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Mit gezogener Waffe beim Rettungseinsatz. Bei der EU-Militärmission rückt die Schleuserbekämpfung in den Vordergrund, die Zahl der Rettungen nimmt ab. Foto: European Naval Force - Mediterranean Eunavfor Med

Der deutsche Bundestag beschließt einen rechtswidrigen und hochbrisanten Militäreinsatz - ohne ernstzunehmende Diskussion. Zugleich droht, dass der Einsatz die Seenotrettung von Flüchtlingen vernachlässigt, um Schlepper zu bekämpfen.

Mit 450 Ja-Stim­men bei 116 Nein-Stim­men und zwei Ent­hal­tun­gen hat der Bun­des­tag am 01. Okto­ber beschlos­sen, dass sich 950 bewaff­ne­te Streit­kräf­te der Bun­des­wehr an der EU-Mili­tär­ope­ra­ti­on EUNAVFOR MED betei­li­gen sol­len. Abge­lehnt wur­de ein Antrag der Links­par­tei, der die sofor­ti­ge Ein­stel­lung von Mili­tär­ope­ra­tio­nen im Mit­tel­meer for­der­te als auch ein Antrag der Grü­nen zur Aus­wei­tung der Seenotrettung.

In der ers­ten Pha­se des Ein­sat­zes soll­ten die Schleu­ser­netz­wer­ke in inter­na­tio­na­len Gewäs­sern auf­ge­klärt wer­den. Mit der nun­mehr gestar­te­ten zwei­ten Pha­se – für die eine Abstim­mung im Bun­des­tag not­wen­dig war – sol­len in inter­na­tio­na­len Gewäs­sern Boo­te auf­ge­spürt, ange­hal­ten, durch­sucht, beschlag­nahmt und umge­lei­tet wer­den. Eigent­lich war geplant, in liby­schen Gewäs­sern zu ope­rie­ren. Auf­grund des feh­len­den UN-Man­dats und des feh­len­den Ein­ver­ständ­nis­ses der liby­schen Behör­den, sieht man hier­von zunächst ab.

Huma­ni­tä­rer Anstrich: Pro­pa­gan­da mit geret­te­tem Kind

Die Mili­tär­mis­si­on wur­de jüngst in Ope­ra­ti­on „Sophia“ umbe­nannt – den Namen eines Flücht­lings­kinds, das auf einem Schiff der Mari­ne im Mit­tel­meer gebo­ren wur­de. Die Pro­pa­gan­da-Abtei­lung der EU-Außen­be­auf­trag­ten Fede­ri­ca Mog­he­ri­ni läuft auf Hoch­tou­ren. Man will dem Ein­satz einen huma­ni­tä­ren Anstrich geben, denn auch intern wird des­sen Gefähr­lich­keit hoch ein­ge­schätzt: Der „Euro­päi­sche Aus­wär­ti­ge Dienst“ und das „Poli­ti­sche und Sicher­heits­po­li­ti­sche Komi­tee“ befürch­ten Kol­la­te­ral­schä­den unter den Flücht­lin­gen. Mög­li­cher­wei­se zielt die EU-Pro­pa­gan­da eben­falls dar­auf ab, den offen­sicht­li­chen Ver­stoß des Ein­sat­zes gegen Ver­fas­sungs­recht und Völ­ker­recht zu kaschieren.

Zwei­fel an der Sinn­haf­tig­keit  der  Kri­mi­na­li­sie­rung  von  Schleusungen

Der Bun­des­tags­be­schluss ver­weist dar­auf, dass die Bun­des­wehr auf­grund des See­rechts­über­ein­kom­mens und ver­schie­de­ner Über­ein­kom­men gegen die Schleu­sung von Migran­tIn­nen den Ein­satz durch­füh­ren könn­te. Das ist unzu­tref­fend. Ein juris­ti­sches Posi­ti­ons­pa­pier des Forums Men­schen­rech­te erklärt, dass die Schleu­sung von Aus­län­dern allen­falls ein pri­va­tes Straf­de­likt sein könn­te, das nicht durch die Bun­des­wehr ver­folgt wer­den darf:

„Die  bis­he­ri­gen  inter­na­tio­na­len  Abkom­men wie  das  „Zusatz­pro­to­koll  gegen die  Schleu­sung  von  Migran­ten auf dem Land‑, See- und Luft­weg zum Über­ein­kom­men der Ver­ein­ten Natio­nen gegen die grenz­über­schrei­ten­de  orga­ni­sier­te  Kri­mi­na­li­tät“ sehen  ledig­lich  straf­recht­li­che  Maß­nah­men  gegen die  Schleu­sung  von  Migrant*innen  vor. (…) Kann  man  ange­sichts  feh­len­der  lega­ler  Ein­rei­se­we­ge  für  Flücht­lin­ge  schon  an  der Sinn­haf­tig­keit  der  Kri­mi­na­li­sie­rung  von  Schleu­sun­gen  zwei­feln, so  zei­gen  die  Abkom­men  und  die Umset­zung in deut­sches Recht, dass kei­ne mili­tä­ri­schen, son­dern allei­ne straf­recht­li­che Mit­tel gegen Schleu­sun­gen vor­ge­se­hen sind.“

„Indem Schleu­sung allen­falls ein pri­va­tes Straf­de­likt sein kann, wäre für einen ent­spre­chen­den Ein­satz die Poli­zei ver­ant­wort­lich. Für die Betei­li­gung deut­scher Soldat*innen an mili­tä­ri­schen Ope­ra­tio­nen ist Art. 87a Abs. 2 GG rele­vant, dem ein strik­tes Tren­nungs­ge­bot zwi­schen mili­tä­ri­schen und poli­zei­li­chen Ein­sät­zen  zu  ent­neh­men  ist. Auch  das  Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt  erkennt  vor  dem  Hin­ter­grund  des Tren­nungs­ge­bots   ein   Ver­bot   für   die   Befas­sung   einer   Behör­de   mit   Auf­ga­ben,   die   mit   ihrer ver­fas­sungs­recht­li­chen Auf­ga­ben­stel­lung nicht ver­ein­bar sind. Des­halb darf die „Bun­des­wehr nicht in Maß­nah­men gesen­det wer­den, die im Schwer­punkt see­ver­kehrs­po­li­zei­li­chen Cha­rak­ter haben.“

Die Bun­des­wehr ist kei­ne Weltpolizei

Auch die Huma­nis­ti­sche Uni­on sieht den Ein­satz als rechts­wid­rig an: „Bei den Akti­vi­tä­ten der Schleu­ser han­delt es sich nicht um einen bewaff­ne­ten Angriff auf die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land oder einen ande­ren NATO-Staat, son­dern um kri­mi­nel­le Hand­lun­gen (das sog. „Ein­schleu­sen von Aus­län­dern“). Für deren Bekämp­fung ist aber nicht die Bun­des­wehr, son­dern die Bun­des­po­li­zei gemäß § 6 Bun­des­po­li­zei­ge­setz zustän­dig“, erklärt der Ver­fas­sungs­recht­ler Prof. Mar­tin Kut­scha vom Bun­des­vor­stand der HU. „Es ist schlicht unzu­läs­sig, die Streit­kräf­te der Bun­des­wehr als eine Art Welt­po­li­zei gegen Geset­zes­bre­cher aller Art einzusetzen.“

Sind rechts­wid­ri­ge Bun­des­wehr­ein­sät­ze schon „nor­mal“?

Deut­li­che Kri­tik an dem Ein­satz for­mu­lier­te der stän­di­ge Sach­ver­stän­di­gen­aus­schuss für inter­na­tio­na­les Migrations‑, Flücht­lings- und Straf­recht (Mei­jers Com­mit­tee). Der Ein­satz sei nicht ange­mes­sen, um das Ster­ben auf See zu been­den. Die See­not­ret­tung wür­de zuguns­ten mili­tä­ri­scher Ope­ra­tio­nen auf­ge­ge­ben. Der Ein­satz erfül­le nicht die Kri­te­ri­en für eine Reso­lu­ti­on des UN-Sicher­heits­rats nach Arti­kel 39 und 42 UN-Char­ta, die für die Anwen­dung von Gewalt eine „Bedro­hung oder einen Bruch des Frie­dens oder eine Angriffs­hand­lung“ voraussetze.

Es bestehe die Gefahr, dass der Ein­satz zu einer Ver­let­zung der Recht­spre­chung des Euro­päi­schen Gerichts­hofs für Men­schen­rech­te im Fal­le Hir­si füh­re: Flücht­lin­ge dür­fen nicht auf hoher See in Staa­ten abge­scho­ben wer­den, in denen ihnen Ver­fol­gung, Fol­ter oder ernied­ri­gen­de Behand­lung droht – wie bei­spiels­wei­se in Libyen.

Obschon gewich­ti­ge Argu­men­te dafür spre­chen, dass der Mili­tär­ein­satz ver­fas­sungs­wid­rig und völ­ker­rechts­wid­rig ist, wird über die­ses Pro­blem öffent­lich kaum gespro­chen. Anschei­nend sind rechts­wid­ri­ge Bun­des­wehr­ein­sät­ze bereits zur Nor­ma­li­tät geworden.

See­not­ret­tung hat kei­ne Priorität

Neben den ver­fas­sungs­recht­li­chen Beden­ken, führt der Ein­satz auch zu einer pro­ble­ma­ti­schen Ver­la­ge­rung der Prio­ri­tä­ten. Die grü­ne Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Agnieszka Brug­ger hat­te eine Anfra­ge zur See­not­ret­tung durch die Bun­des­wehr gestellt. Laut der Ant­wort der Bun­des­re­gie­rung ret­te­ten die Besat­zun­gen der deut­schen Mari­ne­schif­fe im Zeit­raum vom 7. Mai bis 18. Sep­tem­ber 2015 ins­ge­samt 7263 Men­schen aus See­not, davon nur 1419 im Rah­men von EUNAFOR MED und 5844 in allei­ni­ger natio­na­ler Ver­ant­wor­tung. Die durch EUNAFOR MED ein­ge­setz­ten Schif­fe haben in die­sem Zeit­raum 1590 Men­schen geret­tet – eine mar­gi­na­le Zahl. Seit­dem die EU-Mis­si­on Ende Juni gestar­tet ist ret­te­ten die deut­schen Mari­ne­schif­fe deut­lich weni­ger Men­schen, die Zah­len gin­gen rapi­de zurück.

Die­se fal­sche Prio­ri­tä­ten­set­zung bestä­tigt die Mann­schaft der Sea­watch, die pri­vat Flücht­lin­ge im Mit­tel­meer ret­ten: „Wäh­rend zivi­le Orga­ni­sa­tio­nen mit ihren Schif­fen regel­mä­ßig aktiv nach Flücht­lings­boo­ten suchen, die oft­mals gar nicht in der Lage sind, selbst einen Not­ruf abzu­set­zen, sucht man die Schif­fe der Mari­ne hier meist ver­geb­lich. […] Seit die Schif­fe der EU-Mis­si­on Eunav­for Med unter­stellt sind, haben sie kaum noch jeman­den geret­tet oder über­haupt aktiv nach See­not­fäl­len gesucht.“

Dabei liegt die Alter­na­ti­ve zur Mili­tär­ope­ra­ti­on auf der Hand: Statt Schleu­ser mili­tä­risch zu bekämp­fen muss die EU drin­gend in Liby­en fest­sit­zen­de Flücht­lin­ge und Migran­ten eva­ku­ie­ren und Flücht­lin­gen die lega­le Ein­rei­se in die EU ermög­li­chen. Dazu ruft unter ande­ren auch aktu­ell die Orga­ni­sa­ti­on Ärz­te ohne Gren­zen in einem Video auf, das eine ihrer Ret­tungs­ak­tio­nen im Mit­tel­meer zeigt: „Es müs­sen ange­mes­se­ne Flucht­we­ge geschaf­fen wer­den. Das kann nicht so weitergehen.“

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