver­fah­ren in Deutsch­land ist so rele­vant für das wei­te­re Leben die­ser Men­schen. Gleich­zei­tig sind die Men­schen, die das Ver­fah­ren durch­lau­fen, sehr vul­nerabel, zum Bei­spiel auf Grund feh­len­der Sprach­kennt­nis­se, Trau­ma­ti­sie­rung und pre­kä­rer Lebens­si­tua­tio­nen. Das Ver­fah­ren ist also einer­seits kom­plex und schwer durch­schau­bar für die Men­schen und gleich­zei­tig aus­schlag­ge­bend für ihr wei­te­res Leben. Des­halb ist es so wich­tig, dass geflüch­te­te Men­schen unab­hän­gig bera­ten wer­den.  Gera­de steigt die Zahl der Asyl­su­chen­den in Deutsch­land wie­der, damit stei­gen auch der Bera­tungs­be­darf und die Rele­vanz der AVB.

Es gab schon im Jahr 2017 ein Pilot­pro­jekt des BAMF zusam­men mit den Wohl­fahrts­ver­bän­den Cari­tas, Dia­ko­nie und DRK, in dem unab­hän­gi­ge Bera­tungs­fach­kräf­te der Ver­bän­de Asyl­ver­fah­rens­be­ra­tun­gen durch­führ­ten. Bei der Eva­lua­ti­on des Pro­jekts kam her­aus, dass die Schutz­su­chen­den das Ver­fah­ren und ihre eige­ne Rol­le durch die­se Bera­tung bes­ser nach­voll­zie­hen und folg­lich bes­ser im wei­te­ren Ver­lauf des Ver­fah­rens mit­wir­ken konn­ten. Im Ergeb­nis stie­gen sowohl die Qua­li­tät der Asyl­ver­fah­ren als auch die der Asyl­be­schei­de. Es gab weni­ger Kla­gen gegen die Beschei­de, sodass mit­tel­bar auch die Jus­tiz ent­las­tet wurde.

Eigent­lich war das Pilot­pro­jekt also ein Erfolg. Trotz­dem wur­de die Eva­lua­ti­on vom BAMF nicht offi­zi­ell ver­öf­fent­licht und es gab kein Fol­ge­pro­jekt. Wir haben uns wei­ter für eine bun­des­wei­te För­de­rung der unab­hän­gi­gen Asyl­ver­fah­rens­be­ra­tung ein­ge­setzt, doch statt­des­sen eine »unab­hän­gi­ge«  Asyl­ver­fah­rens­be­ra­tung durch das BAMF selbst bekom­men. Aus unse­rer Sicht han­delt es sich bei einer Bera­tung durch die Behör­de, die die Asyl­be­schei­de erlässt, nicht um eine unab­hän­gi­ge Bera­tung! Wir haben unse­re For­de­rung ange­passt und fort­an eine »behör­den­un­ab­hän­gi­ge«   Asyl­ver­fah­rens­be­ra­tung gefordert.

Und wie steht es jetzt um die unab­hän­gi­ge Asylverfahrensberatung?

Im Koali­ti­ons­ver­trag hat sich die jet­zi­ge Ampel­re­gie­rung schließ­lich auf eine behör­den­un­ab­hän­gi­ge und flä­chen­de­cken­de Asyl­ver­fah­rens­be­ra­tung geei­nigt. Die­se ist zwar die­ses Jahr gestar­tet, aber hat sich bei wei­tem noch nicht flä­chen­de­ckend eta­bliert. Das geht natür­lich nicht von heu­te auf mor­gen, son­dern muss erst stu­fen­wei­se auf­ge­baut wer­den. Im Ent­wurf eines Geset­zes zur Beschleu­ni­gung der Asyl­ge­richts­ver­fah­ren und Asyl­ver­fah­ren vom 08.11.2022 und in den Kon­zep­ten des BMI ist eine fina­le Gesamt­sum­me von 80 Mil­lio­nen Euro für eine flä­chen­de­cken­de Asyl­ver­fah­rens­be­ra­tung vor­ge­se­hen. Dann hät­te jede asyl­su­chen­de Per­son die Mög­lich­keit, bei Bedarf eine Bera­tung zu erhalten.

Für das Ein­stiegs­jahr 2023 gab es eine För­de­rung von 20 Mil­lio­nen Euro. Da aber 80 Mil­lio­nen das Ziel waren, gin­gen wir bis­lang davon aus, dass wir uns stu­fen­wei­se der 80 Mil­lio­nen nähern bis zum Jahr 2026. Der Haus­halts­ent­wurf 2024 sieht aber wie­der »nur« 20 Mil­lio­nen Euro vor. Dabei ist zu beach­ten, dass das Antrags­ver­fah­ren 2023 erst im Mai begann, die 20 Mil­lio­nen Euro stan­den de fac­to nur für ein hal­bes Jahr zur Ver­fü­gung. Nun sol­len wir mit der­sel­ben Sum­me für ein Jahr aus­kom­men! Dabei bräuch­ten wir eher das Dop­pel­te, um die in 2023 neu auf­ge­bau­ten Struk­tu­ren auf­recht­zu­er­hal­ten und wei­te­re Bera­tungs­stel­len zu eröff­nen. Nach den der­zei­ti­gen Pla­nun­gen ist eine flä­chen­de­cken­de AVB wei­ter­hin außer Reichweite.

Ein wei­te­res Pro­blem ist, dass eini­ge Bun­des­län­der, die vor­her eine unab­hän­gi­ge Lan­des­asyl­ver­fah­rens­be­ra­tung geför­dert hat­ten, die­se För­de­rung ein­ge­stellt oder redu­ziert haben. Sie begrün­den das mit der neu ein­ge­rich­te­ten Bun­des­för­de­rung, zum Bei­spiel Nie­der­sach­sen und Baden-Würt­tem­berg. Hier bre­chen also Struk­tu­ren weg, die durch die bun­des­ge­för­der­te AVB aktu­ell nicht auf­ge­fan­gen wer­den können.

Wenn es in 2024 auch »nur« 20 Mil­lio­nen Euro für die AVB gibt und der wei­te­re Ver­lauf der För­de­rung so unklar bleibt, dann ste­hen wir letzt­end­lich schlech­ter da als zuvor.

Das heißt, wir spre­chen eigent­lich nicht von Kür­zun­gen der finan­zi­el­len Mit­tel, son­dern von einer Kür­zung ursprüng­li­cher Zusa­gen durch den Bund. Und das, obwohl sich sowohl die Wohl­fahrts­ver­bän­de als auch die Bun­des­län­der auf die­se Mit­tel ver­las­sen und mit ihnen geplant haben. 

Ja, genau. Und das zieht einen rie­si­gen Rat­ten­schwanz nach sich und ist ein­fach wahn­sin­nig kurz­sich­tig gedacht und geplant. Denn für die Trä­ger ist das Risi­ko der unsi­che­ren Finan­zie­rung groß. Auch für die Bera­tungs­fach­kräf­te sind der­art kurz befris­te­te Ver­trä­ge alles ande­re als attrak­tiv.  Eini­ge Trä­ger haben ihre Anträ­ge zurück­ge­zo­gen, weil sie befürch­ten, nie­man­den zu fin­den, der oder die bereit ist unter sol­chen unsi­che­ren Bedin­gun­gen zu arbeiten.

Übri­gens haben wir auf Bun­des­ebe­ne und die Trä­ger vor Ort bis heu­te kei­ne Zuwen­dungs­be­schei­de für das Jahr 2023 erhal­ten. Das heißt, wir gehen bis­lang per­ma­nent in Vor­leis­tung und haben kei­ne Sicherheit.

Dabei haben das BAMF und BMI ursprüng­lich dem Stu­fen­mo­dell bis zu 80 Mil­lio­nen Euro im Jahr 2026 zuge­stimmt, oder?

Impli­zit schon, aber es gibt kei­ne ver­trag­li­chen Rege­lun­gen dazu, da letzt­end­lich der Bun­des­tag über Haus­halt ent­schei­det und auch noch unklar war, ob die Mit­tel in der vor­ge­se­he­nen Wei­se frei­ge­ge­ben wür­den. Aber die Kom­mu­ni­ka­ti­on mit BAMF und BMI fand immer vor dem Hin­ter­grund statt, dass das Stu­fen­mo­dell kom­men wird. Im Juli 2022 ver­fass­te das BMI ent­spre­chend ein Kon­zept für die flä­chen­de­cken­de Asyl­ver­fah­rens­be­ra­tung, in dem das Stu­fen­mo­dell, die 80 Mil­lio­nen Euro und das Jahr 2026 als Ziel expli­zit genannt wurden.

Das ist aller­dings kein recht­lich bin­den­des Papier. Im Ent­wurf eines Geset­zes zur Beschleu­ni­gung der Asyl­ge­richts­ver­fah­ren und Asyl­ver­fah­ren vom 08.11.2022 auf Sei­te 2 wird bereits ab 2024 mit der »End­aus­bau­stu­fe« der AVB mit einem jähr­li­chen Finan­zie­rungs­be­darf in Höhe von 80 Mil­lio­nen Euro kalkuliert.

Nun scheint es aber wei­ter für die Asyl­su­chen­den eine Lot­te­rie zu blei­ben, ob es vor Ort in ihrer Erst­auf­nah­me­ein­rich­tung oder in deren Umge­bung eine Asyl­ver­fah­rens­be­ra­tung gibt oder nicht. Das ist bit­ter, denn aus den oben genann­ten Grün­den gin­gen die Trä­ger von dem Ver­spre­chen auf eine flä­chen­de­cken­de und behör­den­un­ab­hän­gi­ge Asyl­ver­fah­rens­be­ra­tung aus. Auch wir hat­ten gro­ße Hoff­nun­gen, dass sich unse­re jah­re­lan­ge poli­ti­sche Arbeit für eine drin­gend not­wen­di­ge behör­den­un­ab­hän­gi­ge und flä­chen­de­cken­de Asyl­ver­fah­rens­be­ra­tung end­lich für die Men­schen aus­zahlt. Doch mit 20 Mil­lio­nen Euro im Jahr ist das nicht zu gewährleisten.

(nb)

Inga Matthes ist Juris­tin und zustän­di­ge Refe­ren­tin für den The­men­be­reich Flucht beim Deut­schen Roten Kreuz (DRK). Schwer­punk­te ihrer inner­ver­band­li­chen Arbeit und poli­ti­schen Inter­es­sen­ver­tre­tung sind das Asyl­ver­fah­ren, die Unter­brin­gung von Geflüch­te­ten und die frei­wil­li­ge Rückkehr.