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Den EU-Staats- & Regierungschefs wird heute Kaiserschmarrn kredenzt; für Flüchtlinge in Europa gibt es künftig mehr Haft, mehr Lager und mehr Abschiebungen. Foto: Hendrik Dacquin / flickr / CC BY 2.0

Bei Suppe, Salzburger Rindfleisch und Kaiserschmarrn diskutieren heute Abend die Staats- und Regierungschefs der EU u.a. die neuen Kommissionsvorschläge. Brüssel will die Rechtspopulisten mit deren eigenen Konzepten bekämpfen: Mehr Frontex, mehr Haft, mehr Lager und mehr Abschiebungen.

In sei­ner »Rede zur Lage der Uni­on« leg­te Kom­mis­sion­chef Jun­cker meh­re­re Initia­ti­ven vor, durch die Inhaf­tie­rung von abge­lehn­ten Asyl­su­chen­den leich­ter gemacht und Abschie­bung beschleu­nigt wer­den. Ganz zen­tral: Fron­tex soll mas­siv gestärkt wer­den. Bereits im Juli 2018 hat die Kom­mis­si­on  eine zen­tra­len Auf­trag der  EU-Staats- und Regie­rungs­chefs  vom 28. Juni 2018 erfüllt. Sie leg­te ein Kon­zept zur Ein­rich­tung von »Kon­trol­lier­ten Zen­tren« auf EU- Ter­ri­to­ri­um und »Regio­na­len Aus­schif­fungs­platt­for­men« außer­halb der EU vor.

Vorschläge für die Ausweitung von Haft und beschleunigte Abschiebungen

Die Brüs­se­ler Initia­ti­ven müs­sen als Gesamt­pa­ket gele­sen wer­den. Bei dem mas­siv ver­schärf­ten Rück­füh­rungs­richt­li­ni­en­vor­schlag zeigt sich, wie sich der Fokus der EU ver­scho­ben hat: Im Jahr 2014 for­der­te die Kom­mis­si­on die Mit­glied­staa­ten auf, die Rück­füh­rungs­richt­li­nie aus dem Jahr 2008 groß­zü­gig anzu­wen­den. Im Jahr 2017 emp­fahl sie, sie so streng wie mög­lich anzu­wen­den. Um die Hür­den für die stren­ge­re Anwen­dung abzu­bau­en, hat die Kom­mis­si­on nun einen Vor­schlag zur Ände­rung der Richt­li­nie vorgelegt.

Zur effek­ti­ve­ren Durch­set­zung der Abschie­bung sol­len die Betrof­fe­nen inhaf­tiert und mit Ein­rei­se­ver­bo­ten belegt werden.

Neues Grenzverfahren, mehr Inhaftierung 

Für Per­so­nen, »deren Asyl­an­trä­ge wäh­rend der Grenz­ab­fer­ti­gungs­ver­fah­ren (!) abge­lehnt wur­den«, gel­ten ver­ein­fach­te Rück­füh­rungs­ver­fah­ren mit kür­ze­ren Fris­ten für Rechts­mit­tel. Dadurch wird erreicht, dass Rück­füh­rungs­ent­schei­dun­gen rasch rechts­kräf­tig wer­den, Abschie­bun­gen an der Gren­ze oder aus mög­li­chen »Kon­trol­lier­ten Zen­tren« schnell voll­zo­gen wer­den, ohne dass effek­ti­ver Rechts­schutz in der Pra­xis garan­tiert wird.

Brüs­sel will ver­schärf­te Vor­schrif­ten für die Inhaf­tie­rung abge­lehn­ter Asyl­su­chen­der: Die Aus­wei­tung der Kri­te­ri­en für die Bestim­mung der »Flucht­ge­fahr« soll dazu bei­tra­gen, die Mög­lich­keit der Inhaft­nah­me wäh­rend des Rückkehrver­fahrens bes­ser zu nut­zen. Was die EU Kom­mis­si­on unter »Flucht­ge­fahr« ver­steht, hält sie in Arti­kel 6 – einer »unvoll­stän­di­ge Auf­zäh­lung« mit 16 Unter­punk­ten – fest:

  • Feh­len­de iden­ti­täts­be­zeu­gen­de Dokumente;
  • Feh­len­de Mel­de­adres­se, fes­ter Wohn­sitz oder ver­läss­li­che Adresse;
  • Feh­len­de finan­zi­el­le Mittel;
  • Ille­ga­le Ein­rei­se in das Gebiet eines Mitgliedsstaates;
  • Unbe­rech­tig­te Wei­ter­wan­de­rung in das Gebiet eines ande­ren Mitgliedsstaates;

Die Mit­glieds­staa­ten sind auf­ge­for­dert, eine »anfäng­li­che Haft­dau­er von min­des­tens drei Mona­ten« vorzusehen.

Mehr Geld, mehr Einsatzkräfte und mehr Befugnisse für Frontex

Bezüg­lich der EU Grenz- und Küs­ten­wa­che »Fron­tex« plä­diert die Kom­mis­si­on für mehr Befug­nis­se, eine eige­ne Aus­rüs­tung und wesent­lich mehr Geld. Die Agen­tur soll über eine stän­di­ge Reser­ve von 10.000 Ein­satz­kräf­ten ab 2020 ver­fü­gen und sowohl sta­tio­när als auch ad-hoc in Mit­glieds­staa­ten prä­sent sein.

Eine stän­di­ge Reser­ve von 10.000 Ein­satz­kräf­ten ab 2020 – mehr Befug­nis­se für die Agen­tur, mehr Unterstützung
bei Sam­mel­ab­schie­bun­gen und eine ver­stärk­te Zusam­men­ar­beit mit Drittstaaten.

Der Reform­vor­schlag zur Neue­rung der Fron­tex-Ver­ord­nung sieht vor, die EU-Agen­tur zum zen­tra­len Agen­ten bei Abschie­bun­gen machen. Nach Vor­stel­lun­gen der Kom­mis­si­on soll Fron­tex künf­tig Per­so­nen ohne Auf­ent­halts­er­laub­nis ermit­teln, Rei­se­do­ku­men­te beschaf­fen und Rück­füh­rungs­ent­schei­dun­gen vorbereiten.

Fron­tex soll »zur Wahr­neh­mung von Auf­ga­ben befugt sein, die Exe­ku­tiv­be­fug­nis­se erfor­dern; dies kön­nen z.B. Iden­ti­täts­kon­trol­len, die Geneh­mi­gung oder Ableh­nung der Ein­rei­se an den Außen­gren­zen oder das Abfan­gen von Men­schen an den Gren­zen sein.«

Der­zeit ist das Ein­satz­ge­biet von Fron­tex auf die EU und direk­te Nach­bar­län­der begrenzt. Die EU-Kom­mis­si­on unter Kom­mis­si­ons­chef Jun­cker for­dert nun: »Die Agen­tur wird unter ihrem neu­en Man­dat (…) Bediens­te­te sogar in ande­re Dritt­staa­ten als Nach­bar­staa­ten der EU ent­sen­den kön­nen, um das Grenz­ma­nage­ment und die Migra­ti­ons­steue­rung sowie Rück­kehr- und Rück­füh­rungs­maß­nah­men zu unterstützen.«

»Die EU mobi­li­siert alle auf natio­na­ler und EU-Ebe­ne ver­füg­ba­ren Anrei­ze und Ein­fluss­mög­lich­kei­ten, ein­schließ­lich abge­stimm­ter Visum­maß­nah­men, um die Zusam­men­ar­beit [mit Dritt­staa­ten] bei der Rück­füh­rung und Rück­über­nah­me zu ver­bes­sern«, ver­lau­tet die EU Kom­mis­si­on stolz. Das Ergeb­nis lässt sich aus ihrer Sicht sehen.

  • So wur­den EU-Rück­über­nah­me­ab­kom­men mit 17 Län­dern geschlossen. 
    • Mit Weiß­russ­land, Nige­ria, Tune­si­en, Chi­na, Jor­da­ni­en und Alge­ri­en lau­fen der­zeit Verhandlungen.
  • Die »prak­ti­sche Zusam­men­ar­beit« wur­de mit meh­re­ren Schlüs­sel­län­dern intensiviert. 
    • Es wur­den sechs ent­spre­chen­de Ver­ein­ba­run­gen in zwei Jah­ren mit Afgha­ni­stan, Gui­nea, Ban­gla­desch, Äthio­pi­en, Gam­bia und der Elfen­bein­küs­te geschlossen.

Schaulaufen der Festungsbauer in Salzburg 

In Salz­burg wer­den kei­ne Beschlüs­se gefasst. Infor­mel­le Gip­fel bie­ten vor allem die Mög­lich­keit, dass alle poli­tisch Ver­ant­wort­li­chen ihre jewei­li­gen »Kon­zep­te« – Asyl­ver­fah­ren auf Schif­fen, Lager in Nord­afri­ka, »Kon­trol­lier­te Zen­tren«, etc. – medi­al ver­kau­fen kön­nen. Kom­mis­si­ons­chef Jun­cker wird auch an dem Tref­fen teil­neh­men und für die neu­en Kom­mis­si­ons­vor­schlä­ge werben.

Ein Gemein­sa­mes euro­päi­sches Asyl­sys­tem, das die­sen Namen ver­dient, bleibt in wei­ter Ferne. 

Unse­re all­ge­mei­ne Befürch­tung: Der neue Fron­tex-Ver­ord­nungs­vor­schlag wird mit eini­gen Ver­än­de­run­gen rela­tiv schnell von Rat und Par­la­ment ange­nom­men. Ein Gemein­sa­mes euro­päi­sches Asyl­sys­tem (GEAS), das die­sen Namen ver­dient, bleibt in wei­ter Fer­ne. Bei dem Vor­schlag zur Rück­füh­rungs­richt­li­ni­en, besteht die vage Hoff­nung, dass sich das Euro­päi­sche Par­la­ment dem avi­sier­ten exzes­si­ven Inhaf­tie­rungs­pro­gramm verweigert.

Der brei­te zivil­ge­sell­schaft­li­che Pro­test in Salz­burg, Deutsch­land und in Euro­pa für die See­not­ret­tung, für das Recht auf Leben, für den unein­ge­schränk­ten Flücht­lings­schutz, gegen die Abschot­tungs­po­li­tik zeigt, dass immer mehr Men­schen sich der zyni­schen und mora­lisch bank­rot­ten EU-Flücht­lings­po­li­tik widersetzen.