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Nennst du das Erfolg, Europa?
Am 9. August wurde die Ägäis erneut zum Kinderfriedhof: Neun Menschen ertranken auf der Flucht nach Griechenland - darunter sieben Kinder. Noch vor etwa drei Jahren löste das Bild des leblosen Körpers eines kleinen Jungens einen weltweiten Aufschrei aus. Von dieser Entrüstung über die Opfer der EU-Flüchtlingspolitik ist heute nichts mehr übrig.
Am Morgen des 9. August 2018 kenterte vor der türkischen Küste ein Boot mit 13 Flüchtlingen, neun von ihnen starben bei dem Unglück. Noch vor etwa drei Jahren sorgte ein Foto von Alan Kurdi, einem syrischen Jungen, der wie sein fünfjähriger Bruder und seine Mutter ertrank, als ihr Boot vor der türkischen Küste kenterte, für einen internationalen Aufschrei. Mittlerweile ist das Mitgefühl europäischer Entscheidungsträger*innen einer schamlosen Politik der Abschreckung gewichen.
Für die EU sind die »Flüchtlingsdeals« ein Erfolg
Statt dem Sterben in der Ägäis und anderswo im Mittelmeer politisch entgegenzutreten, werden skrupellose Deals als Erfolg bewertet und zum zentralen Element einer rigorosen Abschottungspolitik in der Europäischen Union erkoren.
Wie der Deal mit fragwürdigen Vertretern des zerfallenen Staats Libyen oder die Übereinkunft mit der Türkei zeigen, geht es dabei primär um Abschottung. Seit Inkrafttreten des EU-Türkei-Deals herrscht ein permanenter Ausnahmezustand auf den Inseln in der Ägäis. Sie wurden zu einem Freiluftgefängnis für Tausende Schutzsuchende. Es wird eine Realität geschaffen, die möglichst abschreckend wirken soll.
Weniger Ankünfte – mehr Tote
In einem Aufruf zur Stärkung der Seenotrettung vom 6. Juli stellte UNHCR klar, trotz sinkender Ankünfte steige die Todesrate. Zwischen Januar und August starben 1.522 Menschen (Stand 14.08.2018). 105 Menschen, darunter 28 Kinder, starben in der Ägäis und vor der Küste Zyperns. Weitere 11 Flüchtlinge, acht Kinder und ihre Mütter, verloren ihr Leben an der griechisch-türkischen Landgrenze.
Jede Zahl steht für ein Leben
Solche Unglücke sind also keine Seltenheit in der Ägäis. Die Geschichte von Zubair, der bei einer anderen Bootskatastrophe im März ertrunken ist, zeigt: Hinter jeder dieser Zahlen steht ein Leben. Zubair war neun Jahre alt, als er mit seinem 16 Jahre alten Bruder, seiner älteren Schwester, seinem Vater und vier Cousinen ums Leben kam.
Am 16. März 2018 kenterte ihr Boot in der Nähe der Insel Agathonisi. Bei der Tragödie starben 16 Menschen auf der Flucht, neun von ihnen Kinder. Nur drei überlebten. Umfassende Gespräche, die PRO ASYL/RSA mit den Überlebenden, dem Krankenhauspersonal und Behörden vor Ort führte und Recherchen des Nachrichtenmagazins Spiegel zeigen: Obwohl die griechische Küstenwache informiert war, wurde nicht gerettet.
Die Überlebenden seiner Familie beschreiben Zubair als intelligenten, höflichen und liebevollen Jungen. Seine Familie spricht voller Zuneigung von ihm. Zubair vermisste seine Mutter sehr, die es bereits geschafft hatte, mit zwei seiner Geschwister Griechenland zu erreichen. Er liebte es, zur Schule zu gehen. Nach der Flucht aus Afghanistan war dies leider nicht mehr möglich.
Der Tod Zubairs ist der makabre Erfolg einer europäischen Flüchtlingspolitik, die nur ein Ziel kennt: Fluchtwege verschließen, um jeden menschenrechtlichen Preis.
Zubair starb alleine, erzählen uns die drei Überlebenden des Unglücks. Er kämpfte lange gegen die Wellen und die Kälte, auch als seine Angehörigen bereits ohnmächtig waren. Ohne Hilfe verlor auch er seinen Überlebenskampf.
Die politisch Verantwortlichen Europas haben sich entschieden, das Leid der verzweifelten Flüchtlingsfamilien zu missachten. In Ermangelung legaler und sicherer Fluchtwege werden Männer, Frauen und Kinder auf der Flucht gezwungen, ihr Leben zu riskieren, um Schutz zu suchen oder ihre Familien wiederzufinden. Der Tod Zubairs ist der makabre Erfolg einer europäischen Flüchtlingspolitik, die nur ein Ziel kennt: Fluchtwege verschließen, um jeden menschenrechtlichen Preis.
(rsa)