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„Nicht nur auf die Tränendrüse drücken, sondern zeigen: Das sind super Menschen“

Die Broilers sind mit dem Album „Noir“ an der Spitze der Charts eingestiegen. Das Video zum Song „Ich Will Hier Nicht Sein“ wurde mit Flüchtlingen aus Berlin gedreht und entstand als Reaktion auf die rassistischen Proteste in Berlin Hellersdorf. Vor kurzem hat die Band alle beteiligten Flüchtlinge Backstage zum Konzert eingeladen. Wir waren dabei und haben mit Sänger Sammy Amara über den Tag, den Song und das Thema Flucht und Asyl gesprochen.
Ihr habt Flüchtlinge zu Eurem Konzert in Berlin eingeladen – warum?
Vor rund zwei Monaten haben wir Kontakt zu zwei Flüchtlingsheimen in Berlin aufgenommen. Wir hatten die Idee, zu der Single „Ich will hier nicht sein“ ein Video zu drehen, das den Text des Liedes unterstreicht, die Menschen hinter den Schicksalen zeigt und klar macht, dass sie nicht herkommen, weil es hier so super ist und weil Flucht so spaßig ist wie ein Ausflug in die Sonne, sondern weil es für sie nur wenige bis gar keine anderen Optionen gibt. Dabei war uns nicht wichtig, auf die Tränendrüse zu drücken, sondern zu zeigen: Das sind super gute Menschen, mit denen man einfach gerne zusammen sein möchte.
Wie habt ihr den Tag erlebt?
Wir wollten uns ja persönlich vorstellen und als kleines Dankeschön den Mädels und Jungs einen schönen Tag bescheren. Der war dann für uns noch schöner als für alle. Wie die Kinder beim Konzert um die Ecke kamen und nach vorne gerannt kamen, das war extrem bewegend. Ich war froh, dass ich meine Sonnenbrille noch zur Hand hatte, die musste ich dann mal ganz kurz aufsetzen.
Ihr habt euch dazu entschieden in dem Musikvideo gar nicht selbst aufzutreten, sondern den Flüchtlingen selbst das Wort zu überlassen.
Wir waren uns völlig einig, auch mit dem Regisseur, dass wir in dem Video nichts zu suchen haben. Das hätte die ganze Sache aufgeweicht und ihr die Dringlichkeit genommen. Eigentlich haben die Leute alles selbst gemacht, der Regisseur hat sie nur portraitiert. Dafür, dass es so gelaufen ist, bin ich sehr dankbar. Beim ersten Ansehen waren wir emotional wirklich berührt. Da sind manche Sätze drin, bei denen ich immer noch schlucken muss. Das war hart.
In dem Video zeigt ihr keine Bootsüberfahrten oder Kriegssituationen, also nicht die klassischen Bilder zum Thema Flucht. Zu sehen sind Menschen in Alltagssituationen und Fotos ihrer zurückgebliebenen Familienmitglieder. Was wolltet ihr mit diesem Konzept auslösen?
Wir möchten, dass Leute von dem Video und der Thematik emotional berührt werden. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann, dass es bei Faschos, wenn sie es sehen, Scham und ein Nachdenken auslöst. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ein Mensch so stumpf sein kann, dass ihn das alles nicht berührt, dazu braucht man ja wirklich eine Mauer vor sich. Darüberhinaus hoffen wir – es geht ja nicht um eine kommerzielle Single, aber trotzdem – Druck auf Radiostationen und Sender auszuüben, das Thema Flucht in die Öffentlichkeit zu bringen. Wenn wir eine Pflicht haben, dann die, unsere Möglichkeiten hierzu zu nutzen.
Wie haben denn die Fans auf das Stück und das Video reagiert? Habt Ihr auch negative Reaktionen bekommen?
Die Reaktionen waren sehr positiv, viel positiver als wir uns das gedacht haben. Wir wussten, dass die Platte, auf der das Stück ist, stark polarisiert. Sie hat ja poppigere und härtere Anteile, und wir dachten, dementsprechend werden auch die Reaktionen ausfallen. Aber selbst Leute, die das Lied nicht mögen, sagen, dass das Video der Wahnsinn sei und setzen sich damit auseinander. Natürlich gibt es auch negative Stimmen. Die sind häufig von solchen Menschen, die diese Mauer vor sich haben. Wenn ich manche ihrer Kommentare lese, muss ich sie fragen: Was wollt ihr auf unseren Konzerten, was findet ihr da?
Was würdest du zum Beispiel sagen, wenn Fans solche Sprüche loslassen wie Flüchtlinge sollen zurückgehen, oder wir könnten doch nicht die ganze Welt retten?
Das passiert selten, aber diese klassischen Sprüche kennen wir alle. Ich begegne ihnen ganz „stumpf“ mit dem Aufruf, Menschlichkeit zu zeigen, sich die Situation von Flüchtlingen bewusst zu machen und vor allem, ihnen nicht schon die Tür vor der Nase zuzuknallen. Ich sage, dass ich nicht hoffe, dass wir flüchten müssen, und stelle die Frage nach dem Wenn: Wenn wir selbst auf Hilfe angewiesen wären, wollten wir dann so empfangen werden wie manche Jungs und Mädels in Deutschland? Das wollen wir nicht. Und ich hoffe, dass die umgekehrte Perspektive diejenigen, die sich Flüchtlingen gegenüber schlecht benehmen, ein bisschen wachrüttelt.
Du hast bereits gesagt, dass es euch wichtig ist, das Thema in eine breite Öffentlichkeit zu tragen. Was wäre dein Wunsch an die heutige Gesellschaft in Bezug auf das Flüchtlingsthema? Was können wir als Einzelne für Flüchtlinge tun?
Ich gehe davon aus, dass viele Menschen sich nicht so intensiv und generell damit beschäftigen möchten, solange nicht an ihrem Geldbeutel gerüttelt wird. Deswegen gehe ich wirklich immer auf dieses ganz „Stumpfe“ zurück und sage: Bleibt einfach menschlich. Wenn jemand Hilfe braucht, dann helft ihm. Und ich sage, was Oma und Opa immer gesagt haben: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg‘ auch keinem anderen zu. Ganz einfach.
Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Hast du einen persönlichen Bezug zum Thema Flüchtlinge? Oder gab es es für Euch einen Schlüsselmoment, in dem ihr gesagt habt, ok jetzt wollen wir diesen Song machen, wir wollen ein Video dazu drehen?
Das Thema ist uns immer präsent, weil wir natürlich politisch auf einer bestimmten Seite stehen. Aber ein Schlüsselerlebnis für mich waren die Geschichten, die sich vor einiger Zeit in Berlin-Hellersdorf abgespielt haben. Die haben mich an die Anschläge Anfang der 90er-Jahre in Mölln, Solingen, Rostock erinnert, die haben mich sehr angeekelt und ich habe mich außerordentlich geschämt. Wenn Menschen sich bei Flüchtlingen vor die Tür stellen und brüllen, dass Ausländer, dass Flüchtlinge nicht willkommen sind: Wie kann man solchen Menschen begreifbar machen, wie dumm und falsch das alles ist? Und deswegen habe ich versucht, das auf diese Weise auszudrücken – in einem Song.