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Nach EuGH und BGH-Urteil: Ende der Abschiebungshaft oder neues Inhaftierungsprogramm?
Binnen weniger Tage ist die deutsche Abschiebungshaftpraxis nahezu vollständig für rechtswidrig erklärt worden. Bedeutet dies das Ende der Inhaftierung von Flüchtlingen? Ein Gesetzentwurf aus dem Innenministerium sieht das Gegenteil vor.
Gerade erst hatte Bayern eine neue Abschiebungshaftanstalt in Mühldorf eröffnet. Jetzt sind dort plötzlich nur noch fünf der über achtzig Plätze belegt. Doch nicht etwa, weil Bund und Länder eingesehen hätten, dass auch bei Ausländern dem Freiheitsgrundrecht der Raum einzuräumen ist, der einem Grundrecht gebührt, sondern weil zwei höchstrichterliche Ohrfeigen sie dazu zwingen.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat klargestellt, dass die Abschiebungshaft in Dublin-Verfahren überwiegend rechtswidrig ist. Damit fehlt Schätzungen zufolge bei rund 60 bis 80 Prozent aller Inhaftierten ein europarechtskonformer Haftgrund. Die Personen müssen freigelassen werden.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte bereits zuvor die Unterbringung in der Strafhaft verboten: Wenn überhaupt noch Abschiebungshaft zulässig ist, dann in speziellen Einrichtung und nicht im normalen Strafvollzug. Die bisherige Praxis ist gleichermaßen ein politischer Skandal und ein bundesweites Justizversagen sondergleichen: Tausende Menschen wurden über Jahre hinweg rechtswidrig eingesperrt. Die Frage ist: Wie werden Bund, Länder und Amtsrichter auf die Urteile reagieren?
Wie reagiert der Bund auf die Kritik hinsichtlich der fehlenden Haftgründe?
Das Bundesinnenministerium (BMI) erklärt in einer Pressemitteilung, dass es gesetzlich nachbessern will: „Das Bundesministerium des Innern hat bereits in seinem Gesetzentwurf zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung eine Definition der Fluchtgefahr im Sinne der Dublin III-Verordnung vorgesehen. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs bestärkt die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung“.
Im Klartext heißt dies: Möglichst schnell sollen neue Haftgründe geschaffen werden, um wieder Inhaftieren zu können. Ein Referentenentwurf aus dem BMI liegt bereits vor. Wird der Entwurf Gesetz, würde die gerade vom Bundesgerichtshof abgeschaffte Dublin-Haft zur Regel werden.
Allein die Bestimmung, dass in Haft genommen werden kann, wer ein anderes EU-Land während eines laufenden Asylverfahrens verlassen hat, würde die Gefängnisse füllen. Sechs weitere neue Haftgründe würden dazu führen, dass sich bei nahezu jeder Fallkonstellation ein Haftgrund finden lassen würde. Vor dem Hintergrund des BGH-Urteils darf allerdings bezweifelt werden, dass die geplanten Generalklauseln einer rechtlichen Überprüfung standhalten würden.
Wie reagieren die Bundesländer?
Abschiebungshäftlinge wie bisher in der Strafhaft unterzubringen, kommt aufgrund des EuGH-Urteils auch in Zukunft nicht mehr in Frage. Mehrere Bundesländer haben allerdings spezielle Abschiebhafteinrichtungen geschaffen – darum hatte etwa Bayern erst vor kurzem die Hafteinrichtung Mühldorf eröffnet.
Denkbar wäre, dass die Bundesländer nun große gemeinsame Haftzentren betreiben. Das Abschiebegefängnis in Ingelheim könnte laut Medienberichten zu einer Art Flüchtlingshaftanstalt für ganz Südwestdeutschland werden. Aus Bayern kommt demgegenüber die Nachricht, dass Ersatzabschiebehaft durch eine Art Hausarrest in Pensionen Hochkonjunktur hat. In Nordrhein-Westfalen ist die Lage ambivalent: Heute hat der BGH die Inhaftierung in der JVA Büren vorläufig beendet. Der Tenor: Auch wenn die Abschiebungshaft in einer Einrichtung baulich von der Strafhaft getrennt ist, verstößt dies gegen das Trennungsverbot. Nun wird über einen Ausbau der JVA Büren zu einer reinen Abschiebehaft nachgedacht, auf der anderen Seite sollen alternative Unterbringungskonzepte geprüft werden. PRO ASYL fordert, die Bundesländer auf alles zu tun, um Haft zu vermeiden, statt große und teure Spezialeinrichtungen zu betreiben.
Werden die Amtsrichter mehr Sorgfalt walten lassen?
Die Urteile sind nicht nur für den Bundesgesetzgeber sondern auch für die deutschen Amtsrichter eine Ohrfeige. Die europarechtlichen Vorgaben, deren Verletzung EuGH und BGH beanstanden, waren auch den Amtsrichtern zugänglich. Trotzdem wurde im Zweifel meist für eine Inhaftierung statt für das Freiheitsgrundrecht des Flüchtlings entscheiden.
Auch über die beanstandeten Dublin-Fälle und die Inhaftierungsart hinaus musste der BGH in der Vergangenheit amtsrichterliche Entscheidungen zur Abschiebungshaft viel zu oft nachträglich korrigieren. Der Rechtsanwalt Peter Fahlbusch hat nachgezählt: Von 936 Mandanten in Abschiebehaft, befanden sich 456 Personen zu Unrecht in Haft. Das sind knapp 50 Prozent aller Fälle. Seit 2002 kamen allein bei ihm 12.691 rechtswidrige Hafttage also gut 34 ½ Jahre unrechtmäßiger Haft zusammen.
Die Urteile müssen ein Weckruf an alle Amtsrichter sein, den hohen Wert des Freiheitsrechts nun endlich anzuerkennen, jeden Haftantrag sorgfältig zu prüfen und dem Grundsatz „In dubio pro reo“ – im Zweifel für den Angeklagten – zu folgen.
Doch auch in der Zukunft wird es an engagierten Anwältinnen und Anwälten hängen, dem permanenten Rechtsbruch Einhalt zu gebieten. Viele Flüchtlinge die rechtswidrig inhaftiert sind, können sich aber keinen Anwalt leisten. PRO ASYL hilft daher Flüchtlingen, die rechtswidrig hinter Gittern sitzen. Im Jahr 2014 wurden über unseren Rechtshilfefonds bisher 40 Fälle von Rechtsbeschwerdeverfahren gegen unrechtmäßige Inhaftierung bewilligt.
Dank unserer Mitglieder, Spenderinnen und Spender kann PRO ASYL so die Freilassung von zu Unrecht inhaftierten Menschen erreichen und damit eines der zentralsten Grundrechte erstreiten: Das der Freiheit: Die Einzelfallhilfe von PRO ASYL können Sie hier mit einer Spende unterstützen
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