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Notwendige Asylverfahrensberatung weiterhin nicht flächendeckend vorhanden
Trotz dringender Notwendigkeiten erhalten viele asylsuchende Menschen in Deutschland keine unabhängige Asylverfahrensberatung. Zur aktuellen Situation haben wir mit Inga Matthes, Referentin für Flucht und Asyl bei Deutsches Rotes Kreuz e.V., gesprochen.
Warum ist die Asylverfahrensberatung für geflüchtete Menschen so wichtig?
Wir arbeiten schon lange an dem Thema und setzen uns seit vielen Jahren besonders dafür ein, dass es einen Rechtsanspruch auf Asylverfahrensberatung (AVB) in Deutschland gibt. Nicht zuletzt, weil in der EU-Verfahrensrichtlinie eine unentgeltliche rechtliche Beratung vorgesehen ist. Kaum ein anderes Verwaltungsverfahren in Deutschland ist so relevant für das weitere Leben dieser Menschen. Gleichzeitig sind die Menschen, die das Verfahren durchlaufen, sehr vulnerabel, zum Beispiel auf Grund fehlender Sprachkenntnisse, Traumatisierung und prekärer Lebenssituationen. Das Verfahren ist also einerseits komplex und schwer durchschaubar für die Menschen und gleichzeitig ausschlaggebend für ihr weiteres Leben. Deshalb ist es so wichtig, dass geflüchtete Menschen unabhängig beraten werden. Gerade steigt die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland wieder, damit steigen auch der Beratungsbedarf und die Relevanz der AVB.
Es gab schon im Jahr 2017 ein Pilotprojekt des BAMF zusammen mit den Wohlfahrtsverbänden Caritas, Diakonie und DRK, in dem unabhängige Beratungsfachkräfte der Verbände Asylverfahrensberatungen durchführten. Bei der Evaluation des Projekts kam heraus, dass die Schutzsuchenden das Verfahren und ihre eigene Rolle durch diese Beratung besser nachvollziehen und folglich besser im weiteren Verlauf des Verfahrens mitwirken konnten. Im Ergebnis stiegen sowohl die Qualität der Asylverfahren als auch die der Asylbescheide. Es gab weniger Klagen gegen die Bescheide, sodass mittelbar auch die Justiz entlastet wurde.
Eigentlich war das Pilotprojekt also ein Erfolg. Trotzdem wurde die Evaluation vom BAMF nicht offiziell veröffentlicht und es gab kein Folgeprojekt. Wir haben uns weiter für eine bundesweite Förderung der unabhängigen Asylverfahrensberatung eingesetzt, doch stattdessen eine »unabhängige« Asylverfahrensberatung durch das BAMF selbst bekommen. Aus unserer Sicht handelt es sich bei einer Beratung durch die Behörde, die die Asylbescheide erlässt, nicht um eine unabhängige Beratung! Wir haben unsere Forderung angepasst und fortan eine »behördenunabhängige« Asylverfahrensberatung gefordert.
Und wie steht es jetzt um die unabhängige Asylverfahrensberatung?
Im Koalitionsvertrag hat sich die jetzige Ampelregierung schließlich auf eine behördenunabhängige und flächendeckende Asylverfahrensberatung geeinigt. Diese ist zwar dieses Jahr gestartet, aber hat sich bei weitem noch nicht flächendeckend etabliert. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen, sondern muss erst stufenweise aufgebaut werden. Im Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren vom 08.11.2022 und in den Konzepten des BMI ist eine finale Gesamtsumme von 80 Millionen Euro für eine flächendeckende Asylverfahrensberatung vorgesehen. Dann hätte jede asylsuchende Person die Möglichkeit, bei Bedarf eine Beratung zu erhalten.
Für das Einstiegsjahr 2023 gab es eine Förderung von 20 Millionen Euro. Da aber 80 Millionen das Ziel waren, gingen wir bislang davon aus, dass wir uns stufenweise der 80 Millionen nähern bis zum Jahr 2026. Der Haushaltsentwurf 2024 sieht aber wieder »nur« 20 Millionen Euro vor. Dabei ist zu beachten, dass das Antragsverfahren 2023 erst im Mai begann, die 20 Millionen Euro standen de facto nur für ein halbes Jahr zur Verfügung. Nun sollen wir mit derselben Summe für ein Jahr auskommen! Dabei bräuchten wir eher das Doppelte, um die in 2023 neu aufgebauten Strukturen aufrechtzuerhalten und weitere Beratungsstellen zu eröffnen. Nach den derzeitigen Planungen ist eine flächendeckende AVB weiterhin außer Reichweite.
Ein weiteres Problem ist, dass einige Bundesländer, die vorher eine unabhängige Landesasylverfahrensberatung gefördert hatten, diese Förderung eingestellt oder reduziert haben. Sie begründen das mit der neu eingerichteten Bundesförderung, zum Beispiel Niedersachsen und Baden-Württemberg. Hier brechen also Strukturen weg, die durch die bundesgeförderte AVB aktuell nicht aufgefangen werden können.
Wenn es in 2024 auch »nur« 20 Millionen Euro für die AVB gibt und der weitere Verlauf der Förderung so unklar bleibt, dann stehen wir letztendlich schlechter da als zuvor.
Das heißt, wir sprechen eigentlich nicht von Kürzungen der finanziellen Mittel, sondern von einer Kürzung ursprünglicher Zusagen durch den Bund. Und das, obwohl sich sowohl die Wohlfahrtsverbände als auch die Bundesländer auf diese Mittel verlassen und mit ihnen geplant haben.
Ja, genau. Und das zieht einen riesigen Rattenschwanz nach sich und ist einfach wahnsinnig kurzsichtig gedacht und geplant. Denn für die Träger ist das Risiko der unsicheren Finanzierung groß. Auch für die Beratungsfachkräfte sind derart kurz befristete Verträge alles andere als attraktiv. Einige Träger haben ihre Anträge zurückgezogen, weil sie befürchten, niemanden zu finden, der oder die bereit ist unter solchen unsicheren Bedingungen zu arbeiten.
Übrigens haben wir auf Bundesebene und die Träger vor Ort bis heute keine Zuwendungsbescheide für das Jahr 2023 erhalten. Das heißt, wir gehen bislang permanent in Vorleistung und haben keine Sicherheit.
Dabei haben das BAMF und BMI ursprünglich dem Stufenmodell bis zu 80 Millionen Euro im Jahr 2026 zugestimmt, oder?
Implizit schon, aber es gibt keine vertraglichen Regelungen dazu, da letztendlich der Bundestag über Haushalt entscheidet und auch noch unklar war, ob die Mittel in der vorgesehenen Weise freigegeben würden. Aber die Kommunikation mit BAMF und BMI fand immer vor dem Hintergrund statt, dass das Stufenmodell kommen wird. Im Juli 2022 verfasste das BMI entsprechend ein Konzept für die flächendeckende Asylverfahrensberatung, in dem das Stufenmodell, die 80 Millionen Euro und das Jahr 2026 als Ziel explizit genannt wurden.
Das ist allerdings kein rechtlich bindendes Papier. Im Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren vom 08.11.2022 auf Seite 2 wird bereits ab 2024 mit der »Endausbaustufe« der AVB mit einem jährlichen Finanzierungsbedarf in Höhe von 80 Millionen Euro kalkuliert.
Nun scheint es aber weiter für die Asylsuchenden eine Lotterie zu bleiben, ob es vor Ort in ihrer Erstaufnahmeeinrichtung oder in deren Umgebung eine Asylverfahrensberatung gibt oder nicht. Das ist bitter, denn aus den oben genannten Gründen gingen die Träger von dem Versprechen auf eine flächendeckende und behördenunabhängige Asylverfahrensberatung aus. Auch wir hatten große Hoffnungen, dass sich unsere jahrelange politische Arbeit für eine dringend notwendige behördenunabhängige und flächendeckende Asylverfahrensberatung endlich für die Menschen auszahlt. Doch mit 20 Millionen Euro im Jahr ist das nicht zu gewährleisten.
(nb)
Inga Matthes ist Juristin und zuständige Referentin für den Themenbereich Flucht beim Deutschen Roten Kreuz (DRK). Schwerpunkte ihrer innerverbandlichen Arbeit und politischen Interessenvertretung sind das Asylverfahren, die Unterbringung von Geflüchteten und die freiwillige Rückkehr.