15.02.2016
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Die Zahl der zivilen Opfer in Afghanistan steigt weiter. Die Bundesregierung will jetzt trotzdem dorthin abschieben. Foto: Flickr / Step / CC BY 2.0

Deutschland plant, in Zukunft verstärkt nach Afghanistan abzuschieben – obwohl sich die Situation im Land immer weiter verschlechtert. Der Jahresbericht der UN zeigt auf, wie unsicher die Lage für Zivilisten in Afghanistan ist.

Die Gro­ße Koali­ti­on will die Aner­ken­nungs­quo­te für Flücht­lin­ge aus Afgha­ni­stan sen­ken und Afgha­nen ver­mehrt in ihr Hei­mat­land abschie­ben. Innen­mi­nis­ter de Mai­ziè­re drückt dabei aufs Tem­po: Am 5. Febru­ar for­der­te er die Innen­mi­nis­ter der Län­der dazu auf, „unver­züg­lich“ damit zu begin­nen, aus­rei­se­pflich­ti­ge Afgha­nen für Abschie­be­flü­ge anzu­mel­den. In den Beschlüs­sen der Innen­mi­nis­ter­kon­fe­renz wur­de vor­her fest­ge­hal­ten, dass „die Sicher­heits­la­ge in Afgha­ni­stan in eini­gen Regio­nen eine Rück­kehr aus­rei­se­pflich­ti­ger afgha­ni­scher Staats­an­ge­hö­ri­ger“ grund­sätz­lich erlau­be und Abschie­bun­gen in die­se „siche­ren Regio­nen“ mög­lich seien.

Aber ist Afgha­ni­stan tat­säch­lich sicher, kann man Men­schen beden­ken­los dort­hin abschie­ben? Mel­dun­gen aus dem Land zeich­nen ein ande­res Bild:

Die Zahl der zivi­len Opfer steigt beständig

3.545 Tote, 7.457 Ver­letz­te – ins­ge­samt über 11.000 Zivi­lis­ten wur­den im ver­gan­ge­nen Jahr min­des­tens Opfer der Kon­flik­te in Afgha­ni­stan, das geht aus dem Jah­res­be­richt der UNAMA (United Nati­ons Assis­tance Mis­si­on in Afgha­ni­stan) her­vor. Gegen­über 2014 bedeu­tet das noch ein­mal eine Stei­ge­rung der ohne­hin schon hohen Opfer­zah­len um 4 Prozent.

Wie eine UNAMA-Gra­fik zeigt, gibt es auch de Mai­ziè­res „siche­re Regio­nen“ nicht: In den ver­gan­ge­nen drei Jah­ren ist die Zahl der Opfer auch in vor­mals ver­gleichs­wei­se siche­ren Gebie­ten deut­lich gestie­gen. Selbst der Nord­os­ten des Lan­des – mit den Städ­ten Mazar-i-Sha­rif und Kun­duz, in denen Stütz­punk­te der Bun­des­wehr waren – ver­zeich­net einen sprung­haf­ten Anstieg.

Ins­ge­samt knapp 60.000 zivi­le Opfer seit 2009

Seit die UN im Jahr 2009 mit der Zäh­lung zivi­ler Opfer in Afgha­ni­stan begon­nen hat, ver­zeich­net sie 21.323  Tote und 37.413 Ver­letz­te. Die tat­säch­li­che Zahl könn­te sogar noch höher sein, mut­ma­ßen Exper­ten – denn die UNAMA zählt sehr konservativ.

Dass Deutsch­land nun plötz­lich mit Abschie­bun­gen nach Afgha­ni­stan anfan­gen möch­te, hat nichts mit einer Ent­span­nung der Sicher­heits­la­ge zu tun – ganz im Gegen­teil: Im Ver­gleich der Jah­res­sta­tis­ti­ken ist von 2009 bis 2015 eine Ver­dop­pe­lung der zivi­len Opfer auszumachen.

„Wir sind eine arme Fami­lie und haben alles verloren.“

Immer öfter wer­den auch Frau­en und Kin­der Opfer der krie­ge­ri­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen und Anschlä­ge: „Nach­dem ich mein Baby ins Bett gebracht […] habe, bin ich wie­der ins Bett gegan­gen. Dann gab es eine gro­ße Explo­si­on und unser Dach brach zusam­men. Ich […] ver­lor das Bewusst­sein. Als ich wie­der zu mir kam, blu­te­te ich an Hän­den, Bei­nen und am Rücken. Ich konn­te nicht auf­ste­hen. Nach 20 Minu­ten hör­te ich, wie mein Mann anfing zu rufen. […] Die Explo­si­on ver­letz­te ihn und mei­nen Sohn schwer. Mein Schwa­ger ver­lor bei­de Augen. Wir sind eine arme Fami­lie und haben alles ver­lo­ren.” (UNAMA Inter­view mit einem Opfer eines Auto­bom­ben­an­schlags in Kabul am 7. August 2015 mit ins­ge­samt 15 Toten und 283 Verletzten)

Durch die bewaff­ne­ten Kon­flik­te ver­lie­ren jedes Jahr Men­schen ihre Häu­ser und ihren Besitz, ihnen wird die Lebens­grund­la­ge eben­so ent­zo­gen. Hun­dert­tau­sen­de Afgha­nen befin­den sich daher bereits auf der Flucht – der Groß­teil davon inner­halb des Landes.

PRO ASYL: Kei­ne Abschie­bun­gen nach Afghanistan! 

PRO ASYL for­dert die Bun­des­re­gie­rung daher auf, von der Idee ver­stärk­ter Abschie­bun­gen nach Afgha­ni­stan sofort Abstand zu neh­men. Die der­zei­ti­ge Sicher­heits­la­ge ist höchst pro­ble­ma­tisch und kann sich jeder­zeit noch wei­ter ver­schlech­tern – auch in ver­meint­lich „siche­ren Regio­nen“ kann es zu Kampf­hand­lun­gen und Anschlä­gen kom­men, wie auch Minis­ter de Mai­ziè­re haut­nah mit­er­le­ben konn­te. Abschie­bun­gen nach Afgha­ni­stan wür­den für die Betrof­fe­nen Abschie­bun­gen in lebens­ge­fähr­li­che Zustän­de bedeuten.

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