Im November 2023 haben die Ministerpräsident*innen mit dem Bundeskanzler vereinbart, dass Geflüchtete nach dem Asylbewerberleistungsgesetz künftig eine Bezahlkarte anstelle von Bargeld erhalten sollen. Eine Arbeitsgruppe soll bis Ende Januar 2024 gemeinsame Mindeststandards festlegen. Diese fünf Punkte müssen auf jeden Fall berücksichtigt werden.

Die Bezahl­kar­te für Geflüch­te­te soll kom­men – so wol­len es die Länderchef*innen. Laut Beschluss der  MPK-Kon­fe­renz vom 6. Novem­ber 2023 sol­len so Geflüch­te­te kein Bar­geld mehr bekom­men und Ver­wal­tungs­kos­ten angeb­lich gemin­dert wer­den. Vor allem aber sind die Bezahl­kar­ten Teil eines Pro­gramms, mit dem die Zahl von Asyl­su­chen­den »deut­lich und effek­tiv gesenkt« wer­den soll. Schon allein die­ses Motiv macht den Plan zu einer mut­maß­lich ver­fas­sungs­wid­ri­gen Ange­le­gen­heit. Denn schon 2012 ent­schied das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt: Sozi­al­leis­tun­gen dür­fen nicht zur Abschre­ckung von Geflüch­te­ten miss­braucht werden!

Der zyni­sche Ver­such, Geflüch­te­te mit mög­lichst schä­bi­gen Leis­tungs­ein­schrän­kun­gen vom Zuzug nach Deutsch­land abschre­cken, ist so alt wie sinn­los. Men­schen, die vor Krieg und exis­ten­zi­el­len Kri­sen flie­hen, kön­nen sich ihren Auf­nah­me­staat oft gar nicht aus­su­chen und las­sen sich vom Sze­na­rio einer Sozi­al­leis­tungs-Bezahl­kar­te wohl kaum beein­dru­cken. Soweit sie kön­nen, suchen sie vor allem die Sicher­heit eines Rechts­staats, die Nähe von Ver­wand­ten oder Freun­den und Arbeit.

Sozia­le Leis­tungs­ein­schrän­kun­gen spie­len bei der Zuflucht also kaum eine Rol­le – sicher ist aber deren dis­kri­mi­nie­ren­de Wirkung.

Sozia­le Leis­tungs­ein­schrän­kun­gen spie­len bei der Zuflucht also kaum eine Rol­le – sicher ist aber deren dis­kri­mi­nie­ren­de Wir­kung: Eine Ana­ly­se von PRO ASYL und dem Ber­li­ner Flücht­lings­rat zeigt detail­liert, dass der Erhalt von Sach­leis­tun­gen statt Geld zu dras­ti­schen Leis­tungs­kür­zun­gen führt, weil der indi­vi­du­el­le Bedarf der Men­schen so nicht gedeckt wird. Es ist zu befürch­ten, dass Bezahl­kar­ten ähn­li­che Effek­te haben und ihre Nut­zung von Län­dern und Kom­mu­nen in ver­schie­de­ner Hin­sicht beschränkt wer­den wird. Dies ist umso bedenk­li­cher, als die Länderchef*innen neben der Ein­füh­rung der Bezahl­kar­te auch die – eben­falls mut­maß­lich ver­fas­sungs­wid­ri­ge – Ver­län­ge­rung der Bezugs­dau­er abge­senk­ter Asyl­be­wer­ber­leis­tun­gen von 18 auf 36 Mona­te beschlos­sen haben.

Wenn Bezahl­kar­ten für Geflüch­te­te ein­ge­führt wer­den sol­len, muss eine ver­fas­sungs­kon­for­me Anwen­dung im Inter­es­se von Poli­tik und Behör­den lie­gen, die die Wür­de der Betrof­fe­nen wahrt und deren men­schen­recht­lich ver­bürg­tes Exis­tenz­mi­ni­mum nicht wei­ter unter­mi­niert. PRO ASYL sieht  min­des­tens fünf wich­ti­ge Eckpunkte.

Menschenrechtliche Eckpunkte bei der Einführung einer Bezahlkarte

1. Bar­geld­ab­he­bun­gen müs­sen unein­ge­schränkt mög­lich sein.

Wer in Deutsch­land ohne Bar­geld lebt und nur weni­ge Din­ge in weni­gen Läden kau­fen kann, ver­liert an Selbst­be­stim­mung und macht demü­ti­gen­de Erfah­run­gen, etwa wenn der Euro für die öffent­li­che Toi­let­te oder der Bei­trag für die Klas­sen­kas­se fehlt. Im Beschluss der Kon­fe­renz von Bund und Län­dern vom 6. Novem­ber 2023 ist zwar die schlich­te Tat­sa­che aner­kannt, »dass es not­wen­di­ge Aus­ga­ben geben kann, die nicht mit der Bezahl­kar­te bezahlt wer­den kön­nen.« Den­noch soll das Sys­tem nur »mög­li­cher­wei­se« die »Opti­on« beinhal­ten, einen »klar begrenz­ten Teil des Leis­tungs­sat­zes« bar zu erhal­ten. Das ist deut­lich zu wenig.

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat bereits 2012 klar gemacht: Geflüch­te­te haben das Recht auf ein men­schen­wür­di­ges Exis­tenz­mi­ni­mum, das auch die Teil­nah­me am gesell­schaft­li­chen Leben umfasst (1 BvL 10/10). Die Mög­lich­keit, über Bar­geld zu ver­fü­gen, ist vor allem zur Siche­rung des sozio­kul­tu­rel­len Exis­tenz­mi­ni­mums gebo­ten. Außer­dem sichert das Sozi­al­recht Men­schen zu, eigen­stän­dig zu wirt­schaf­ten und dabei einen »inter­nen Aus­gleich« vor­zu­neh­men – also je nach aktu­el­lem Bedarf für man­ches mehr, für ande­res weni­ger als gedacht aus­zu­ge­ben. Die Asyl­bLG-Grund­leis­tun­gen sind bereits äußerst gering und ein Bar­geld­ent­zug schränkt die­se Dis­po­si­ti­ons­frei­heit wei­ter dras­tisch ein. Men­schen die Ver­fü­gungs­ge­walt über ihre Geld­mit­tel zu las­sen – mit­hin unein­ge­schränk­te Bar­ab­he­bun­gen zu ermög­li­chen – ist so auch eine Fra­ge des Respekts vor der Wür­de die­ser Menschen.

Daher muss der gesam­te Leis­tungs­satz für Bar­ab­he­bun­gen zur Ver­fü­gung stehen.

2. Die Teil­nah­me am bar­geld­lo­sen Zah­lungs­ver­kehr muss unein­ge­schränkt mög­lich sein.

Ähn­lich wie die Bar­zah­lung ist auch die Mög­lich­keit, Über­wei­sun­gen zu täti­gen, ein wich­ti­ger Bestand­teil der Hand­lungs- und Dis­po­si­ti­ons­frei­heit. Bei­spiels­wei­se muss man Über­wei­sun­gen täti­gen kön­nen, um Tele­fon­ver­trä­ge abzu­schlie­ßen.  Wich­tig sind sie ins­be­son­de­re für einen effek­ti­ven Rechts­schutz, der unter ande­rem im Grund­ge­setz ver­bürgt ist. So wer­den per Über­wei­sung die Zah­lun­gen an den Rechtsanwalt/die Rechts­an­wäl­tin vor­ge­nom­men, die häu­fig weder über ein Kre­dit­kar­ten­ter­mi­nal ver­fü­gen noch eine Bar­geld­kas­se nut­zen. Es wäre unzu­mut­bar, Asyl­su­chen­den auf­zu­ge­ben, den Anwalt/die Anwäl­tin für jede Raten­zah­lung monat­lich per­sön­lich auf­zu­su­chen, nur um – mit zusätz­li­chen Rei­se­kos­ten – Bar­geld abzu­lie­fern (wenn die Betrof­fe­nen denn über­haupt genug Bar­geld haben).

Dass in der öffent­li­chen Debat­te vor­ge­bracht wird, man wol­le Über­wei­sun­gen an Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge im Aus­land ver­hin­dern, ist ein inak­zep­ta­bler, ent­mün­di­gen­der Ein­griff in mög­li­che pri­va­te Ent­schei­dun­gen und über­dies irre­füh­rend: Bereits jetzt ist der Geld­be­trag, den Bezieher*innen von Asyl­bLG-Leis­tun­gen zu ihrer Ver­fü­gung haben, äußerst gering – dass davon noch rele­van­te Beträ­ge für not­lei­den­de Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge abge­zweigt wer­den, ist realitätsfern.

3. Die Kar­te darf nicht ört­lich beschränkt werden

Es wird dar­über nach­ge­dacht, die Bezahl­funk­ti­on der Kar­te auf ein bestimm­tes Post­leit­zah­len­ge­biet ein­zu­schrän­ken. Sinn der Idee ist offen­kun­dig, dass man die Men­schen mit sozi­al­po­li­ti­schen Mit­teln zwin­gen will, einen bestimm­ten Bezirk nicht zu ver­las­sen – auch dies aus Sicht von PRO ASYL eine unzu­läs­si­ge sozi­al­po­li­ti­sche Maß­nah­me, um ein ord­nungs­po­li­ti­sches Ziel zu errei­chen. Für Men­schen, die weit über­wie­gend kei­ner Wohn­sitz- bzw. Resi­denz­pflicht unter­lie­gen, führt eine Bezahl­kar­te mit ört­li­cher Beschrän­kung zu einer unzu­läs­si­gen Beschrän­kung der Frei­zü­gig­keit im Bundesgebiet.

Selbst wenn ord­nungs­recht­li­che Auf­la­gen vor­lie­gen, müss­ten die Sozi­al­be­hör­den die Nut­zung der Bezahl­kar­te für einen Besuch zum Bei­spiel beim Rechts­an­walt oder bestimm­ten Behör­den, beim wei­ter ent­fern­ten Fach­arzt oder auch beim Ver­wand­ten­be­such indi­vi­du­ell und kurz­fris­tig dafür frei­schal­ten – eine Zumu­tung für Betrof­fe­ne wie für die Sozi­al­ver­wal­tung und über­dies daten­schutz­recht­lich frag­wür­dig. Auch bei einem Umzug schei­tert eine zeit­na­he Umstel­lung der Sozi­al­leis­tungs­zu­stän­dig­keit häu­fig an büro­kra­ti­schen Abläu­fen, eine ört­li­che Beschrän­kung der Bezahl­kar­te ver­schärft das Problem.

Zudem führt die ört­li­che Beschrän­kung von Ein­kaufs­mög­lich­kei­ten – so zei­gen es die Erfah­run­gen frü­he­rer Jah­re – zu teils absur­den prak­ti­schen Beschrän­kun­gen: Bei­spiels­wei­se durf­ten Geflüch­te­te nicht beim Super­markt in nächs­ter Nähe der Gemein­schafts­un­ter­kunft ein­kau­fen, weil der zum nächs­ten Ver­wal­tungs­be­zirk gehör­te. Eine ört­li­che Beschrän­kung ist in einem sol­chen Fall schlicht sinn­lo­se Gängelung.

»Leber­kä­se ja, Alko­hol nein«?

4. Kein Aus­schluss bestimm­ter Waren oder Dienstleistungen

Bekannt ist auch der Plan eini­ger Län­der, den Kauf bestimm­ter Waren und Dienst­leis­tun­gen mit der Bezahl­kar­te ver­hin­dern zu wol­len. »Leber­kä­se ja, Alko­hol nein«, ließ der Baye­ri­sche Minis­ter­prä­si­dent in der BILD wis­sen. Die geäu­ßer­ten Vor­stel­lun­gen davon, was Men­schen kau­fen dür­fen und was nicht, ver­wei­sen nicht nur auf Vor­ur­tei­le und dis­kre­di­tie­ren Geflüch­te­te. Sie ver­ken­nen vor allem: Sozi­al­leis­tun­gen sind kei­ne Erzie­hungs­maß­nah­me. Din­ge vom Kauf aus­zu­schlie­ßen, ist ein Ein­griff in die per­sön­li­che Frei­heit, die dem Staat nicht zusteht.

Auch im Hin­blick auf den Aus­schluss bestimm­ter Waren oder Dienst­leis­tun­gen gilt: Im Sozi­al­recht ist zu Recht fest­ge­schrie­ben, dass bedürf­ti­ge Men­schen eigen­ver­ant­wort­lich wirt­schaf­ten und damit die Frei­heit besit­zen sol­len, selbst zu ent­schei­den, was sie wann brau­chen. Auch geflüch­te­te Men­schen müs­sen die­ses Recht in Anspruch neh­men können.

Die Kar­te darf des­halb den Kauf bestimm­ter Waren oder Dienst­leis­tun­gen nicht ausschließen.

5. Sicher­stel­lung von Daten­schutz und infor­ma­tio­nel­ler Selbst­be­stim­mung, ins­be­son­de­re kei­ne Zugrif­fe auf die ein­mal gewähr­ten Leistungen

Die digi­ta­le Bezahl­kar­te eröff­net Betrei­ber­fir­men wie poten­zi­ell auch den Sozi­al­ver­wal­tun­gen umfang­rei­che Zugriffs­mög­lich­kei­ten sowie Ein­sicht in per­so­nen­be­zo­ge­ne Zahl­vor­gän­ge. Dies gilt es poli­tisch und tech­nisch von vorn­her­ein aus­zu­schlie­ßen, um das infor­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mungs­recht der Betrof­fe­nen zu wah­ren und ord­nungs­ge­mä­ßes Ver­wal­tungs­han­deln sicherzustellen.

So muss z.B. gewähr­leis­tet sein, dass ein ein­mal auf die Kar­te gebuch­ter Betrag nicht ein­fach wie­der ent­zo­gen bzw. zurück­ge­bucht wer­den kann – etwa, weil die Sozi­al­ver­wal­tung meint, jemand habe z.B. sei­ne Unter­kunft ver­las­sen und hal­te sich nicht mehr im Land­kreis auf. Jede Leis­tungs­rück­for­de­rung muss – eigent­lich selbst­ver­ständ­lich – rechts­staat­li­chen Grund­sät­zen genü­gen. Ein eigen­mäch­ti­ger (rechts­wid­ri­ger) Zugriff der Behör­den auf ein­mal gewähr­te Leis­tun­gen wie auch auf Daten muss des­halb tech­nisch aus­ge­schlos­sen werden.

Beson­ders wich­tig ist es in die­sem Zusam­men­hang auch, vor­zu­beu­gen, dass ein­zel­ne tech­ni­sche Ände­run­gen an der Bezahl­kar­te als (will­kür­li­ches) Sank­ti­ons­mit­tel ein­zel­ner Behör­den oder gar Sachbearbeiter*innen miss­braucht werden.

Die bes­te, ein­deu­tig ver­fas­sungs­kon­for­me und dis­kri­mi­nie­rungs­freie Bezahl­kar­te bleibt die Kar­te für das Girokonto.

PRO ASYL appel­liert an Bund und Län­der, die Leis­tun­gen für Asyl­su­chen­de über eine Bezahl­kar­te und durch eine Ver­län­ge­rung der Leis­tungs­ab­sen­kun­gen nicht noch wei­ter ein­zu­schrän­ken, son­dern Men­schen­wür­de und die Ver­fas­sung im Blick zu behal­ten. Dann erkennt man auch, dass eine Bezahl­kar­te allen­falls für die Zeit nutz­bar gemacht wer­den kann, in der bedürf­ti­ge Men­schen (noch) nicht über ein Kon­to ver­fü­gen. Die bes­te, ein­deu­tig ver­fas­sungs­kon­for­me und dis­kri­mi­nie­rungs­freie Bezahl­kar­te bleibt die Kar­te für das Girokonto.

(ak)