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Trotz Regelungen zur Verweigerung völkerrechtswidriger Kriege im EU-Recht, fallen deutsche Asylentscheidungen anders aus. Symbolbild: Egor Myznik / Unsplash

Zwei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine stellen PRO ASYL und Connection e. V. fest: Deserteur*innen und Militärdienstentzieher*innen aus Russland erhalten in Deutschland nach wie vor kaum einen Schutzstatus. Das ist asylrechtlich sowie friedenspolitisch gesehen ein Skandal.

Eine aktu­el­le Ana­ly­se von Con­nec­tion e.V., der Part­ner­or­ga­ni­sa­ti­on von PRO ASYL, lässt auf­hor­chen: Selbst nach einer Ände­rung der Ent­schei­dungs­pra­xis des Bun­des­am­tes für Migra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) im Sep­tem­ber 2023 erhal­ten immer noch erschre­ckend weni­ge Russ*innen, die den Dienst an der Waf­fe in einem völ­ker­rechts­wid­ri­gen Krieg ableh­nen, im deut­schen Asyl­ver­fah­ren einen Schutzstatus.

Wenige fliehen nach Deutschland

Seit Beginn des Krie­ges bis Sep­tem­ber 2023 haben schät­zungs­wei­se min­des­tens 250.000 Mili­tär­dienst­pflich­ti­ge Russ­land ver­las­sen und Schutz in ande­ren Län­dern gesucht – vor allem in Kasach­stan, Geor­gi­en, Arme­ni­en, Tür­kei, auch in Ser­bi­en oder Isra­el. Die Situa­ti­on in die­sen Auf­nah­me­län­dern ist zum Teil pre­kär. Zum Bei­spiel gewährt die Tür­kei und seit Ende Janu­ar 2022 auch Kasach­stan rus­si­schen Staatsbürger*innen regu­lär nur einen begrenz­ten Auf­ent­halts­sta­tus von drei Mona­ten. Aus Kasach­stan und Arme­ni­en sind Abschie­bun­gen nach Russ­land bekannt geworden.

Nur weni­ge flie­hen in die Län­der des Schen­gen-Raums, was unter ande­rem mit den feh­len­den Flucht­we­gen und der sehr restrik­ti­ven Visa­ver­ga­be der EU-Län­der zu tun hat. Nach einer Sta­tis­tik von Euro­stat stell­ten zwi­schen Febru­ar 2022 bis Ende Novem­ber 2023 nur etwa 13.000 Män­ner im mili­tär­dienst­pflich­ti­gen Alter einen Asyl­an­trag in einem EU-Staat. Con­nec­tion e. V. geht davon aus, dass davon rund 70 Pro­zent, also rund 9.000 Män­ner, in Russ­land mili­tär­dienst­pflich­tig sind.

In Deutsch­land stell­ten vom 24.2.2022 bis Ende des Jah­res 2022 1.150 Män­ner im wehr­fä­hi­gen Alter (18–45 Jah­re) einen Asyl­an­trag. In den ers­ten acht Mona­te im Jahr 2023 waren es wei­te­re 2.337 Anträ­ge. Die Zahl der Asyl­an­trä­ge von Schutz­su­chen­den aus Russ­land im wehr­fä­hi­gen Alter ist also deut­lich gestie­gen, ein Zusam­men­hang mit der Teil­mo­bil­ma­chung in Russ­land im Sep­tem­ber 2022 ist wahr­schein­lich (dazu spä­ter mehr).

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Alarmierend geringe Anerkennungszahlen

Im Jahr 2023 ist Russ­land auf Rang 7 der Haupt­her­kunfts­län­der der Asyl­su­chen­den in Deutsch­land vor­ge­rutscht. Seit Kriegs­be­ginn bis Sep­tem­ber 2023 haben rund 3.500 wehr­dienst­fä­hi­ge Män­ner aus Russ­land Asyl­an­trä­ge gestellt – über­schau­ba­re 1.530 Anträ­ge wur­den bis­her bear­bei­tet. Davon wur­den rund 1.300 Anträ­ge »for­mell erle­digt« – die­se For­mu­lie­rung bedeu­tet meist, dass das BAMF im Rah­men der Dub­lin-Rege­lung auf die Zustän­dig­keit eines ande­ren EU-Staa­tes ver­weist. Die­se Män­ner erhiel­ten also kei­ne Mög­lich­keit auf ein deut­sches Asyl­ver­fah­ren und sind auf­ge­for­dert, das Land zu ver­las­sen (weni­ge fan­den eine Kir­chen­ge­mein­de, die sie ins Kir­chen­asyl nahm, mit dem Ziel, doch noch ein Asyl­ver­fah­ren zu erwirken).

Nur 248 wehr­dienst­fä­hi­ge Män­ner aus Russ­land erhiel­ten seit Kriegs­be­ginn bis Sep­tem­ber 2023 eine inhalt­li­che Ent­schei­dung in einem deut­schen Asyl­ver­fah­ren. Bei den 204 inhalt­li­chen Ent­schei­dun­gen im Jahr 2022, wur­den 81 Aner­ken­nun­gen von inter­na­tio­na­lem Schutz (Flücht­lings­an­er­ken­nung und sub­si­diä­rer Schutz) erteilt und 123 Ableh­nun­gen. Im Jahr 2023 bis Ende Sep­tem­ber fällt das Ver­hält­nis noch schlech­ter aus. Bei 44 inhalt­li­chen Ent­schei­dun­gen wur­de gera­de mal elf Per­so­nen inter­na­tio­na­ler Schutz erteilt, 33 Per­so­nen erhiel­ten eine Ablehnung.

Nur 1.530

von rund 3.500 Asyl­an­trä­ge wehr­dienst­fä­hi­ger Män­ner aus Russ­land bearbeitet

Ins Ver­hält­nis gesetzt heißt das: Gab es im Jahr 2022 zumin­dest noch 40 % posi­ti­ve Ent­schei­dun­gen bei den inhalt­lich geprüf­ten Asyl­an­trä­gen vom Män­nern aus Russ­land im wehr­dienst­fä­hi­gen Alter, so nahm die Quo­te für Janu­ar bis Sep­tem­ber 2023 deut­lich ab. Nur noch 25 % der inhalt­lich geprüf­ten Asyl­an­trä­ge wur­den posi­tiv beschieden.

Bereits in einer im Febru­ar 2023 ver­öf­fent­lich­ten Ana­ly­se von Con­nec­tion e. V. wur­de fest­ge­hal­ten, dass zwar Deserteur*innen aus Russ­land Chan­cen auf einen Schutz­sta­tus in Deutsch­land haben, jedoch nicht die über­wie­gen­de Zahl von Militärdienstentzieher*innen, die bereits vor einer Rekru­tie­rung aus Russ­land flie­hen. Die­ser Trend hat sich im Lau­fe des Jah­res 2023 ver­schlech­tert. Die gerin­ge Aner­ken­nung steht im Kon­trast zu den rea­len Gefah­ren, die Militärdienstentzieher*innen bei einer Rück­kehr nach Russ­land drohen.

Die meis­ten Men­schen, die zu einem rus­si­schen Mili­tär­dienst ver­pflich­tet sind, die­sen aber ver­wei­gern, sind Militärdienstentzieher*innen. Sie haben sich bereits vor einer mög­li­chen Rekru­tie­rung dem Zugriff des Mili­tärs ent­zo­gen und noch kei­ne Ein­be­ru­fung erhal­ten. Zum Teil wer­den sie auch als Wehr­dienst­flücht­lin­ge bezeichnet.

Davon zu unter­schei­den sind Deserteur*innen, die es deut­lich sel­te­ner gibt. Sie haben bereits eine Ein­be­ru­fung erhal­ten und wer­den ab die­sem Moment als Soldat*innen gese­hen, oder befin­den sich auch schon im Mili­tär­dienst und flüch­ten aus dem Militär.

Die Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rung ist 2011 vom Euro­päi­schen Gerichts­hof für Men­schen­rech­te als Men­schen­recht aner­kannt wor­den und bezeich­net eine per­sön­li­che Ent­schei­dung, nicht zum Mili­tär zu gehen, die oft gegen­über den Behör­den oder dem Mili­tär erklärt wird. Sowohl Militärdienstentzieher*innen wie auch Deserteur*innen kön­nen sich dazu ent­schlie­ßen, ihre Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rung zu erklären.

Mobilmachungspraxis in Russland

Neben der halb­jähr­li­chen Ein­be­ru­fung von neu­en Rekrut*innen im Rah­men der Mili­tär­dienst­pflicht erfolg­te am 21. Sep­tem­ber 2022 von Prä­si­dent Wla­di­mir Putin eine Teil­mo­bil­ma­chung ins­be­son­de­re von Reservist*innen. In den fol­gen­den Mona­ten gab es Raz­zi­en und Stra­ßen­kon­trol­len zur Rekru­tie­rung: »Seit Beginn der Mobi­li­sie­rung ist es in den Groß­städ­ten eine weit ver­brei­te­te Pra­xis, dass Poli­zei­be­am­te Män­ner auf der Stra­ße anhal­ten, ihre Papie­re über­prü­fen und ver­su­chen, ihnen eine Vor­la­dung aus­zu­hän­di­gen. […] Am 9. Okto­ber kam die Poli­zei in das ´Auf­wärm­zen­trum´ für Obdach­lo­se in Mos­kau und nahm meh­re­re Dut­zend Per­so­nen fest. Auch in Arbei­ter­wohn­hei­men gab es Raz­zi­en. In St. Peters­burg blo­ckier­ten Poli­zei­be­am­te die Aus­gän­ge meh­re­rer Wohn­ge­bäu­de und ver­teil­ten Vor­la­dun­gen.« (Inter­na­tio­na­ler Ver­söh­nungs­bund im UN-Men­schen­rechts­aus­schuss, Okto­ber 2022).

Dabei fehl­ten den Behör­den bei den Rekru­tie­run­gen oft Infor­ma­tio­nen über Aus­mus­te­run­gen oder Zurück­stel­lun­gen. Dadurch ist zu erklä­ren, war­um selbst offi­zi­el­le rus­si­sche Stel­len eine Zahl von 9.000 zu Unrecht rekru­tier­ten Per­so­nen im Zuge der Teil­mo­bil­ma­chung zuga­ben. Die tat­säch­li­che Zahl ist unbekannt.

Am 1. Novem­ber 2022 erklär­te Prä­si­dent Putin die Teil­mo­bil­ma­chung für been­det. Rechts­an­walt Arty­om Kly­ga, Fach­an­walt für rus­si­sches Mili­tär­recht und Advo­ca­cy Mana­ger der Bewe­gung für Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rung Russ­land, berich­tet jedoch, dass die Mobil­ma­chung wei­ter­hin statt­fin­de. »Alle Infor­ma­tio­nen, die dar­auf ver­wei­sen, dass die Mobi­li­sie­rung gestoppt wur­de und dass es kei­ne Ein­be­ru­fun­gen mehr zur Mobi­li­sie­rung gibt, sind irre­füh­rend. Wei­ter­hin wer­den Bür­ger Russ­lands durch Beschei­de zur Mobi­li­sie­rung auf­ge­ru­fen.« (Schrei­ben an Con­nec­tion e.V., 30.1.2024)

Wer einer Vor­la­dung nicht nach­kommt, kann zu einem Buß­geld von bis zu 30.000 Rubel (300 €) ver­ur­teilt wer­den. Zusätz­lich wer­den Immo­bi­li­en­ge­schäf­te, das Füh­ren eines Kraft­fahr­zeu­ges, die Auf­nah­me von Kre­di­ten oder eine Selbst­stän­dig­keit aus­ge­schlos­sen. Per­so­nen, die Vor­la­dun­gen zur Mobi­li­sie­rung erhal­ten haben, erhal­ten mit­un­ter Rei­se­ver­bo­te. Bis­lang ist zwar kei­ne straf­recht­li­che Ver­fol­gung vor­ge­se­hen, aber Arty­om Kly­ga führt in sei­nem Schrei­ben aus, dass »die Staats­du­ma min­des­tens drei­mal öffent­lich die Initia­ti­ve erör­tert [habe], eine straf­recht­li­che Ver­fol­gung bei Nicht­er­schei­nen auf Mobi­li­sie­rungs­be­feh­le ein­zu­füh­ren. Es kann mit Sicher­heit gesagt wer­den, dass solch eine Haf­tung in weni­ger als 24 Stun­den in die Gesetz­ge­bung auf­ge­nom­men wer­den kann.«

Wer der Vor­la­dung nach­kommt, kann bereits am sel­ben Tag ein­be­ru­fen wer­den. Kly­ga berich­tet: »Die Pra­xis zeigt, dass in die­sem Fall kei­ne medi­zi­ni­sche und psy­cho­lo­gi­sche Unter­su­chung durch­ge­führt wird, sofern nicht Attes­te vor­ge­legt wer­den.« Zudem haben die rus­si­schen Behör­den »ihre Stra­te­gie und Tak­tik geän­dert und sich dafür ent­schie­den, gefähr­de­te Bevöl­ke­rungs­grup­pen in den Krieg zu schi­cken. Dazu gehö­ren Aus­län­der, die sich mit einer befris­te­ten oder unbe­fris­te­ten Auf­ent­halts­ge­neh­mi­gung in Russ­land auf­hal­ten, rus­si­sche Staats­bür­ger, die die rus­si­sche Staats­bür­ger­schaft erst auf Antrag erhal­ten haben und rus­si­sche Bür­ger, die sich in einer schwie­ri­gen finan­zi­el­len Lage ver­bin­den.« Betrof­fe­ne wür­den mit dem Ver­spre­chen gekö­dert wer­den, die rus­si­sche Staats­bür­ger­schaft oder einen hohen Sold und ande­ren Vor­tei­le zu erhal­ten. Dar­über hin­aus gibt es auch immer noch Raz­zi­en, wie z. B. in der Regi­on Mos­kau oder in St. Peters­burg, bei denen Vor­la­dun­gen zur Mobi­li­sie­rung aus­ge­hän­digt werden.

Flucht als Folge der Mobilmachung

Die geschil­der­te Pra­xis der Mobil­ma­chung führt dazu, dass vie­le Per­so­nen im Alter zwi­schen 18 und 65 Jah­ren, die nicht in den Kriegs­dienst ein­ge­zo­gen wer­den wol­len, ver­su­chen, den Kon­takt mit den Mili­tär­be­hör­den zu ver­mei­den. Ande­re ent­schei­den sich, Russ­land zu ver­las­sen, bevor sie Kon­takt zum Mili­tär haben und wer­den so zu Militärdienstentzieher*innen.

Bereits in den ers­ten Wochen nach Ver­kün­dung der Teil­mo­bil­ma­chung hat­ten sich Zehn­tau­sen­de Militärdienstentzieher*innen durch eine Flucht ins Aus­land dem Zugriff des rus­si­schen Mili­tärs ent­zo­gen. In vie­len Fäl­len wur­den Vor­la­dun­gen für eine Mobil­ma­chung zuge­stellt, die­se Per­so­nen sind also oft den Behör­den bekannt und müs­sen bei einer Rück­kehr mit einer Ein­be­ru­fung rechnen.

Die Zahl der Straf­ver­fol­gung wegen Deser­ti­on, uner­laub­ter Abwe­sen­heit oder Befehls­ver­wei­ge­rung ist im Jahr 2023 laut der oppo­si­tio­nel­len Nach­rich­ten­platt­form Media­zo­na bis Novem­ber 2023 auf mehr als 4.500 Ver­fah­ren ange­stie­gen. »In 3.470 Fäl­len sind bereits Urtei­le ergan­gen. Die Mili­tär­ge­rich­te haben seit Juni 2023 100 Urtei­le pro Woche gefällt. Der Höchst­stand wur­de im August erreicht – 457 Urtei­le allein in die­sem Monat.« Nur in Ein­zel­fäl­len wer­den die Urtei­le medi­al bekannt, wie die rus­si­sche Sol­da­tin Madi­na Kaba­lo­je­wa, die zu sechs Jah­ren Haft ver­ur­teilt wur­de, weil sie sich nicht ord­nungs­ge­mäß gemel­det habe oder der Ver­trags­sol­dat Mak­sim Alek­sand­ro­vich Kochet­kov, der wegen uner­laub­ter Abwe­sen­heit zu 13 Jah­ren Haft ver­ur­teilt wurde.

In Russ­land gibt es eine Mili­tär­dienst­pflicht, der alle Män­ner zwi­schen 18 und 30 Jah­ren unter­lie­gen. Am 25. Mai 2022 wur­de in Russ­land ein Gesetz ver­ab­schie­det, wonach Män­ner bis zum Alter von 65 Jah­ren zur Armee ein­ge­zo­gen wer­den können.

Ein Antrag zur Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rung ist nur bis zur Ein­be­ru­fung mög­lich. Für Reservist*innen und Soldat*innen gibt es kein Recht, einen Ver­wei­ge­rungs­an­trag zu stel­len. Die nach inter­na­tio­na­lem Recht für Mili­tär­dienst­pflich­ti­ge vor­ge­se­he­ne Mög­lich­keit, jeder­zeit einen Antrag auf Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rung stel­len zu kön­nen, wird nicht gewähr­leis­tet. Wenn Anträ­ge über­prüft wer­den, müss­te dies durch ein unab­hän­gi­ges Gre­mi­um erfol­gen, in Russ­land aber ist das Mili­tär an den Ent­schei­dun­gen beteiligt.

Durch eine wei­te­re Geset­zes­än­de­rung im Novem­ber 2022 kön­nen zudem auch Kriegsdienstverweiger*innen, die sich im soge­nann­ten alter­na­ti­ven Dienst befin­den, zum Mili­tär ein­ge­zo­gen wer­den, um dort einen unbe­waff­ne­ten Dienst abzuleisten.

Wer nicht zum Mili­tär geht, dem droht eine Bestra­fung von meh­re­ren Jah­ren Haft. Noch schär­fer ver­folgt wird eine Deser­ti­on, ins­be­son­de­re wäh­rend eines Krie­ges. In den Sepa­ra­tis­ten­ge­bie­ten wird zwangs­re­kru­tiert, Verweiger*innen wer­den an die Front geschickt oder inhaftiert.

 

Angebliche Anpassung der Anerkennungspraxis

Wie­der­holt hat­ten Con­nec­tion e. V. und PRO ASYL gefor­dert, dass das BAMF sei­ne Ent­schei­dungs­pra­xis zu Deserteur*innen und Militärdienstentzieher*innen an die tat­säch­li­che Gefahr für Men­schen bei einer Rück­kehr nach Russ­land anpasst. Lan­ge wur­de von staat­li­cher Sei­te auf eine anste­hen­de Über­prü­fung der BAMF-Ent­schei­dungs­pra­xis verwiesen.

Die­se habe im Sep­tem­ber 2023 statt­ge­fun­den, wie aus einer Ant­wort des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums an MdB Cla­ra Bün­ger her­vor­geht: »Die Ent­schei­dungs­pra­xis des BAMF [zu rus­si­schen Män­nern im wehr­fä­hi­gen Alter] wur­de bereits mehr­fach ange­passt. Die letz­te Über­ar­bei­tung erfolg­te Anfang Sep­tem­ber 2023. Damit wur­de auch die Über­prü­fung der Ent­schei­dungs­pra­xis mit Blick auf die Wehr­dienst- sowie Mobi­li­sie­rungs­ent­zie­her abge­schlos­sen. Die aktu­el­le Ent­schei­dungs­pra­xis sieht Fol­gen­des vor: – Deser­teu­re dürf­ten wei­ter­hin regel­mä­ßig inter­na­tio­na­len Schutz erhal­ten; – Per­so­nen, die in die Armee ein­ge­zo­gen wer­den sol­len und den Dienst ver­wei­gern, erhal­ten inter­na­tio­na­len Schutz, sofern die Vor­aus­set­zun­gen hier­für vor­lie­gen. Dies sind insb. Ver­fol­gungs­hand­lun­gen in Ver­bin­dung mit einem Ver­fol­gungs­grund. Bei die­ser Per­so­nen­grup­pe dürf­ten die­se Vor­aus­set­zun­gen jedoch sel­te­ner vor­lie­gen, als bei Deserteuren.«

Aktu­el­ler Ableh­nungs­be­scheid birgt haar­sträu­ben­de Begründung 

Den­noch liegt Con­nec­tion e. V. und PRO ASYL ein BAMF-Bescheid vom 29.09.2023 vor, der auf­zeigt, dass die Vor­ga­ben der Poli­tik nicht umge­setzt wer­den. Dar­in wird ein rus­si­scher Mili­tär­dienst­ent­zie­her mit der Begrün­dung abge­lehnt, dass er zwar einen Ein­be­ru­fungs­be­scheid zum Reser­ve­dienst vor­ge­legt habe, sich aber »allei­ne aus der Ver­wei­ge­rung der Teil­mo­bi­li­sie­rung kei­ne Ver­fol­gungs­hand­lung in Anknüp­fung an § 3 a AsylG durch staat­li­che oder nicht staat­li­che Akteu­re« erge­be. Für den kon­kre­ten Fall wür­de das rus­si­sche Gesetz als Stra­fe dafür, dass sich der Mann der Mobi­li­sie­rung ent­zo­gen hat, nur eine Ver­war­nung oder eine Geld­bu­ße vorsehen.

»Inso­fern der Antrag­stel­ler angibt, eine Frei­heits­stra­fe von bis zu zehn Jah­ren Dau­er zu befürch­ten und sich dabei auf Art. 328 StGB bezieht, ist fest­zu­hal­ten, dass die­ser Arti­kel laut Klar­stel­lung des rus­si­schen Obers­ten Gerichts­ho­fes aus 2008 nicht auf Reser­vis­ten anzu­wen­den ist, son­dern nur auf den Grund­wehr­dienst­ent­zug.« Es sei zwar trotz­dem nicht aus­zu­schlie­ßen, »dass im Rah­men des Ukrai­ne­krie­ges und im wei­te­ren Ver­lau­fe des Kriegs­ge­sche­hens här­te­re Bestra­fun­gen gegen Mobi­li­sie­rungs­ent­zie­her aus­ge­spro­chen wer­den.« Eine kon­kre­te Durch­set­zung sei »nach aktu­el­ler Rechts­la­ge jedoch nicht so beacht­lich wahr­schein­lich, dass davon aus­zu­ge­hen wäre, dass dem Antrag­stel­ler bei Rück­kehr nach Russ­land zeit­nah eine ziel­ge­rich­te­te staat­li­che Ver­fol­gung bzw. ein indi­vi­du­el­ler Scha­den in der­ar­ti­gem Maße dro­hen wür­de, dass die­ser als Ver­fol­gungs­hand­lung zu wer­ten wäre.«

Woher das BAMF sei­nen Glau­ben an ein rechts­staat­li­ches Sys­tem in Russ­land nimmt […] bleibt schleierhaft.

Woher das BAMF sei­nen Glau­ben an ein rechts­staat­li­ches Sys­tem in Russ­land nimmt, das den Mann vor einer Ver­fol­gung schüt­zen wür­de, bleibt schlei­er­haft. Die nahe­lie­gen­de Ver­mu­tung, dass das Regime Putin Militärdienstentzieher*innen per se eine oppo­si­tio­nel­le Gesin­nung unter­stel­len und des­we­gen ver­fol­gen könn­te, wird nicht ein­mal the­ma­ti­siert. Auch wird mit kei­nem Wort erwähnt, was dem Antrag­stel­ler, der gegen­über dem BAMF deut­lich erklärt hat­te, dass er den Krieg in der Ukrai­ne ablehnt, bei einer Rück­kehr nach Russ­land tat­säch­lich droht. Durch die erfolg­te Ein­be­ru­fung zum Reser­ve­dienst ist näm­lich davon aus­zu­ge­hen, dass ihm bei Wie­der­ein­rei­se nach Russ­land nicht nur eine Straf­ver­fol­gung, son­dern mit hoher Wahr­schein­lich­keit der Ein­zug in den Krieg gegen die Ukrai­ne dro­hen. Urtei­le der Ver­wal­tungs­ge­rich­te Hal­le und Ber­lin zei­gen, dass die­se Gefahr sehr wohl zu einer Aner­ken­nung im deut­schen Asyl­ver­fah­ren füh­ren muss.

In letz­ter Kon­se­quenz bedeu­tet die Argu­men­ta­ti­on in dem vor­lie­gen­den Bescheid: Deut­sche Behör­den lie­fern einen rus­si­schen Ver­wei­ge­rer dem rus­si­schen Mili­tär aus, das die­sen rekru­tiert. Prä­si­dent Putin erhält so wei­te­re Soldat*innen für einen völ­ker­rechts­wid­ri­gen Krieg, den die deut­sche Bun­des­re­gie­rung eigent­lich aufs Schärfs­te ver­ur­teilt. Den anfäng­li­chen Bekennt­nis­sen deut­scher und euro­päi­scher Politiker*innen, dass rus­si­sche Sol­da­ten, die die Waf­fen nie­der­le­gen, »der Weg ins deut­sche und euro­päi­sche Asyl­ver­fah­ren offen­steht« (BT Druck­sa­che 20/1550, 27.04.2022), folg­ten kei­ne Taten. Die Umset­zung in die deut­sche Asyl­pra­xis ist bis­lang ausgeblieben.

Der Text stellt eine gekürz­te und leicht über­ar­bei­te­te Ver­si­on der Ana­ly­se von Rudi Fried­rich von Con­nec­tion e.V. dar. Con­nec­tion e.V setzt sich mit einem Ver­bund von euro­pa­weit mehr als 100 Orga­ni­sa­tio­nen für den Schutz für Kriegsdienstverweiger*innen und Deserteur*innen aus Russ­land, Bela­rus und Ukrai­ne im Rah­men der von PRO ASYL finan­zi­ell unter­stütz­ten #Object­War­Cam­paign ein.