News
Keine Verbesserung: Flüchtlinge in Griechenland ohne Bett, Brot und Seife

Flüchtlinge in Griechenland sind in einem bürokratischen Teufelskreis gefangen. Viele landen auf der Straße. Auch Menschen, die aus Deutschland nach Griechenland abgeschoben werden, droht die Verelendung. Von angekündigten Verbesserungen fehlt jede Spur. Der neue Bericht von PRO ASYL und RSA liefert aktuelle Einblicke.
Batur*, ein anerkannter Flüchtling aus Afghanistan, wurde im März 2025 aus Deutschland nach Griechenland abgeschoben. Er hatte Griechenland aus Angst um seine Sicherheit verlassen, nachdem er bedroht und körperlich angegriffen worden war. Seit seiner Abschiebung ist Batur in Athen obdachlos. Er schläft mit zwei weiteren Abgeschobenen auf der Straße.
So wie Batur geht es vielen Menschen, nach der positiven Abschluss des Asylverfahrens. Das vergangene Jahr war von einer nahezu vollständigen Einstellung der Grundversorgung für Geflüchtete in Griechenland gekennzeichnet – einschließlich der Sozialleistungen, die Asylsuchenden für die Dauer des Asylverfahrens zustehen. Zusätzlich sind die Unterstützungsmöglichkeiten durch Nichtregierungsorganisationen in Griechenland in den vergangenen Jahren in Folge staatlicher Maßnahmen und gekürzter Fördermittel zurückgegangen.
Die griechische Regierung hält dennoch an ihrer Linie fest: Ab dem Moment der Anerkennung sind international Schutzberechtigten vollständige auf sich allein gestellt. Einen einklagbaren Rechtsanspruch auf »Bett, Brot und Seife« gibt es in Griechenland nicht. In ihrem Bemühen, ihre blanke Existenz zu sichern, sind Schutzberechtigte gefangen in einem seit Jahren bestehenden Teufelskreis bürokratischer Hindernisse, die sich teilweise wechselseitig bedingen. Dies führt in der Praxis dazu, dass sehr viele Schutzberechtigte unter anderem nicht legal arbeiten dürfen, keine Sozialleistungen erhalten und sich nicht einmal auf die Warteliste einer überfüllten Obdachlosenunterkunft setzen lassen können.
Angekündigte Reformprozesse bleiben weiterhin aus. Dass das griechische Ministerium für Migration und Asyl seit März 2025 von Makis Voridis, einem Politiker mit rechtsradikalem Hintergrund, geführt wird, lässt wenig Hoffnung aufkommen, dass sich die Situation von international Schutzberechtigten in absehbarer Zeit verbessern wird.
Mit dem Asylbescheid droht die Obdachlosigkeit
Einzelfallarbeit als Grundlage des aktuellen Berichts
Das geht aus der aktuellen Stellungnahme »Zur Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland« von PRO ASYL und der PRO ASYL-Schwesterorganisation Refugee Support Aegean (RSA) hervor. RSA begleitet und vertritt in Griechenland zahlreiche Personen auch nach dem positiven Abschluss des Asylverfahrens. Zusätzlich unterstützt RSA in Griechenland Schutzberechtigte, die etwa aus Deutschland nach Griechenland abgeschoben wurden. Basierend auf dieser Arbeit des Teams von Anwält*innen und Sozialarbeiter*innen sowie weiterführenden Recherchen bündelt die Stellungnahme aktuelle Erkenntnisse zur Situation Schutzberechtigter in Griechenland. Dabei beleuchtet sie explizit auch die Umstände, denen Schutzberechtigte nach einer Abschiebung aus anderen Ländern ausgesetzt sind. Der deutschsprachige Bericht baut dabei auf dem englischsprachigen Bericht »Recognised Refugees 2025: Access to docuements and socio-econmic rights« auf.
Seit 2017 dokumentieren PRO ASYL und die PRO ASYL-Schwesterorganisation RSA die anhaltenden Missstände, denen Schutzberechtigte nach dem positiven Asylverfahren ausgesetzt sind. Seit 2017 müssen wir feststellen: Schutz in Griechenland existiert nur auf dem Papier.
Frühere Stellungnahmen von PRO ASYL & RSA unter dem Titel » Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland« bzw. »International Schutzberechtigte in Griechenland: Zugang zu Dokumenten und sozio-ökonomischen Rechten« [Eng] in folgenden Jahren erschienen: Juni 2017, Januar 2019, April 2021, März 2022, März 2023 , März 2024.
»Unsichtbare Obdachlosigkeit«
Seit 2021 ist die Zahl der Menschen, die in Griechenland Schutz erhalten haben, sukzessive angestiegen. Alleine im zurückliegenden Jahr 2024 wurden mehr als 40.000 Asylanträge positiv beschieden. Unabhängig von besonderen Härten sind sie alle mit derselben Situation konfrontiert: Unmittelbar nach Zuerkennung des internationalen Schutzes werden die Unterstützungsleistungen, die Asylsuchenden während des Asylverfahrens zumindest auf dem Papier zustehen, komplett eingestellt. In dreißig Tagen, gezählt ab dem Tag des Erhalts des Anerkennungsbescheids, muss das Asyllager verlassen werden. Mit dem Asylbescheid droht die Obdachlosigkeit.
Aufgrund von gestiegenen Mietpreisen in Großstädten wie Athen und Thessaloniki herrscht ähnlich wie in deutschen Städten ein Mangel an bezahlbaren Mietwohnungen. Für Schutzberechtigte, die bei der Wohnungssuche mit griechischen Staatsangehörigen konkurrieren, ist es daher unrealistisch, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Die Wohnungsnot hat auch Auswirkungen auf die Belegung von Obdachlosenunterkünften, die den Bedarf an Notschlafplätzen nicht einmal ansatzweise decken können.
Die Stellungnahme verweist immer wieder auf Fallbeispiele aus der täglichen Arbeit von RSA. Die Namen wurden zum Schutz der Anonymität der Betroffenen geändert.
Khalid*, ein anerkannter Flüchtling aus Syrien, wurde im Juli 2024 von Deutschland nach Griechenland abgeschoben. Bei seiner Ankunft am internationalen Flughafen Athen erhielt er keinerlei Informationen oder Unterstützung von der griechischen Polizei und wurde nach einer kurzzeitigen Festnahme zur Feststellung seiner Identität angewiesen, den Flughafen zu verlassen. Khalid reiste nach Korinth und versuchte, in dem dortigen Aufnahmelager unterzukommen, in der er vor seiner Ausreise aus Griechenland als Asylbewerber untergebracht war. Das Sicherheitspersonal des Lagers verweigerte ihm jedoch den Zutritt.
Nasima* ist eine alleinerziehende Mutter aus Afghanistan mit zwei Kindern. Nachdem sie als Flüchtling anerkannt worden war, versuchte sie Anfang Februar 2025, sich für das HELIOS+ Programm anzumelden. Nasima wurde von der IOM darüber informiert, dass Anmeldungen für HELIOS+ noch nicht begonnen hätten, sie aber bald die Antragsvoraussetzungen einsehen und, wenn sie diese erfülle, einen Antrag stellen könne.
Farzana* und Parwana* sind anerkannte Flüchtlinge aus Afghanistan, die im Juni 2024 aus der Schweiz nach Griechenland abgeschoben wurden. Beide leiden unter schweren körperlichen und psychischen Erkrankungen. Als Farzana Anfang November 2024 ein öffentliches Krankenhaus in Athen aufsuchte, wurde ihr mitgeteilt, dass zur Diagnostik zwingend eine MRT-Untersuchung erforderlich sei. Da sie nicht im Besitz einer aktiven Sozialversicherungsnummer ist, konnte die MRT-Untersuchung nicht durchgeführt werden.
Kafkaeske bürokratische Prozesse versperren Zugang zu Grundrechten
Ausführlich geht die Stellungnahme auf die rechtlichen und praktischen Hindernisse ein, die den Zugang zu den Rechten verhindern, die Menschen mit Flüchtlingsanerkennung bzw. subsidiären Schutz eigentlich offen stehen.

Ein Beispiel ist das komplexe und mehrstufige Verfahren zur Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis (ADET), das oft Monate in Anspruch nimmt. Eine Fiktionsbescheinigung, mit der Schutzberechtigte auch ohne gültige Aufenthaltserlaubnis ihre Rechte geltend machen könnten, gibt es in Griechenland nicht. Gleichzeitig ist der Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis die Voraussetzung für die Erlangung und Beibehaltung einer Sozialversicherungsnummer (AMKA), für die Eröffnung eines Bankkontos, für den Zugang zum Arbeitsmarkt, für den Bezug von Sozialleistungen und auch für die Freizügigkeit innerhalb Griechenlands. Schutzberechtigte, die nicht im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis sind, sind alleine auf sich gestellt in einer Sackgasse.
Anschaulich ist auch das Beispiel der Sozialversicherungsnummer (AMKA), die in Griechenland unter anderem für den Bezug von Sozialleistungen, den Zugang zum Arbeitsmarkt und zur Gesundheitsversorgung benötigt wird, deren Aktivierung jedoch von einem bereits bestehenden oder in Aussicht gestellten legalen Beschäftigungsverhältnis abhängt.
Aufgrund der spezifischen Lebensumstände und langen bürokratischen Voraussetzungsketten können sehr viele Schutzberechtigte auch das griechische Garantierten Mindesteinkommen, das ihnen als eine Art Grundsicherung theoretisch zur Verfügung steht, nicht beziehen.
Die Missstände sind bekannt – doch politische Maßnahmen bleiben aus
Trotz vollmundiger Versprechen gegenüber EU-Institutionen und zivilgesellschaftlichen Organisationen, diese systemischen Mängel zu beheben, hat die griechische Regierung bisher keine Abhilfe geschaffen. Dass Schutzberechtigte in Griechenland von den meisten Sozialleistungen ausgeschlossen sind, hat auch die Europäische Kommission auf den Plan gerufen, die deshalb Anfang 2023 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Griechenland eingeleitet hat.
International Schutzberechtigte haben in Griechenland darüber hinaus keine Möglichkeit, Behörden gerichtlich zu verpflichten, ihnen ihre Rechte zu gewährleisten und adäquate Lebensbedingungen zu ermöglichen. Schutzberechtigte ohne gültige Aufenthaltserlaubnis können nicht einmal eine anwaltliche Vertretung wirksam bevollmächtigen. Denn, laut griechischem Verwaltungsverfahrensgesetz muss die Unterzeichnung einer Vollmacht immer eine Beglaubigung der Unterschrift erfordert. Ohne gültige Aufenthaltserlaubnis können Schutzberechtigte diese Voraussetzung jedoch nicht erfüllen.
Zu spät und zu wenig – das staatliche Integrationsprogramm
Das einzige staatliche Integrationsprogramm namens HELIOS ist Ende 2024 ausgelaufen. Ein Nachfolgeprogramm namens HELIOS+ wurde vom griechischen Migrationsministerium zwar schon offiziell verkündet, ist zum Zeitpunkt der Erstellung des Berichts jedoch noch nicht angelaufen. Bereits jetzt ist allerdings deutlich, dass HELIOS+ viel zu geringe Kapazitäten haben wird und nur ein Bruchteil der Menschen mit internationalem und vorübergehendem Schutz davon wird profitieren können. Das Leistungsspektrum von HELIOS+ wurde im Vergleich zu HELIOS nicht erweitert, einzig der Kreis der zur Teilnahme anspruchsberechtigten Personen wurde ausgeweitet. Eine Unterbringung wird auch HELIOS+ international Schutzberechtigten nicht bieten.
Ein vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Deutschland beworbenes »Überbrückungsprojekt«, das offenbar auf eine bilaterale Vereinbarung zwischen Deutschland und Griechenland zurückgeht, soll laut BAMF Rückkehrer*innen unter anderem Unterbringung und Verpflegung für bis zu vier Monate bieten. Die Informationslage zu diesem Projekt ist jedoch sehr dürftig und teils widersprüchlich. Die Internationale Organisation für Migration (IOM), die das Projekt laut BAMF umsetzen soll, verneinte Ende März 2025 gegenüber griechischen Medien die Existenz eines solchen Programms; das griechische Migrationsministerium beantwortete entsprechende Presseanfragen bisher nicht. In einem internen Schreiben des BAMF, das PRO ASYL über einen Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) erhalten hat, ist nachzulesen, dass sich das Programm an »alleinstehende, erwerbsfähige Personen ohne besondere Vulnerabilitäten im Alter zwischen 18 und 50 Jahren [richtet]«, deren Anerkennung in Griechenland höchstens 24 Monate zurückliegt.
Nach Kenntnis von PRO ASYL und RSA werden Rückkehrer*innen, die in das Programm aufgenommen werden, in ein Aufnahmelager für Asylsuchende am Rande der nordgriechischen Stadt Serres gebracht. Wie in allen Lagern für Asylsuchende ist die Unterbringung von international Schutzberechtigten nach griechischem Recht hier eigentlich ausgeschlossen. Da das Überbrückungsprojekt darauf abzielt, Rückkehrer*innen im Anschluss in das Programm HELIOS+ aufzunehmen, scheint es von den extrem begrenzten Kapazitäten von HELIOS+ abhängig zu sein und wird daher voraussichtlich ebenso wenig in großem Maßstab Unterstützung für Rückkehrer*innen bieten können.
Nur punktuelle Unterstützung durch NGOs möglich
Die fehlende staatliche Unterstützung für international Schutzberechtigte kann in Griechenland auch nicht von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aufgefangen werden, die fast ausschließlich in urbanen Zentren und auf den ägäischen Inseln vor der türkischen Küste aktiv sind. Die Unterstützung, die sie international Schutzberechtigten bieten, erfolgt nur punktuell und ist auf einen kleinen Personenkreis beschränkt. Bei vielen Nichtregierungsorganisationen handelt es sich zudem um kleine Grassroots-Initiativen, die in Deutschland am ehesten mit ehrenamtlichen Initiativen vergleichbar sind. Sie sind nicht in der Lage, die systemischen staatlichen Mängel bei der Unterstützung für international Schutzberechtigte auszugleichen. Dies gilt umso mehr, da der griechische Staat die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen seit einigen Jahren massiv einschränkt und Nichtregierungsorganisationen zusätzlich mit Kürzungen von Fördergeldern konfrontiert sind.
Keine Abschiebung ins Elend!
PRO ASYL und RSA kommen vor diesem Hintergrund zu dem Schluss, dass international Schutzberechtigten, darunter auch jene, die aus anderen Mitgliedstaaten nach Griechenland abgeschoben werden, weiterhin die Verelendung in Griechenland droht – unabhängig von individuellen Fähigkeiten und der persönlichen Eigeninitiative, die sie an den Tag legen. Anstatt auf mehr Abschiebungen muss die Bundesregierung auf bilateralen Druck setzen, damit die griechische Regierung endlich die lang versprochenen Reformen angeht und die Grundrechte von Schutzberechtigten wahrt.